Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau, 1854.Bossuet lieferte Grundlinien einer christl.-philosoph. Geschichtsanschauung. Die Geschichte beschränkte sich auf großartige Sammlungen (d'Achery, Mabillon, Ruinart, Martene, Durand), die alte Geschichte behandelte der tiefgelehrte Tillemont, Kollin (st. 1741), ausgezeichnete Specialgeschichten lieferten der Herzog von Rochefaucould (st. 1680), der scharfsinnige S. Real (st. 1692), Vertot (st. 1735). Interessante Memoiren schrieben der Cardinal von Retz und Simon; Mabillon begründete die Diplomatik. In Mathematik, Mechanik, Hydraulik, Physik (Mariotte) wurden weit glänzendere Erfolge erzielt als in der Geschichtschreibung, die Astronomie hatte ihren Cassini, die Naturwissenschaften förderten N. Lemery, S. F. Geoffroy, Vallot u. a. vornämlich auch die Prachtliebe des Königs, dessen Ruhmsucht gleichzeitig die militär. Wissenschaften zu Fortschritten zwang. Die dritte Periode der f. L. von Ludwig XIV. bis auf unsere Tage (1715-1855) ist characterisirt, indem einerseits die Errungenschaften der frühern festgehalten und im Einzelnen vervollkommnet und vielfach erweitert wurden, anderseits der Geist der Verneinung das "philosoph. Jahrh." durchsäuerte, Frankreich der Revolution in die Arme liefern half, innerlich theilte und zersplitterte und der Literatur einen vorherrschend antikirchl. und politisch-socialen Charakter verlieh. Man nimmt füglich 2 Epochen an, deren 1. durch Voltaire vertreten wird u. deren 2. mit dem J. 1789 beginnt. A. 1715 bis 89. Am Ende des 17. Jahrh. wurde Paris zur geistigen Herrin Europas, weil trotz aller Unnatur u. allen Widersprüchen die Franzosen damals doch den meisten Völkern geistig überlegen waren. Ludwigs XIV. erste Nachfolger überließen die Literatur ihren Mätressen, an die Stelle der Akademien traten mehr oder minder die Salons der vornehmen Welt (l'Espinasse, Düdeffant, Holbach), die f. L. nahm eine feindselige Richtung gegen die Kirche sowohl als gegen die bürgerl. Ordnung. Montesquieu (1689 bis 1755), Voltaire (1694-1778), J. J. Rousseau (1712-78), Diderot (1713 bis 84), die Encyklopädisten, s. d. betr. Art. - Als Lyriker zeichnete sich le Franc de Pompignan (st. 1784) durch religiöse Lieder und Oden aus, minder L. Racine (1692-1763); Voltaire, Bernard (1710-55), Dorat (1734 bis 80) u. a. dichteten leichte Chansons, witzelnde Lieder, Colardeau, Bertin, Laharpe Elegien. Voltaire schuf die Henriade, befleckte sein komisches Genie in der Pucelle durch Schamlosigkeit, dagegen lieferte L. Gresset (1709-77) die musterhafte komische Epopöe Vert-Vert. An komischen u. noch mehr an frivolen Erzählungen wurde die f. L. überreich durch Voltaire, W. de Grecourt (1683 bis 1743) und viele andere. Moncrif (1687-1770) dichtete Romanzen, Leonard (st. 1793), Berquin (st. 1791) geßnerische Idyllen, Voltaire u. J. J. Rousseau blieben im sog. philosoph. Roman unerreicht, Prevet d'Exiles (st. 1763) und der sittenstrenge Duclos (st. 1772) schrieben Familienromane, Marmontel (st. 1799) und Florian (1755 bis 94) historische, Marivaux (st. 1763) u. Gravigny sentimentale Romane. Die persischen Briefe des Montesquieu (1689 bis 1755) fanden zahllose Nachahmer, C. Crebillon (st. 1777) eröffnete den Reigen der schamlosesten Romane, welche keine würdigeren mehr aufkommen ließen. Im Lehrgedicht zeichneten sich L. Racine (la Religion, la Grace), Dorat, Leonard, besonders der Cardinal Bernis (la Religion vengee) aus, in der Fabel vor allen Florian, an Epigrammen u. Episteln (Piron, st. 1773; Colardeau, Gresset, Delille, Chaulieu, Thomas, Laharpe) wurde die f. L. überreich, der Geist der Satyre machte sich in den verschiedenartigsten Gebieten geltend. In der dramat. Poesie steht nur Voltaire würdig neben seinen Vorgängern im Trauerspiel, einige ahmten die Griechen nach, Diderot machte Propaganda für seine "Philosophie" in bürgerlichen Schauspielen, Piron, Gresset, Sedaine (st. 1797), noch weit mehr Florian u. Beaumarchais (st. 1799), lieferten vortreffliche Lustspiele, letzterer auch Opern. Die Prosa erhielt sich auf ihrer Höhe, die Wissenschaften verbreiteten sich in ganz Frankreich, in Provincialstädten wurden Akademien errichtet, aber Paris Bossuet lieferte Grundlinien einer christl.-philosoph. Geschichtsanschauung. Die Geschichte beschränkte sich auf großartige Sammlungen (dʼAchery, Mabillon, Ruinart, Martène, Durand), die alte Geschichte behandelte der tiefgelehrte Tillemont, Kollin (st. 1741), ausgezeichnete Specialgeschichten lieferten der Herzog von Rochefaucould (st. 1680), der scharfsinnige S. Real (st. 1692), Vertot (st. 1735). Interessante Memoiren schrieben der Cardinal von Retz und Simon; Mabillon begründete die Diplomatik. In Mathematik, Mechanik, Hydraulik, Physik (Mariotte) wurden weit glänzendere Erfolge erzielt als in der Geschichtschreibung, die Astronomie hatte ihren Cassini, die Naturwissenschaften förderten N. Lemery, S. F. Geoffroy, Vallot u. a. vornämlich auch die Prachtliebe des Königs, dessen Ruhmsucht gleichzeitig die militär. Wissenschaften zu Fortschritten zwang. Die dritte Periode der f. L. von Ludwig XIV. bis auf unsere Tage (1715–1855) ist characterisirt, indem einerseits die Errungenschaften der frühern festgehalten und im Einzelnen vervollkommnet und vielfach erweitert wurden, anderseits der Geist der Verneinung das „philosoph. Jahrh.“ durchsäuerte, Frankreich der Revolution in die Arme liefern half, innerlich theilte und zersplitterte und der Literatur einen vorherrschend antikirchl. und politisch-socialen Charakter verlieh. Man nimmt füglich 2 Epochen an, deren 1. durch Voltaire vertreten wird u. deren 2. mit dem J. 1789 beginnt. A. 1715 bis 89. Am Ende des 17. Jahrh. wurde Paris zur geistigen Herrin Europas, weil trotz aller Unnatur u. allen Widersprüchen die Franzosen damals doch den meisten Völkern geistig überlegen waren. Ludwigs XIV. erste Nachfolger überließen die Literatur ihren Mätressen, an die Stelle der Akademien traten mehr oder minder die Salons der vornehmen Welt (lʼEspinasse, Düdeffant, Holbach), die f. L. nahm eine feindselige Richtung gegen die Kirche sowohl als gegen die bürgerl. Ordnung. Montesquieu (1689 bis 1755), Voltaire (1694–1778), J. J. Rousseau (1712–78), Diderot (1713 bis 84), die Encyklopädisten, s. d. betr. Art. – Als Lyriker zeichnete sich le Franc de Pompignan (st. 1784) durch religiöse Lieder und Oden aus, minder L. Racine (1692–1763); Voltaire, Bernard (1710–55), Dorat (1734 bis 80) u. a. dichteten leichte Chansons, witzelnde Lieder, Colardeau, Bertin, Laharpe Elegien. Voltaire schuf die Henriade, befleckte sein komisches Genie in der Pucelle durch Schamlosigkeit, dagegen lieferte L. Gresset (1709–77) die musterhafte komische Epopöe Vert-Vert. An komischen u. noch mehr an frivolen Erzählungen wurde die f. L. überreich durch Voltaire, W. de Grecourt (1683 bis 1743) und viele andere. Moncrif (1687–1770) dichtete Romanzen, Leonard (st. 1793), Berquin (st. 1791) geßnerische Idyllen, Voltaire u. J. J. Rousseau blieben im sog. philosoph. Roman unerreicht, Prèvet dʼExiles (st. 1763) und der sittenstrenge Duclos (st. 1772) schrieben Familienromane, Marmontel (st. 1799) und Florian (1755 bis 94) historische, Marivaux (st. 1763) u. Gravigny sentimentale Romane. Die persischen Briefe des Montesquieu (1689 bis 1755) fanden zahllose Nachahmer, C. Crebillon (st. 1777) eröffnete den Reigen der schamlosesten Romane, welche keine würdigeren mehr aufkommen ließen. Im Lehrgedicht zeichneten sich L. Racine (la Religion, la Grace), Dorat, Leonard, besonders der Cardinal Bernis (la Religion vengée) aus, in der Fabel vor allen Florian, an Epigrammen u. Episteln (Piron, st. 1773; Colardeau, Gresset, Delille, Chaulieu, Thomas, Laharpe) wurde die f. L. überreich, der Geist der Satyre machte sich in den verschiedenartigsten Gebieten geltend. In der dramat. Poesie steht nur Voltaire würdig neben seinen Vorgängern im Trauerspiel, einige ahmten die Griechen nach, Diderot machte Propaganda für seine „Philosophie“ in bürgerlichen Schauspielen, Piron, Gresset, Sedaine (st. 1797), noch weit mehr Florian u. Beaumarchais (st. 1799), lieferten vortreffliche Lustspiele, letzterer auch Opern. Die Prosa erhielt sich auf ihrer Höhe, die Wissenschaften verbreiteten sich in ganz Frankreich, in Provincialstädten wurden Akademien errichtet, aber Paris <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="lexiconEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0785" n="784"/> Bossuet lieferte Grundlinien einer christl.-philosoph. Geschichtsanschauung. 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L. nahm eine feindselige Richtung gegen die Kirche sowohl als gegen die bürgerl. Ordnung. Montesquieu (1689 bis 1755), Voltaire (1694–1778), J. J. Rousseau (1712–78), Diderot (1713 bis 84), die Encyklopädisten, s. d. betr. Art. – Als <hi rendition="#g">Lyriker</hi> zeichnete sich le Franc de Pompignan (st. 1784) durch religiöse Lieder und Oden aus, minder L. Racine (1692–1763); Voltaire, Bernard (1710–55), Dorat (1734 bis 80) u. a. dichteten leichte <hi rendition="#i">Chansons</hi>, witzelnde Lieder, Colardeau, Bertin, Laharpe Elegien. Voltaire schuf die Henriade, befleckte sein komisches Genie in der <hi rendition="#i">Pucelle</hi> durch Schamlosigkeit, dagegen lieferte L. Gresset (1709–77) die musterhafte komische Epopöe <hi rendition="#i">Vert-Vert</hi>. An komischen u. noch mehr an frivolen Erzählungen wurde die f. L. überreich durch Voltaire, W. de Grecourt (1683 bis 1743) und viele andere. 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Bossuet lieferte Grundlinien einer christl.-philosoph. Geschichtsanschauung. Die Geschichte beschränkte sich auf großartige Sammlungen (dʼAchery, Mabillon, Ruinart, Martène, Durand), die alte Geschichte behandelte der tiefgelehrte Tillemont, Kollin (st. 1741), ausgezeichnete Specialgeschichten lieferten der Herzog von Rochefaucould (st. 1680), der scharfsinnige S. Real (st. 1692), Vertot (st. 1735). Interessante Memoiren schrieben der Cardinal von Retz und Simon; Mabillon begründete die Diplomatik. In Mathematik, Mechanik, Hydraulik, Physik (Mariotte) wurden weit glänzendere Erfolge erzielt als in der Geschichtschreibung, die Astronomie hatte ihren Cassini, die Naturwissenschaften förderten N. Lemery, S. F. Geoffroy, Vallot u. a. vornämlich auch die Prachtliebe des Königs, dessen Ruhmsucht gleichzeitig die militär. Wissenschaften zu Fortschritten zwang. Die dritte Periode der f. L. von Ludwig XIV. bis auf unsere Tage (1715–1855) ist characterisirt, indem einerseits die Errungenschaften der frühern festgehalten und im Einzelnen vervollkommnet und vielfach erweitert wurden, anderseits der Geist der Verneinung das „philosoph. Jahrh.“ durchsäuerte, Frankreich der Revolution in die Arme liefern half, innerlich theilte und zersplitterte und der Literatur einen vorherrschend antikirchl. und politisch-socialen Charakter verlieh. Man nimmt füglich 2 Epochen an, deren 1. durch Voltaire vertreten wird u. deren 2. mit dem J. 1789 beginnt. A. 1715 bis 89. Am Ende des 17. Jahrh. wurde Paris zur geistigen Herrin Europas, weil trotz aller Unnatur u. allen Widersprüchen die Franzosen damals doch den meisten Völkern geistig überlegen waren. Ludwigs XIV. erste Nachfolger überließen die Literatur ihren Mätressen, an die Stelle der Akademien traten mehr oder minder die Salons der vornehmen Welt (lʼEspinasse, Düdeffant, Holbach), die f. L. nahm eine feindselige Richtung gegen die Kirche sowohl als gegen die bürgerl. Ordnung. Montesquieu (1689 bis 1755), Voltaire (1694–1778), J. J. Rousseau (1712–78), Diderot (1713 bis 84), die Encyklopädisten, s. d. betr. Art. – Als Lyriker zeichnete sich le Franc de Pompignan (st. 1784) durch religiöse Lieder und Oden aus, minder L. Racine (1692–1763); Voltaire, Bernard (1710–55), Dorat (1734 bis 80) u. a. dichteten leichte Chansons, witzelnde Lieder, Colardeau, Bertin, Laharpe Elegien. Voltaire schuf die Henriade, befleckte sein komisches Genie in der Pucelle durch Schamlosigkeit, dagegen lieferte L. Gresset (1709–77) die musterhafte komische Epopöe Vert-Vert. An komischen u. noch mehr an frivolen Erzählungen wurde die f. L. überreich durch Voltaire, W. de Grecourt (1683 bis 1743) und viele andere. Moncrif (1687–1770) dichtete Romanzen, Leonard (st. 1793), Berquin (st. 1791) geßnerische Idyllen, Voltaire u. J. J. Rousseau blieben im sog. philosoph. Roman unerreicht, Prèvet dʼExiles (st. 1763) und der sittenstrenge Duclos (st. 1772) schrieben Familienromane, Marmontel (st. 1799) und Florian (1755 bis 94) historische, Marivaux (st. 1763) u. Gravigny sentimentale Romane. Die persischen Briefe des Montesquieu (1689 bis 1755) fanden zahllose Nachahmer, C. Crebillon (st. 1777) eröffnete den Reigen der schamlosesten Romane, welche keine würdigeren mehr aufkommen ließen. Im Lehrgedicht zeichneten sich L. Racine (la Religion, la Grace), Dorat, Leonard, besonders der Cardinal Bernis (la Religion vengée) aus, in der Fabel vor allen Florian, an Epigrammen u. Episteln (Piron, st. 1773; Colardeau, Gresset, Delille, Chaulieu, Thomas, Laharpe) wurde die f. L. überreich, der Geist der Satyre machte sich in den verschiedenartigsten Gebieten geltend. In der dramat. Poesie steht nur Voltaire würdig neben seinen Vorgängern im Trauerspiel, einige ahmten die Griechen nach, Diderot machte Propaganda für seine „Philosophie“ in bürgerlichen Schauspielen, Piron, Gresset, Sedaine (st. 1797), noch weit mehr Florian u. Beaumarchais (st. 1799), lieferten vortreffliche Lustspiele, letzterer auch Opern. Die Prosa erhielt sich auf ihrer Höhe, die Wissenschaften verbreiteten sich in ganz Frankreich, in Provincialstädten wurden Akademien errichtet, aber Paris
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