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Tübinger Chronik. Nr. 103. [Tübingen (Württemberg)], 27. August 1845.

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Tübingen u. Umgegend abon-
nirt man bei d. Redaction in d.
langen Gasse nächst d. Stifts-
kirche, wo auch Ankündigun-
gen und Aufsätze aller Art
abgegeben werden können.

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Tübinger [Abbildung] Chronik.
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Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. - - am
Neckarsthor u. bei Hrn -

- in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 103. Mittwoch den 27. August. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Der Kaufmann von Amsterdam.

Die Dämmerung eines Novemberabends senkte
sich auf das reiche, gewühlvolle Amsterdam hernie-
der. Jn den unzähligen Gassen und Gäßchen der
Stadt war die Tageshelle bereits verschwunden, und
tausende von Gasflammen erhellten die glänzenden
von zahlreichen Neugierigen umdrängten Magazine,
nur auf den freien Plätzen und den breiten, mit
hohen Linden eingefaßten Grachten beleuchtete noch
der letzte Schimmer des Tages das wogende Ge-
dränge der Volksmenge.

An derjenigen Stelle des Hafens, wo die Flu-
then der Amstel sich in die Y ergoßen, flog unter
den Ruderschlägen von 4 Matrosen ein leichtes Boot
gegen das Bollwerk der Oude Westzyde heran.
Ein kurzer gellender Pfiff ertönte, und ein unter-
setzter breitschultriger Mann, mit schlichtem kurzge-
schnittenem Blondhaar und ehrlichen gutmüthigen
Zügen, den ein silbernes Pfeifchen im Knopfloch
seiner Jacke als den Hochbootsmann eines Kauf-
fahrers bezeichnete, sprang schnell ans Ufer.

Willkommen in Alt=Niederland! rief er mit
Herzlichkeit einem jungen, zierlich gebauten Manne
entgegen, dessen dunkle Gesichtsfarbe einen Kreolen
aus den Kolonien erkennen ließ, und der sich eben-
falls anschickte, das Boot zu verlassen; nochmals
willkommen in meinem theuren Vaterlande, - mögt
Jhr darin recht froh und glücklich werden. -

Der Angeredete dankte mit stummem Hände-
drucke, dann wandte er sich ängstlich zurück zu dem
Boote, aus dem eine junge hübsche Negerin mit
einem Kinde auf dem Arme eben ans Land steigen
wollte.

Nur Muth gefaßt! flüsterte der Hochbootsmann
mit bittendem Tone; es darf Euch nicht traurig
machen, daß ich Euch wie Contrebande ans Land
schmuggle; - Jhr wißt, es geschieht zu Eurem
Besten, und Euer Herz soll gewiß noch recht froh
werden, wenn Jhr findet, wie unendlich schöner
das Leben hier in Amsterdam ist, als auf der ein-
samen Plantage! -

Der junge Mann schien für den Trost des ehr-
lichen Seemanns eben nicht sehr empfänglich, denn
er schüttelte traurig den Kopf, und sein Arm zit-
terte, als er ihn in seines Führers legte, um ge-
[Spaltenumbruch] meinschaftlich mit diesem seine Wanderung zu be-
ginnen.

Jhr erwartet hier meine Rückkehr! sagte, zu
seinen Untergebenen gewendet, jetzt der Hochboots-
Mann, mit der Strenge der Schiffs=Disziplin in
Ton und Miene; Gott sei Euch gnädig, wenn ich
finde, daß Einer von Euch Seehunden mit den
Genever=Flaschen dort drüben Bekanntschaft gemacht
hat und mit falschem Cours und schief gestellten
Segeln auf dem Lande lavirt! - Nun ich denke,
setzte er mit einer verständlichen Handbewegung
hinzu, Jhr könnt in solchen Fällen den Pieter
Dirkens!

Die Matrosen lüfteten bei dieser kräftigen Phi-
lippika respectvoll die Hüte, während ihr Chef mit
seiner Begleitung den Weg in das Jnnere der Stadt
einschlug.

Mit unverkennbarer Neugierde flogen auf dem
Wege die Blicke des Kreolen nach allen Seiten.
Dem Eindruck, welchen bei der glänzenden Beleuch-
tung der Anblick der verschiedenartigen, nie gesehe-
nen Gegenstände auf ihn machte, wich allmälig die
Schüchternheit, die ihn befangen hielt, und mit
zufriedener Miene beobachtete der Hochbootsmann
die Veränderung seines Schützlings.

Man war jetzt am Ziele. Vor dem Gasthause
zum Ouden Graal auf der Kalver Straat machte
die kleine Gesellschaft Halt, und der Seemann
läutete mit derber Faust die Hausglocke. Der Herr
des Hauses zeigte sich alsbald auf dem spiegel-
blanken Flure. Mit einer steifen Verbeugung zog
der Hochbootsmann einen Brief aus den Falten
seiner Jackentasche hervor und legte ihn in die
Hände des Wirthes.

Von Mynheer Frederik Hoogendorp, sagte er
ruhig, und mit deutlicher Freude erbrach der Wirth
das Billet.

Ein wackerer junger Herr der Hoogendorp, sagte
er, als er gelesen, im freundlichsten Tone. Wir
haben uns in 4 Jahren nicht gesehen, und ich freue
mich sehr, daß der junge Herr unserer Bekanntschaft
sich noch so freundlich erinnert. Er wünscht, ich solle
seinem besten Freunde auf ein paar Tage ein Zim-
mer einräumen und wahrhaftig, - ich wollte lieber
auf dem Boden kampiren, ehe ich solche werthe
Gäste abwiese. - Jch heiße Euch also von Herzen
willkommen.

Der Kreole dankte mit freundlichem Blicke für die
verbindliche Rede und wandte sich rasch und ängstlich zu
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nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. – – am
Neckarsthor u. bei Hrn –

– in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
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Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 103. Mittwoch den 27. August. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Der Kaufmann von Amsterdam.

Die Dämmerung eines Novemberabends senkte
sich auf das reiche, gewühlvolle Amsterdam hernie-
der. Jn den unzähligen Gassen und Gäßchen der
Stadt war die Tageshelle bereits verschwunden, und
tausende von Gasflammen erhellten die glänzenden
von zahlreichen Neugierigen umdrängten Magazine,
nur auf den freien Plätzen und den breiten, mit
hohen Linden eingefaßten Grachten beleuchtete noch
der letzte Schimmer des Tages das wogende Ge-
dränge der Volksmenge.

An derjenigen Stelle des Hafens, wo die Flu-
then der Amstel sich in die Y ergoßen, flog unter
den Ruderschlägen von 4 Matrosen ein leichtes Boot
gegen das Bollwerk der Oude Westzyde heran.
Ein kurzer gellender Pfiff ertönte, und ein unter-
setzter breitschultriger Mann, mit schlichtem kurzge-
schnittenem Blondhaar und ehrlichen gutmüthigen
Zügen, den ein silbernes Pfeifchen im Knopfloch
seiner Jacke als den Hochbootsmann eines Kauf-
fahrers bezeichnete, sprang schnell ans Ufer.

Willkommen in Alt=Niederland! rief er mit
Herzlichkeit einem jungen, zierlich gebauten Manne
entgegen, dessen dunkle Gesichtsfarbe einen Kreolen
aus den Kolonien erkennen ließ, und der sich eben-
falls anschickte, das Boot zu verlassen; nochmals
willkommen in meinem theuren Vaterlande, – mögt
Jhr darin recht froh und glücklich werden. –

Der Angeredete dankte mit stummem Hände-
drucke, dann wandte er sich ängstlich zurück zu dem
Boote, aus dem eine junge hübsche Negerin mit
einem Kinde auf dem Arme eben ans Land steigen
wollte.

Nur Muth gefaßt! flüsterte der Hochbootsmann
mit bittendem Tone; es darf Euch nicht traurig
machen, daß ich Euch wie Contrebande ans Land
schmuggle; – Jhr wißt, es geschieht zu Eurem
Besten, und Euer Herz soll gewiß noch recht froh
werden, wenn Jhr findet, wie unendlich schöner
das Leben hier in Amsterdam ist, als auf der ein-
samen Plantage! –

Der junge Mann schien für den Trost des ehr-
lichen Seemanns eben nicht sehr empfänglich, denn
er schüttelte traurig den Kopf, und sein Arm zit-
terte, als er ihn in seines Führers legte, um ge-
[Spaltenumbruch] meinschaftlich mit diesem seine Wanderung zu be-
ginnen.

Jhr erwartet hier meine Rückkehr! sagte, zu
seinen Untergebenen gewendet, jetzt der Hochboots-
Mann, mit der Strenge der Schiffs=Disziplin in
Ton und Miene; Gott sei Euch gnädig, wenn ich
finde, daß Einer von Euch Seehunden mit den
Genèver=Flaschen dort drüben Bekanntschaft gemacht
hat und mit falschem Cours und schief gestellten
Segeln auf dem Lande lavirt! – Nun ich denke,
setzte er mit einer verständlichen Handbewegung
hinzu, Jhr könnt in solchen Fällen den Pieter
Dirkens!

Die Matrosen lüfteten bei dieser kräftigen Phi-
lippika respectvoll die Hüte, während ihr Chef mit
seiner Begleitung den Weg in das Jnnere der Stadt
einschlug.

Mit unverkennbarer Neugierde flogen auf dem
Wege die Blicke des Kreolen nach allen Seiten.
Dem Eindruck, welchen bei der glänzenden Beleuch-
tung der Anblick der verschiedenartigen, nie gesehe-
nen Gegenstände auf ihn machte, wich allmälig die
Schüchternheit, die ihn befangen hielt, und mit
zufriedener Miene beobachtete der Hochbootsmann
die Veränderung seines Schützlings.

Man war jetzt am Ziele. Vor dem Gasthause
zum Ouden Graal auf der Kalver Straat machte
die kleine Gesellschaft Halt, und der Seemann
läutete mit derber Faust die Hausglocke. Der Herr
des Hauses zeigte sich alsbald auf dem spiegel-
blanken Flure. Mit einer steifen Verbeugung zog
der Hochbootsmann einen Brief aus den Falten
seiner Jackentasche hervor und legte ihn in die
Hände des Wirthes.

Von Mynheer Frederik Hoogendorp, sagte er
ruhig, und mit deutlicher Freude erbrach der Wirth
das Billet.

Ein wackerer junger Herr der Hoogendorp, sagte
er, als er gelesen, im freundlichsten Tone. Wir
haben uns in 4 Jahren nicht gesehen, und ich freue
mich sehr, daß der junge Herr unserer Bekanntschaft
sich noch so freundlich erinnert. Er wünscht, ich solle
seinem besten Freunde auf ein paar Tage ein Zim-
mer einräumen und wahrhaftig, – ich wollte lieber
auf dem Boden kampiren, ehe ich solche werthe
Gäste abwiese. – Jch heiße Euch also von Herzen
willkommen.

Der Kreole dankte mit freundlichem Blicke für die
verbindliche Rede und wandte sich rasch und ängstlich zu
[Ende Spaltensatz]

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Jn den unzähligen Gassen und Gäßchen der Stadt war die Tageshelle bereits verschwunden, und tausende von Gasflammen erhellten die glänzenden von zahlreichen Neugierigen umdrängten Magazine, nur auf den freien Plätzen und den breiten, mit hohen Linden eingefaßten Grachten beleuchtete noch der letzte Schimmer des Tages das wogende Ge- dränge der Volksmenge. An derjenigen Stelle des Hafens, wo die Flu- then der Amstel sich in die Y ergoßen, flog unter den Ruderschlägen von 4 Matrosen ein leichtes Boot gegen das Bollwerk der Oude Westzyde heran. Ein kurzer gellender Pfiff ertönte, und ein unter- setzter breitschultriger Mann, mit schlichtem kurzge- schnittenem Blondhaar und ehrlichen gutmüthigen Zügen, den ein silbernes Pfeifchen im Knopfloch seiner Jacke als den Hochbootsmann eines Kauf- fahrers bezeichnete, sprang schnell ans Ufer. 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Wir haben uns in 4 Jahren nicht gesehen, und ich freue mich sehr, daß der junge Herr unserer Bekanntschaft sich noch so freundlich erinnert. Er wünscht, ich solle seinem besten Freunde auf ein paar Tage ein Zim- mer einräumen und wahrhaftig, – ich wollte lieber auf dem Boden kampiren, ehe ich solche werthe Gäste abwiese. – Jch heiße Euch also von Herzen willkommen. Der Kreole dankte mit freundlichem Blicke für die verbindliche Rede und wandte sich rasch und ängstlich zu

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Zitationshilfe: Tübinger Chronik. Nr. 103. [Tübingen (Württemberg)], 27. August 1845, S. [413]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik103_1845/1>, abgerufen am 15.05.2024.