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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2277, Czernowitz, 22.08.1911.

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22. August 1911. Czernowitzer Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

und es versteht sich von selbst, daß der Vergleich zugunsten
der letzteren Macht ausfällt, die alles getan habe, um mit
dem Deutschen Reiche zu einer Verständigung zu gelangen,
allein in Berlin habe es an gutem Willen gefehlt. Darum
rasselt der "Matin" am Schlusse gewaltig mit dem Säbel,
indem er wörtlich sagt: "Die Lektion, die alle Großmächte
aus dieser Angelegenheit ziehen können, ist folgende: Man
muß es so viel wie nur möglich vermeiden, mit einer Re-
gierung, wie es die Berliner ist, in Unterhandlungen einzu-
treten, es ist vielmehr das Beste, über eine starke
Armee und Flotte
zu verfügen, um mit dem ent-
sprechenden Nach drucke auftreten
zu können."

Das "Echo de Paris" warnt davor, die ausge-
dienten Soldaten
zu entlassen, und fordert den
Kriegsminister auf, diese weiter bei den Fahnen
zu belassen,
wozu er nach dem Gesetz von 1903 berech-
tigt sei. Denn die Armee würde dadurch um nicht weniger
als 225.000 Mann verringert werden, was eine zu große
Einbuße gegenüber der deutschen Effektivstärke bedeuten
würde. Im übrigen wiederholt das Blatt seine Drohungen,
wenn auch in etwas veränderter Form,, und beteuert, daß
sich Frankreich nicht einschüchtern lassen werde. Noch nie
hätte die Regierung auf einen so allgemeinen patriotischen
Enthusiasmus zählen können wie jetzt, wo England
und Rußland nur auf den Wink Frankreichs
warten, um zusammen mit Frankreich zu marschieren.

Deutschfeindlicher Artikel eines belgischen Blattes.

Das vielgelesene liberale Blatt
"La Chronique", welches schon seit Langem seinem Deut-
schenhaß nicht mehr die notwendige Reserve der politischen
Neutralität Belgiens auferlegt, übertrifft heute alle seine
früheren Leistungen mit einem Leitartikel, betitelt "1815
und 1915", worin es der Diktatur Napoleons, unter der
ganz Europa seufzte, die Diktatur Deutschlands und seines
Kaisers gegenüberstellt, dessen Handlungen und unauf-
hörliche Bedrohungen den Weltfrieden erschüttern. Der
Artikel schließt mit der Aufforderung, friedlich oder even-
tuell auch kraftvoll die Diktatur Deutschlands
niederzuschlagen.




Beilegung des Toskenaufstandes in
Südalbanien.

KB. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Infolge Vermittlung einflußreicher Derwische sowie gemachter
Zugeständnisse kehrten 1000 Tosken nach Argiro-
kastro
und anderen Ortschaften zurück. Nur einige kleine
Banden
verbleiben in den Bergen.




Royalistische Tumulte in Nordportugal.

Diario Noticias meldet aus
Guimaraes, daß sich am letzten Sonntag dort ein ernster
monarchistischer Tumult ereignete, hervorgerufen durch
das Abspielen der neuen republikanischen Hymne bei einem
öffentlichen Konzert einer Militärkapelle. Ein Unter-
offizier des 20. Regiments brachte den Ruf aus: "Nieder
mit Paiva Couzeiro!", worauf er sofort niedergeschlagen
wurde, während die Menge tausendfach den Ruf: "Es lebe
Paiva Couzeiro, es lebe die Monarchie, nieder
die Republik!"
ausstieß. Die Klänge der Musik wur-
den durch das Pfeifen der alten Königshymne über-
tönt. Die Glocken läuteten Sturm. Die Polizei war macht-
los, sie mußte Militär zur notdürftigen Wiederherstel-
lung der Ordnung requirieren. Unzählige Verhaftungen
wurden vorgenommen. In Oporto sind alle Truppen
alarmbereit. Es scheint, daß die Präsidentenwahl
[Spaltenumbruch] Anfang nächster Woche stattfindet, und daß die Kandidatur
von Anselmo Braancamp die meisten Aussichten hat.
Braancamp gilt als gemäßigt konservativ, was den radi-
kalen Elementen, die bisher die Oberhand hatten, ein
Dorn im Auge ist.




Kurze Nachrichten

Gerüchtweise verlautet, daß der
bulgarische Thronfolger Kronprinz Boris sich mit der
ältesten Tochter des rumänischen Thronfolgers, der Prin-
zessin Elisabeth von Rumänien, verloben soll. Kronprinz
Boris steht im 18. Lebensjahre, die Prinzessin ist um acht
Monate jünger als er.

Die Regierung hat das oppo-
sitionelle Blatt "A Nap" streng gemaßregelt. Das Blatt
wurde vorgestern wegen des Leitartikels "Blutige Erin-
nerungen", in welchem der Kaiser angegriffen wurde, kon-
fisziert. Der Bürgermeister hat nun dem Blatte auch das
Kolportagerecht entzogen, da er der Verbreitung eines den
Kaiser beleidigenden Blattes nicht Vorschub leisten könne.
Wie verlautet, soll dem Blatte auch die Begünstigung der
Bahn- und Postbeförderung entzogen worden sein. Der
Fall dürfte schon in der nächsten Sitzung des Abgeordneten-
hauses von der Opposition zur Sprache gebracht werden.




[Der 10. Zionistenkongreß.]

Dem sitzungs-
freien Samstag folgt ein Arbeitstag erster Güte. Die Er-
öffnungsworte Nordaus bilden einen Nachruf für Josef
Israels, den er als jüdisches Künstlertemperament feiert.
Nach Erledigung diverser Formalitäten gelang unter Um-
stellung der Tagesordnung der Referent Dr. Katzenelsohn
über die Emigrationsfrage zu Worte. Ausgehend von den
unzureichenden Vorarbeiten konstatiert er die Unzuläng-
lichkeit aller der systemlosen Versuche einer Emigration
nach den verschiedenen Ländern und Weltteilen und be-
zeichnet als einzige Möglichkeit zu dauernder Lösung dieser
brennendsten aller jüdischen Fragen die geregelte Ein-
wanderung nach Palästina. Es wurde folgende Resolu-
tion
einstimmig angenommen: "Der 10. Zionistenkon-
greß konstatiert, daß die bisherigen Versuche zur Regelung
der jüdischen Auswanderung bei weitem ungenügend und
nicht einheitlich waren. Die Organisationen, die sich mit die-
sem Werke befassen, müssen eine großzügige Arbeit, die
dem Ernst und der Wichtigkeit der Aufgabe entspricht, in
die Wege leiten. Der Kongreß fordert besonders von den
Zionisten und den zionistischen Organen eine ernste Mit-
wirkung bei den Emigrationsfragen, insbesondere soweit
sie die Förderung der Emigration nach dem nahen Orient,
vorzüglich nach Palästina und Syrien, betreffen." Die
Nachmittagssitzung ist ausschließlich dem Referate und der
Debatte über die geistig-kulturelle Renaissance gewidmet.
Referent Nahum Sokolow spricht hebräisch; Vorsitzender
und Debattenredner bedienen sich gleichfalls ausnahms-
los der hebräischen Sprache. Sämtliche Redner propagieren
es als Pflicht der Organisation der Ausbreitung der he-
bräischen Sprache und Literatur die Wege zu ebnen. --
Am 5. Kongreßtage hält Frl. Prof. Schach ein Referat
über "Frauenarbeit im Zionismus". Die Referentin weist
auf den in Haag begründeten Frauenverband für jüdische
Kulturarbeit in Palästina hin, und bezeichnet als die
nächste Aufgabe den Zusammenschluß aller zionistischen
Frauen und die Errichtung einer Zentralstelle für zioni-
stische Frauenarbeit. Das Referat findet allgemeinen Bei-
fall. Der Antrag wird fast einstimmig angenommen. Dr.
Emil Margulies, Referent der Organisationskommission,
erstattet einen Bericht über das neue Organisa-
tionsstatut,
welches dem Kongreß vorlag. Das lei-
tende Organ der Bewegung soll ein Kollegium von 5 oder
[Spaltenumbruch] 7 Mitgliedern bilden, deren Mehrzahl an demselben Orte
wohnen soll. Dieses Organ soll einem Aktionskomitee von
25 Mitgliedern verantwortlich sein, diese Mitglieder sollen
die Möglichkeit haben, öfters zwecks Beratung zusammen
zu kommen, und ein Zentralkomitee aus Vertretern aller
Landesorganisationen bestehend, soll einmal im Jahre zu-
sammentreten. Nach längerer Debatte nimmt der Kongreß
das neue Statut mit einigen Modifikationen en bloc an.
Gegen dreiviertel 10 Uhr abends erklärt der Vorsitzende
Dr. Marmorek, Paris, die Arbeitssitzung für geschlossen.
Sämtliche Vorlagen sind restlos erledigt, das Budget für
die neue Leitung bewilligt und die Wahlen für Kongreß-
gericht, Ehrengericht und Nationalbibliothek vorgenom-
men. So erübrigt nur noch die Wahl der Leitung,
die altem Brauche gemäß einer eigenen Festsitzung vorbe-
halten bleibt. Wenige Minuten nach 10 Uhr eröffnet Dr.
Bodenheimer, Köln, diese Sitzung. Unter lautloser
Stille erhält Prof. Weizmann, Manchester, das Wort.
Den Beschlüssen des Permanenzausschusses gemäß bean-
tragt er vorerst die Wahl des Aktionskomitees, das nun-
mehr aus 25 Mitgliedern bestehen soll; dann erstattet er
den Vorschlag für die neue Leitung. Da Präsident Wolf-
sohn
und Jakobus Kann auf ihrem Beschlusse be-
harren, in die engere Parteileitung nicht einzutreten, wird
ein 5-gliedriges Kollegium an die Spitze der Organisation
treten. Prof. Warburg, Rechtsanwalt Hantke, Dr.
Schemarjahn Lewin, Nahum Sokolow und Doktor
Jakobsohn, Konstantinopel, sind die Männer, die für
die nächste Periode die Verantwortung tragen sollen. Pro-
fessor Warburg erklärt sich namens der neuen Leitung be-
reit, die schwere Aufgabe zu übernehmen. Seine program-
matischen Erklärungen enden mit Worten des Dankes an
den bisherigen Präsidenten David Wolfsohn, die in ihrer
schlichten Treue allgemeine Rührung erwecken. Nach ihm
spricht Dr. Tschlenow, Moskau, zum Schlusse der einstige
Oppositionelle Ing. Ussischkin, der mit Wolfsohn den
Bruderkuß tauscht. Die letzten Worte des Vorsitzenden gehen
in minutenlangem Jubel unter. Mit dem "Liede der Hoff-
nung" schließt die Tagung.




Bunte Chronik.


Die Cholera.
Neue Krankheitsfälle in Oesterreich-Ungarn.

In Pola, Fiume und Mar-
burg
ereignete sich je ein Fall von Cholera.

Cholerapanik in einem Eisenbahnzuge.

In dem Personenzuge der Süd-
bahn, der um halb 2 Uhr nachmittags in Wien eintrifft,
gab es gestern in Payerbach eine förmliche Cholera-
panik.
In einem Wagen dritter Klasse saßen mit an-
deren Passagieren zwei Ehepaare aus Triest. Vor Mürz-
zuschlag erkrankte eine der Frauen an heftigen Erbre-
chen
und Durchfall. Da man Choleraverdacht hegte,
wurde der Wagen in Mürzzuschlag abgesperrt und sämt-
lichen darin befindlichen Passagieren aufgetragen, behufs
Isolierung und Beobachtung die Reise bis Wien mitzu-
machen, was unter den Passagieren große Aufregung her-
vorief. Auf unaufgeklärte Weise kamen in Payerbach noch
vier Personen in diesen Wagen. Als sie von den getroffe-
nen Maßregeln hörten, wurden sie sehr erregt. Zwei
Männer spranegn hinter der Station durch das Kou-
peefenster aus dem fahrenden Zuge
und




[Spaltenumbruch]
Die Goldmühle

66] (Nachdruck verboten.)

Sie standen noch eine Weile in stiller Andacht am
Hügel. Ehe sie sich zum Gehen wandten, zog er ein kleines
Etui aus der Tasche. "Schau her, Rosemarie, was ich dir
mitgebracht hab'!" sagte er und öffnete das Etui. Ein
leiser Freudenruf kam über ihre Lippen. "Da nimm ihn,
Herzliebste! Komm, ich will ihn dir an den Finger stecken
-- so! Und komm, den andern sollst du mir anstecken!"
Zitternd vor Freude nahm sie den goldenen Reifen aus
seiner Hand und schob ihn an den dargebotenen Finger.
"Hier an Hansis Grabe soll der Bund geschlossen sein,"
sagte er leise, "und so wahr wir ihn beide liebgehabt haben,
wollen auch wir uns ewig lieben!"

"Amen!" hauchte sie leise, und eine klare Träne fiel
auf seine Hand.

Schweigend verließen sie den Friedhof. Im Walde
nahm er sie in seine Arme, und sie ruhte lange an seinem
Herzen. "Ach, wie süß träumt sich's an deinem Herzen!"
flüsterte sie und sah glückstrahlend zu ihm empor.

"Träume nur," sagte er zärtlich, "und Gott gebe, daß
all deine Träumen holde Wirklichkeit wird!"

"Ach, Schatz," sagte sie endlich, sich aus seiner Um-
armung lösend, "verzeih mir, daß ich in meinem Glück gar
net daran gedacht hab' -- der Wind geht so eisig und du
bist warm geworden auf dem Wege! Wenn du dir nur net
einen Schaden zugefügt hast an deiner Gesundheit! Komm,
laß uns nun lieber heimgehen!"

"Wo mir's im Herzen so warm ist, Schatz? Aber du
hast recht, laß uns gehen! Wir müssen doch nun vor allem
die Eltern bitten, daß sie uns ihr segnendes Jawort nicht
vorenthalten."

Sie schritten Hand in Hand den einsamen Talweg
hinauf, bis die Mühle vor ihren Blicken auftauchte.

Es war eine stille Verlobung, die dort gefeiert wurde.
[Spaltenumbruch] Aber ein Hauch des Friedens ging an diesem Abend durch
das stille Haus, das schon soviel Unfrieden und Herzeleid
gesehen.

Vierzehntes Kapitel.

Die Auflösung der Muhme schien nahe bevorzustehen.
Eva konnte kaum noch von ihrem Bette weichen. Als hät-
ten sie Blei an den Füßen, so träge schlichen die Stunden
dahin, und hätte ihr nicht Florian ab und zu ein Buch
aus der Güldenthaler Schulbibliothek mit auf den Berg
gebracht, die Einsamkeit wär oft unerträglich gewesen --
ein Tag wie der andere.

Sie machte sich in diesen Tagen besonders ernste Ge-
danken darüber, wie es nun mit ihr werden würde, wenn
erst die Muhme nicht mehr wäre. Daß deren Tage gezählt
waren und jeder Tag die Entscheidung bringen konnte,
sah sie ja deutlich vor Augen. Dann war sie ganz einsam
und verlassen, aber sie war auch ganz frei. "In die Fremde
geh ich und such' mir mein Brot bei fremden Leuten!"
sagte sie sich, "und nie und nimmer kehr' ich wieder, und
wenn mir die Sehnsucht das Herz verzehrt. Ich hann die
Sünd' net länger tragen auf meinem Gewissen, daß ich den
Flori so heiß liebe, net wie meinen Bruder, wie ich mich
anstellen muß, nein, ganz, ganz anders. Ich kann net ne-
ben ihm stehen und mit ihm plaudern, wie eine Schwester,
wenn sie mit ihrem Bruder redt, wo mir, während ich mit
ihm red', innerlich das ganze Herz verbrennt vor heißer
Liebesglut, schlimmer, als es Anfang war, wo er noch net
mein "Bruder" war -- ich wußt's wenigstens net, daß er's
war. Und das war net anders, net besser, eher noch schlim-
mer mit jedem Tag. Es ist besser, ich geh ihm ganz aus
den Augen, daß ich ihn gar nimmer seh', vielleicht wird
alsdann mein Herz ruhiger. Und er, er muß es auch tra-
gen, wenn ich's tragen kann, er ist doch ein Mann und net
ein schwaches Weib, wie ich arme Dirn. Ich sag's ihm,
wenn er wieder heraufkommt -- ja, ich sag's! Ganz be-
stimmt, ich sag's! Es ist besser, er weiß es beizeiten, daß
er net gar zu arg erschrickt, wenn es so weit ist, daß es ge-
schieden sein muß. Das Häusle und das Feld werd' ich
schnell los, es spekuliert schon mehr als einer darauf, die
[Spaltenumbruch] die Zeit net erwarten können, bis die Muhme entschlafen
ist, und Vermögen hab' ich alsdann mit meinem eigenen
Ersparten so viel, daß ich bestehen kann und mich net der
ersten besten Herrschaft an den Hals zu werfen brauch'.
Ich muß Frieden haben!"

Aber sie sagte es ihm doch nicht, sooft sie sich's auch
vornahm, sooft er auch kam. Er kam oft nur auf einen
kurzen Augenblick, um guten Tag zu sagen und nach dem
Rechten zu sehen, und verabschiedete sich bald wieder mit
einem Händedruck und einem herzlichen "Leb wohl, Eva,
und behalt mich lieb, bis wir uns wiedersehen!" Dann
hätte sie einmal aufschreien mögen, wenn er von ihr ging,
so ruhig, als ob er von seiner Schwester ginge, die er mor-
gen wiedersieht. Sie wußte ja nicht, wie er an sich hielt
und was in seiner Seele vorging, so wenig er durch ihr
ruhig blickendes Auge einen Blick auf den tiefsten Grund
ihrer Seele zu tun vermochte.

So war denn endlich Weihnachten herangekommen,
und die Berge schimmerten weiß. Florian hatte Eva einige
Tage vor dem Feste ein Tannenbäumchen gebracht. "Bei
uns unten wird kein Baum geputzt," hatte er gesagt; "für
wen denn auch? Bis auf die Rosemarie ist alles in trüber
Stimmung, und Kinder sind net da, die sich daran freuen
könnten. Das Gesinde ist zufrieden, wenn es seine Zuge-
hörigen reichlich bekommt. Aber du sollst ein Bäumchen
haben; Rosen hast ja genug, und Aepfel auch, und Nüsse
und Lichte bring' ich dir noch mit herauf. Vielleicht macht's
der Muhme Freude."

"Ich dank' dir, Flori!" hatte Eva geantwortet; "aber
mit den Lichten und Nüssen laß das sein, denn ich glaub'
kaum, daß die Muhme überhaupt darauf achtet. Sie schläft
ja beinah den ganzen Tag, und wenn sie wach ist, so fragt
sie nach nichts, sondern betet oder schwatzt allerlei wirres
Zeug. Ich will das Bäumchen in den Garten stellen und
Aehren darauf tun, wenn du mir einen Strauß mitbrin-
gen willst, daß die Vögel eine Freud' haben. Und ich selbst
ich freu' mich mit, wenn ich seh', wie lustig die armen hung-
rigen Tierle in den Aehren zausen."

(Fortsetzung folgt).


22. Auguſt 1911. Czernowitzer Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

und es verſteht ſich von ſelbſt, daß der Vergleich zugunſten
der letzteren Macht ausfällt, die alles getan habe, um mit
dem Deutſchen Reiche zu einer Verſtändigung zu gelangen,
allein in Berlin habe es an gutem Willen gefehlt. Darum
raſſelt der „Matin“ am Schluſſe gewaltig mit dem Säbel,
indem er wörtlich ſagt: „Die Lektion, die alle Großmächte
aus dieſer Angelegenheit ziehen können, iſt folgende: Man
muß es ſo viel wie nur möglich vermeiden, mit einer Re-
gierung, wie es die Berliner iſt, in Unterhandlungen einzu-
treten, es iſt vielmehr das Beſte, über eine ſtarke
Armee und Flotte
zu verfügen, um mit dem ent-
ſprechenden Nach drucke auftreten
zu können.“

Das „Echo de Paris“ warnt davor, die ausge-
dienten Soldaten
zu entlaſſen, und fordert den
Kriegsminiſter auf, dieſe weiter bei den Fahnen
zu belaſſen,
wozu er nach dem Geſetz von 1903 berech-
tigt ſei. Denn die Armee würde dadurch um nicht weniger
als 225.000 Mann verringert werden, was eine zu große
Einbuße gegenüber der deutſchen Effektivſtärke bedeuten
würde. Im übrigen wiederholt das Blatt ſeine Drohungen,
wenn auch in etwas veränderter Form,, und beteuert, daß
ſich Frankreich nicht einſchüchtern laſſen werde. Noch nie
hätte die Regierung auf einen ſo allgemeinen patriotiſchen
Enthuſiasmus zählen können wie jetzt, wo England
und Rußland nur auf den Wink Frankreichs
warten, um zuſammen mit Frankreich zu marſchieren.

Deutſchfeindlicher Artikel eines belgiſchen Blattes.

Das vielgeleſene liberale Blatt
„La Chronique“, welches ſchon ſeit Langem ſeinem Deut-
ſchenhaß nicht mehr die notwendige Reſerve der politiſchen
Neutralität Belgiens auferlegt, übertrifft heute alle ſeine
früheren Leiſtungen mit einem Leitartikel, betitelt „1815
und 1915“, worin es der Diktatur Napoleons, unter der
ganz Europa ſeufzte, die Diktatur Deutſchlands und ſeines
Kaiſers gegenüberſtellt, deſſen Handlungen und unauf-
hörliche Bedrohungen den Weltfrieden erſchüttern. Der
Artikel ſchließt mit der Aufforderung, friedlich oder even-
tuell auch kraftvoll die Diktatur Deutſchlands
niederzuſchlagen.




Beilegung des Toskenaufſtandes in
Südalbanien.

KB. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Infolge Vermittlung einflußreicher Derwiſche ſowie gemachter
Zugeſtändniſſe kehrten 1000 Tosken nach Argiro-
kaſtro
und anderen Ortſchaften zurück. Nur einige kleine
Banden
verbleiben in den Bergen.




Royaliſtiſche Tumulte in Nordportugal.

Diario Noticias meldet aus
Guimaraes, daß ſich am letzten Sonntag dort ein ernſter
monarchiſtiſcher Tumult ereignete, hervorgerufen durch
das Abſpielen der neuen republikaniſchen Hymne bei einem
öffentlichen Konzert einer Militärkapelle. Ein Unter-
offizier des 20. Regiments brachte den Ruf aus: „Nieder
mit Paiva Couzeiro!“, worauf er ſofort niedergeſchlagen
wurde, während die Menge tauſendfach den Ruf: „Es lebe
Paiva Couzeiro, es lebe die Monarchie, nieder
die Republik!“
ausſtieß. Die Klänge der Muſik wur-
den durch das Pfeifen der alten Königshymne über-
tönt. Die Glocken läuteten Sturm. Die Polizei war macht-
los, ſie mußte Militär zur notdürftigen Wiederherſtel-
lung der Ordnung requirieren. Unzählige Verhaftungen
wurden vorgenommen. In Oporto ſind alle Truppen
alarmbereit. Es ſcheint, daß die Präſidentenwahl
[Spaltenumbruch] Anfang nächſter Woche ſtattfindet, und daß die Kandidatur
von Anſelmo Braancamp die meiſten Ausſichten hat.
Braancamp gilt als gemäßigt konſervativ, was den radi-
kalen Elementen, die bisher die Oberhand hatten, ein
Dorn im Auge iſt.




Kurze Nachrichten

Gerüchtweiſe verlautet, daß der
bulgariſche Thronfolger Kronprinz Boris ſich mit der
älteſten Tochter des rumäniſchen Thronfolgers, der Prin-
zeſſin Eliſabeth von Rumänien, verloben ſoll. Kronprinz
Boris ſteht im 18. Lebensjahre, die Prinzeſſin iſt um acht
Monate jünger als er.

Die Regierung hat das oppo-
ſitionelle Blatt „A Nap“ ſtreng gemaßregelt. Das Blatt
wurde vorgeſtern wegen des Leitartikels „Blutige Erin-
nerungen“, in welchem der Kaiſer angegriffen wurde, kon-
fisziert. Der Bürgermeiſter hat nun dem Blatte auch das
Kolportagerecht entzogen, da er der Verbreitung eines den
Kaiſer beleidigenden Blattes nicht Vorſchub leiſten könne.
Wie verlautet, ſoll dem Blatte auch die Begünſtigung der
Bahn- und Poſtbeförderung entzogen worden ſein. Der
Fall dürfte ſchon in der nächſten Sitzung des Abgeordneten-
hauſes von der Oppoſition zur Sprache gebracht werden.




[Der 10. Zioniſtenkongreß.]

Dem ſitzungs-
freien Samstag folgt ein Arbeitstag erſter Güte. Die Er-
öffnungsworte Nordaus bilden einen Nachruf für Joſef
Iſraels, den er als jüdiſches Künſtlertemperament feiert.
Nach Erledigung diverſer Formalitäten gelang unter Um-
ſtellung der Tagesordnung der Referent Dr. Katzenelſohn
über die Emigrationsfrage zu Worte. Ausgehend von den
unzureichenden Vorarbeiten konſtatiert er die Unzuläng-
lichkeit aller der ſyſtemloſen Verſuche einer Emigration
nach den verſchiedenen Ländern und Weltteilen und be-
zeichnet als einzige Möglichkeit zu dauernder Löſung dieſer
brennendſten aller jüdiſchen Fragen die geregelte Ein-
wanderung nach Paläſtina. Es wurde folgende Reſolu-
tion
einſtimmig angenommen: „Der 10. Zioniſtenkon-
greß konſtatiert, daß die bisherigen Verſuche zur Regelung
der jüdiſchen Auswanderung bei weitem ungenügend und
nicht einheitlich waren. Die Organiſationen, die ſich mit die-
ſem Werke befaſſen, müſſen eine großzügige Arbeit, die
dem Ernſt und der Wichtigkeit der Aufgabe entſpricht, in
die Wege leiten. Der Kongreß fordert beſonders von den
Zioniſten und den zioniſtiſchen Organen eine ernſte Mit-
wirkung bei den Emigrationsfragen, insbeſondere ſoweit
ſie die Förderung der Emigration nach dem nahen Orient,
vorzüglich nach Paläſtina und Syrien, betreffen.“ Die
Nachmittagsſitzung iſt ausſchließlich dem Referate und der
Debatte über die geiſtig-kulturelle Renaiſſance gewidmet.
Referent Nahum Sokolow ſpricht hebräiſch; Vorſitzender
und Debattenredner bedienen ſich gleichfalls ausnahms-
los der hebräiſchen Sprache. Sämtliche Redner propagieren
es als Pflicht der Organiſation der Ausbreitung der he-
bräiſchen Sprache und Literatur die Wege zu ebnen. —
Am 5. Kongreßtage hält Frl. Prof. Schach ein Referat
über „Frauenarbeit im Zionismus“. Die Referentin weiſt
auf den in Haag begründeten Frauenverband für jüdiſche
Kulturarbeit in Paläſtina hin, und bezeichnet als die
nächſte Aufgabe den Zuſammenſchluß aller zioniſtiſchen
Frauen und die Errichtung einer Zentralſtelle für zioni-
ſtiſche Frauenarbeit. Das Referat findet allgemeinen Bei-
fall. Der Antrag wird faſt einſtimmig angenommen. Dr.
Emil Margulies, Referent der Organiſationskommiſſion,
erſtattet einen Bericht über das neue Organiſa-
tionsſtatut,
welches dem Kongreß vorlag. Das lei-
tende Organ der Bewegung ſoll ein Kollegium von 5 oder
[Spaltenumbruch] 7 Mitgliedern bilden, deren Mehrzahl an demſelben Orte
wohnen ſoll. Dieſes Organ ſoll einem Aktionskomitee von
25 Mitgliedern verantwortlich ſein, dieſe Mitglieder ſollen
die Möglichkeit haben, öfters zwecks Beratung zuſammen
zu kommen, und ein Zentralkomitee aus Vertretern aller
Landesorganiſationen beſtehend, ſoll einmal im Jahre zu-
ſammentreten. Nach längerer Debatte nimmt der Kongreß
das neue Statut mit einigen Modifikationen en bloc an.
Gegen dreiviertel 10 Uhr abends erklärt der Vorſitzende
Dr. Marmorek, Paris, die Arbeitsſitzung für geſchloſſen.
Sämtliche Vorlagen ſind reſtlos erledigt, das Budget für
die neue Leitung bewilligt und die Wahlen für Kongreß-
gericht, Ehrengericht und Nationalbibliothek vorgenom-
men. So erübrigt nur noch die Wahl der Leitung,
die altem Brauche gemäß einer eigenen Feſtſitzung vorbe-
halten bleibt. Wenige Minuten nach 10 Uhr eröffnet Dr.
Bodenheimer, Köln, dieſe Sitzung. Unter lautloſer
Stille erhält Prof. Weizmann, Mancheſter, das Wort.
Den Beſchlüſſen des Permanenzausſchuſſes gemäß bean-
tragt er vorerſt die Wahl des Aktionskomitees, das nun-
mehr aus 25 Mitgliedern beſtehen ſoll; dann erſtattet er
den Vorſchlag für die neue Leitung. Da Präſident Wolf-
ſohn
und Jakobus Kann auf ihrem Beſchluſſe be-
harren, in die engere Parteileitung nicht einzutreten, wird
ein 5-gliedriges Kollegium an die Spitze der Organiſation
treten. Prof. Warburg, Rechtsanwalt Hantke, Dr.
Schemarjahn Lewin, Nahum Sokolow und Doktor
Jakobſohn, Konſtantinopel, ſind die Männer, die für
die nächſte Periode die Verantwortung tragen ſollen. Pro-
feſſor Warburg erklärt ſich namens der neuen Leitung be-
reit, die ſchwere Aufgabe zu übernehmen. Seine program-
matiſchen Erklärungen enden mit Worten des Dankes an
den bisherigen Präſidenten David Wolfſohn, die in ihrer
ſchlichten Treue allgemeine Rührung erwecken. Nach ihm
ſpricht Dr. Tſchlenow, Moskau, zum Schluſſe der einſtige
Oppoſitionelle Ing. Uſſiſchkin, der mit Wolfſohn den
Bruderkuß tauſcht. Die letzten Worte des Vorſitzenden gehen
in minutenlangem Jubel unter. Mit dem „Liede der Hoff-
nung“ ſchließt die Tagung.




Bunte Chronik.


Die Cholera.
Neue Krankheitsfälle in Oeſterreich-Ungarn.

In Pola, Fiume und Mar-
burg
ereignete ſich je ein Fall von Cholera.

Cholerapanik in einem Eiſenbahnzuge.

In dem Perſonenzuge der Süd-
bahn, der um halb 2 Uhr nachmittags in Wien eintrifft,
gab es geſtern in Payerbach eine förmliche Cholera-
panik.
In einem Wagen dritter Klaſſe ſaßen mit an-
deren Paſſagieren zwei Ehepaare aus Trieſt. Vor Mürz-
zuſchlag erkrankte eine der Frauen an heftigen Erbre-
chen
und Durchfall. Da man Choleraverdacht hegte,
wurde der Wagen in Mürzzuſchlag abgeſperrt und ſämt-
lichen darin befindlichen Paſſagieren aufgetragen, behufs
Iſolierung und Beobachtung die Reiſe bis Wien mitzu-
machen, was unter den Paſſagieren große Aufregung her-
vorief. Auf unaufgeklärte Weiſe kamen in Payerbach noch
vier Perſonen in dieſen Wagen. Als ſie von den getroffe-
nen Maßregeln hörten, wurden ſie ſehr erregt. Zwei
Männer ſpranegn hinter der Station durch das Kou-
peefenſter aus dem fahrenden Zuge
und




[Spaltenumbruch]
Die Goldmühle

66] (Nachdruck verboten.)

Sie ſtanden noch eine Weile in ſtiller Andacht am
Hügel. Ehe ſie ſich zum Gehen wandten, zog er ein kleines
Etui aus der Taſche. „Schau her, Roſemarie, was ich dir
mitgebracht hab’!“ ſagte er und öffnete das Etui. Ein
leiſer Freudenruf kam über ihre Lippen. „Da nimm ihn,
Herzliebſte! Komm, ich will ihn dir an den Finger ſtecken
— ſo! Und komm, den andern ſollſt du mir anſtecken!“
Zitternd vor Freude nahm ſie den goldenen Reifen aus
ſeiner Hand und ſchob ihn an den dargebotenen Finger.
„Hier an Hanſis Grabe ſoll der Bund geſchloſſen ſein,“
ſagte er leiſe, „und ſo wahr wir ihn beide liebgehabt haben,
wollen auch wir uns ewig lieben!“

„Amen!“ hauchte ſie leiſe, und eine klare Träne fiel
auf ſeine Hand.

Schweigend verließen ſie den Friedhof. Im Walde
nahm er ſie in ſeine Arme, und ſie ruhte lange an ſeinem
Herzen. „Ach, wie ſüß träumt ſich’s an deinem Herzen!“
flüſterte ſie und ſah glückſtrahlend zu ihm empor.

„Träume nur,“ ſagte er zärtlich, „und Gott gebe, daß
all deine Träumen holde Wirklichkeit wird!“

„Ach, Schatz,“ ſagte ſie endlich, ſich aus ſeiner Um-
armung löſend, „verzeih mir, daß ich in meinem Glück gar
net daran gedacht hab’ — der Wind geht ſo eiſig und du
biſt warm geworden auf dem Wege! Wenn du dir nur net
einen Schaden zugefügt haſt an deiner Geſundheit! Komm,
laß uns nun lieber heimgehen!“

„Wo mir’s im Herzen ſo warm iſt, Schatz? Aber du
haſt recht, laß uns gehen! Wir müſſen doch nun vor allem
die Eltern bitten, daß ſie uns ihr ſegnendes Jawort nicht
vorenthalten.“

Sie ſchritten Hand in Hand den einſamen Talweg
hinauf, bis die Mühle vor ihren Blicken auftauchte.

Es war eine ſtille Verlobung, die dort gefeiert wurde.
[Spaltenumbruch] Aber ein Hauch des Friedens ging an dieſem Abend durch
das ſtille Haus, das ſchon ſoviel Unfrieden und Herzeleid
geſehen.

Vierzehntes Kapitel.

Die Auflöſung der Muhme ſchien nahe bevorzuſtehen.
Eva konnte kaum noch von ihrem Bette weichen. Als hät-
ten ſie Blei an den Füßen, ſo träge ſchlichen die Stunden
dahin, und hätte ihr nicht Florian ab und zu ein Buch
aus der Güldenthaler Schulbibliothek mit auf den Berg
gebracht, die Einſamkeit wär oft unerträglich geweſen —
ein Tag wie der andere.

Sie machte ſich in dieſen Tagen beſonders ernſte Ge-
danken darüber, wie es nun mit ihr werden würde, wenn
erſt die Muhme nicht mehr wäre. Daß deren Tage gezählt
waren und jeder Tag die Entſcheidung bringen konnte,
ſah ſie ja deutlich vor Augen. Dann war ſie ganz einſam
und verlaſſen, aber ſie war auch ganz frei. „In die Fremde
geh ich und ſuch’ mir mein Brot bei fremden Leuten!“
ſagte ſie ſich, „und nie und nimmer kehr’ ich wieder, und
wenn mir die Sehnſucht das Herz verzehrt. Ich hann die
Sünd’ net länger tragen auf meinem Gewiſſen, daß ich den
Flori ſo heiß liebe, net wie meinen Bruder, wie ich mich
anſtellen muß, nein, ganz, ganz anders. Ich kann net ne-
ben ihm ſtehen und mit ihm plaudern, wie eine Schweſter,
wenn ſie mit ihrem Bruder redt, wo mir, während ich mit
ihm red’, innerlich das ganze Herz verbrennt vor heißer
Liebesglut, ſchlimmer, als es Anfang war, wo er noch net
mein „Bruder“ war — ich wußt’s wenigſtens net, daß er’s
war. Und das war net anders, net beſſer, eher noch ſchlim-
mer mit jedem Tag. Es iſt beſſer, ich geh ihm ganz aus
den Augen, daß ich ihn gar nimmer ſeh’, vielleicht wird
alsdann mein Herz ruhiger. Und er, er muß es auch tra-
gen, wenn ich’s tragen kann, er iſt doch ein Mann und net
ein ſchwaches Weib, wie ich arme Dirn. Ich ſag’s ihm,
wenn er wieder heraufkommt — ja, ich ſag’s! Ganz be-
ſtimmt, ich ſag’s! Es iſt beſſer, er weiß es beizeiten, daß
er net gar zu arg erſchrickt, wenn es ſo weit iſt, daß es ge-
ſchieden ſein muß. Das Häusle und das Feld werd’ ich
ſchnell los, es ſpekuliert ſchon mehr als einer darauf, die
[Spaltenumbruch] die Zeit net erwarten können, bis die Muhme entſchlafen
iſt, und Vermögen hab’ ich alsdann mit meinem eigenen
Erſparten ſo viel, daß ich beſtehen kann und mich net der
erſten beſten Herrſchaft an den Hals zu werfen brauch’.
Ich muß Frieden haben!“

Aber ſie ſagte es ihm doch nicht, ſooft ſie ſich’s auch
vornahm, ſooft er auch kam. Er kam oft nur auf einen
kurzen Augenblick, um guten Tag zu ſagen und nach dem
Rechten zu ſehen, und verabſchiedete ſich bald wieder mit
einem Händedruck und einem herzlichen „Leb wohl, Eva,
und behalt mich lieb, bis wir uns wiederſehen!“ Dann
hätte ſie einmal aufſchreien mögen, wenn er von ihr ging,
ſo ruhig, als ob er von ſeiner Schweſter ginge, die er mor-
gen wiederſieht. Sie wußte ja nicht, wie er an ſich hielt
und was in ſeiner Seele vorging, ſo wenig er durch ihr
ruhig blickendes Auge einen Blick auf den tiefſten Grund
ihrer Seele zu tun vermochte.

So war denn endlich Weihnachten herangekommen,
und die Berge ſchimmerten weiß. Florian hatte Eva einige
Tage vor dem Feſte ein Tannenbäumchen gebracht. „Bei
uns unten wird kein Baum geputzt,“ hatte er geſagt; „für
wen denn auch? Bis auf die Roſemarie iſt alles in trüber
Stimmung, und Kinder ſind net da, die ſich daran freuen
könnten. Das Geſinde iſt zufrieden, wenn es ſeine Zuge-
hörigen reichlich bekommt. Aber du ſollſt ein Bäumchen
haben; Roſen haſt ja genug, und Aepfel auch, und Nüſſe
und Lichte bring’ ich dir noch mit herauf. Vielleicht macht’s
der Muhme Freude.“

„Ich dank’ dir, Flori!“ hatte Eva geantwortet; „aber
mit den Lichten und Nüſſen laß das ſein, denn ich glaub’
kaum, daß die Muhme überhaupt darauf achtet. Sie ſchläft
ja beinah den ganzen Tag, und wenn ſie wach iſt, ſo fragt
ſie nach nichts, ſondern betet oder ſchwatzt allerlei wirres
Zeug. Ich will das Bäumchen in den Garten ſtellen und
Aehren darauf tun, wenn du mir einen Strauß mitbrin-
gen willſt, daß die Vögel eine Freud’ haben. Und ich ſelbſt
ich freu’ mich mit, wenn ich ſeh’, wie luſtig die armen hung-
rigen Tierle in den Aehren zauſen.“

(Fortſetzung folgt).


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[3/0003] 22. Auguſt 1911. Czernowitzer Allgemeine Zeitung und es verſteht ſich von ſelbſt, daß der Vergleich zugunſten der letzteren Macht ausfällt, die alles getan habe, um mit dem Deutſchen Reiche zu einer Verſtändigung zu gelangen, allein in Berlin habe es an gutem Willen gefehlt. Darum raſſelt der „Matin“ am Schluſſe gewaltig mit dem Säbel, indem er wörtlich ſagt: „Die Lektion, die alle Großmächte aus dieſer Angelegenheit ziehen können, iſt folgende: Man muß es ſo viel wie nur möglich vermeiden, mit einer Re- gierung, wie es die Berliner iſt, in Unterhandlungen einzu- treten, es iſt vielmehr das Beſte, über eine ſtarke Armee und Flotte zu verfügen, um mit dem ent- ſprechenden Nach drucke auftreten zu können.“ Das „Echo de Paris“ warnt davor, die ausge- dienten Soldaten zu entlaſſen, und fordert den Kriegsminiſter auf, dieſe weiter bei den Fahnen zu belaſſen, wozu er nach dem Geſetz von 1903 berech- tigt ſei. Denn die Armee würde dadurch um nicht weniger als 225.000 Mann verringert werden, was eine zu große Einbuße gegenüber der deutſchen Effektivſtärke bedeuten würde. Im übrigen wiederholt das Blatt ſeine Drohungen, wenn auch in etwas veränderter Form,, und beteuert, daß ſich Frankreich nicht einſchüchtern laſſen werde. Noch nie hätte die Regierung auf einen ſo allgemeinen patriotiſchen Enthuſiasmus zählen können wie jetzt, wo England und Rußland nur auf den Wink Frankreichs warten, um zuſammen mit Frankreich zu marſchieren. Deutſchfeindlicher Artikel eines belgiſchen Blattes. Brüſſel, 19. Auguſt. Das vielgeleſene liberale Blatt „La Chronique“, welches ſchon ſeit Langem ſeinem Deut- ſchenhaß nicht mehr die notwendige Reſerve der politiſchen Neutralität Belgiens auferlegt, übertrifft heute alle ſeine früheren Leiſtungen mit einem Leitartikel, betitelt „1815 und 1915“, worin es der Diktatur Napoleons, unter der ganz Europa ſeufzte, die Diktatur Deutſchlands und ſeines Kaiſers gegenüberſtellt, deſſen Handlungen und unauf- hörliche Bedrohungen den Weltfrieden erſchüttern. Der Artikel ſchließt mit der Aufforderung, friedlich oder even- tuell auch kraftvoll die Diktatur Deutſchlands niederzuſchlagen. Beilegung des Toskenaufſtandes in Südalbanien. KB. Saloniki, 21. Auguſt. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Infolge Vermittlung einflußreicher Derwiſche ſowie gemachter Zugeſtändniſſe kehrten 1000 Tosken nach Argiro- kaſtro und anderen Ortſchaften zurück. Nur einige kleine Banden verbleiben in den Bergen. Royaliſtiſche Tumulte in Nordportugal. Liſſabon, 20. Auguſt. Diario Noticias meldet aus Guimaraes, daß ſich am letzten Sonntag dort ein ernſter monarchiſtiſcher Tumult ereignete, hervorgerufen durch das Abſpielen der neuen republikaniſchen Hymne bei einem öffentlichen Konzert einer Militärkapelle. Ein Unter- offizier des 20. Regiments brachte den Ruf aus: „Nieder mit Paiva Couzeiro!“, worauf er ſofort niedergeſchlagen wurde, während die Menge tauſendfach den Ruf: „Es lebe Paiva Couzeiro, es lebe die Monarchie, nieder die Republik!“ ausſtieß. Die Klänge der Muſik wur- den durch das Pfeifen der alten Königshymne über- tönt. Die Glocken läuteten Sturm. Die Polizei war macht- los, ſie mußte Militär zur notdürftigen Wiederherſtel- lung der Ordnung requirieren. Unzählige Verhaftungen wurden vorgenommen. In Oporto ſind alle Truppen alarmbereit. Es ſcheint, daß die Präſidentenwahl Anfang nächſter Woche ſtattfindet, und daß die Kandidatur von Anſelmo Braancamp die meiſten Ausſichten hat. Braancamp gilt als gemäßigt konſervativ, was den radi- kalen Elementen, die bisher die Oberhand hatten, ein Dorn im Auge iſt. Kurze Nachrichten Sofia, 19. Auguſt. Gerüchtweiſe verlautet, daß der bulgariſche Thronfolger Kronprinz Boris ſich mit der älteſten Tochter des rumäniſchen Thronfolgers, der Prin- zeſſin Eliſabeth von Rumänien, verloben ſoll. Kronprinz Boris ſteht im 18. Lebensjahre, die Prinzeſſin iſt um acht Monate jünger als er. Budapeſt, 20. Auguſt. Die Regierung hat das oppo- ſitionelle Blatt „A Nap“ ſtreng gemaßregelt. Das Blatt wurde vorgeſtern wegen des Leitartikels „Blutige Erin- nerungen“, in welchem der Kaiſer angegriffen wurde, kon- fisziert. Der Bürgermeiſter hat nun dem Blatte auch das Kolportagerecht entzogen, da er der Verbreitung eines den Kaiſer beleidigenden Blattes nicht Vorſchub leiſten könne. Wie verlautet, ſoll dem Blatte auch die Begünſtigung der Bahn- und Poſtbeförderung entzogen worden ſein. Der Fall dürfte ſchon in der nächſten Sitzung des Abgeordneten- hauſes von der Oppoſition zur Sprache gebracht werden. [Der 10. Zioniſtenkongreß.] Dem ſitzungs- freien Samstag folgt ein Arbeitstag erſter Güte. Die Er- öffnungsworte Nordaus bilden einen Nachruf für Joſef Iſraels, den er als jüdiſches Künſtlertemperament feiert. Nach Erledigung diverſer Formalitäten gelang unter Um- ſtellung der Tagesordnung der Referent Dr. Katzenelſohn über die Emigrationsfrage zu Worte. Ausgehend von den unzureichenden Vorarbeiten konſtatiert er die Unzuläng- lichkeit aller der ſyſtemloſen Verſuche einer Emigration nach den verſchiedenen Ländern und Weltteilen und be- zeichnet als einzige Möglichkeit zu dauernder Löſung dieſer brennendſten aller jüdiſchen Fragen die geregelte Ein- wanderung nach Paläſtina. Es wurde folgende Reſolu- tion einſtimmig angenommen: „Der 10. Zioniſtenkon- greß konſtatiert, daß die bisherigen Verſuche zur Regelung der jüdiſchen Auswanderung bei weitem ungenügend und nicht einheitlich waren. Die Organiſationen, die ſich mit die- ſem Werke befaſſen, müſſen eine großzügige Arbeit, die dem Ernſt und der Wichtigkeit der Aufgabe entſpricht, in die Wege leiten. Der Kongreß fordert beſonders von den Zioniſten und den zioniſtiſchen Organen eine ernſte Mit- wirkung bei den Emigrationsfragen, insbeſondere ſoweit ſie die Förderung der Emigration nach dem nahen Orient, vorzüglich nach Paläſtina und Syrien, betreffen.“ Die Nachmittagsſitzung iſt ausſchließlich dem Referate und der Debatte über die geiſtig-kulturelle Renaiſſance gewidmet. Referent Nahum Sokolow ſpricht hebräiſch; Vorſitzender und Debattenredner bedienen ſich gleichfalls ausnahms- los der hebräiſchen Sprache. Sämtliche Redner propagieren es als Pflicht der Organiſation der Ausbreitung der he- bräiſchen Sprache und Literatur die Wege zu ebnen. — Am 5. Kongreßtage hält Frl. Prof. Schach ein Referat über „Frauenarbeit im Zionismus“. Die Referentin weiſt auf den in Haag begründeten Frauenverband für jüdiſche Kulturarbeit in Paläſtina hin, und bezeichnet als die nächſte Aufgabe den Zuſammenſchluß aller zioniſtiſchen Frauen und die Errichtung einer Zentralſtelle für zioni- ſtiſche Frauenarbeit. Das Referat findet allgemeinen Bei- fall. Der Antrag wird faſt einſtimmig angenommen. Dr. Emil Margulies, Referent der Organiſationskommiſſion, erſtattet einen Bericht über das neue Organiſa- tionsſtatut, welches dem Kongreß vorlag. Das lei- tende Organ der Bewegung ſoll ein Kollegium von 5 oder 7 Mitgliedern bilden, deren Mehrzahl an demſelben Orte wohnen ſoll. Dieſes Organ ſoll einem Aktionskomitee von 25 Mitgliedern verantwortlich ſein, dieſe Mitglieder ſollen die Möglichkeit haben, öfters zwecks Beratung zuſammen zu kommen, und ein Zentralkomitee aus Vertretern aller Landesorganiſationen beſtehend, ſoll einmal im Jahre zu- ſammentreten. Nach längerer Debatte nimmt der Kongreß das neue Statut mit einigen Modifikationen en bloc an. Gegen dreiviertel 10 Uhr abends erklärt der Vorſitzende Dr. Marmorek, Paris, die Arbeitsſitzung für geſchloſſen. Sämtliche Vorlagen ſind reſtlos erledigt, das Budget für die neue Leitung bewilligt und die Wahlen für Kongreß- gericht, Ehrengericht und Nationalbibliothek vorgenom- men. So erübrigt nur noch die Wahl der Leitung, die altem Brauche gemäß einer eigenen Feſtſitzung vorbe- halten bleibt. Wenige Minuten nach 10 Uhr eröffnet Dr. Bodenheimer, Köln, dieſe Sitzung. Unter lautloſer Stille erhält Prof. Weizmann, Mancheſter, das Wort. Den Beſchlüſſen des Permanenzausſchuſſes gemäß bean- tragt er vorerſt die Wahl des Aktionskomitees, das nun- mehr aus 25 Mitgliedern beſtehen ſoll; dann erſtattet er den Vorſchlag für die neue Leitung. Da Präſident Wolf- ſohn und Jakobus Kann auf ihrem Beſchluſſe be- harren, in die engere Parteileitung nicht einzutreten, wird ein 5-gliedriges Kollegium an die Spitze der Organiſation treten. Prof. Warburg, Rechtsanwalt Hantke, Dr. Schemarjahn Lewin, Nahum Sokolow und Doktor Jakobſohn, Konſtantinopel, ſind die Männer, die für die nächſte Periode die Verantwortung tragen ſollen. Pro- feſſor Warburg erklärt ſich namens der neuen Leitung be- reit, die ſchwere Aufgabe zu übernehmen. Seine program- matiſchen Erklärungen enden mit Worten des Dankes an den bisherigen Präſidenten David Wolfſohn, die in ihrer ſchlichten Treue allgemeine Rührung erwecken. Nach ihm ſpricht Dr. Tſchlenow, Moskau, zum Schluſſe der einſtige Oppoſitionelle Ing. Uſſiſchkin, der mit Wolfſohn den Bruderkuß tauſcht. Die letzten Worte des Vorſitzenden gehen in minutenlangem Jubel unter. Mit dem „Liede der Hoff- nung“ ſchließt die Tagung. Bunte Chronik. Czernowitz, 21. Auguſt. Die Cholera. Neue Krankheitsfälle in Oeſterreich-Ungarn. Wien, 20. Auguſt. In Pola, Fiume und Mar- burg ereignete ſich je ein Fall von Cholera. Cholerapanik in einem Eiſenbahnzuge. Wien, 20. Auguſt. In dem Perſonenzuge der Süd- bahn, der um halb 2 Uhr nachmittags in Wien eintrifft, gab es geſtern in Payerbach eine förmliche Cholera- panik. In einem Wagen dritter Klaſſe ſaßen mit an- deren Paſſagieren zwei Ehepaare aus Trieſt. Vor Mürz- zuſchlag erkrankte eine der Frauen an heftigen Erbre- chen und Durchfall. Da man Choleraverdacht hegte, wurde der Wagen in Mürzzuſchlag abgeſperrt und ſämt- lichen darin befindlichen Paſſagieren aufgetragen, behufs Iſolierung und Beobachtung die Reiſe bis Wien mitzu- machen, was unter den Paſſagieren große Aufregung her- vorief. Auf unaufgeklärte Weiſe kamen in Payerbach noch vier Perſonen in dieſen Wagen. Als ſie von den getroffe- nen Maßregeln hörten, wurden ſie ſehr erregt. Zwei Männer ſpranegn hinter der Station durch das Kou- peefenſter aus dem fahrenden Zuge und Die Goldmühle Roman von Margarete Gehring. 66] (Nachdruck verboten.) Sie ſtanden noch eine Weile in ſtiller Andacht am Hügel. Ehe ſie ſich zum Gehen wandten, zog er ein kleines Etui aus der Taſche. „Schau her, Roſemarie, was ich dir mitgebracht hab’!“ ſagte er und öffnete das Etui. Ein leiſer Freudenruf kam über ihre Lippen. „Da nimm ihn, Herzliebſte! Komm, ich will ihn dir an den Finger ſtecken — ſo! Und komm, den andern ſollſt du mir anſtecken!“ Zitternd vor Freude nahm ſie den goldenen Reifen aus ſeiner Hand und ſchob ihn an den dargebotenen Finger. „Hier an Hanſis Grabe ſoll der Bund geſchloſſen ſein,“ ſagte er leiſe, „und ſo wahr wir ihn beide liebgehabt haben, wollen auch wir uns ewig lieben!“ „Amen!“ hauchte ſie leiſe, und eine klare Träne fiel auf ſeine Hand. Schweigend verließen ſie den Friedhof. Im Walde nahm er ſie in ſeine Arme, und ſie ruhte lange an ſeinem Herzen. „Ach, wie ſüß träumt ſich’s an deinem Herzen!“ flüſterte ſie und ſah glückſtrahlend zu ihm empor. „Träume nur,“ ſagte er zärtlich, „und Gott gebe, daß all deine Träumen holde Wirklichkeit wird!“ „Ach, Schatz,“ ſagte ſie endlich, ſich aus ſeiner Um- armung löſend, „verzeih mir, daß ich in meinem Glück gar net daran gedacht hab’ — der Wind geht ſo eiſig und du biſt warm geworden auf dem Wege! Wenn du dir nur net einen Schaden zugefügt haſt an deiner Geſundheit! Komm, laß uns nun lieber heimgehen!“ „Wo mir’s im Herzen ſo warm iſt, Schatz? Aber du haſt recht, laß uns gehen! Wir müſſen doch nun vor allem die Eltern bitten, daß ſie uns ihr ſegnendes Jawort nicht vorenthalten.“ Sie ſchritten Hand in Hand den einſamen Talweg hinauf, bis die Mühle vor ihren Blicken auftauchte. Es war eine ſtille Verlobung, die dort gefeiert wurde. Aber ein Hauch des Friedens ging an dieſem Abend durch das ſtille Haus, das ſchon ſoviel Unfrieden und Herzeleid geſehen. Vierzehntes Kapitel. Die Auflöſung der Muhme ſchien nahe bevorzuſtehen. Eva konnte kaum noch von ihrem Bette weichen. Als hät- ten ſie Blei an den Füßen, ſo träge ſchlichen die Stunden dahin, und hätte ihr nicht Florian ab und zu ein Buch aus der Güldenthaler Schulbibliothek mit auf den Berg gebracht, die Einſamkeit wär oft unerträglich geweſen — ein Tag wie der andere. Sie machte ſich in dieſen Tagen beſonders ernſte Ge- danken darüber, wie es nun mit ihr werden würde, wenn erſt die Muhme nicht mehr wäre. Daß deren Tage gezählt waren und jeder Tag die Entſcheidung bringen konnte, ſah ſie ja deutlich vor Augen. Dann war ſie ganz einſam und verlaſſen, aber ſie war auch ganz frei. „In die Fremde geh ich und ſuch’ mir mein Brot bei fremden Leuten!“ ſagte ſie ſich, „und nie und nimmer kehr’ ich wieder, und wenn mir die Sehnſucht das Herz verzehrt. Ich hann die Sünd’ net länger tragen auf meinem Gewiſſen, daß ich den Flori ſo heiß liebe, net wie meinen Bruder, wie ich mich anſtellen muß, nein, ganz, ganz anders. Ich kann net ne- ben ihm ſtehen und mit ihm plaudern, wie eine Schweſter, wenn ſie mit ihrem Bruder redt, wo mir, während ich mit ihm red’, innerlich das ganze Herz verbrennt vor heißer Liebesglut, ſchlimmer, als es Anfang war, wo er noch net mein „Bruder“ war — ich wußt’s wenigſtens net, daß er’s war. Und das war net anders, net beſſer, eher noch ſchlim- mer mit jedem Tag. Es iſt beſſer, ich geh ihm ganz aus den Augen, daß ich ihn gar nimmer ſeh’, vielleicht wird alsdann mein Herz ruhiger. Und er, er muß es auch tra- gen, wenn ich’s tragen kann, er iſt doch ein Mann und net ein ſchwaches Weib, wie ich arme Dirn. Ich ſag’s ihm, wenn er wieder heraufkommt — ja, ich ſag’s! Ganz be- ſtimmt, ich ſag’s! Es iſt beſſer, er weiß es beizeiten, daß er net gar zu arg erſchrickt, wenn es ſo weit iſt, daß es ge- ſchieden ſein muß. Das Häusle und das Feld werd’ ich ſchnell los, es ſpekuliert ſchon mehr als einer darauf, die die Zeit net erwarten können, bis die Muhme entſchlafen iſt, und Vermögen hab’ ich alsdann mit meinem eigenen Erſparten ſo viel, daß ich beſtehen kann und mich net der erſten beſten Herrſchaft an den Hals zu werfen brauch’. Ich muß Frieden haben!“ Aber ſie ſagte es ihm doch nicht, ſooft ſie ſich’s auch vornahm, ſooft er auch kam. Er kam oft nur auf einen kurzen Augenblick, um guten Tag zu ſagen und nach dem Rechten zu ſehen, und verabſchiedete ſich bald wieder mit einem Händedruck und einem herzlichen „Leb wohl, Eva, und behalt mich lieb, bis wir uns wiederſehen!“ Dann hätte ſie einmal aufſchreien mögen, wenn er von ihr ging, ſo ruhig, als ob er von ſeiner Schweſter ginge, die er mor- gen wiederſieht. Sie wußte ja nicht, wie er an ſich hielt und was in ſeiner Seele vorging, ſo wenig er durch ihr ruhig blickendes Auge einen Blick auf den tiefſten Grund ihrer Seele zu tun vermochte. So war denn endlich Weihnachten herangekommen, und die Berge ſchimmerten weiß. Florian hatte Eva einige Tage vor dem Feſte ein Tannenbäumchen gebracht. „Bei uns unten wird kein Baum geputzt,“ hatte er geſagt; „für wen denn auch? Bis auf die Roſemarie iſt alles in trüber Stimmung, und Kinder ſind net da, die ſich daran freuen könnten. Das Geſinde iſt zufrieden, wenn es ſeine Zuge- hörigen reichlich bekommt. Aber du ſollſt ein Bäumchen haben; Roſen haſt ja genug, und Aepfel auch, und Nüſſe und Lichte bring’ ich dir noch mit herauf. Vielleicht macht’s der Muhme Freude.“ „Ich dank’ dir, Flori!“ hatte Eva geantwortet; „aber mit den Lichten und Nüſſen laß das ſein, denn ich glaub’ kaum, daß die Muhme überhaupt darauf achtet. Sie ſchläft ja beinah den ganzen Tag, und wenn ſie wach iſt, ſo fragt ſie nach nichts, ſondern betet oder ſchwatzt allerlei wirres Zeug. Ich will das Bäumchen in den Garten ſtellen und Aehren darauf tun, wenn du mir einen Strauß mitbrin- gen willſt, daß die Vögel eine Freud’ haben. Und ich ſelbſt ich freu’ mich mit, wenn ich ſeh’, wie luſtig die armen hung- rigen Tierle in den Aehren zauſen.“ (Fortſetzung folgt).

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2277, Czernowitz, 22.08.1911, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer2277_1911/3>, abgerufen am 21.11.2024.