Herders Conversations-Lexikon. Bd. 3. Freiburg im Breisgau, 1855.sich über seinen Widerruf zu erklären, mit seinen Vorgesetzten disputiren wollte u. s. f.; endlich daß man am 24. Juni seine Bücher, am 6. Juli ihn selbst verbrannte, nachdem er 30 seiner Artikel nicht widerrufen sondern bekräftigt hatte, degradiert und dem Arm der weltlichen Gerechtigkeit übergeben worden war. Minder anerkannt, aber richtig bleibt: 1) hinsichtlich der Lehre H.ens wäre schon der 30. Artikel allein: niemand sei weltliche Obrigkeit, niemand Prälat oder Bischof, der sich in einer Todsünde befinde, geeignet, alle kirchl. u. staatl. Ordnung jederzeit umzustürzen; 2) der Geleitsbrief lautete lediglich auf sichere Reise u. freies Verhör, letzteres verscherzte H. durch Bruch von Bedingungen, die sich in seiner Lage als Gebannter u. Angeklagter von selbst verstanden; 3) H. genoß eine sehr anständige u. leichte Hast u. wurde von den Dominikanern so wenig in ein "Hundeloch" gesperrt, als je eine Sitzung des Concils im Konstanzer Kaufhause statt in der Kathedrale stattfand; 4) nicht das Concil sondern das gemeine peinliche Recht jener Zeit verurtheilte den H. zum Tode; das Concil hat notorisch Alles gethan, sich zur mildesten Form des Widerrufes verstanden u. bis zum letzten Augenblicke es ihm freigelassen, mindestens sein Leben zu erhalten; 5) die letzte Prophezeihung H.ens vom Schwan, der in 100 Jahren kommen würde, gehört unter die Fabeln des 16. Jahrh.; 6) H. konnte in Konstanz keine Reliquien hinterlassen, weil Alles mit ihm verbrannt wurde; die wahre Verbrennungsstätte will man erst vor wenig Jahren wieder aufgefunden haben. Hussiten, die meist tschechischen Anhänger Hussens in Böhmen, die nach seinem Tode rasch zur überwiegend starken Partei heranwuchsen, das von ihm und 1417 von der Prager Universität empfohlene Abendmahl unter beiderlei Gestalt, den Laienkelch zu ihrem Glaubenssatze (daher Utraquisten), den Kelch selbst zum Glaubenszeichen und ihres Meisters Lehren praktisch geltend machten: Christus allein sei das Haupt der wahren Kirche, diese eine unsichtbare, ihre Mitglieder lauter Prädestinirte, der Papst vom Kaiser eingesetzt u. entbehrlich, weltliches Besitzthum für Kirche u. Geistliche unnöthig, die Lehre vom Gehorsam unbiblisch u. s. w. Die Volksagitatoren fehlten nicht, die heftigen H., Taboriten, welche bald zum Chiliasmus fortschritten, begannen unter ihrem Haupte Ziska den offenen Aufruhr; Wenzel wurde am 16. August 1419 wahrscheinlich von seiner hussitischen Umgebung erstickt, sein Nachfolger Sigismund nicht anerkannt, die Revolution über die Gränzen Böhmens hinaus verbreitet. Die H.kriege entfesselten alle dämonischen Mächte des religiös-polit. Fanatismus und erfüllten Böhmen u. dessen Gränzländer 1420-34 mit Mord und Brand. Ziska, der mit den Gaben eines großen Feldherrn alle die eines Schreckensmannes in sich vereinigte, vereitelte die Unterhandlungen der Prager und böhm. Adeligen mit Sigismund u. schlug diesen aus Böhmen hinaus, vernichtete aber auch die Ultras, die Adamiten (s. d.). Im Juli 1421 erklärte der Landtag von Czaslau Böhmen zur Republik, im Herbst schlug Ziska abermals den Sigismund u. die Kreuzheere und als 1422 die Prager den lithauischen Prinzen Koribut zum König annahmen, schlug Ziska mit seinen Taboriten die gemäßigten Calixtiner (die Prager u. den Adel) bei Horszicz, den Koribut bei Kostelecz. Nach Ziskas Tod (12. Oktbr. 1424) befehdeten sich die Taboriten unter dem großen, die Orphaniten (heftige Taboriten) unter dem kleinen Prokop, die Horebiten sowie die Utraquisten (Prager und Adel), aber gegen die kathol. Gränzländer blieben alle Parteien einig und verheerten auf furchtbare Weise Schlesien, Oesterreich, die Lausitz, Sachsen, zumal die deutschen Kreuzfahrer trotz ihrer übermächtigen Anzahl schon vor dem bloßen Namen der H. davonliefen (Schlacht bei Außig 1426; Fluchten bei Mies 1427, bei Tauß 1431). Das Baselerconcil (s. d.) und der Sieg der Gemäßigten bei Böhmischbrod, wo beide Prokope fielen (30. Mai 1434) brachten Böhmen zu einiger Ruhe, doch blieb das Land ein Herd der Unruhen u. erst 1458 kam ein länger dauernder Friede. sich über seinen Widerruf zu erklären, mit seinen Vorgesetzten disputiren wollte u. s. f.; endlich daß man am 24. Juni seine Bücher, am 6. Juli ihn selbst verbrannte, nachdem er 30 seiner Artikel nicht widerrufen sondern bekräftigt hatte, degradiert und dem Arm der weltlichen Gerechtigkeit übergeben worden war. Minder anerkannt, aber richtig bleibt: 1) hinsichtlich der Lehre H.ens wäre schon der 30. Artikel allein: niemand sei weltliche Obrigkeit, niemand Prälat oder Bischof, der sich in einer Todsünde befinde, geeignet, alle kirchl. u. staatl. Ordnung jederzeit umzustürzen; 2) der Geleitsbrief lautete lediglich auf sichere Reise u. freies Verhör, letzteres verscherzte H. durch Bruch von Bedingungen, die sich in seiner Lage als Gebannter u. Angeklagter von selbst verstanden; 3) H. genoß eine sehr anständige u. leichte Hast u. wurde von den Dominikanern so wenig in ein „Hundeloch“ gesperrt, als je eine Sitzung des Concils im Konstanzer Kaufhause statt in der Kathedrale stattfand; 4) nicht das Concil sondern das gemeine peinliche Recht jener Zeit verurtheilte den H. zum Tode; das Concil hat notorisch Alles gethan, sich zur mildesten Form des Widerrufes verstanden u. bis zum letzten Augenblicke es ihm freigelassen, mindestens sein Leben zu erhalten; 5) die letzte Prophezeihung H.ens vom Schwan, der in 100 Jahren kommen würde, gehört unter die Fabeln des 16. Jahrh.; 6) H. konnte in Konstanz keine Reliquien hinterlassen, weil Alles mit ihm verbrannt wurde; die wahre Verbrennungsstätte will man erst vor wenig Jahren wieder aufgefunden haben. Hussiten, die meist tschechischen Anhänger Hussens in Böhmen, die nach seinem Tode rasch zur überwiegend starken Partei heranwuchsen, das von ihm und 1417 von der Prager Universität empfohlene Abendmahl unter beiderlei Gestalt, den Laienkelch zu ihrem Glaubenssatze (daher Utraquisten), den Kelch selbst zum Glaubenszeichen und ihres Meisters Lehren praktisch geltend machten: Christus allein sei das Haupt der wahren Kirche, diese eine unsichtbare, ihre Mitglieder lauter Prädestinirte, der Papst vom Kaiser eingesetzt u. entbehrlich, weltliches Besitzthum für Kirche u. Geistliche unnöthig, die Lehre vom Gehorsam unbiblisch u. s. w. Die Volksagitatoren fehlten nicht, die heftigen H., Taboriten, welche bald zum Chiliasmus fortschritten, begannen unter ihrem Haupte Ziska den offenen Aufruhr; Wenzel wurde am 16. August 1419 wahrscheinlich von seiner hussitischen Umgebung erstickt, sein Nachfolger Sigismund nicht anerkannt, die Revolution über die Gränzen Böhmens hinaus verbreitet. Die H.kriege entfesselten alle dämonischen Mächte des religiös-polit. Fanatismus und erfüllten Böhmen u. dessen Gränzländer 1420–34 mit Mord und Brand. Ziska, der mit den Gaben eines großen Feldherrn alle die eines Schreckensmannes in sich vereinigte, vereitelte die Unterhandlungen der Prager und böhm. Adeligen mit Sigismund u. schlug diesen aus Böhmen hinaus, vernichtete aber auch die Ultras, die Adamiten (s. d.). Im Juli 1421 erklärte der Landtag von Czaslau Böhmen zur Republik, im Herbst schlug Ziska abermals den Sigismund u. die Kreuzheere und als 1422 die Prager den lithauischen Prinzen Koribut zum König annahmen, schlug Ziska mit seinen Taboriten die gemäßigten Calixtiner (die Prager u. den Adel) bei Horszicz, den Koribut bei Kostelecz. Nach Ziskas Tod (12. Oktbr. 1424) befehdeten sich die Taboriten unter dem großen, die Orphaniten (heftige Taboriten) unter dem kleinen Prokop, die Horebiten sowie die Utraquisten (Prager und Adel), aber gegen die kathol. Gränzländer blieben alle Parteien einig und verheerten auf furchtbare Weise Schlesien, Oesterreich, die Lausitz, Sachsen, zumal die deutschen Kreuzfahrer trotz ihrer übermächtigen Anzahl schon vor dem bloßen Namen der H. davonliefen (Schlacht bei Außig 1426; Fluchten bei Mies 1427, bei Tauß 1431). Das Baselerconcil (s. d.) und der Sieg der Gemäßigten bei Böhmischbrod, wo beide Prokope fielen (30. 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Angeklagter von selbst verstanden; 3) H. genoß eine sehr anständige u. leichte Hast u. wurde von den Dominikanern so wenig in ein „Hundeloch“ gesperrt, als je eine Sitzung des Concils im Konstanzer Kaufhause statt in der Kathedrale stattfand; 4) nicht das Concil sondern das gemeine peinliche Recht jener Zeit verurtheilte den H. zum Tode; das Concil hat notorisch Alles gethan, sich zur mildesten Form des Widerrufes verstanden u. bis zum letzten Augenblicke es ihm freigelassen, mindestens sein Leben zu erhalten; 5) die letzte Prophezeihung H.ens vom Schwan, der in 100 Jahren kommen würde, gehört unter die Fabeln des 16. 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Im Juli 1421 erklärte der Landtag von Czaslau Böhmen zur Republik, im Herbst schlug Ziska abermals den Sigismund u. die Kreuzheere und als 1422 die Prager den lithauischen Prinzen Koribut zum König annahmen, schlug Ziska mit seinen Taboriten die gemäßigten <hi rendition="#g">Calixtiner</hi> (die Prager u. den Adel) bei Horszicz, den Koribut bei Kostelecz. Nach Ziskas Tod (12. Oktbr. 1424) befehdeten sich die Taboriten unter dem großen, die <hi rendition="#g">Orphaniten</hi> (heftige Taboriten) unter dem kleinen Prokop, die <hi rendition="#g">Horebiten</hi> sowie die <hi rendition="#g">Utraquisten</hi> (Prager und Adel), aber gegen die kathol. Gränzländer blieben alle Parteien einig und verheerten auf furchtbare Weise Schlesien, Oesterreich, die Lausitz, Sachsen, zumal die deutschen Kreuzfahrer trotz ihrer übermächtigen Anzahl schon vor dem bloßen Namen der H. davonliefen (Schlacht bei Außig 1426; Fluchten bei Mies 1427, bei Tauß 1431). Das Baselerconcil (s. d.) und der Sieg der Gemäßigten bei Böhmischbrod, wo beide Prokope fielen (30. Mai 1434) brachten Böhmen zu einiger Ruhe, doch blieb das Land ein Herd der Unruhen u. erst 1458 kam ein länger dauernder Friede. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [373/0374]
sich über seinen Widerruf zu erklären, mit seinen Vorgesetzten disputiren wollte u. s. f.; endlich daß man am 24. Juni seine Bücher, am 6. Juli ihn selbst verbrannte, nachdem er 30 seiner Artikel nicht widerrufen sondern bekräftigt hatte, degradiert und dem Arm der weltlichen Gerechtigkeit übergeben worden war. Minder anerkannt, aber richtig bleibt: 1) hinsichtlich der Lehre H.ens wäre schon der 30. Artikel allein: niemand sei weltliche Obrigkeit, niemand Prälat oder Bischof, der sich in einer Todsünde befinde, geeignet, alle kirchl. u. staatl. Ordnung jederzeit umzustürzen; 2) der Geleitsbrief lautete lediglich auf sichere Reise u. freies Verhör, letzteres verscherzte H. durch Bruch von Bedingungen, die sich in seiner Lage als Gebannter u. Angeklagter von selbst verstanden; 3) H. genoß eine sehr anständige u. leichte Hast u. wurde von den Dominikanern so wenig in ein „Hundeloch“ gesperrt, als je eine Sitzung des Concils im Konstanzer Kaufhause statt in der Kathedrale stattfand; 4) nicht das Concil sondern das gemeine peinliche Recht jener Zeit verurtheilte den H. zum Tode; das Concil hat notorisch Alles gethan, sich zur mildesten Form des Widerrufes verstanden u. bis zum letzten Augenblicke es ihm freigelassen, mindestens sein Leben zu erhalten; 5) die letzte Prophezeihung H.ens vom Schwan, der in 100 Jahren kommen würde, gehört unter die Fabeln des 16. Jahrh.; 6) H. konnte in Konstanz keine Reliquien hinterlassen, weil Alles mit ihm verbrannt wurde; die wahre Verbrennungsstätte will man erst vor wenig Jahren wieder aufgefunden haben.
Hussiten, die meist tschechischen Anhänger Hussens in Böhmen, die nach seinem Tode rasch zur überwiegend starken Partei heranwuchsen, das von ihm und 1417 von der Prager Universität empfohlene Abendmahl unter beiderlei Gestalt, den Laienkelch zu ihrem Glaubenssatze (daher Utraquisten), den Kelch selbst zum Glaubenszeichen und ihres Meisters Lehren praktisch geltend machten: Christus allein sei das Haupt der wahren Kirche, diese eine unsichtbare, ihre Mitglieder lauter Prädestinirte, der Papst vom Kaiser eingesetzt u. entbehrlich, weltliches Besitzthum für Kirche u. Geistliche unnöthig, die Lehre vom Gehorsam unbiblisch u. s. w. Die Volksagitatoren fehlten nicht, die heftigen H., Taboriten, welche bald zum Chiliasmus fortschritten, begannen unter ihrem Haupte Ziska den offenen Aufruhr; Wenzel wurde am 16. August 1419 wahrscheinlich von seiner hussitischen Umgebung erstickt, sein Nachfolger Sigismund nicht anerkannt, die Revolution über die Gränzen Böhmens hinaus verbreitet. Die H.kriege entfesselten alle dämonischen Mächte des religiös-polit. Fanatismus und erfüllten Böhmen u. dessen Gränzländer 1420–34 mit Mord und Brand. Ziska, der mit den Gaben eines großen Feldherrn alle die eines Schreckensmannes in sich vereinigte, vereitelte die Unterhandlungen der Prager und böhm. Adeligen mit Sigismund u. schlug diesen aus Böhmen hinaus, vernichtete aber auch die Ultras, die Adamiten (s. d.). Im Juli 1421 erklärte der Landtag von Czaslau Böhmen zur Republik, im Herbst schlug Ziska abermals den Sigismund u. die Kreuzheere und als 1422 die Prager den lithauischen Prinzen Koribut zum König annahmen, schlug Ziska mit seinen Taboriten die gemäßigten Calixtiner (die Prager u. den Adel) bei Horszicz, den Koribut bei Kostelecz. Nach Ziskas Tod (12. Oktbr. 1424) befehdeten sich die Taboriten unter dem großen, die Orphaniten (heftige Taboriten) unter dem kleinen Prokop, die Horebiten sowie die Utraquisten (Prager und Adel), aber gegen die kathol. Gränzländer blieben alle Parteien einig und verheerten auf furchtbare Weise Schlesien, Oesterreich, die Lausitz, Sachsen, zumal die deutschen Kreuzfahrer trotz ihrer übermächtigen Anzahl schon vor dem bloßen Namen der H. davonliefen (Schlacht bei Außig 1426; Fluchten bei Mies 1427, bei Tauß 1431). Das Baselerconcil (s. d.) und der Sieg der Gemäßigten bei Böhmischbrod, wo beide Prokope fielen (30. Mai 1434) brachten Böhmen zu einiger Ruhe, doch blieb das Land ein Herd der Unruhen u. erst 1458 kam ein länger dauernder Friede.
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