Herders Conversations-Lexikon. Bd. 5. Freiburg im Breisgau, 1857.Ganzen darstellt, u. zugleich als Universalwissenschaft, wo alles Wissen der Zeit sich um die Theologie dreht wie die Erde um die Sonne. Schon im Anfange der Periode ist die Zahl der Scholastiker groß, die der Schöpfer von Systemen aber verhältnißmäßig noch gering: Abälard, Hugo von St. Victor, der die Theologie bereits als den Mittelpunkt u. die Herrin aller Wissenschaft erkannte, Peter der Lombarde, der klaren Blickes das Christenthum als historische Ueberlieferung in seiner Uebereinstimmung mit der Vernunft nachwies u. so der S. einen festen Grund und Boden verlieh. Fortwährend verfaßte man Apologien gegen Griechen, Juden und Häretiker und Abhandlungen über einzelne Glaubenslehren: Johann von Salisbury (st. 1180), Walter von St. Victor (st. 1173) und viele andere; Hauptvertreter der S. aber sind nach dem Lombarden: Alain von Lille (st. 1203), Peter von Poitiers (st. 1205), Wilhelm von Paris (st. 1223), Alexander von Hales (st. 1245) und vor allen Albertus Magnus (st. 1280), durch den die Theologie wirklich zur Universalwissenschaft, zum Kern einer vollständigen Encyklopädie des Wissens im 13. Jahrh. sich gestaltete. Um die Mitte des 13. Jahrh. hatte die S. ihren Höhepunkt erreicht, alle Wissenschaften und die Philosophie insbesondere waren der Theologie unterworfen d. h. ihre Erkenntnisse galten nur für wahr, insofern dieselben mit dem Dogma übereinstimmten. Solche Anschauung sollte man dem 13. Jahrh. um so weniger verübeln, weil das Dogma noch heute wie damals Anerkennung als absolute Wahrheit fordert und weil man heute wie damals folgerichtig nur zweierlei thun kann, nämlich entweder die positive Religion als Quelle aller Wahrheit und untrügliches Kriterium aller Ergebnisse der Wissenschaft annehmen od. verwerfen. Durch Albertus Magnus zumeist war die aristotelische Philosophie in ihrem ganzen Umfange Gemeingut der gebildeten Christenheit geworden u. blieb fortan ein wesentlicher Bestandtheil der S., welche mit ihrer Hilfe nicht nur die Dogmen in wissenschaftliche Begriffe zu verwandeln trachtete, sondern auch die Natur, den Menschen an sich u. in seinen gesellschaftlichen Verhältnissen erkennen wollte. Die S. als Universalwissenschaft in der damals möglichen Gestalt erhielt sich auf ihrer Höhe durch Bonaventur, Thomas von Aquin, auch Vincent von Beauvais, Heinrich von Gent und endlich durch Duns Scotus (gest. 1308), Sterne erster Größe im Reiche der Geister, deren Leistungen in neuester Zeit wiederum eine gerechtere Würdigung erhielten, als sie seit dem 16. Jahrh. gang u. gäbe gewesen. Die III. Periode, die der Auflösung der S., erstreckt sich vom 14. Jahrh. bis tief in das 16. hinein u. wurde herbeigeführt, indem erstens an die Stelle schöpferischer Genies die Thomisten, Scotisten u. s. w., die Commentatoren traten, durch welche wissenschaftliche Systeme zu jeder Zeit allmälig mumisirt werden; zweitens indem der Unterschied zwischen theologischem und philosophischem Wissen durch Solche, die sich mit dem Offenbarungsglauben ohne fortgesetzte wissenschaftliche Vermittlung begnügten u. durch Solche, die sich nichts um die Offenbarung und das durch sie erweiterte Wissen kümmerten, als Gegensatz auftrat; drittens endlich, indem sich Viele von der in fertigen Formeln erstarrten wissenschaftlichen Theologie abwendeten, um das christliche Bewußtsein auf andere Weise zu beleben und für das Volk fruchtbringend zu machen. Die schon von Roger Bacon und Raimund Lullus eingeleitete Lösung zwischen reintheologischer und mittelbar theologischer Wissenschaft gedieh zum Bruche durch den Nominalismus (Durandus, Occam, Buridan), der eine nicht auf die Offenbarung gegründete Erkenntniß der Dinge für vollkommen berechtigt u. alsgemach die Experimentalerkenntniß für die einzig wahre hielt, während unter den Gegnern selbst die tüchtigsten Theologen, ein Heinrich von Vrie (st. 1356), Petrus d'Ailly (gest. 1425), Johannes Turrecremata (st. 1458) u. a. sich nicht wesentlich über die Verknöcherung der scholastischen Theologie erhoben u. der alleinstehende Cusa nichts mehr auszurichten vermochte. Bereits Ganzen darstellt, u. zugleich als Universalwissenschaft, wo alles Wissen der Zeit sich um die Theologie dreht wie die Erde um die Sonne. Schon im Anfange der Periode ist die Zahl der Scholastiker groß, die der Schöpfer von Systemen aber verhältnißmäßig noch gering: Abälard, Hugo von St. Victor, der die Theologie bereits als den Mittelpunkt u. die Herrin aller Wissenschaft erkannte, Peter der Lombarde, der klaren Blickes das Christenthum als historische Ueberlieferung in seiner Uebereinstimmung mit der Vernunft nachwies u. so der S. einen festen Grund und Boden verlieh. Fortwährend verfaßte man Apologien gegen Griechen, Juden und Häretiker und Abhandlungen über einzelne Glaubenslehren: Johann von Salisbury (st. 1180), Walter von St. Victor (st. 1173) und viele andere; Hauptvertreter der S. aber sind nach dem Lombarden: Alain von Lille (st. 1203), Peter von Poitiers (st. 1205), Wilhelm von Paris (st. 1223), Alexander von Hales (st. 1245) und vor allen Albertus Magnus (st. 1280), durch den die Theologie wirklich zur Universalwissenschaft, zum Kern einer vollständigen Encyklopädie des Wissens im 13. Jahrh. sich gestaltete. Um die Mitte des 13. Jahrh. hatte die S. ihren Höhepunkt erreicht, alle Wissenschaften und die Philosophie insbesondere waren der Theologie unterworfen d. h. ihre Erkenntnisse galten nur für wahr, insofern dieselben mit dem Dogma übereinstimmten. Solche Anschauung sollte man dem 13. Jahrh. um so weniger verübeln, weil das Dogma noch heute wie damals Anerkennung als absolute Wahrheit fordert und weil man heute wie damals folgerichtig nur zweierlei thun kann, nämlich entweder die positive Religion als Quelle aller Wahrheit und untrügliches Kriterium aller Ergebnisse der Wissenschaft annehmen od. verwerfen. Durch Albertus Magnus zumeist war die aristotelische Philosophie in ihrem ganzen Umfange Gemeingut der gebildeten Christenheit geworden u. blieb fortan ein wesentlicher Bestandtheil der S., welche mit ihrer Hilfe nicht nur die Dogmen in wissenschaftliche Begriffe zu verwandeln trachtete, sondern auch die Natur, den Menschen an sich u. in seinen gesellschaftlichen Verhältnissen erkennen wollte. Die S. als Universalwissenschaft in der damals möglichen Gestalt erhielt sich auf ihrer Höhe durch Bonaventur, Thomas von Aquin, auch Vincent von Beauvais, Heinrich von Gent und endlich durch Duns Scotus (gest. 1308), Sterne erster Größe im Reiche der Geister, deren Leistungen in neuester Zeit wiederum eine gerechtere Würdigung erhielten, als sie seit dem 16. Jahrh. gang u. gäbe gewesen. Die III. Periode, die der Auflösung der S., erstreckt sich vom 14. Jahrh. bis tief in das 16. hinein u. wurde herbeigeführt, indem erstens an die Stelle schöpferischer Genies die Thomisten, Scotisten u. s. w., die Commentatoren traten, durch welche wissenschaftliche Systeme zu jeder Zeit allmälig mumisirt werden; zweitens indem der Unterschied zwischen theologischem und philosophischem Wissen durch Solche, die sich mit dem Offenbarungsglauben ohne fortgesetzte wissenschaftliche Vermittlung begnügten u. durch Solche, die sich nichts um die Offenbarung und das durch sie erweiterte Wissen kümmerten, als Gegensatz auftrat; drittens endlich, indem sich Viele von der in fertigen Formeln erstarrten wissenschaftlichen Theologie abwendeten, um das christliche Bewußtsein auf andere Weise zu beleben und für das Volk fruchtbringend zu machen. Die schon von Roger Bacon und Raimund Lullus eingeleitete Lösung zwischen reintheologischer und mittelbar theologischer Wissenschaft gedieh zum Bruche durch den Nominalismus (Durandus, Occam, Buridan), der eine nicht auf die Offenbarung gegründete Erkenntniß der Dinge für vollkommen berechtigt u. alsgemach die Experimentalerkenntniß für die einzig wahre hielt, während unter den Gegnern selbst die tüchtigsten Theologen, ein Heinrich von Vrie (st. 1356), Petrus d'Ailly (gest. 1425), Johannes Turrecremata (st. 1458) u. a. sich nicht wesentlich über die Verknöcherung der scholastischen Theologie erhoben u. der alleinstehende Cusa nichts mehr auszurichten vermochte. Bereits <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="lexiconEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0114" n="113"/> Ganzen darstellt, u. zugleich als Universalwissenschaft, wo alles Wissen der Zeit sich um die Theologie dreht wie die Erde um die Sonne. 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Jahrh. sich gestaltete. Um die Mitte des 13. Jahrh. hatte die S. ihren Höhepunkt erreicht, alle Wissenschaften und die Philosophie insbesondere waren der Theologie unterworfen d. h. ihre Erkenntnisse galten nur für wahr, insofern dieselben mit dem Dogma übereinstimmten. Solche Anschauung sollte man dem 13. Jahrh. um so weniger verübeln, weil das Dogma noch heute wie damals Anerkennung als absolute Wahrheit fordert und weil man heute wie damals folgerichtig nur zweierlei thun kann, nämlich entweder die positive Religion als Quelle aller Wahrheit und untrügliches Kriterium aller Ergebnisse der Wissenschaft annehmen od. verwerfen. Durch Albertus Magnus zumeist war die aristotelische Philosophie in ihrem ganzen Umfange Gemeingut der gebildeten Christenheit geworden u. blieb fortan ein wesentlicher Bestandtheil der S., welche mit ihrer Hilfe nicht nur die Dogmen in wissenschaftliche Begriffe zu verwandeln trachtete, sondern auch die Natur, den Menschen an sich u. in seinen gesellschaftlichen Verhältnissen erkennen wollte. Die S. als Universalwissenschaft in der damals möglichen Gestalt erhielt sich auf ihrer Höhe durch Bonaventur, Thomas von Aquin, auch Vincent von Beauvais, Heinrich von Gent und endlich durch Duns Scotus (gest. 1308), Sterne erster Größe im Reiche der Geister, deren Leistungen in neuester Zeit wiederum eine gerechtere Würdigung erhielten, als sie seit dem 16. Jahrh. gang u. gäbe gewesen. Die III. Periode, die der <hi rendition="#g">Auflösung</hi> der S., erstreckt sich vom 14. 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Die schon von Roger Bacon und Raimund Lullus eingeleitete Lösung zwischen reintheologischer und mittelbar theologischer Wissenschaft gedieh zum Bruche durch den <hi rendition="#g">Nominalismus</hi> (Durandus, Occam, Buridan), der eine nicht auf die Offenbarung gegründete Erkenntniß der Dinge für vollkommen berechtigt u. alsgemach die Experimentalerkenntniß für die einzig wahre hielt, während unter den Gegnern selbst die tüchtigsten Theologen, ein Heinrich von Vrie (st. 1356), Petrus d'Ailly (gest. 1425), Johannes Turrecremata (st. 1458) u. a. sich nicht wesentlich über die Verknöcherung der scholastischen Theologie erhoben u. der alleinstehende Cusa nichts mehr auszurichten vermochte. Bereits </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0114]
Ganzen darstellt, u. zugleich als Universalwissenschaft, wo alles Wissen der Zeit sich um die Theologie dreht wie die Erde um die Sonne. Schon im Anfange der Periode ist die Zahl der Scholastiker groß, die der Schöpfer von Systemen aber verhältnißmäßig noch gering: Abälard, Hugo von St. Victor, der die Theologie bereits als den Mittelpunkt u. die Herrin aller Wissenschaft erkannte, Peter der Lombarde, der klaren Blickes das Christenthum als historische Ueberlieferung in seiner Uebereinstimmung mit der Vernunft nachwies u. so der S. einen festen Grund und Boden verlieh. Fortwährend verfaßte man Apologien gegen Griechen, Juden und Häretiker und Abhandlungen über einzelne Glaubenslehren: Johann von Salisbury (st. 1180), Walter von St. Victor (st. 1173) und viele andere; Hauptvertreter der S. aber sind nach dem Lombarden: Alain von Lille (st. 1203), Peter von Poitiers (st. 1205), Wilhelm von Paris (st. 1223), Alexander von Hales (st. 1245) und vor allen Albertus Magnus (st. 1280), durch den die Theologie wirklich zur Universalwissenschaft, zum Kern einer vollständigen Encyklopädie des Wissens im 13. Jahrh. sich gestaltete. Um die Mitte des 13. Jahrh. hatte die S. ihren Höhepunkt erreicht, alle Wissenschaften und die Philosophie insbesondere waren der Theologie unterworfen d. h. ihre Erkenntnisse galten nur für wahr, insofern dieselben mit dem Dogma übereinstimmten. Solche Anschauung sollte man dem 13. Jahrh. um so weniger verübeln, weil das Dogma noch heute wie damals Anerkennung als absolute Wahrheit fordert und weil man heute wie damals folgerichtig nur zweierlei thun kann, nämlich entweder die positive Religion als Quelle aller Wahrheit und untrügliches Kriterium aller Ergebnisse der Wissenschaft annehmen od. verwerfen. Durch Albertus Magnus zumeist war die aristotelische Philosophie in ihrem ganzen Umfange Gemeingut der gebildeten Christenheit geworden u. blieb fortan ein wesentlicher Bestandtheil der S., welche mit ihrer Hilfe nicht nur die Dogmen in wissenschaftliche Begriffe zu verwandeln trachtete, sondern auch die Natur, den Menschen an sich u. in seinen gesellschaftlichen Verhältnissen erkennen wollte. Die S. als Universalwissenschaft in der damals möglichen Gestalt erhielt sich auf ihrer Höhe durch Bonaventur, Thomas von Aquin, auch Vincent von Beauvais, Heinrich von Gent und endlich durch Duns Scotus (gest. 1308), Sterne erster Größe im Reiche der Geister, deren Leistungen in neuester Zeit wiederum eine gerechtere Würdigung erhielten, als sie seit dem 16. Jahrh. gang u. gäbe gewesen. Die III. Periode, die der Auflösung der S., erstreckt sich vom 14. Jahrh. bis tief in das 16. hinein u. wurde herbeigeführt, indem erstens an die Stelle schöpferischer Genies die Thomisten, Scotisten u. s. w., die Commentatoren traten, durch welche wissenschaftliche Systeme zu jeder Zeit allmälig mumisirt werden; zweitens indem der Unterschied zwischen theologischem und philosophischem Wissen durch Solche, die sich mit dem Offenbarungsglauben ohne fortgesetzte wissenschaftliche Vermittlung begnügten u. durch Solche, die sich nichts um die Offenbarung und das durch sie erweiterte Wissen kümmerten, als Gegensatz auftrat; drittens endlich, indem sich Viele von der in fertigen Formeln erstarrten wissenschaftlichen Theologie abwendeten, um das christliche Bewußtsein auf andere Weise zu beleben und für das Volk fruchtbringend zu machen. Die schon von Roger Bacon und Raimund Lullus eingeleitete Lösung zwischen reintheologischer und mittelbar theologischer Wissenschaft gedieh zum Bruche durch den Nominalismus (Durandus, Occam, Buridan), der eine nicht auf die Offenbarung gegründete Erkenntniß der Dinge für vollkommen berechtigt u. alsgemach die Experimentalerkenntniß für die einzig wahre hielt, während unter den Gegnern selbst die tüchtigsten Theologen, ein Heinrich von Vrie (st. 1356), Petrus d'Ailly (gest. 1425), Johannes Turrecremata (st. 1458) u. a. sich nicht wesentlich über die Verknöcherung der scholastischen Theologie erhoben u. der alleinstehende Cusa nichts mehr auszurichten vermochte. Bereits
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