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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 3. Freiburg im Breisgau, 1855.

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Wissen, Wissenschaft), die "Entdeckungsreisen des Geistes". Uebersichtlich zerfällt sein System: I. in Logik, welche Metaphysik sein und vom reinen Sein ausgehend das Universum in lauter pure "anschauungslose" Vernunftbegriffe verwandeln, dieselben dialectisch auseinander ableiten und zum Systeme gestalten soll. Das mit bewunderungswürdigem Scharfsinne geschriebene Werk enthält a) die Lehre vom Sein (Qualität, Quantität, Maß); b) vom Wesen (Wesen als solches, Wesen u. Erscheinung, Wirklichkeit) u. c) die Lehre vom Begriff, von der vernünftigen Nothwendigkeit (subjectiver Begriff, Objectivität, Idee). Die II. Naturphilosophie enthält die Mechanik (System der Schwere), Physik (Lehre von der unorganischen Natur) u. Organik (Mineral-, Pflanzen- u. Thierreich). Hier werden die Mängel des Systems offenbar; H. vermochte den pomphaft verkündigten Satz: nur das Wirkliche sei das Wahre und nur die Wahrheit die Wirklichkeit, nirgends zu beweisen geschweige durchzuführen, die Natur hatte auch für ihn noch wie für uns zahllose Räthsel und deßhalb fertigte er die Natur kurz ab als "den sich entfremdeten, außer sich selbst gekommenen Geist, als einen bacchantischen Gott, der sich nicht zügelt noch faßt". Desto reicher gedieh III. Die Philosophie des Geistes, zumal es galt, alles Fühlen und Glauben, die edelsten Empfindungen des Herzens, alle Gottesfurcht gewaltsam "zum Bewußtsein zu bringen." Sie zerfällt a) in die Lehre vom subjectiven Geist und behandelt die Anthropologie (Naturgeist), Phänomenologie (bewußter Geist, das Ich) und Pneumatologie (Geist als solcher). Die b) Lehre vom objectiven Geist (Gesammt- oder Weltgeist) enthält die Rechtsphilosophie (Recht ist = der Wille der Allgemeinheit; das erste Gebot = sei eine Person und respectiere andere als Personen, in der That aber die Vernichtung jedes einzelnen Willens, welcher sich dem Gesammtwillen nicht fügen mag, daher H. die Todesstrafe eifrig vertheidigte); die Moral als Lehre vom pflichtmäßigen Handeln aus Gründen des Gewissens (das Gute ist - Versöhnung des Einzelwillens mit dem Gesammtwillen); die Sittlichkeitslehre, worin das Sittliche als Einheit des subjectiven und objectiven (sein sollenden) Guten aufgefaßt, von der Familie, bürgerl. Gesellschaft und Polizei verhandelt wird; endlich die Lehre vom Staate, worin H. den Staat als die bestehende Vernunft bespricht und der altheidnischen Staatsallmacht feurig das Wort redet; einerseits derjenigen Verfassung huldigt, welche den Monarchen nur als "Tüpfelchen auf dem i" gelten läßt, anderseits den Ständen nur das Recht zugesteht, sich zu überzeugen, "daß gut regiert werde" u. solches dem Volke zu verkündigen. Der c) absolute Geist offenbart sich unmittelbar u. für die sinnliche Anschauung als Schönes in den Künsten, von denen die Poesie den Uebergang zur Religionsphilosophie macht. Unter allen Religionen ist die "offenbare" d. h. christliche die höchste, weil sie in der Person Christi den Gottmenschen d. h. denjenigen Philosophen des Alterthums schaut, der mindestens auf der untergeordneten Stufe der Vorstellung bereits als absoluter Geist sich wußte und weil die Trinitätslehre einen Hintergrund für H.s Methode abgibt. Streift man laut H. vom Christenthum nur die Form der religiösen Vorstellung ab, so erklimmt man die absolute Philosophie, d. h. die Philosophie des Gedankens, der sich selbst als alle Wahrheit weiß und das gesammte Universum, das natürliche sowohl als das geistige, aus sich selbst heraus reproducirt. - Bekanntlich gewann der H.ianismus in Preußen (vergl. Altenstein) und von da aus in andern Staaten mehr oder minder die Bedeutung einer Staatsreligion, seine Wirkung auf die Literatur, namentlich auch auf die theolog. der Protestanten war ungeheuer, aber er kam in Mißkredit, indem unter seinen Anhängern die Dichter ihre Theorien der Revolution darauf bauten, die Philosophen, H.ianer oder H.inge, von denen wir Erdmann, Gabler, Göschen, Gans, Michelet, Rosenkranz, Marheineke, Ruge, Feuerbach, Vischer, Zeller, Carriere, Bruno Bauer

Wissen, Wissenschaft), die „Entdeckungsreisen des Geistes“. Uebersichtlich zerfällt sein System: I. in Logik, welche Metaphysik sein und vom reinen Sein ausgehend das Universum in lauter pure „anschauungslose“ Vernunftbegriffe verwandeln, dieselben dialectisch auseinander ableiten und zum Systeme gestalten soll. Das mit bewunderungswürdigem Scharfsinne geschriebene Werk enthält a) die Lehre vom Sein (Qualität, Quantität, Maß); b) vom Wesen (Wesen als solches, Wesen u. Erscheinung, Wirklichkeit) u. c) die Lehre vom Begriff, von der vernünftigen Nothwendigkeit (subjectiver Begriff, Objectivität, Idee). Die II. Naturphilosophie enthält die Mechanik (System der Schwere), Physik (Lehre von der unorganischen Natur) u. Organik (Mineral-, Pflanzen- u. Thierreich). Hier werden die Mängel des Systems offenbar; H. vermochte den pomphaft verkündigten Satz: nur das Wirkliche sei das Wahre und nur die Wahrheit die Wirklichkeit, nirgends zu beweisen geschweige durchzuführen, die Natur hatte auch für ihn noch wie für uns zahllose Räthsel und deßhalb fertigte er die Natur kurz ab als „den sich entfremdeten, außer sich selbst gekommenen Geist, als einen bacchantischen Gott, der sich nicht zügelt noch faßt“. Desto reicher gedieh III. Die Philosophie des Geistes, zumal es galt, alles Fühlen und Glauben, die edelsten Empfindungen des Herzens, alle Gottesfurcht gewaltsam „zum Bewußtsein zu bringen.“ Sie zerfällt a) in die Lehre vom subjectiven Geist und behandelt die Anthropologie (Naturgeist), Phänomenologie (bewußter Geist, das Ich) und Pneumatologie (Geist als solcher). Die b) Lehre vom objectiven Geist (Gesammt- oder Weltgeist) enthält die Rechtsphilosophie (Recht ist = der Wille der Allgemeinheit; das erste Gebot = sei eine Person und respectiere andere als Personen, in der That aber die Vernichtung jedes einzelnen Willens, welcher sich dem Gesammtwillen nicht fügen mag, daher H. die Todesstrafe eifrig vertheidigte); die Moral als Lehre vom pflichtmäßigen Handeln aus Gründen des Gewissens (das Gute ist – Versöhnung des Einzelwillens mit dem Gesammtwillen); die Sittlichkeitslehre, worin das Sittliche als Einheit des subjectiven und objectiven (sein sollenden) Guten aufgefaßt, von der Familie, bürgerl. Gesellschaft und Polizei verhandelt wird; endlich die Lehre vom Staate, worin H. den Staat als die bestehende Vernunft bespricht und der altheidnischen Staatsallmacht feurig das Wort redet; einerseits derjenigen Verfassung huldigt, welche den Monarchen nur als „Tüpfelchen auf dem i“ gelten läßt, anderseits den Ständen nur das Recht zugesteht, sich zu überzeugen, „daß gut regiert werde“ u. solches dem Volke zu verkündigen. Der c) absolute Geist offenbart sich unmittelbar u. für die sinnliche Anschauung als Schönes in den Künsten, von denen die Poesie den Uebergang zur Religionsphilosophie macht. Unter allen Religionen ist die „offenbare“ d. h. christliche die höchste, weil sie in der Person Christi den Gottmenschen d. h. denjenigen Philosophen des Alterthums schaut, der mindestens auf der untergeordneten Stufe der Vorstellung bereits als absoluter Geist sich wußte und weil die Trinitätslehre einen Hintergrund für H.s Methode abgibt. Streift man laut H. vom Christenthum nur die Form der religiösen Vorstellung ab, so erklimmt man die absolute Philosophie, d. h. die Philosophie des Gedankens, der sich selbst als alle Wahrheit weiß und das gesammte Universum, das natürliche sowohl als das geistige, aus sich selbst heraus reproducirt. – Bekanntlich gewann der H.ianismus in Preußen (vergl. Altenstein) und von da aus in andern Staaten mehr oder minder die Bedeutung einer Staatsreligion, seine Wirkung auf die Literatur, namentlich auch auf die theolog. der Protestanten war ungeheuer, aber er kam in Mißkredit, indem unter seinen Anhängern die Dichter ihre Theorien der Revolution darauf bauten, die Philosophen, H.ianer oder H.inge, von denen wir Erdmann, Gabler, Göschen, Gans, Michelet, Rosenkranz, Marheineke, Ruge, Feuerbach, Vischer, Zeller, Carriere, Bruno Bauer

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[253/0254] Wissen, Wissenschaft), die „Entdeckungsreisen des Geistes“. Uebersichtlich zerfällt sein System: I. in Logik, welche Metaphysik sein und vom reinen Sein ausgehend das Universum in lauter pure „anschauungslose“ Vernunftbegriffe verwandeln, dieselben dialectisch auseinander ableiten und zum Systeme gestalten soll. Das mit bewunderungswürdigem Scharfsinne geschriebene Werk enthält a) die Lehre vom Sein (Qualität, Quantität, Maß); b) vom Wesen (Wesen als solches, Wesen u. Erscheinung, Wirklichkeit) u. c) die Lehre vom Begriff, von der vernünftigen Nothwendigkeit (subjectiver Begriff, Objectivität, Idee). Die II. Naturphilosophie enthält die Mechanik (System der Schwere), Physik (Lehre von der unorganischen Natur) u. Organik (Mineral-, Pflanzen- u. Thierreich). Hier werden die Mängel des Systems offenbar; H. vermochte den pomphaft verkündigten Satz: nur das Wirkliche sei das Wahre und nur die Wahrheit die Wirklichkeit, nirgends zu beweisen geschweige durchzuführen, die Natur hatte auch für ihn noch wie für uns zahllose Räthsel und deßhalb fertigte er die Natur kurz ab als „den sich entfremdeten, außer sich selbst gekommenen Geist, als einen bacchantischen Gott, der sich nicht zügelt noch faßt“. Desto reicher gedieh III. Die Philosophie des Geistes, zumal es galt, alles Fühlen und Glauben, die edelsten Empfindungen des Herzens, alle Gottesfurcht gewaltsam „zum Bewußtsein zu bringen.“ Sie zerfällt a) in die Lehre vom subjectiven Geist und behandelt die Anthropologie (Naturgeist), Phänomenologie (bewußter Geist, das Ich) und Pneumatologie (Geist als solcher). Die b) Lehre vom objectiven Geist (Gesammt- oder Weltgeist) enthält die Rechtsphilosophie (Recht ist = der Wille der Allgemeinheit; das erste Gebot = sei eine Person und respectiere andere als Personen, in der That aber die Vernichtung jedes einzelnen Willens, welcher sich dem Gesammtwillen nicht fügen mag, daher H. die Todesstrafe eifrig vertheidigte); die Moral als Lehre vom pflichtmäßigen Handeln aus Gründen des Gewissens (das Gute ist – Versöhnung des Einzelwillens mit dem Gesammtwillen); die Sittlichkeitslehre, worin das Sittliche als Einheit des subjectiven und objectiven (sein sollenden) Guten aufgefaßt, von der Familie, bürgerl. Gesellschaft und Polizei verhandelt wird; endlich die Lehre vom Staate, worin H. den Staat als die bestehende Vernunft bespricht und der altheidnischen Staatsallmacht feurig das Wort redet; einerseits derjenigen Verfassung huldigt, welche den Monarchen nur als „Tüpfelchen auf dem i“ gelten läßt, anderseits den Ständen nur das Recht zugesteht, sich zu überzeugen, „daß gut regiert werde“ u. solches dem Volke zu verkündigen. Der c) absolute Geist offenbart sich unmittelbar u. für die sinnliche Anschauung als Schönes in den Künsten, von denen die Poesie den Uebergang zur Religionsphilosophie macht. Unter allen Religionen ist die „offenbare“ d. h. christliche die höchste, weil sie in der Person Christi den Gottmenschen d. h. denjenigen Philosophen des Alterthums schaut, der mindestens auf der untergeordneten Stufe der Vorstellung bereits als absoluter Geist sich wußte und weil die Trinitätslehre einen Hintergrund für H.s Methode abgibt. Streift man laut H. vom Christenthum nur die Form der religiösen Vorstellung ab, so erklimmt man die absolute Philosophie, d. h. die Philosophie des Gedankens, der sich selbst als alle Wahrheit weiß und das gesammte Universum, das natürliche sowohl als das geistige, aus sich selbst heraus reproducirt. – Bekanntlich gewann der H.ianismus in Preußen (vergl. Altenstein) und von da aus in andern Staaten mehr oder minder die Bedeutung einer Staatsreligion, seine Wirkung auf die Literatur, namentlich auch auf die theolog. der Protestanten war ungeheuer, aber er kam in Mißkredit, indem unter seinen Anhängern die Dichter ihre Theorien der Revolution darauf bauten, die Philosophen, H.ianer oder H.inge, von denen wir Erdmann, Gabler, Göschen, Gans, Michelet, Rosenkranz, Marheineke, Ruge, Feuerbach, Vischer, Zeller, Carriere, Bruno Bauer

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 3. Freiburg im Breisgau, 1855, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon03_1855/254>, abgerufen am 23.11.2024.