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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 6, Czernowitz, 05.01.1904.

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Redaktion u. Administration:
Herrengasse 9, 1. Stock.




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Für Deutschland:
vierteljährig .... 7 Mark.

Für Rumänien und den Balkan;
vierteliährig .... 9 Franks.




Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


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Erscheint täglich 8 Uhr abends.




Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Einzelexemplare:
7 Heller für Czernowitz.




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Es kostet im gewöhnlichen Inse-
ratenteil 12 h die 6mal gespaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einschaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inserate
nehmen alle in- und ausländischen
Inseratenbureaux sowie die Ad-
ministration entgegen. -- Einzel-
exemplare sind in allen Zeitungs-
verschleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
versitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Buchdruckerei Riemer
(Tempelgasse) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldschmidt,
Wollzeile 11.




Nr. 6. Czernowitz, Dienstag, den 5. Jänner 1904.


[Spaltenumbruch]
Politische Neujahrsreden.
(Brief aus Budapest)


st. Der völlige Umschwung in der Volksstimmung,
der bereits seit Wochen konstatiert werden konnte, hat in den
politischen Reden, welche anläßlich der diversen Neujahrs-
empfänge gehalten wurden, prägnanten Ausdruck gefunden.
Ein Ton der Milde und Müdigkeit klingt aus ihnen, als
ob man längst aufgehört hätte, den Kampf, dessen Fortdauer
eben noch von den Ugronisten proklamiert worden war, ernst
zu nehmen und nach Mitteln zu sinnen, mit denen er be-
endigt werden könnte. Nichts von einem Ausblick in die
Zukunft, von Hoffnungen oder Verheißungen, ein wehmütig
resignierter Rückblick nur über das Vergangene, wie er sonst
wohl an Tagen, da man abschließt, doch nicht an solchen,
da man anfängt, am Platz zu sein pflegt. Sogar die Rede
des Grafen Tisza durchzieht eine leise Melancholie. Der
Frieden wurde seinerseits mit ungeheuren Opfern auf Kosten
der Reichseinheit erkauft, und nun zeigt es sich, daß ein
kleines Häuflein Unversöhnlicher die Erledigung der Staats-
notwendigkeiten mit Erfolg hintanzuhalten vermag. Tisza
setzt nichtsdestoweniger nach wie vor seine Hoffnung auf
einen geläuterten Parlamentarismus, wo es keine Obstrukion,
sondern nur eine Opposition gibt, die es lediglich als ihre
Aufgabe ansähe, den Reichstag und die Regierung zu er-
höhter Tätigkeit anzuspornen. Der Parlamentarismus zeige
nur bei jenen Nationen einen Niedergang, bei welchen das
gesamte Leben des Volkes und der Gesellschaft Zeichen der
Fäulnis und des Verfalles aufweise. Die ungarische Nation
müsse imstande sein, die Uebelstände, an denen der ungarische
Parlamentarismus seit Jahren leide, zu heilen und sich jener
handvoll Menschen zu erwehren, welche die
Interessen der Nation zugrunde richten. Tisza ist der Ueber-
zeugung, daß die Obstruktion sich selbst ihr Grab graben
werde, und begnügt sich gegenüber allen aktuellen Hinder-
nissen, die der positiven Arbeit den Weg verrammeln, mit
einer Anspielung auf die Revision der Hausordnung, die aber
nur im Einverständnisse mit der Opposition durchgeführt
werden solle.

Ein merkwürdiger Gegensatz ist zwischen den Reden
Tiszas und Apponyis zu verzeichnen. Tisza sagt: "Obzwar
ich in prinzipiellen Fragen eine Transaktion nicht
kenne und niemals kennen werde, so glaube ich, daß die
[Spaltenumbruch] Taktik den Forderungen des Momentes sich anpassen
müsse." Apponyi kennt in Fragen der Taktik keine Konzession,
nimmt es aber mit den Prinzipien minder genau. Er sagt:
"Meine Politik wird auch in Hinkunft genau dieselbe sein,
wie dazumal, als wir im Rahmen der Nationalpartei ge-
meinsam wirkten. Ich nehme den meinen Händen entglittenen
Faden wieder auf, aber nicht so wie eine Art politischen
Rip van Winkle, der Jahre hindurch geschlafen hat, mich
in Allem an das Alte, dem heutigen Stadium der Nation
nicht mehr Entsprechende klammernd." Im Uebrigen ist
Apponyis Rede nicht mehr als ein Spiel mit Worten, wenn
man will sogar ein blendendes, aus dem höchstens das Eine
bedeutsam erscheint, daß er über die Details seiner Wirk-
samkeit als selbständiger politischer Faktor sich demnächst zu
äußern versprach.

Weit interessanter erscheint die Enunziation Franz
Kossuths. Sie ist, obwohl sie mit einem kriegerischen Trom-
petenstoß endigt, nicht mehr als ein Signal zum Rückzug.
Die Unabhängigkeit des Landes könne nur so erreicht werden,
wenn die Kraft und die Begeisterung der Nation nicht auf
derzeit unmögliche Dinge verschwendet werden. "Wenn wir
nichts erreichen können, wiewohl wir die nationale Begeisterung
aufs höchste angefacht haben, und wenn wir nicht dahin
konkludieren können und wollen, Gewalt gegen Gewalt zu
setzen, so würden wir, wenn wir den Kampf fortsetzen, so
handeln, wie der Verschwender mit dem ihm anvertrauten
Gute." Die Kossuthpartei scheint also, wenn man den Worten
ihres Führers trauen darf, auf dem Wege zu sein, ihre
Fehler gutzumachen und der Erledigung wirtschaftlicher
Fragen sich zuzuwenden.

Alle Symptome deuten demnach auf bessere Tage hin.
Der wehmütig resignierte Ton, der aus den Neujahrsreden
klingt, erinnert lebhaft an das Gehaben des Rekonvaleszenten,
der nach schwerer Krankheit einen langwierigen Genesungs-
prozeß durchzumachen hat, um schließlich gänzlich zu gesunden.
Mit Ugron allein fertig zu werden, wird das ungarische
Parlament wohl stark genug sein ...




Die städtische Bierauflage.

Wir erhalten folgende Zuschrift:

Geehrte Redaktion!

In Ihrem jungen Blatte vom 1. d. M. brachten Sie
in dem Berichte über den Bukowiner Landtag die Mitteilung:
"Mit der Votirung des Gesetzes zur Einhebung der Bier-
[Spaltenumbruch] steuer
hat die Stadtgemeinde Czernowitz einen
Sieg ihrer Anschauung über den Einhebungs-
modus
zu verzeichnen, indem der Bieraufschlag nach dem
Wortlaute des Gesetzes nunmehr ausdrücklich als
"Erzeugungssteuer"
bezeichnet und die Einhebung nach
Art der staatlichen Biersteuer zu erfolgen haben wird. Wenn
dieses Gesetz die a. h. Sanktion erlangt, so hat auch der
unselige Bierkrieg ein Ende und der Stadtsäckel
ist um ein nettes rundes Sümmchen schwerer."

Diese Mitteilung beruht offenbar auf einer ganz
falschen Information, und da sie geeignet ist, in der Oeffent-
lichkeit irreführend zu wirken, soll sie hiemit richtiggestellt werden.

Die neue Kodifizirung des Bierauflagerechtes
der Stadtgemeinde Czernowitz ist in mannigfacher Beziehung
hochinteressant. Zu ihrem richtigen Verständnis ist aber die
Kenntnis ihrer Vorgeschichte unerläßlich.

Die Stadtgemeinde Czernowitz hat schon seit den ersten
Dezennien des vorigen Jahrhundertes ohne besondere gesetzliche
Ermächtigung auf Grund allgemeiner für galizische Städte
bestandener Gubernialverordnungen und staatlicher Vorschriften
eine Auflage von Bier eingehoben. Die betreffenden Vor-
schriften lehnten sich jeweilig an die Bestimmungen für die
staatliche Bierverzehrungssteuer an, denen gemäß die Auflage
im vorhinein bei der Erzeugung zu entrichten war.

Die erste gesetzliche Anerkennung erhielt diese von der
Stadtgemeinde Czernowitz bis dahin nur gewohnheitsrechtlich
geübte Bierbesteuerung durch das Landesgesetz vom 2. März 1872,
Nr. 6 L. G. Bl., mit welchem dieser Gemeinde "die Erhöhung
der daselbst auf den Verbrauch von Bier ..." längst
eingeführten Auflage unter Aufrechthaltung der in dieser
Beziehung bisher geltenden Vorschriften und gesetzlichen Be-
stimmungen bewilligt wurde. Die bis dahin mit 50 kr. ö. W.
eingehobene Auflage wurde auf 1 fl. vom u. ö. Eimer erhöht.
Dieselbe wurde nachher im Wege der Umrechnung nach dem
Dezimalmaße in 1 fl. 66 kr. ö. W. vom Hektoliter umge-
wandelt.

Mit dem Landesgesetze vom 15. März 1884 wurde
die Auflage auf 1 fl. 70 kr. ö. W. vom Hektoliter auf die
Dauer von 10 Jahren erhöht, und schließlich wurde mit dem
Landesgesetze vom 15. März 1894, Nr. 5 L. G. Bl. die Einhebung
der Auflage in der gleichen Höhe der Stadtgemeinde auf
weitere 10 Jahre bewilligt.

Beim bevorstehenden Ablaufe dieser Frist schritt die
Gemeindevertretung beim Landtage um Verlängerung des
Einhebungsrechtes auf weitere 10 Jahre ein.

Als nun dieser Gegenstand in der Herbstsession des
Bukowiner Landtages in dessen Verwaltungsausschusse zur
Verhandlung kam, trat der Regierungsvertreter einer einfachen
Verlängerung des Landesgesetzes vom Jahre 1874 mit der
Erklärung entgegen, daß die hinsichtlich dieses städtischen
Gefälles in den letzten Jahren hervorgetretenen Streitigkeiten
eine Reform der betreffenden Gesetzgebung dringend erheischen




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Graf Goluchowski.

Graf Goluchowski hat als Persönlichkeit einen Charme,
den ihm auch seine Gegner nicht aberkennen. (Gegner ist viel-
leicht nicht der richtige Ausdruck -- wir wollen "Neider"
sagen.) Die Neider also mögen behaupten, er habe das Ge-
winnende der Leute, die immer gewinnen. Aber er hat ge-
wonnen und gewinnt noch immer, ohne zu spielen. Er hat nie
nach dem Erfolg gejagt, auch nicht nach der Stelle, die er
einnimmt: die Fortuna ist dem schmucken Mann nachgelaufen,
die Blinde dem Blonden. Er ist kein bloßes Glückskind, aber
ein glückliches Menschenkind. Auf die Höhen der Macht ge-
langt, ist er durch seine persönlichen Umstände von den
Chancen des Machtgenusses unabhängig und in ein glückliches
Familienleben gebettet. Seine Gemahlin, eine Enkelin der
Schwester des großen Napoleon, ist der Typus jener Französin,
welche auf der Bühne und im Roman nie vorkommt: grande
dame
ohne Dünkel, graziös und einfach, leicht wie ein Vogel
und innig wie ein Gebet. Drei flachshaarige Söhne, von
denen der älteste noch nicht flügge ist und der jüngste an den
[E]rnst der Studierstube noch nicht glauben will, beleben
das Haus.

Das Glückliche, das unserem Staatskutschierer
eigen ist, liegt in der sicheren und ausgeglichenen
Art, wie er sein Leben zwischen dem Genuß der
Schicksalsgaben und dem Gebrauch seiner eigenen zu
[Spaltenumbruch] teilen weiß. Heiter zu sein und ernst zu denken ist eine
Qualität, durch die man den Menschen und sich am besten dienen
und gefallen mag. Graf Goluchowski hat sich die Einteilung
des Tages, die ihm selbst und den Geschäften die gesündeste
ist, nicht aus der Beamtenwelt, sondern aus der diplomatischen
geholt. Er arbeitet am Vormittag gar nichts -- außer wenn
die höchste Stimme ruft --, vom Dejeuner an aber ununter-
brochen bis in die siebente, oft achte Arbeitsstunde. Darin
unterscheidet er sich von dem Attache, der sich einmal rühmte:
"Heute bin ich schon Vormittag spazieren gegangen, so daß ich
am Nachmittag nichts zu tun habe." Unfer Minister
verzichtet nie auf seine Morgenpromenade. Bad, Toilette und
Lektüre jener Morgenzeitungen, welche sein Preßbureau nicht
passiert haben -- okkupieren ihn bis um die elfte Stunde.
Auf einen Moment betritt er sein Arbeitszimmer, um in die
Nachts eingetroffenen Chiffretelegramme einen Blick zu werfen,
dann hat ihn die Straße -- bis zum Familienfrühstück. Ein
Gerücht will wissen, daß der Graf diesen täglichen Spazier-
gang mit täglichem Kirchgang verbindet. Ob dem so
ist, weiß ich nicht, aber es sollte mich nicht wundern, denn
Graf Goluchowski, der vom Glauben nie spricht, ist ein
frommer, religiös fühlender Herr. Dennoch sind
es meist die hochkatholischen Herren und Parteien, die es mit
ihm zu tun bekommen: Christlichsoziale, Feudale und Papale,
wie der verflossene Rampolla. Diese Gemeinde scheert sich
einen blauen -- Herrgott darum, ob der Minister christlich
oder indifferent ist: klerikal wollen sie ihn, und das ist Graf
Goluchowski nicht.

Die Arbeit des Ministers, die nach dem Luncheon um
2 Uhr beginnt, dürfte Vielen, welche von der Sache nichts
verstehen, als eine leichte erscheinen. Sie besteht zunächst in
der Lektüre der diplomatischen und konsularen Berichte. dann
[Spaltenumbruch] aber in Empfängen. Zunächst kommt der Haussekretär oder,
wie ihn Graf Goluchowski nach dem ronflanten französischen
Muster benannt hat: der Chef des Kabinetts des Ministers.
Er hat die persönliche und soziale Korrespondenz des Ministers,
den brieflichen Verkehr mit den Botschaftern, Ministerien, die
Billets, die Einladungen, die Gesuche, die Erwirkung oder
Absage von Audienzen zu besorgen. Dann kommen die Besuche
und Audienzen selbst, von Privaten, Halbprivaten, auf Urlaub
passierenden Diplomaten, die vom Botschafter bis zum Attache
hinab dem Chef die selten willkommene Aufwartung machen;
dann die mit besonderen Aufträgen ihrer Gouvernements
erscheinenden fremden Vertreter der Großmächte. Nach all diesen
Outsiders oder je nach der Wichtigkeit der Sache zwischen
ihnen durch erscheinen die ständigen Mitarbeiter oder Referenten
des Ministers, um Instruktionen für ihre Depeschen und
Weisungen einzuholen oder ihre fertigen Konzepte zur Approbation
vvrzulegen. Das geht unter diesem koulanten Chef -- sit
venia verbo
-- wie geschmiert. Denn er ist klar in seinen
Aufträgen und tolerant gegen jeden Stil. Ohnehin behält er
alles Schwierige seiner eigenen Feder vor, wie er es überhaupt
Allen leichter macht, als sich selbst. So zeigt er namentlich
im mündlichen Verkehr, den er fast nie einschränkt, nicht eine
Spur von Erschöpfung oder Ungeduld ... Nach all den Em-
pfängen, die ich hier blos angedeutet, zu denen sich noch als
Nichtletzter der tägliche Vortrag ds Preßleiters gesellt, ist der
Minister noch frisch genug, in später Dämmerung die Lichter
seiner Sektionschefs leuchten zu lassen, die ihm pour la bonne
bouche
noch einen Generalvortrag über alle "anderen" An-
gelegenheiten des Tages, die politischen und administrativen,
applizieren und mit denen er gutmütig auch die große Politik
bespricht, um ihnen den Glauben zu lassen, daß sie mit die
Politik machen. Es geschieht zwar nie, was sie sagen, aber sie


[Spaltenumbruch]

Redaktion u. Adminiſtration:
Herrengaſſe 9, 1. Stock.




Telephon-Nummer 161.




Abonnementsbedingungen:

Für Czernowitz
(mit Zuſtellung ins Haus):
monatl. K 1.60, vierteljähr. K 4.80,
halbjähr. K 9.60, ganzjähr. K 19.20.

Für das Inland
(mit täglicher Poſtverſendung)
monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40,
halbjähr. K 10.80, ganzjähr. K 21.60

Für Deutſchland:
vierteljährig .... 7 Mark.

Für Rumänien und den Balkan;
vierteliährig .... 9 Franks.




Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


[Spaltenumbruch]

Erſcheint täglich 8 Uhr abends.




Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Einzelexemplare:
7 Heller für Czernowitz.




Ankündigungen:
Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaux ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Buchdruckerei Riemer
(Tempelgaſſe) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldſchmidt,
Wollzeile 11.




Nr. 6. Czernowitz, Dienstag, den 5. Jänner 1904.


[Spaltenumbruch]
Politische Neujahrsreden.
(Brief aus Budapeſt)


st. Der völlige Umſchwung in der Volksſtimmung,
der bereits ſeit Wochen konſtatiert werden konnte, hat in den
politiſchen Reden, welche anläßlich der diverſen Neujahrs-
empfänge gehalten wurden, prägnanten Ausdruck gefunden.
Ein Ton der Milde und Müdigkeit klingt aus ihnen, als
ob man längſt aufgehört hätte, den Kampf, deſſen Fortdauer
eben noch von den Ugroniſten proklamiert worden war, ernſt
zu nehmen und nach Mitteln zu ſinnen, mit denen er be-
endigt werden könnte. Nichts von einem Ausblick in die
Zukunft, von Hoffnungen oder Verheißungen, ein wehmütig
reſignierter Rückblick nur über das Vergangene, wie er ſonſt
wohl an Tagen, da man abſchließt, doch nicht an ſolchen,
da man anfängt, am Platz zu ſein pflegt. Sogar die Rede
des Grafen Tisza durchzieht eine leiſe Melancholie. Der
Frieden wurde ſeinerſeits mit ungeheuren Opfern auf Koſten
der Reichseinheit erkauft, und nun zeigt es ſich, daß ein
kleines Häuflein Unverſöhnlicher die Erledigung der Staats-
notwendigkeiten mit Erfolg hintanzuhalten vermag. Tisza
ſetzt nichtsdeſtoweniger nach wie vor ſeine Hoffnung auf
einen geläuterten Parlamentarismus, wo es keine Obſtrukion,
ſondern nur eine Oppoſition gibt, die es lediglich als ihre
Aufgabe anſähe, den Reichstag und die Regierung zu er-
höhter Tätigkeit anzuſpornen. Der Parlamentarismus zeige
nur bei jenen Nationen einen Niedergang, bei welchen das
geſamte Leben des Volkes und der Geſellſchaft Zeichen der
Fäulnis und des Verfalles aufweiſe. Die ungariſche Nation
müſſe imſtande ſein, die Uebelſtände, an denen der ungariſche
Parlamentarismus ſeit Jahren leide, zu heilen und ſich jener
handvoll Menſchen zu erwehren, welche die
Intereſſen der Nation zugrunde richten. Tisza iſt der Ueber-
zeugung, daß die Obſtruktion ſich ſelbſt ihr Grab graben
werde, und begnügt ſich gegenüber allen aktuellen Hinder-
niſſen, die der poſitiven Arbeit den Weg verrammeln, mit
einer Anſpielung auf die Reviſion der Hausordnung, die aber
nur im Einverſtändniſſe mit der Oppoſition durchgeführt
werden ſolle.

Ein merkwürdiger Gegenſatz iſt zwiſchen den Reden
Tiszas und Apponyis zu verzeichnen. Tisza ſagt: „Obzwar
ich in prinzipiellen Fragen eine Transaktion nicht
kenne und niemals kennen werde, ſo glaube ich, daß die
[Spaltenumbruch] Taktik den Forderungen des Momentes ſich anpaſſen
müſſe.“ Apponyi kennt in Fragen der Taktik keine Konzeſſion,
nimmt es aber mit den Prinzipien minder genau. Er ſagt:
„Meine Politik wird auch in Hinkunft genau dieſelbe ſein,
wie dazumal, als wir im Rahmen der Nationalpartei ge-
meinſam wirkten. Ich nehme den meinen Händen entglittenen
Faden wieder auf, aber nicht ſo wie eine Art politiſchen
Rip van Winkle, der Jahre hindurch geſchlafen hat, mich
in Allem an das Alte, dem heutigen Stadium der Nation
nicht mehr Entſprechende klammernd.“ Im Uebrigen iſt
Apponyis Rede nicht mehr als ein Spiel mit Worten, wenn
man will ſogar ein blendendes, aus dem höchſtens das Eine
bedeutſam erſcheint, daß er über die Details ſeiner Wirk-
ſamkeit als ſelbſtändiger politiſcher Faktor ſich demnächſt zu
äußern verſprach.

Weit intereſſanter erſcheint die Enunziation Franz
Koſſuths. Sie iſt, obwohl ſie mit einem kriegeriſchen Trom-
petenſtoß endigt, nicht mehr als ein Signal zum Rückzug.
Die Unabhängigkeit des Landes könne nur ſo erreicht werden,
wenn die Kraft und die Begeiſterung der Nation nicht auf
derzeit unmögliche Dinge verſchwendet werden. „Wenn wir
nichts erreichen können, wiewohl wir die nationale Begeiſterung
aufs höchſte angefacht haben, und wenn wir nicht dahin
konkludieren können und wollen, Gewalt gegen Gewalt zu
ſetzen, ſo würden wir, wenn wir den Kampf fortſetzen, ſo
handeln, wie der Verſchwender mit dem ihm anvertrauten
Gute.“ Die Koſſuthpartei ſcheint alſo, wenn man den Worten
ihres Führers trauen darf, auf dem Wege zu ſein, ihre
Fehler gutzumachen und der Erledigung wirtſchaftlicher
Fragen ſich zuzuwenden.

Alle Symptome deuten demnach auf beſſere Tage hin.
Der wehmütig reſignierte Ton, der aus den Neujahrsreden
klingt, erinnert lebhaft an das Gehaben des Rekonvaleszenten,
der nach ſchwerer Krankheit einen langwierigen Geneſungs-
prozeß durchzumachen hat, um ſchließlich gänzlich zu geſunden.
Mit Ugron allein fertig zu werden, wird das ungariſche
Parlament wohl ſtark genug ſein ...




Die städtische Bierauflage.

Wir erhalten folgende Zuſchrift:

Geehrte Redaktion!

In Ihrem jungen Blatte vom 1. d. M. brachten Sie
in dem Berichte über den Bukowiner Landtag die Mitteilung:
„Mit der Votirung des Geſetzes zur Einhebung der Bier-
[Spaltenumbruch] ſteuer
hat die Stadtgemeinde Czernowitz einen
Sieg ihrer Anſchauung über den Einhebungs-
modus
zu verzeichnen, indem der Bieraufſchlag nach dem
Wortlaute des Geſetzes nunmehr ausdrücklich als
„Erzeugungsſteuer“
bezeichnet und die Einhebung nach
Art der ſtaatlichen Bierſteuer zu erfolgen haben wird. Wenn
dieſes Geſetz die a. h. Sanktion erlangt, ſo hat auch der
unſelige Bierkrieg ein Ende und der Stadtſäckel
iſt um ein nettes rundes Sümmchen ſchwerer.

Dieſe Mitteilung beruht offenbar auf einer ganz
falſchen Information, und da ſie geeignet iſt, in der Oeffent-
lichkeit irreführend zu wirken, ſoll ſie hiemit richtiggeſtellt werden.

Die neue Kodifizirung des Bierauflagerechtes
der Stadtgemeinde Czernowitz iſt in mannigfacher Beziehung
hochintereſſant. Zu ihrem richtigen Verſtändnis iſt aber die
Kenntnis ihrer Vorgeſchichte unerläßlich.

Die Stadtgemeinde Czernowitz hat ſchon ſeit den erſten
Dezennien des vorigen Jahrhundertes ohne beſondere geſetzliche
Ermächtigung auf Grund allgemeiner für galiziſche Städte
beſtandener Gubernialverordnungen und ſtaatlicher Vorſchriften
eine Auflage von Bier eingehoben. Die betreffenden Vor-
ſchriften lehnten ſich jeweilig an die Beſtimmungen für die
ſtaatliche Bierverzehrungsſteuer an, denen gemäß die Auflage
im vorhinein bei der Erzeugung zu entrichten war.

Die erſte geſetzliche Anerkennung erhielt dieſe von der
Stadtgemeinde Czernowitz bis dahin nur gewohnheitsrechtlich
geübte Bierbeſteuerung durch das Landesgeſetz vom 2. März 1872,
Nr. 6 L. G. Bl., mit welchem dieſer Gemeinde „die Erhöhung
der daſelbſt auf den Verbrauch von Bier ...“ längſt
eingeführten Auflage unter Aufrechthaltung der in dieſer
Beziehung bisher geltenden Vorſchriften und geſetzlichen Be-
ſtimmungen bewilligt wurde. Die bis dahin mit 50 kr. ö. W.
eingehobene Auflage wurde auf 1 fl. vom u. ö. Eimer erhöht.
Dieſelbe wurde nachher im Wege der Umrechnung nach dem
Dezimalmaße in 1 fl. 66 kr. ö. W. vom Hektoliter umge-
wandelt.

Mit dem Landesgeſetze vom 15. März 1884 wurde
die Auflage auf 1 fl. 70 kr. ö. W. vom Hektoliter auf die
Dauer von 10 Jahren erhöht, und ſchließlich wurde mit dem
Landesgeſetze vom 15. März 1894, Nr. 5 L. G. Bl. die Einhebung
der Auflage in der gleichen Höhe der Stadtgemeinde auf
weitere 10 Jahre bewilligt.

Beim bevorſtehenden Ablaufe dieſer Friſt ſchritt die
Gemeindevertretung beim Landtage um Verlängerung des
Einhebungsrechtes auf weitere 10 Jahre ein.

Als nun dieſer Gegenſtand in der Herbſtſeſſion des
Bukowiner Landtages in deſſen Verwaltungsausſchuſſe zur
Verhandlung kam, trat der Regierungsvertreter einer einfachen
Verlängerung des Landesgeſetzes vom Jahre 1874 mit der
Erklärung entgegen, daß die hinſichtlich dieſes ſtädtiſchen
Gefälles in den letzten Jahren hervorgetretenen Streitigkeiten
eine Reform der betreffenden Geſetzgebung dringend erheiſchen




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Graf Goluchowski.

Graf Goluchowski hat als Perſönlichkeit einen Charme,
den ihm auch ſeine Gegner nicht aberkennen. (Gegner iſt viel-
leicht nicht der richtige Ausdruck — wir wollen „Neider“
ſagen.) Die Neider alſo mögen behaupten, er habe das Ge-
winnende der Leute, die immer gewinnen. Aber er hat ge-
wonnen und gewinnt noch immer, ohne zu ſpielen. Er hat nie
nach dem Erfolg gejagt, auch nicht nach der Stelle, die er
einnimmt: die Fortuna iſt dem ſchmucken Mann nachgelaufen,
die Blinde dem Blonden. Er iſt kein bloßes Glückskind, aber
ein glückliches Menſchenkind. Auf die Höhen der Macht ge-
langt, iſt er durch ſeine perſönlichen Umſtände von den
Chancen des Machtgenuſſes unabhängig und in ein glückliches
Familienleben gebettet. Seine Gemahlin, eine Enkelin der
Schweſter des großen Napoleon, iſt der Typus jener Franzöſin,
welche auf der Bühne und im Roman nie vorkommt: grande
dame
ohne Dünkel, graziös und einfach, leicht wie ein Vogel
und innig wie ein Gebet. Drei flachshaarige Söhne, von
denen der älteſte noch nicht flügge iſt und der jüngſte an den
[E]rnſt der Studierſtube noch nicht glauben will, beleben
das Haus.

Das Glückliche, das unſerem Staatskutſchierer
eigen iſt, liegt in der ſicheren und ausgeglichenen
Art, wie er ſein Leben zwiſchen dem Genuß der
Schickſalsgaben und dem Gebrauch ſeiner eigenen zu
[Spaltenumbruch] teilen weiß. Heiter zu ſein und ernſt zu denken iſt eine
Qualität, durch die man den Menſchen und ſich am beſten dienen
und gefallen mag. Graf Goluchowski hat ſich die Einteilung
des Tages, die ihm ſelbſt und den Geſchäften die geſündeſte
iſt, nicht aus der Beamtenwelt, ſondern aus der diplomatiſchen
geholt. Er arbeitet am Vormittag gar nichts — außer wenn
die höchſte Stimme ruft —, vom Dejeuner an aber ununter-
brochen bis in die ſiebente, oft achte Arbeitsſtunde. Darin
unterſcheidet er ſich von dem Attaché, der ſich einmal rühmte:
„Heute bin ich ſchon Vormittag ſpazieren gegangen, ſo daß ich
am Nachmittag nichts zu tun habe.“ Unfer Miniſter
verzichtet nie auf ſeine Morgenpromenade. Bad, Toilette und
Lektüre jener Morgenzeitungen, welche ſein Preßbureau nicht
paſſiert haben — okkupieren ihn bis um die elfte Stunde.
Auf einen Moment betritt er ſein Arbeitszimmer, um in die
Nachts eingetroffenen Chiffretelegramme einen Blick zu werfen,
dann hat ihn die Straße — bis zum Familienfrühſtück. Ein
Gerücht will wiſſen, daß der Graf dieſen täglichen Spazier-
gang mit täglichem Kirchgang verbindet. Ob dem ſo
iſt, weiß ich nicht, aber es ſollte mich nicht wundern, denn
Graf Goluchowski, der vom Glauben nie ſpricht, iſt ein
frommer, religiös fühlender Herr. Dennoch ſind
es meiſt die hochkatholiſchen Herren und Parteien, die es mit
ihm zu tun bekommen: Chriſtlichſoziale, Feudale und Papale,
wie der verfloſſene Rampolla. Dieſe Gemeinde ſcheert ſich
einen blauen — Herrgott darum, ob der Miniſter chriſtlich
oder indifferent iſt: klerikal wollen ſie ihn, und das iſt Graf
Goluchowski nicht.

Die Arbeit des Miniſters, die nach dem Luncheon um
2 Uhr beginnt, dürfte Vielen, welche von der Sache nichts
verſtehen, als eine leichte erſcheinen. Sie beſteht zunächſt in
der Lektüre der diplomatiſchen und konſularen Berichte. dann
[Spaltenumbruch] aber in Empfängen. Zunächſt kommt der Hausſekretär oder,
wie ihn Graf Goluchowski nach dem ronflanten franzöſiſchen
Muſter benannt hat: der Chef des Kabinetts des Miniſters.
Er hat die perſönliche und ſoziale Korreſpondenz des Miniſters,
den brieflichen Verkehr mit den Botſchaftern, Miniſterien, die
Billets, die Einladungen, die Geſuche, die Erwirkung oder
Abſage von Audienzen zu beſorgen. Dann kommen die Beſuche
und Audienzen ſelbſt, von Privaten, Halbprivaten, auf Urlaub
paſſierenden Diplomaten, die vom Botſchafter bis zum Attaché
hinab dem Chef die ſelten willkommene Aufwartung machen;
dann die mit beſonderen Aufträgen ihrer Gouvernements
erſcheinenden fremden Vertreter der Großmächte. Nach all dieſen
Outſiders oder je nach der Wichtigkeit der Sache zwiſchen
ihnen durch erſcheinen die ſtändigen Mitarbeiter oder Referenten
des Miniſters, um Inſtruktionen für ihre Depeſchen und
Weiſungen einzuholen oder ihre fertigen Konzepte zur Approbation
vvrzulegen. Das geht unter dieſem koulanten Chef — sit
venia verbo
— wie geſchmiert. Denn er iſt klar in ſeinen
Aufträgen und tolerant gegen jeden Stil. Ohnehin behält er
alles Schwierige ſeiner eigenen Feder vor, wie er es überhaupt
Allen leichter macht, als ſich ſelbſt. So zeigt er namentlich
im mündlichen Verkehr, den er faſt nie einſchränkt, nicht eine
Spur von Erſchöpfung oder Ungeduld ... Nach all den Em-
pfängen, die ich hier blos angedeutet, zu denen ſich noch als
Nichtletzter der tägliche Vortrag ds Preßleiters geſellt, iſt der
Miniſter noch friſch genug, in ſpäter Dämmerung die Lichter
ſeiner Sektionschefs leuchten zu laſſen, die ihm pour la bonne
bouche
noch einen Generalvortrag über alle „anderen“ An-
gelegenheiten des Tages, die politiſchen und adminiſtrativen,
applizieren und mit denen er gutmütig auch die große Politik
beſpricht, um ihnen den Glauben zu laſſen, daß ſie mit die
Politik machen. Es geſchieht zwar nie, was ſie ſagen, aber ſie


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[[1]/0001] Redaktion u. Adminiſtration: Herrengaſſe 9, 1. Stock. Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz (mit Zuſtellung ins Haus): monatl. K 1.60, vierteljähr. K 4.80, halbjähr. K 9.60, ganzjähr. K 19.20. Für das Inland (mit täglicher Poſtverſendung) monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40, halbjähr. K 10.80, ganzjähr. K 21.60 Für Deutſchland: vierteljährig .... 7 Mark. Für Rumänien und den Balkan; vierteliährig .... 9 Franks. Telegramme: Allgemeine, Czernowitz. Erſcheint täglich 8 Uhr abends. Czernowitzer Allgemeine Zeitung Einzelexemplare: 7 Heller für Czernowitz. Ankündigungen: Es koſtet im gewöhnlichen Inſe- ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei mehrmaliger Einſchaltung, für Re- klame 40 h die Petitzeile. Inſerate nehmen alle in- und ausländiſchen Inſeratenbureaux ſowie die Ad- miniſtration entgegen. — Einzel- exemplare ſind in allen Zeitungs- verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni- verſitätsbuchhandlung H. Pardini und in der Buchdruckerei Riemer (Tempelgaſſe) erhältlich. In Wien im Zeitungsbureau Goldſchmidt, Wollzeile 11. Nr. 6. Czernowitz, Dienstag, den 5. Jänner 1904. Politische Neujahrsreden. (Brief aus Budapeſt) 2. Jänner 1904. st. Der völlige Umſchwung in der Volksſtimmung, der bereits ſeit Wochen konſtatiert werden konnte, hat in den politiſchen Reden, welche anläßlich der diverſen Neujahrs- empfänge gehalten wurden, prägnanten Ausdruck gefunden. Ein Ton der Milde und Müdigkeit klingt aus ihnen, als ob man längſt aufgehört hätte, den Kampf, deſſen Fortdauer eben noch von den Ugroniſten proklamiert worden war, ernſt zu nehmen und nach Mitteln zu ſinnen, mit denen er be- endigt werden könnte. Nichts von einem Ausblick in die Zukunft, von Hoffnungen oder Verheißungen, ein wehmütig reſignierter Rückblick nur über das Vergangene, wie er ſonſt wohl an Tagen, da man abſchließt, doch nicht an ſolchen, da man anfängt, am Platz zu ſein pflegt. Sogar die Rede des Grafen Tisza durchzieht eine leiſe Melancholie. Der Frieden wurde ſeinerſeits mit ungeheuren Opfern auf Koſten der Reichseinheit erkauft, und nun zeigt es ſich, daß ein kleines Häuflein Unverſöhnlicher die Erledigung der Staats- notwendigkeiten mit Erfolg hintanzuhalten vermag. Tisza ſetzt nichtsdeſtoweniger nach wie vor ſeine Hoffnung auf einen geläuterten Parlamentarismus, wo es keine Obſtrukion, ſondern nur eine Oppoſition gibt, die es lediglich als ihre Aufgabe anſähe, den Reichstag und die Regierung zu er- höhter Tätigkeit anzuſpornen. Der Parlamentarismus zeige nur bei jenen Nationen einen Niedergang, bei welchen das geſamte Leben des Volkes und der Geſellſchaft Zeichen der Fäulnis und des Verfalles aufweiſe. Die ungariſche Nation müſſe imſtande ſein, die Uebelſtände, an denen der ungariſche Parlamentarismus ſeit Jahren leide, zu heilen und ſich jener handvoll Menſchen zu erwehren, welche die Intereſſen der Nation zugrunde richten. Tisza iſt der Ueber- zeugung, daß die Obſtruktion ſich ſelbſt ihr Grab graben werde, und begnügt ſich gegenüber allen aktuellen Hinder- niſſen, die der poſitiven Arbeit den Weg verrammeln, mit einer Anſpielung auf die Reviſion der Hausordnung, die aber nur im Einverſtändniſſe mit der Oppoſition durchgeführt werden ſolle. Ein merkwürdiger Gegenſatz iſt zwiſchen den Reden Tiszas und Apponyis zu verzeichnen. Tisza ſagt: „Obzwar ich in prinzipiellen Fragen eine Transaktion nicht kenne und niemals kennen werde, ſo glaube ich, daß die Taktik den Forderungen des Momentes ſich anpaſſen müſſe.“ Apponyi kennt in Fragen der Taktik keine Konzeſſion, nimmt es aber mit den Prinzipien minder genau. Er ſagt: „Meine Politik wird auch in Hinkunft genau dieſelbe ſein, wie dazumal, als wir im Rahmen der Nationalpartei ge- meinſam wirkten. Ich nehme den meinen Händen entglittenen Faden wieder auf, aber nicht ſo wie eine Art politiſchen Rip van Winkle, der Jahre hindurch geſchlafen hat, mich in Allem an das Alte, dem heutigen Stadium der Nation nicht mehr Entſprechende klammernd.“ Im Uebrigen iſt Apponyis Rede nicht mehr als ein Spiel mit Worten, wenn man will ſogar ein blendendes, aus dem höchſtens das Eine bedeutſam erſcheint, daß er über die Details ſeiner Wirk- ſamkeit als ſelbſtändiger politiſcher Faktor ſich demnächſt zu äußern verſprach. Weit intereſſanter erſcheint die Enunziation Franz Koſſuths. Sie iſt, obwohl ſie mit einem kriegeriſchen Trom- petenſtoß endigt, nicht mehr als ein Signal zum Rückzug. Die Unabhängigkeit des Landes könne nur ſo erreicht werden, wenn die Kraft und die Begeiſterung der Nation nicht auf derzeit unmögliche Dinge verſchwendet werden. „Wenn wir nichts erreichen können, wiewohl wir die nationale Begeiſterung aufs höchſte angefacht haben, und wenn wir nicht dahin konkludieren können und wollen, Gewalt gegen Gewalt zu ſetzen, ſo würden wir, wenn wir den Kampf fortſetzen, ſo handeln, wie der Verſchwender mit dem ihm anvertrauten Gute.“ Die Koſſuthpartei ſcheint alſo, wenn man den Worten ihres Führers trauen darf, auf dem Wege zu ſein, ihre Fehler gutzumachen und der Erledigung wirtſchaftlicher Fragen ſich zuzuwenden. Alle Symptome deuten demnach auf beſſere Tage hin. Der wehmütig reſignierte Ton, der aus den Neujahrsreden klingt, erinnert lebhaft an das Gehaben des Rekonvaleszenten, der nach ſchwerer Krankheit einen langwierigen Geneſungs- prozeß durchzumachen hat, um ſchließlich gänzlich zu geſunden. Mit Ugron allein fertig zu werden, wird das ungariſche Parlament wohl ſtark genug ſein ... Die städtische Bierauflage. Wir erhalten folgende Zuſchrift: Geehrte Redaktion! In Ihrem jungen Blatte vom 1. d. M. brachten Sie in dem Berichte über den Bukowiner Landtag die Mitteilung: „Mit der Votirung des Geſetzes zur Einhebung der Bier- ſteuer hat die Stadtgemeinde Czernowitz einen Sieg ihrer Anſchauung über den Einhebungs- modus zu verzeichnen, indem der Bieraufſchlag nach dem Wortlaute des Geſetzes nunmehr ausdrücklich als „Erzeugungsſteuer“ bezeichnet und die Einhebung nach Art der ſtaatlichen Bierſteuer zu erfolgen haben wird. Wenn dieſes Geſetz die a. h. Sanktion erlangt, ſo hat auch der unſelige Bierkrieg ein Ende und der Stadtſäckel iſt um ein nettes rundes Sümmchen ſchwerer.“ Dieſe Mitteilung beruht offenbar auf einer ganz falſchen Information, und da ſie geeignet iſt, in der Oeffent- lichkeit irreführend zu wirken, ſoll ſie hiemit richtiggeſtellt werden. Die neue Kodifizirung des Bierauflagerechtes der Stadtgemeinde Czernowitz iſt in mannigfacher Beziehung hochintereſſant. Zu ihrem richtigen Verſtändnis iſt aber die Kenntnis ihrer Vorgeſchichte unerläßlich. Die Stadtgemeinde Czernowitz hat ſchon ſeit den erſten Dezennien des vorigen Jahrhundertes ohne beſondere geſetzliche Ermächtigung auf Grund allgemeiner für galiziſche Städte beſtandener Gubernialverordnungen und ſtaatlicher Vorſchriften eine Auflage von Bier eingehoben. Die betreffenden Vor- ſchriften lehnten ſich jeweilig an die Beſtimmungen für die ſtaatliche Bierverzehrungsſteuer an, denen gemäß die Auflage im vorhinein bei der Erzeugung zu entrichten war. Die erſte geſetzliche Anerkennung erhielt dieſe von der Stadtgemeinde Czernowitz bis dahin nur gewohnheitsrechtlich geübte Bierbeſteuerung durch das Landesgeſetz vom 2. März 1872, Nr. 6 L. G. Bl., mit welchem dieſer Gemeinde „die Erhöhung der daſelbſt auf den Verbrauch von Bier ...“ längſt eingeführten Auflage unter Aufrechthaltung der in dieſer Beziehung bisher geltenden Vorſchriften und geſetzlichen Be- ſtimmungen bewilligt wurde. Die bis dahin mit 50 kr. ö. W. eingehobene Auflage wurde auf 1 fl. vom u. ö. Eimer erhöht. Dieſelbe wurde nachher im Wege der Umrechnung nach dem Dezimalmaße in 1 fl. 66 kr. ö. W. vom Hektoliter umge- wandelt. Mit dem Landesgeſetze vom 15. März 1884 wurde die Auflage auf 1 fl. 70 kr. ö. W. vom Hektoliter auf die Dauer von 10 Jahren erhöht, und ſchließlich wurde mit dem Landesgeſetze vom 15. März 1894, Nr. 5 L. G. Bl. die Einhebung der Auflage in der gleichen Höhe der Stadtgemeinde auf weitere 10 Jahre bewilligt. Beim bevorſtehenden Ablaufe dieſer Friſt ſchritt die Gemeindevertretung beim Landtage um Verlängerung des Einhebungsrechtes auf weitere 10 Jahre ein. Als nun dieſer Gegenſtand in der Herbſtſeſſion des Bukowiner Landtages in deſſen Verwaltungsausſchuſſe zur Verhandlung kam, trat der Regierungsvertreter einer einfachen Verlängerung des Landesgeſetzes vom Jahre 1874 mit der Erklärung entgegen, daß die hinſichtlich dieſes ſtädtiſchen Gefälles in den letzten Jahren hervorgetretenen Streitigkeiten eine Reform der betreffenden Geſetzgebung dringend erheiſchen Feuilleton. Graf Goluchowski. Von Omikron. Graf Goluchowski hat als Perſönlichkeit einen Charme, den ihm auch ſeine Gegner nicht aberkennen. (Gegner iſt viel- leicht nicht der richtige Ausdruck — wir wollen „Neider“ ſagen.) Die Neider alſo mögen behaupten, er habe das Ge- winnende der Leute, die immer gewinnen. Aber er hat ge- wonnen und gewinnt noch immer, ohne zu ſpielen. Er hat nie nach dem Erfolg gejagt, auch nicht nach der Stelle, die er einnimmt: die Fortuna iſt dem ſchmucken Mann nachgelaufen, die Blinde dem Blonden. Er iſt kein bloßes Glückskind, aber ein glückliches Menſchenkind. Auf die Höhen der Macht ge- langt, iſt er durch ſeine perſönlichen Umſtände von den Chancen des Machtgenuſſes unabhängig und in ein glückliches Familienleben gebettet. Seine Gemahlin, eine Enkelin der Schweſter des großen Napoleon, iſt der Typus jener Franzöſin, welche auf der Bühne und im Roman nie vorkommt: grande dame ohne Dünkel, graziös und einfach, leicht wie ein Vogel und innig wie ein Gebet. Drei flachshaarige Söhne, von denen der älteſte noch nicht flügge iſt und der jüngſte an den Ernſt der Studierſtube noch nicht glauben will, beleben das Haus. Das Glückliche, das unſerem Staatskutſchierer eigen iſt, liegt in der ſicheren und ausgeglichenen Art, wie er ſein Leben zwiſchen dem Genuß der Schickſalsgaben und dem Gebrauch ſeiner eigenen zu teilen weiß. Heiter zu ſein und ernſt zu denken iſt eine Qualität, durch die man den Menſchen und ſich am beſten dienen und gefallen mag. Graf Goluchowski hat ſich die Einteilung des Tages, die ihm ſelbſt und den Geſchäften die geſündeſte iſt, nicht aus der Beamtenwelt, ſondern aus der diplomatiſchen geholt. Er arbeitet am Vormittag gar nichts — außer wenn die höchſte Stimme ruft —, vom Dejeuner an aber ununter- brochen bis in die ſiebente, oft achte Arbeitsſtunde. Darin unterſcheidet er ſich von dem Attaché, der ſich einmal rühmte: „Heute bin ich ſchon Vormittag ſpazieren gegangen, ſo daß ich am Nachmittag nichts zu tun habe.“ Unfer Miniſter verzichtet nie auf ſeine Morgenpromenade. Bad, Toilette und Lektüre jener Morgenzeitungen, welche ſein Preßbureau nicht paſſiert haben — okkupieren ihn bis um die elfte Stunde. Auf einen Moment betritt er ſein Arbeitszimmer, um in die Nachts eingetroffenen Chiffretelegramme einen Blick zu werfen, dann hat ihn die Straße — bis zum Familienfrühſtück. Ein Gerücht will wiſſen, daß der Graf dieſen täglichen Spazier- gang mit täglichem Kirchgang verbindet. Ob dem ſo iſt, weiß ich nicht, aber es ſollte mich nicht wundern, denn Graf Goluchowski, der vom Glauben nie ſpricht, iſt ein frommer, religiös fühlender Herr. Dennoch ſind es meiſt die hochkatholiſchen Herren und Parteien, die es mit ihm zu tun bekommen: Chriſtlichſoziale, Feudale und Papale, wie der verfloſſene Rampolla. Dieſe Gemeinde ſcheert ſich einen blauen — Herrgott darum, ob der Miniſter chriſtlich oder indifferent iſt: klerikal wollen ſie ihn, und das iſt Graf Goluchowski nicht. Die Arbeit des Miniſters, die nach dem Luncheon um 2 Uhr beginnt, dürfte Vielen, welche von der Sache nichts verſtehen, als eine leichte erſcheinen. Sie beſteht zunächſt in der Lektüre der diplomatiſchen und konſularen Berichte. dann aber in Empfängen. Zunächſt kommt der Hausſekretär oder, wie ihn Graf Goluchowski nach dem ronflanten franzöſiſchen Muſter benannt hat: der Chef des Kabinetts des Miniſters. Er hat die perſönliche und ſoziale Korreſpondenz des Miniſters, den brieflichen Verkehr mit den Botſchaftern, Miniſterien, die Billets, die Einladungen, die Geſuche, die Erwirkung oder Abſage von Audienzen zu beſorgen. Dann kommen die Beſuche und Audienzen ſelbſt, von Privaten, Halbprivaten, auf Urlaub paſſierenden Diplomaten, die vom Botſchafter bis zum Attaché hinab dem Chef die ſelten willkommene Aufwartung machen; dann die mit beſonderen Aufträgen ihrer Gouvernements erſcheinenden fremden Vertreter der Großmächte. Nach all dieſen Outſiders oder je nach der Wichtigkeit der Sache zwiſchen ihnen durch erſcheinen die ſtändigen Mitarbeiter oder Referenten des Miniſters, um Inſtruktionen für ihre Depeſchen und Weiſungen einzuholen oder ihre fertigen Konzepte zur Approbation vvrzulegen. Das geht unter dieſem koulanten Chef — sit venia verbo — wie geſchmiert. Denn er iſt klar in ſeinen Aufträgen und tolerant gegen jeden Stil. Ohnehin behält er alles Schwierige ſeiner eigenen Feder vor, wie er es überhaupt Allen leichter macht, als ſich ſelbſt. So zeigt er namentlich im mündlichen Verkehr, den er faſt nie einſchränkt, nicht eine Spur von Erſchöpfung oder Ungeduld ... Nach all den Em- pfängen, die ich hier blos angedeutet, zu denen ſich noch als Nichtletzter der tägliche Vortrag ds Preßleiters geſellt, iſt der Miniſter noch friſch genug, in ſpäter Dämmerung die Lichter ſeiner Sektionschefs leuchten zu laſſen, die ihm pour la bonne bouche noch einen Generalvortrag über alle „anderen“ An- gelegenheiten des Tages, die politiſchen und adminiſtrativen, applizieren und mit denen er gutmütig auch die große Politik beſpricht, um ihnen den Glauben zu laſſen, daß ſie mit die Politik machen. Es geſchieht zwar nie, was ſie ſagen, aber ſie

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 6, Czernowitz, 05.01.1904, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer006_1904/1>, abgerufen am 21.11.2024.