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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 572, Czernowitz, 28.11.1905.

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Redaktion u. Administration:
Rathausstraße 16.




Telephon-Nummer 161.




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Für Czernowitz
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monatl. K 1.60, vierteljähr. K 4.80,
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Für Deutschland:
vierteljähr ..... 7 Mark.

Für Rumänien und den Balkan:
vierteljährig .... 9 Franks.




Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


[Spaltenumbruch]
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Ankündigungen:
Es kostet im gewöhnlichen Inse-
ratenteil 12 h die 6mal gespaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einschaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inserate
nehmen alle in- und ausländischen
Inseratenbureaux sowie die Ad-
ministration entgegen. -- Einzel-
exemplare sind in allen Zeitungs-
verschleißen, Trasiken, der k. k. Uni-
versitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Administration (Tem-
pelgasse 8) erhältlich. In Wien
im Zeitungsburean Goldschmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
8 Heller für Czernowitz.






Nr. 572 Czernowitz, Dienstag, den 28. November 1905.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Die Vorgänge in Rußland.

Die Kronstädter Ereignisse haben in der Schwarzen
Meer-Flotte Widerhall gefunden.

Vom Tage.

In dem Zeysigprozesse wurden alle Angeklagten freigesprochen.

Letzte Telegramme.

Die Pforte hat die Forderungen der Mächte akzeptiert. --
In Budapest kam es heute zu großen Studentenunruhen. -- In
Moskau ist die Revolution neuerlich mit voller Macht ausge-
brochen. -- In allen Städten Rußlands wird der Ausbruch
von Militärrevolten befürchtet.




Die Flottendemonstration
gegen die Türkei.


Man stellt der internationalen Diplomatie kein günstiges
Zeugnis aus, wenn man, wie es in den Meldungen des
"k. k. Telegr. Korresp.-Bur." geschieht, von ihr aussagt, daß
ihr der Gang der Ereignisse am Goldenen Horn Ueber-
raschungen bereitet. Erst war sie überrascht, daß trotz der
Zusammenziehung der Demonstrationsflotte die letzte Antwort-
note der Pforte in der Frage der makedonischen Finanz-
kontrolle ablehnend lautete, dann fand sie einen Grund zur
Ueberraschung auch darin, daß die Antwort so schnell erfolgt
war. Wenn sich sechs Botschafter sechs Monate lang mit der
Lösung eines Problems plagen und sechs Großmächte dann
nach langwierigen Verhandlungen eine komplizierte Aktion
beschließen, macht es einen sonderbaren Eindruck, daß gleich
bei den ersten Schritten die Rechnung nicht stimmen will.
Freundliche Aussichten auf die weitere Entwicklung der An-
gelegenheit eröffnet dergleichen nicht. Man hat etwas über-
nommen, wovon niemand weiß, wie es enden wird, und wenn
wir, wie die "Vossische Zeitung" schreibt, die Stimmung in
den europäischen Kanzleien richtig auffassen, so herrschen dort
eigentlich Beklemmungen. Gar zu tief möchte man sich in
das türkische Abenteuer nicht einlassen, und andererseits hat
man sich schon so engagiert, daß der Ehrenpunkt mit ins
Spiel kommt. Ach, wenn doch der Sultan endlich nach-
geben wollte!

Makedonien soll mit einer internationalen Finanzkontrolle
[Spaltenumbruch] beglückt werden. Im Mürzsteger Reformprogramm, an dessen
Durchführung die Mächte seit zwei Jahren arbeiten, steht
nichts davon. Was hat man mit dem Mürzsteger Programm
erreicht? Die Verfechter der Mürzsteger Beschlüsse weisen auf
eine lange Liste von Erreichtem und Erzwungenem hin. Allein
die Zustände in den drei makedonischen Vilajets haben sich
trotzdem nicht gebessert, ja vielleicht sogar verschlimmert. Man
ist trotz Zivilagenten, fremden Offizieren, Aenderung des
Steuersystems und dergleichen nicht weiter gekommen. Nun
wird die internationale Finanzkontrolle als Gipfel des Reform-
systems gepriesen. Nur noch das, und Europa wird staunen,
welche Ruhe und Ordnung auf einmal in Makedonien ein-
tritt. So sagen nämlich dieselben Diplomaten, die uns vor
zwei Jahren versicherten, daß im Mürzsteger Programm der
makedonische Stein der Weisen endlich gefunden sei.

Man kann an die Heilkraft der internationalen Finanz-
kontrolle glauben oder nicht, in jedem Falle ist der Wider-
stand des Sultans sehr begreiflich. Die drei makedonischen
Vilajets sind schon ziemlich seinen Händen entglitten. Das
Verfügungsrecht über die Steuereinkünfte ist nahezu das
Einzige, was ihm dort von seinen oberherrlichen Machtbe-
fugnissen noch geblieben ist. Entzieht man ihm auch noch
das -- immer natürlich unter der höflichen Versicherung, daß
seiner Souveränität kein Abbruch geschieht -- so hat er in
Makedonien kaum mehr zu sagen als in Bosnien oder
Ostrumelien, wo seine Oberhoheit auch heute noch, mit
Respekt zu vermelden, in Kraft ist. Auf der schiefen Ebene,
die er durch Genehmigung des Mürzsteger Programms zu
betreten gezwungen wurde, gibt es offenbar kein Halten
mehr. Die Diplomaten versichern dem Sultan zwar hoch und
tener, daß er auf keinem anderen Wege, als durch Annahme
ihrer Diktate, den Bestand seines Reiches sicherstellen könne.
Allein es ist kein Wunder, daß er angesichts der immer
weitergehenden Forderungen stutzig wird. Schließlich entsteht
für ihn die Frage, ob es vorzuziehen ist, die drei make-
donischen Vilajets und damit den Rest des einstigen großen
Türkenreiches in Europa im Kampfe zu verlieren oder sich
das Gebiet ohne Widerstand abnehmen zu lassen.

Vorläufig geht es in Güte nicht, und deshalb zogen
die Diplomaten andere Saiten auf. Die Flottendemonstration,
an der fünf Mächte mit ihren Kriegsschiffen und Deutsch-
land, wie man behauptet, mit dem Herzen teilnimmt, soll
den Sultan zur Nachgiebigkeit zwingen. Die Schiffe haben
[Spaltenumbruch] sich im Piräus versammelt und sollen bereits auf der Fahrt
sein. Wohin? Das weiß man noch nicht genau. Sie werden
schon irgendwo auftauchen. Die einen sagen, Mytilene oder
Tenedos sollen besetzt werden, die dortigen Zollämter sollen
in Beschlag genommen werden und, wenn das nicht hilft,
sollen die Dardanellen blockiert werden. Das klingt zwar
recht beunruhigend, würde aber im Grunde nichts anderes
bedeuten, als daß die Mächte sich ins eigene Fleisch schnitten,
indem sie ihre eigene Handelsschiffahrt in jenen Gewässern
für geraume Zeit unterbänden. Doch wir wollen uns damit
nicht den Kopf zerbrechen. Die nächsten Tage werden ja
lehren, was die Demonstrationsflotte unternimmt.

Wenn aber das alles nicht hilft? Dann wäre Europa
in eine Sackgasse geraten. Englische Blätter wollen wissen,
daß Oesterreich-Ungarn dann ein europäisches Mandat er-
halten soll, militärische Maßregeln gegenüber der Türkei
zu ergreifen. Schon der bloße Gedanke daran zeigt, welche
unendliche Schwierigkeiten sich aufzutürmen drohen. Und wes-
halb und wofür? Für etwas, wofür sich in ganz Europa
eigentlich niemand zu erwärmen vermag, was der euro-
päischen öffentlichen Meinung angesichts der weltgeschichtlichen
Probleme, von denen sie beherrscht wird, herzlich gleichgültig
ist, und wofür man am allerwenigsten die Knochen der eigenen
Landsleute dransetzen wollte.

Die Angelegenheit steht demnach in diesem Augenblicke
so, daß es lediglich von den Nerven des Sultans abhängt, ob
in der makedonischen Finanzfrage ein Ergebnis erzielt wird
oder nicht. Seine bisherige Nackensteifheit ist vermutlich auf
den Niedergang der russischen Waffenmacht und die daraus
resultierenden russischen internationalen Verhältnisse zurück-
zuführen. Auch ist er heutzutage nicht ganz ohne Hilfskräfte.
Wenn Europa mit Waffengewalt gegen die Türkei einschreitet,
verliert Rußland -- wie immer sich der Ausgang des
Kampfes gestaltet -- den Kaukasus. Von anderen, uns näher
liegenden Gefahren gar nicht zu sprechen. Zudem ist die
europäische Einigkeit nie so gefährdet, als wenn sie in Aktion
tritt. Manchmal glückts, manchmal auch nicht. Der Sultan
nützt, indem er hartnäckigen Widerstand leistet, die Kon-
junktur nicht ungeschickt aus. Knickt er zusammen, so ist
Europa schön heraus; bleibt er aber aufrecht, dann kann es
leicht passieren, daß wir alle mitsammen die blamierten
Europäer werden.






[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Pariser Brief.
(Von unserem Korrespondenten.)


Die Pariser Presse hat verschiedene Spezialitäten, die
ihr den Ruf der Findigkeit sichern und ihr sehr günstige
Aussichten in einem eventuellen Wettbewerbe um Originalität
oder vielmehr Exzentrizität eröffnen. So haben einige Zeitungen
besondere Mitarbeiter für Entdeckung von Verurteilten, in
deren Prozessen sich Momente und Tatsachen auftreiben
lassen, die die Annahme eines Justizirrtums gestatten, und
in dieser Branche hat beispielsweise der Mitarbeiter des sehr
verbreiteten "Journal" Jacques Dhur schon sehr Hervor-
ragendes und auch Nützliches geleistet. Er wird binnen Kurzem
das Jubiläum der zehnten durch seine Bemühungen erzielten
Begnadigung von Personen feiern können, für die er oft
lange Jahre nach ihrer Verurteilung Zeugnisse oder Beweise
zu sammeln vermochte, die ihre Schuld mindestens zweifelhaft
erscheinen lassen. Aus diesem Grunde ist er ein wahrer
Schrecken für die Richter und Staatsanwälte geworden, denen
seine eigenartige Tätigkeit viele Sorgen bereitet und schon
zahlreiche Verweise, selbst Disziplinarstrafen, eingetragen hat.

In der Sucht, einander zu überbieten, greifen manche
Blätter aber zu viel bedenklicheren Mitteln, und zwar ist es
der wegen politischer "Sensationen" schon mehrfach sehr
gefährlich gewordene "Matin", der sich darin besonders
hervortut. Um die in den späten Abend- und Nachtstunden
herrschende Unsicherheit in Pariser Vorstadtstraßen hand-
greiflich nachzuweisen, ließ er beispielsweise letzthin von
[Spaltenumbruch] einigen besonders dafür befähigten und eingeübten Reportern
selbst Ueberfälle von spät Heimkehrenden organisieren, die zu
sehr ernsten Ausschreitungen führten. Einige dieser "Apachen"-
Dilettanten kamen sehr übel an und konnten nur durch das
Einschreiten der Polizei, die sie gerade bloßstellen wollten,
aus wahrer Lebensgefahr gerettet werden. Ein anderes Mal
ließ die Direktion des "Matin" einige handfeste Hausdiener
mit Bürsten, Scheuerlappen und Eimern in ein Postburean
dringen, um dort eine gehörige Reinigung vorzunehmen, wie
einer solchen reichlich 75 Perzent dieser Lokale bedürften.
Als Trophäen und Beweisstücke des unglaublichen Schmutzes
des betreffenden Bureaus sind in den Schaukästen des Blattes
am Boulevard Poissonniere ein Tintenfaß mit undurch-
dringlicher Staubschicht innen und außen, mehrere verfaulte
und verschimmelte Holz- und Tapetenfragmente von den
Tischen und Mauern dieser Musteranstalt zur allgemeinen
Belehrung und Erbauung ausgestellt. Eine andere Zeitung
veranstaltete gleich darauf eine ähnliche Expedition gegen die
Westbahngesellschaft, deren Waggons in jeder Beziehung mit
den Postbureaus den Vergleich aushalten können.

Keine Verwaltung, ob staatlich oder städtisch, ist vor
dergleichen Reklame-Unternehmungen der im Yankeestyle
arbeitenden großen Boulevardzeitungen sicher; zeitweilig wird
ja dadurch häufig schreienden Uebelständen abgeholfen, aber
da die Blätter, wenn einmal die gewünschte Wirkung für sie
selbst erzielt ist, sich nicht weiter um diese Dinge kümmern,
fällt gewöhnlich kurz darauf Alles in den alten Schlendrian
zurück. Immerhin wird dadurch etwas Gutes angestrebt; das
läßt sich aber nicht von den zahllosen Wettbewerben sagen,
die ununterbrochen von gewissen Zeitungen, "Matin" und
"Journal" voran, veranstaltet werden. Die unsinnigen
Gewaltmärsche in den heißesten Monaten, die mehrere Opfer
kosteten, ganz abgesehen von den Teilnehmern, die nicht
[Spaltenumbruch] sofort in ihrem ganzen Umfange hervorgetretene organische
Schädigungen dabei erlitten, sind schon oft gebrandmarkt
worden, und man konnte annehmen, daß dergleichen unnütze
und gefährliche Experimente nicht mehr gestattet werden
würden. Diese Erwartung hat sich aber nicht erfüllt, denn
das "Journal" kündet eine neue, wegen ihrer Gefährlichkeit
einfach verblüffende Konkurrenz an, nämlich ein Wett-
Treppensteigen bis zum zweiten Stockwerk des Eiffel-Turmes.
Man denke sich 40 bis 50 Personen in wahnsinniger Hast
die 729 Stufen bis zu der Höhe von 115 Metern hinauf-
stürmen! Da selbstverständlich alle Bewerber trachten werden,
am Geländer entlang emporzuklimmen, wird dort ein rück-
sichtsloses Drängen und Stoßen stattfinden, dessen mögliche
Folgen man sich gar nicht vorzustellen wagt. Das "Journal"
erklärt übrigens bereits triumphierend, daß es nach diesem
ersten Experimente ein Wettklimmen bis auf die Spitze des
berühmten Turmes, also bis zur Höhe von 300 Metern,
was ungefähr hundert Stockwerke vorstellt, ausschreiben werde.
Vielleicht hat das Blatt aber dabei ohne den -- Polizei-
präfekten gerechnet, der aus guten Gründen allen derartigen
Reklame-Veranstaltungen nicht hervorragend freundlich gegen-
übersteht.

Der jetzt zum Abendblatt gewordene "Intransigeant",
an dem der altersmüde Rochefort seine Mitarbeiterschaft
immer mehr einschränkt, hat sich eine Fiaker-Wettfahrt als
Zugmittel auserkoren, die eine wahre Tierquälerei genannt
werden kann, da die preislüsternen Kutscher bei dieser, die
letzthin stattfand, ihren unseligen Kleppern wahre Vollblut-
leistungen zumuteten, noch dazu auf Wegen, die von dem
schändlichen Wetter, das mit kurzen Unterbrechungen seit
Mitte Oktober in und um Paris herrscht, in elendsten Zu-
stand versetzt worden waren. Ein Sportorgan hingegen hat
die "gemütvolle" Idee, in dem Pariser Vororte Nogent an


[Spaltenumbruch]

Redaktion u. Adminiſtration:
Rathausſtraße 16.




Telephon-Nummer 161.




Abonnementsbedingungen:

Für Czernowitz
(mit Zuſtellung ins Haus):
monatl. K 1.60, vierteljähr. K 4.80,
halbjähr. K 9.60, ganzjähr. K 19.20.
(mit täglicher Poſtverſendung)
monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40,
halbjähr. K 10.80, ganzjähr. K 21.60

Für Deutſchland:
vierteljähr ..... 7 Mark.

Für Rumänien und den Balkan:
vierteljährig .... 9 Franks.




Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


[Spaltenumbruch]
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Ankündigungen:
Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaux ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Traſiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Adminiſtration (Tem-
pelgaſſe 8) erhältlich. In Wien
im Zeitungsburean Goldſchmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
8 Heller für Czernowitz.






Nr. 572 Czernowitz, Dienstag, den 28. November 1905.



[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.

Die Vorgänge in Rußland.

Die Kronſtädter Ereigniſſe haben in der Schwarzen
Meer-Flotte Widerhall gefunden.

Vom Tage.

In dem Zeyſigprozeſſe wurden alle Angeklagten freigeſprochen.

Letzte Telegramme.

Die Pforte hat die Forderungen der Mächte akzeptiert. —
In Budapeſt kam es heute zu großen Studentenunruhen. — In
Moskau iſt die Revolution neuerlich mit voller Macht ausge-
brochen. — In allen Städten Rußlands wird der Ausbruch
von Militärrevolten befürchtet.




Die Flottendemonſtration
gegen die Türkei.


Man ſtellt der internationalen Diplomatie kein günſtiges
Zeugnis aus, wenn man, wie es in den Meldungen des
„k. k. Telegr. Korreſp.-Bur.“ geſchieht, von ihr ausſagt, daß
ihr der Gang der Ereigniſſe am Goldenen Horn Ueber-
raſchungen bereitet. Erſt war ſie überraſcht, daß trotz der
Zuſammenziehung der Demonſtrationsflotte die letzte Antwort-
note der Pforte in der Frage der makedoniſchen Finanz-
kontrolle ablehnend lautete, dann fand ſie einen Grund zur
Ueberraſchung auch darin, daß die Antwort ſo ſchnell erfolgt
war. Wenn ſich ſechs Botſchafter ſechs Monate lang mit der
Löſung eines Problems plagen und ſechs Großmächte dann
nach langwierigen Verhandlungen eine komplizierte Aktion
beſchließen, macht es einen ſonderbaren Eindruck, daß gleich
bei den erſten Schritten die Rechnung nicht ſtimmen will.
Freundliche Ausſichten auf die weitere Entwicklung der An-
gelegenheit eröffnet dergleichen nicht. Man hat etwas über-
nommen, wovon niemand weiß, wie es enden wird, und wenn
wir, wie die „Voſſiſche Zeitung“ ſchreibt, die Stimmung in
den europäiſchen Kanzleien richtig auffaſſen, ſo herrſchen dort
eigentlich Beklemmungen. Gar zu tief möchte man ſich in
das türkiſche Abenteuer nicht einlaſſen, und andererſeits hat
man ſich ſchon ſo engagiert, daß der Ehrenpunkt mit ins
Spiel kommt. Ach, wenn doch der Sultan endlich nach-
geben wollte!

Makedonien ſoll mit einer internationalen Finanzkontrolle
[Spaltenumbruch] beglückt werden. Im Mürzſteger Reformprogramm, an deſſen
Durchführung die Mächte ſeit zwei Jahren arbeiten, ſteht
nichts davon. Was hat man mit dem Mürzſteger Programm
erreicht? Die Verfechter der Mürzſteger Beſchlüſſe weiſen auf
eine lange Liſte von Erreichtem und Erzwungenem hin. Allein
die Zuſtände in den drei makedoniſchen Vilajets haben ſich
trotzdem nicht gebeſſert, ja vielleicht ſogar verſchlimmert. Man
iſt trotz Zivilagenten, fremden Offizieren, Aenderung des
Steuerſyſtems und dergleichen nicht weiter gekommen. Nun
wird die internationale Finanzkontrolle als Gipfel des Reform-
ſyſtems geprieſen. Nur noch das, und Europa wird ſtaunen,
welche Ruhe und Ordnung auf einmal in Makedonien ein-
tritt. So ſagen nämlich dieſelben Diplomaten, die uns vor
zwei Jahren verſicherten, daß im Mürzſteger Programm der
makedoniſche Stein der Weiſen endlich gefunden ſei.

Man kann an die Heilkraft der internationalen Finanz-
kontrolle glauben oder nicht, in jedem Falle iſt der Wider-
ſtand des Sultans ſehr begreiflich. Die drei makedoniſchen
Vilajets ſind ſchon ziemlich ſeinen Händen entglitten. Das
Verfügungsrecht über die Steuereinkünfte iſt nahezu das
Einzige, was ihm dort von ſeinen oberherrlichen Machtbe-
fugniſſen noch geblieben iſt. Entzieht man ihm auch noch
das — immer natürlich unter der höflichen Verſicherung, daß
ſeiner Souveränität kein Abbruch geſchieht — ſo hat er in
Makedonien kaum mehr zu ſagen als in Bosnien oder
Oſtrumelien, wo ſeine Oberhoheit auch heute noch, mit
Reſpekt zu vermelden, in Kraft iſt. Auf der ſchiefen Ebene,
die er durch Genehmigung des Mürzſteger Programms zu
betreten gezwungen wurde, gibt es offenbar kein Halten
mehr. Die Diplomaten verſichern dem Sultan zwar hoch und
tener, daß er auf keinem anderen Wege, als durch Annahme
ihrer Diktate, den Beſtand ſeines Reiches ſicherſtellen könne.
Allein es iſt kein Wunder, daß er angeſichts der immer
weitergehenden Forderungen ſtutzig wird. Schließlich entſteht
für ihn die Frage, ob es vorzuziehen iſt, die drei make-
doniſchen Vilajets und damit den Reſt des einſtigen großen
Türkenreiches in Europa im Kampfe zu verlieren oder ſich
das Gebiet ohne Widerſtand abnehmen zu laſſen.

Vorläufig geht es in Güte nicht, und deshalb zogen
die Diplomaten andere Saiten auf. Die Flottendemonſtration,
an der fünf Mächte mit ihren Kriegsſchiffen und Deutſch-
land, wie man behauptet, mit dem Herzen teilnimmt, ſoll
den Sultan zur Nachgiebigkeit zwingen. Die Schiffe haben
[Spaltenumbruch] ſich im Piräus verſammelt und ſollen bereits auf der Fahrt
ſein. Wohin? Das weiß man noch nicht genau. Sie werden
ſchon irgendwo auftauchen. Die einen ſagen, Mytilene oder
Tenedos ſollen beſetzt werden, die dortigen Zollämter ſollen
in Beſchlag genommen werden und, wenn das nicht hilft,
ſollen die Dardanellen blockiert werden. Das klingt zwar
recht beunruhigend, würde aber im Grunde nichts anderes
bedeuten, als daß die Mächte ſich ins eigene Fleiſch ſchnitten,
indem ſie ihre eigene Handelsſchiffahrt in jenen Gewäſſern
für geraume Zeit unterbänden. Doch wir wollen uns damit
nicht den Kopf zerbrechen. Die nächſten Tage werden ja
lehren, was die Demonſtrationsflotte unternimmt.

Wenn aber das alles nicht hilft? Dann wäre Europa
in eine Sackgaſſe geraten. Engliſche Blätter wollen wiſſen,
daß Oeſterreich-Ungarn dann ein europäiſches Mandat er-
halten ſoll, militäriſche Maßregeln gegenüber der Türkei
zu ergreifen. Schon der bloße Gedanke daran zeigt, welche
unendliche Schwierigkeiten ſich aufzutürmen drohen. Und wes-
halb und wofür? Für etwas, wofür ſich in ganz Europa
eigentlich niemand zu erwärmen vermag, was der euro-
päiſchen öffentlichen Meinung angeſichts der weltgeſchichtlichen
Probleme, von denen ſie beherrſcht wird, herzlich gleichgültig
iſt, und wofür man am allerwenigſten die Knochen der eigenen
Landsleute dranſetzen wollte.

Die Angelegenheit ſteht demnach in dieſem Augenblicke
ſo, daß es lediglich von den Nerven des Sultans abhängt, ob
in der makedoniſchen Finanzfrage ein Ergebnis erzielt wird
oder nicht. Seine bisherige Nackenſteifheit iſt vermutlich auf
den Niedergang der ruſſiſchen Waffenmacht und die daraus
reſultierenden ruſſiſchen internationalen Verhältniſſe zurück-
zuführen. Auch iſt er heutzutage nicht ganz ohne Hilfskräfte.
Wenn Europa mit Waffengewalt gegen die Türkei einſchreitet,
verliert Rußland — wie immer ſich der Ausgang des
Kampfes geſtaltet — den Kaukaſus. Von anderen, uns näher
liegenden Gefahren gar nicht zu ſprechen. Zudem iſt die
europäiſche Einigkeit nie ſo gefährdet, als wenn ſie in Aktion
tritt. Manchmal glückts, manchmal auch nicht. Der Sultan
nützt, indem er hartnäckigen Widerſtand leiſtet, die Kon-
junktur nicht ungeſchickt aus. Knickt er zuſammen, ſo iſt
Europa ſchön heraus; bleibt er aber aufrecht, dann kann es
leicht paſſieren, daß wir alle mitſammen die blamierten
Europäer werden.






[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Pariser Brief.
(Von unſerem Korreſpondenten.)


Die Pariſer Preſſe hat verſchiedene Spezialitäten, die
ihr den Ruf der Findigkeit ſichern und ihr ſehr günſtige
Ausſichten in einem eventuellen Wettbewerbe um Originalität
oder vielmehr Exzentrizität eröffnen. So haben einige Zeitungen
beſondere Mitarbeiter für Entdeckung von Verurteilten, in
deren Prozeſſen ſich Momente und Tatſachen auftreiben
laſſen, die die Annahme eines Juſtizirrtums geſtatten, und
in dieſer Branche hat beiſpielsweiſe der Mitarbeiter des ſehr
verbreiteten „Journal“ Jacques Dhur ſchon ſehr Hervor-
ragendes und auch Nützliches geleiſtet. Er wird binnen Kurzem
das Jubiläum der zehnten durch ſeine Bemühungen erzielten
Begnadigung von Perſonen feiern können, für die er oft
lange Jahre nach ihrer Verurteilung Zeugniſſe oder Beweiſe
zu ſammeln vermochte, die ihre Schuld mindeſtens zweifelhaft
erſcheinen laſſen. Aus dieſem Grunde iſt er ein wahrer
Schrecken für die Richter und Staatsanwälte geworden, denen
ſeine eigenartige Tätigkeit viele Sorgen bereitet und ſchon
zahlreiche Verweiſe, ſelbſt Disziplinarſtrafen, eingetragen hat.

In der Sucht, einander zu überbieten, greifen manche
Blätter aber zu viel bedenklicheren Mitteln, und zwar iſt es
der wegen politiſcher „Senſationen“ ſchon mehrfach ſehr
gefährlich gewordene „Matin“, der ſich darin beſonders
hervortut. Um die in den ſpäten Abend- und Nachtſtunden
herrſchende Unſicherheit in Pariſer Vorſtadtſtraßen hand-
greiflich nachzuweiſen, ließ er beiſpielsweiſe letzthin von
[Spaltenumbruch] einigen beſonders dafür befähigten und eingeübten Reportern
ſelbſt Ueberfälle von ſpät Heimkehrenden organiſieren, die zu
ſehr ernſten Ausſchreitungen führten. Einige dieſer „Apachen“-
Dilettanten kamen ſehr übel an und konnten nur durch das
Einſchreiten der Polizei, die ſie gerade bloßſtellen wollten,
aus wahrer Lebensgefahr gerettet werden. Ein anderes Mal
ließ die Direktion des „Matin“ einige handfeſte Hausdiener
mit Bürſten, Scheuerlappen und Eimern in ein Poſtburean
dringen, um dort eine gehörige Reinigung vorzunehmen, wie
einer ſolchen reichlich 75 Perzent dieſer Lokale bedürften.
Als Trophäen und Beweisſtücke des unglaublichen Schmutzes
des betreffenden Bureaus ſind in den Schaukäſten des Blattes
am Boulevard Poiſſonniere ein Tintenfaß mit undurch-
dringlicher Staubſchicht innen und außen, mehrere verfaulte
und verſchimmelte Holz- und Tapetenfragmente von den
Tiſchen und Mauern dieſer Muſteranſtalt zur allgemeinen
Belehrung und Erbauung ausgeſtellt. Eine andere Zeitung
veranſtaltete gleich darauf eine ähnliche Expedition gegen die
Weſtbahngeſellſchaft, deren Waggons in jeder Beziehung mit
den Poſtbureaus den Vergleich aushalten können.

Keine Verwaltung, ob ſtaatlich oder ſtädtiſch, iſt vor
dergleichen Reklame-Unternehmungen der im Yankeeſtyle
arbeitenden großen Boulevardzeitungen ſicher; zeitweilig wird
ja dadurch häufig ſchreienden Uebelſtänden abgeholfen, aber
da die Blätter, wenn einmal die gewünſchte Wirkung für ſie
ſelbſt erzielt iſt, ſich nicht weiter um dieſe Dinge kümmern,
fällt gewöhnlich kurz darauf Alles in den alten Schlendrian
zurück. Immerhin wird dadurch etwas Gutes angeſtrebt; das
läßt ſich aber nicht von den zahlloſen Wettbewerben ſagen,
die ununterbrochen von gewiſſen Zeitungen, „Matin“ und
„Journal“ voran, veranſtaltet werden. Die unſinnigen
Gewaltmärſche in den heißeſten Monaten, die mehrere Opfer
koſteten, ganz abgeſehen von den Teilnehmern, die nicht
[Spaltenumbruch] ſofort in ihrem ganzen Umfange hervorgetretene organiſche
Schädigungen dabei erlitten, ſind ſchon oft gebrandmarkt
worden, und man konnte annehmen, daß dergleichen unnütze
und gefährliche Experimente nicht mehr geſtattet werden
würden. Dieſe Erwartung hat ſich aber nicht erfüllt, denn
das „Journal“ kündet eine neue, wegen ihrer Gefährlichkeit
einfach verblüffende Konkurrenz an, nämlich ein Wett-
Treppenſteigen bis zum zweiten Stockwerk des Eiffel-Turmes.
Man denke ſich 40 bis 50 Perſonen in wahnſinniger Haſt
die 729 Stufen bis zu der Höhe von 115 Metern hinauf-
ſtürmen! Da ſelbſtverſtändlich alle Bewerber trachten werden,
am Geländer entlang emporzuklimmen, wird dort ein rück-
ſichtsloſes Drängen und Stoßen ſtattfinden, deſſen mögliche
Folgen man ſich gar nicht vorzuſtellen wagt. Das „Journal“
erklärt übrigens bereits triumphierend, daß es nach dieſem
erſten Experimente ein Wettklimmen bis auf die Spitze des
berühmten Turmes, alſo bis zur Höhe von 300 Metern,
was ungefähr hundert Stockwerke vorſtellt, ausſchreiben werde.
Vielleicht hat das Blatt aber dabei ohne den — Polizei-
präfekten gerechnet, der aus guten Gründen allen derartigen
Reklame-Veranſtaltungen nicht hervorragend freundlich gegen-
überſteht.

Der jetzt zum Abendblatt gewordene „Intranſigeant“,
an dem der altersmüde Rochefort ſeine Mitarbeiterſchaft
immer mehr einſchränkt, hat ſich eine Fiaker-Wettfahrt als
Zugmittel auserkoren, die eine wahre Tierquälerei genannt
werden kann, da die preislüſternen Kutſcher bei dieſer, die
letzthin ſtattfand, ihren unſeligen Kleppern wahre Vollblut-
leiſtungen zumuteten, noch dazu auf Wegen, die von dem
ſchändlichen Wetter, das mit kurzen Unterbrechungen ſeit
Mitte Oktober in und um Paris herrſcht, in elendſten Zu-
ſtand verſetzt worden waren. Ein Sportorgan hingegen hat
die „gemütvolle“ Idee, in dem Pariſer Vororte Nogent an


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[[1]/0001] Redaktion u. Adminiſtration: Rathausſtraße 16. Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz (mit Zuſtellung ins Haus): monatl. K 1.60, vierteljähr. K 4.80, halbjähr. K 9.60, ganzjähr. K 19.20. (mit täglicher Poſtverſendung) monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40, halbjähr. K 10.80, ganzjähr. K 21.60 Für Deutſchland: vierteljähr ..... 7 Mark. Für Rumänien und den Balkan: vierteljährig .... 9 Franks. Telegramme: Allgemeine, Czernowitz. Czernowitzer Allgemeine Zeitung Ankündigungen: Es koſtet im gewöhnlichen Inſe- ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei mehrmaliger Einſchaltung, für Re- klame 40 h die Petitzeile. Inſerate nehmen alle in- und ausländiſchen Inſeratenbureaux ſowie die Ad- miniſtration entgegen. — Einzel- exemplare ſind in allen Zeitungs- verſchleißen, Traſiken, der k. k. Uni- verſitätsbuchhandlung H. Pardini und in der Adminiſtration (Tem- pelgaſſe 8) erhältlich. In Wien im Zeitungsburean Goldſchmidt, Wollzeile 11. Einzelexemplare 8 Heller für Czernowitz. Nr. 572 Czernowitz, Dienstag, den 28. November 1905. Ueberſicht. Die Vorgänge in Rußland. Die Kronſtädter Ereigniſſe haben in der Schwarzen Meer-Flotte Widerhall gefunden. Vom Tage. In dem Zeyſigprozeſſe wurden alle Angeklagten freigeſprochen. Letzte Telegramme. Die Pforte hat die Forderungen der Mächte akzeptiert. — In Budapeſt kam es heute zu großen Studentenunruhen. — In Moskau iſt die Revolution neuerlich mit voller Macht ausge- brochen. — In allen Städten Rußlands wird der Ausbruch von Militärrevolten befürchtet. Die Flottendemonſtration gegen die Türkei. Berlin, 26. November. Man ſtellt der internationalen Diplomatie kein günſtiges Zeugnis aus, wenn man, wie es in den Meldungen des „k. k. Telegr. Korreſp.-Bur.“ geſchieht, von ihr ausſagt, daß ihr der Gang der Ereigniſſe am Goldenen Horn Ueber- raſchungen bereitet. Erſt war ſie überraſcht, daß trotz der Zuſammenziehung der Demonſtrationsflotte die letzte Antwort- note der Pforte in der Frage der makedoniſchen Finanz- kontrolle ablehnend lautete, dann fand ſie einen Grund zur Ueberraſchung auch darin, daß die Antwort ſo ſchnell erfolgt war. Wenn ſich ſechs Botſchafter ſechs Monate lang mit der Löſung eines Problems plagen und ſechs Großmächte dann nach langwierigen Verhandlungen eine komplizierte Aktion beſchließen, macht es einen ſonderbaren Eindruck, daß gleich bei den erſten Schritten die Rechnung nicht ſtimmen will. Freundliche Ausſichten auf die weitere Entwicklung der An- gelegenheit eröffnet dergleichen nicht. Man hat etwas über- nommen, wovon niemand weiß, wie es enden wird, und wenn wir, wie die „Voſſiſche Zeitung“ ſchreibt, die Stimmung in den europäiſchen Kanzleien richtig auffaſſen, ſo herrſchen dort eigentlich Beklemmungen. Gar zu tief möchte man ſich in das türkiſche Abenteuer nicht einlaſſen, und andererſeits hat man ſich ſchon ſo engagiert, daß der Ehrenpunkt mit ins Spiel kommt. Ach, wenn doch der Sultan endlich nach- geben wollte! Makedonien ſoll mit einer internationalen Finanzkontrolle beglückt werden. Im Mürzſteger Reformprogramm, an deſſen Durchführung die Mächte ſeit zwei Jahren arbeiten, ſteht nichts davon. Was hat man mit dem Mürzſteger Programm erreicht? Die Verfechter der Mürzſteger Beſchlüſſe weiſen auf eine lange Liſte von Erreichtem und Erzwungenem hin. Allein die Zuſtände in den drei makedoniſchen Vilajets haben ſich trotzdem nicht gebeſſert, ja vielleicht ſogar verſchlimmert. Man iſt trotz Zivilagenten, fremden Offizieren, Aenderung des Steuerſyſtems und dergleichen nicht weiter gekommen. Nun wird die internationale Finanzkontrolle als Gipfel des Reform- ſyſtems geprieſen. Nur noch das, und Europa wird ſtaunen, welche Ruhe und Ordnung auf einmal in Makedonien ein- tritt. So ſagen nämlich dieſelben Diplomaten, die uns vor zwei Jahren verſicherten, daß im Mürzſteger Programm der makedoniſche Stein der Weiſen endlich gefunden ſei. Man kann an die Heilkraft der internationalen Finanz- kontrolle glauben oder nicht, in jedem Falle iſt der Wider- ſtand des Sultans ſehr begreiflich. Die drei makedoniſchen Vilajets ſind ſchon ziemlich ſeinen Händen entglitten. Das Verfügungsrecht über die Steuereinkünfte iſt nahezu das Einzige, was ihm dort von ſeinen oberherrlichen Machtbe- fugniſſen noch geblieben iſt. Entzieht man ihm auch noch das — immer natürlich unter der höflichen Verſicherung, daß ſeiner Souveränität kein Abbruch geſchieht — ſo hat er in Makedonien kaum mehr zu ſagen als in Bosnien oder Oſtrumelien, wo ſeine Oberhoheit auch heute noch, mit Reſpekt zu vermelden, in Kraft iſt. Auf der ſchiefen Ebene, die er durch Genehmigung des Mürzſteger Programms zu betreten gezwungen wurde, gibt es offenbar kein Halten mehr. Die Diplomaten verſichern dem Sultan zwar hoch und tener, daß er auf keinem anderen Wege, als durch Annahme ihrer Diktate, den Beſtand ſeines Reiches ſicherſtellen könne. Allein es iſt kein Wunder, daß er angeſichts der immer weitergehenden Forderungen ſtutzig wird. Schließlich entſteht für ihn die Frage, ob es vorzuziehen iſt, die drei make- doniſchen Vilajets und damit den Reſt des einſtigen großen Türkenreiches in Europa im Kampfe zu verlieren oder ſich das Gebiet ohne Widerſtand abnehmen zu laſſen. Vorläufig geht es in Güte nicht, und deshalb zogen die Diplomaten andere Saiten auf. Die Flottendemonſtration, an der fünf Mächte mit ihren Kriegsſchiffen und Deutſch- land, wie man behauptet, mit dem Herzen teilnimmt, ſoll den Sultan zur Nachgiebigkeit zwingen. Die Schiffe haben ſich im Piräus verſammelt und ſollen bereits auf der Fahrt ſein. Wohin? Das weiß man noch nicht genau. Sie werden ſchon irgendwo auftauchen. Die einen ſagen, Mytilene oder Tenedos ſollen beſetzt werden, die dortigen Zollämter ſollen in Beſchlag genommen werden und, wenn das nicht hilft, ſollen die Dardanellen blockiert werden. Das klingt zwar recht beunruhigend, würde aber im Grunde nichts anderes bedeuten, als daß die Mächte ſich ins eigene Fleiſch ſchnitten, indem ſie ihre eigene Handelsſchiffahrt in jenen Gewäſſern für geraume Zeit unterbänden. Doch wir wollen uns damit nicht den Kopf zerbrechen. Die nächſten Tage werden ja lehren, was die Demonſtrationsflotte unternimmt. Wenn aber das alles nicht hilft? Dann wäre Europa in eine Sackgaſſe geraten. Engliſche Blätter wollen wiſſen, daß Oeſterreich-Ungarn dann ein europäiſches Mandat er- halten ſoll, militäriſche Maßregeln gegenüber der Türkei zu ergreifen. Schon der bloße Gedanke daran zeigt, welche unendliche Schwierigkeiten ſich aufzutürmen drohen. Und wes- halb und wofür? Für etwas, wofür ſich in ganz Europa eigentlich niemand zu erwärmen vermag, was der euro- päiſchen öffentlichen Meinung angeſichts der weltgeſchichtlichen Probleme, von denen ſie beherrſcht wird, herzlich gleichgültig iſt, und wofür man am allerwenigſten die Knochen der eigenen Landsleute dranſetzen wollte. Die Angelegenheit ſteht demnach in dieſem Augenblicke ſo, daß es lediglich von den Nerven des Sultans abhängt, ob in der makedoniſchen Finanzfrage ein Ergebnis erzielt wird oder nicht. Seine bisherige Nackenſteifheit iſt vermutlich auf den Niedergang der ruſſiſchen Waffenmacht und die daraus reſultierenden ruſſiſchen internationalen Verhältniſſe zurück- zuführen. Auch iſt er heutzutage nicht ganz ohne Hilfskräfte. Wenn Europa mit Waffengewalt gegen die Türkei einſchreitet, verliert Rußland — wie immer ſich der Ausgang des Kampfes geſtaltet — den Kaukaſus. Von anderen, uns näher liegenden Gefahren gar nicht zu ſprechen. Zudem iſt die europäiſche Einigkeit nie ſo gefährdet, als wenn ſie in Aktion tritt. Manchmal glückts, manchmal auch nicht. Der Sultan nützt, indem er hartnäckigen Widerſtand leiſtet, die Kon- junktur nicht ungeſchickt aus. Knickt er zuſammen, ſo iſt Europa ſchön heraus; bleibt er aber aufrecht, dann kann es leicht paſſieren, daß wir alle mitſammen die blamierten Europäer werden. Feuilleton. Pariser Brief. (Von unſerem Korreſpondenten.) Paris, den 22. November 1905. Die Pariſer Preſſe hat verſchiedene Spezialitäten, die ihr den Ruf der Findigkeit ſichern und ihr ſehr günſtige Ausſichten in einem eventuellen Wettbewerbe um Originalität oder vielmehr Exzentrizität eröffnen. So haben einige Zeitungen beſondere Mitarbeiter für Entdeckung von Verurteilten, in deren Prozeſſen ſich Momente und Tatſachen auftreiben laſſen, die die Annahme eines Juſtizirrtums geſtatten, und in dieſer Branche hat beiſpielsweiſe der Mitarbeiter des ſehr verbreiteten „Journal“ Jacques Dhur ſchon ſehr Hervor- ragendes und auch Nützliches geleiſtet. Er wird binnen Kurzem das Jubiläum der zehnten durch ſeine Bemühungen erzielten Begnadigung von Perſonen feiern können, für die er oft lange Jahre nach ihrer Verurteilung Zeugniſſe oder Beweiſe zu ſammeln vermochte, die ihre Schuld mindeſtens zweifelhaft erſcheinen laſſen. Aus dieſem Grunde iſt er ein wahrer Schrecken für die Richter und Staatsanwälte geworden, denen ſeine eigenartige Tätigkeit viele Sorgen bereitet und ſchon zahlreiche Verweiſe, ſelbſt Disziplinarſtrafen, eingetragen hat. In der Sucht, einander zu überbieten, greifen manche Blätter aber zu viel bedenklicheren Mitteln, und zwar iſt es der wegen politiſcher „Senſationen“ ſchon mehrfach ſehr gefährlich gewordene „Matin“, der ſich darin beſonders hervortut. Um die in den ſpäten Abend- und Nachtſtunden herrſchende Unſicherheit in Pariſer Vorſtadtſtraßen hand- greiflich nachzuweiſen, ließ er beiſpielsweiſe letzthin von einigen beſonders dafür befähigten und eingeübten Reportern ſelbſt Ueberfälle von ſpät Heimkehrenden organiſieren, die zu ſehr ernſten Ausſchreitungen führten. Einige dieſer „Apachen“- Dilettanten kamen ſehr übel an und konnten nur durch das Einſchreiten der Polizei, die ſie gerade bloßſtellen wollten, aus wahrer Lebensgefahr gerettet werden. Ein anderes Mal ließ die Direktion des „Matin“ einige handfeſte Hausdiener mit Bürſten, Scheuerlappen und Eimern in ein Poſtburean dringen, um dort eine gehörige Reinigung vorzunehmen, wie einer ſolchen reichlich 75 Perzent dieſer Lokale bedürften. Als Trophäen und Beweisſtücke des unglaublichen Schmutzes des betreffenden Bureaus ſind in den Schaukäſten des Blattes am Boulevard Poiſſonniere ein Tintenfaß mit undurch- dringlicher Staubſchicht innen und außen, mehrere verfaulte und verſchimmelte Holz- und Tapetenfragmente von den Tiſchen und Mauern dieſer Muſteranſtalt zur allgemeinen Belehrung und Erbauung ausgeſtellt. Eine andere Zeitung veranſtaltete gleich darauf eine ähnliche Expedition gegen die Weſtbahngeſellſchaft, deren Waggons in jeder Beziehung mit den Poſtbureaus den Vergleich aushalten können. Keine Verwaltung, ob ſtaatlich oder ſtädtiſch, iſt vor dergleichen Reklame-Unternehmungen der im Yankeeſtyle arbeitenden großen Boulevardzeitungen ſicher; zeitweilig wird ja dadurch häufig ſchreienden Uebelſtänden abgeholfen, aber da die Blätter, wenn einmal die gewünſchte Wirkung für ſie ſelbſt erzielt iſt, ſich nicht weiter um dieſe Dinge kümmern, fällt gewöhnlich kurz darauf Alles in den alten Schlendrian zurück. Immerhin wird dadurch etwas Gutes angeſtrebt; das läßt ſich aber nicht von den zahlloſen Wettbewerben ſagen, die ununterbrochen von gewiſſen Zeitungen, „Matin“ und „Journal“ voran, veranſtaltet werden. Die unſinnigen Gewaltmärſche in den heißeſten Monaten, die mehrere Opfer koſteten, ganz abgeſehen von den Teilnehmern, die nicht ſofort in ihrem ganzen Umfange hervorgetretene organiſche Schädigungen dabei erlitten, ſind ſchon oft gebrandmarkt worden, und man konnte annehmen, daß dergleichen unnütze und gefährliche Experimente nicht mehr geſtattet werden würden. Dieſe Erwartung hat ſich aber nicht erfüllt, denn das „Journal“ kündet eine neue, wegen ihrer Gefährlichkeit einfach verblüffende Konkurrenz an, nämlich ein Wett- Treppenſteigen bis zum zweiten Stockwerk des Eiffel-Turmes. Man denke ſich 40 bis 50 Perſonen in wahnſinniger Haſt die 729 Stufen bis zu der Höhe von 115 Metern hinauf- ſtürmen! Da ſelbſtverſtändlich alle Bewerber trachten werden, am Geländer entlang emporzuklimmen, wird dort ein rück- ſichtsloſes Drängen und Stoßen ſtattfinden, deſſen mögliche Folgen man ſich gar nicht vorzuſtellen wagt. Das „Journal“ erklärt übrigens bereits triumphierend, daß es nach dieſem erſten Experimente ein Wettklimmen bis auf die Spitze des berühmten Turmes, alſo bis zur Höhe von 300 Metern, was ungefähr hundert Stockwerke vorſtellt, ausſchreiben werde. Vielleicht hat das Blatt aber dabei ohne den — Polizei- präfekten gerechnet, der aus guten Gründen allen derartigen Reklame-Veranſtaltungen nicht hervorragend freundlich gegen- überſteht. Der jetzt zum Abendblatt gewordene „Intranſigeant“, an dem der altersmüde Rochefort ſeine Mitarbeiterſchaft immer mehr einſchränkt, hat ſich eine Fiaker-Wettfahrt als Zugmittel auserkoren, die eine wahre Tierquälerei genannt werden kann, da die preislüſternen Kutſcher bei dieſer, die letzthin ſtattfand, ihren unſeligen Kleppern wahre Vollblut- leiſtungen zumuteten, noch dazu auf Wegen, die von dem ſchändlichen Wetter, das mit kurzen Unterbrechungen ſeit Mitte Oktober in und um Paris herrſcht, in elendſten Zu- ſtand verſetzt worden waren. Ein Sportorgan hingegen hat die „gemütvolle“ Idee, in dem Pariſer Vororte Nogent an

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Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 572, Czernowitz, 28.11.1905, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer572_1905/1>, abgerufen am 29.03.2024.