[N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734.
entzwey zu dessen Beweiß noch in der hiesigen Haupt-Kirche das Modell dieses Schiffs gewiesen wird. Childron. Erlaubet, Mylord, euch dieser Begebenheit wegen unmaßgeblich mei- ne Gedancken zu eröfnen, welche darinnen bestehen, daß ich mich ohnmög- lich dieses zu glauben bereden kan. Denn überleget doch, Mylord, ob es wohl möglich ist, eine so starcke Kette entzwey zu sägen, da die Säge nicht einmahl von Menschen regieret, zu dergleichen Verrichtung aber eine gewisse Bewegung erfordert wird, welche bey einem in Wasser hin und her wanckenden Schiff nicht anzutreffen ist. Jch solte es fast eher vor wahr- scheinlich hatten, wenn es hieß, sie hätten die Kette entzwey gesegelt, indem die Force eines mit vollen Seegeln gehenden Schiffes euch genugsam be- kand ist, in welchem Fall aber nicht eben eine Säge, sondern ein ander Stück Eisen oder auch gar nichts, als ein festes Schiff nöthig gewesen. Dieser war mit ihm hierinnen einig, doch diese Erzehlung hatte ihnen so viel Begierde erwecket das Modell des Schiffs zu sehen, daß sie sich ohn- verzüglich in die Kirche begaben, welche wegen ihres besondern Umfangs die grosse genennet wird. Sie funden es in der That, allda konten sich aber noch nicht völlig der Wahrheit versichert halten. Nach eingenomme- ner kleinen Mahlzeit verliessen sie das angenehme Harlem, welches sich durch seinen Reichthum den andern Platz unter den vornehmsten Städten Hollands zu wege gebracht hat, und setzten ihre Reise nach dem benachbar- ten Leyden fort. Dieses liegt wenige Stunden von Harlem, und weil sie des Abends erst dort anzulangen willens waren begiengen sie eine kleine Aus- schweifung, und wendeten sich nach den Dünen zu, deren Anmuth sie nicht genug bewundern konten. Sie gestunden, daß die Duynen auf dem Eng- lischen Ufer von Kent noch lange nicht diese Annehmlichkeit besässen. Denn hier sahen sie auf einer Seite gedachte Duynen, oder Sand-Hügel, auf der andern aber die weite See, die eine unzehlige Menge Fahrzeuge mit un- tergemischten grossen Schiffen bedeckte. Der Boden an sich war so eben, als wie hier zu Lande die vor grosse Herren gebahnten Wege, und die Ca- ninchen liefen unter dem Wagen häufig herum, welche in Holland unter die delicatsten Speisen gerechnet werden, aber von Niemand, welches Ver- both unsern Lords mehr als zu bekand war, bey höchster Strafe getödet werden dürfen. Diese unvergleichliche Aussicht gab ihnen ein ausnehmen- des Vergnügen, und sie sahen sich fast mit Mißfallen, nach Leyden den Weg zu nehmen genöthiget. Sie langten mit einbrechendem Abend in diesem sogenannten Auge, und Garten von Holland an, und die Däm- merung
entzwey zu deſſen Beweiß noch in der hieſigen Haupt-Kirche das Modell dieſes Schiffs gewieſen wird. Childron. Erlaubet, Mylord, euch dieſer Begebenheit wegen unmaßgeblich mei- ne Gedancken zu eroͤfnen, welche darinnen beſtehen, daß ich mich ohnmoͤg- lich dieſes zu glauben bereden kan. Denn uͤberleget doch, Mylord, ob es wohl moͤglich iſt, eine ſo ſtarcke Kette entzwey zu ſaͤgen, da die Saͤge nicht einmahl von Menſchen regieret, zu dergleichen Verrichtung aber eine gewiſſe Bewegung erfordert wird, welche bey einem in Waſſer hin und her wanckenden Schiff nicht anzutreffen iſt. Jch ſolte es faſt eher vor wahr- ſcheinlich hatten, wenn es hieß, ſie haͤtten die Kette entzwey geſegelt, indem die Force eines mit vollen Seegeln gehenden Schiffes euch genugſam be- kand iſt, in welchem Fall aber nicht eben eine Saͤge, ſondern ein ander Stuͤck Eiſen oder auch gar nichts, als ein feſtes Schiff noͤthig geweſen. Dieſer war mit ihm hierinnen einig, doch dieſe Erzehlung hatte ihnen ſo viel Begierde erwecket das Modell des Schiffs zu ſehen, daß ſie ſich ohn- verzuͤglich in die Kirche begaben, welche wegen ihres beſondern Umfangs die groſſe genennet wird. Sie funden es in der That, allda konten ſich aber noch nicht voͤllig der Wahrheit verſichert halten. Nach eingenomme- ner kleinen Mahlzeit verlieſſen ſie das angenehme Harlem, welches ſich durch ſeinen Reichthum den andern Platz unter den vornehmſten Staͤdten Hollands zu wege gebracht hat, und ſetzten ihre Reiſe nach dem benachbar- ten Leyden fort. Dieſes liegt wenige Stunden von Harlem, und weil ſie des Abends erſt dort anzulangen willens waren begiengen ſie eine kleine Aus- ſchweifung, und wendeten ſich nach den Duͤnen zu, deren Anmuth ſie nicht genug bewundern konten. Sie geſtunden, daß die Duynen auf dem Eng- liſchen Ufer von Kent noch lange nicht dieſe Annehmlichkeit beſaͤſſen. Denn hier ſahen ſie auf einer Seite gedachte Duynen, oder Sand-Huͤgel, auf der andern aber die weite See, die eine unzehlige Menge Fahrzeuge mit un- tergemiſchten groſſen Schiffen bedeckte. Der Boden an ſich war ſo eben, als wie hier zu Lande die vor groſſe Herren gebahnten Wege, und die Ca- ninchen liefen unter dem Wagen haͤufig herum, welche in Holland unter die delicatſten Speiſen gerechnet werden, aber von Niemand, welches Ver- both unſern Lords mehr als zu bekand war, bey hoͤchſter Strafe getoͤdet werden duͤrfen. Dieſe unvergleichliche Ausſicht gab ihnen ein ausnehmen- des Vergnuͤgen, und ſie ſahen ſich faſt mit Mißfallen, nach Leyden den Weg zu nehmen genoͤthiget. Sie langten mit einbrechendem Abend in dieſem ſogenannten Auge, und Garten von Holland an, und die Daͤm- merung
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp> <p><pb facs="#f0026" n="16"/> entzwey zu deſſen Beweiß noch in der hieſigen <hi rendition="#fr">Haupt-Kirche</hi> das <hi rendition="#fr">Modell</hi><lb/> dieſes <hi rendition="#fr">Schiffs</hi> gewieſen wird.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Childron.</hi> </hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Erlaubet, <hi rendition="#aq">Mylord,</hi> euch dieſer Begebenheit wegen unmaßgeblich mei-<lb/> ne Gedancken zu eroͤfnen, welche darinnen beſtehen, daß ich mich ohnmoͤg-<lb/> lich dieſes zu glauben bereden kan. Denn uͤberleget doch, <hi rendition="#aq">Mylord,</hi> ob es<lb/> wohl moͤglich iſt, eine ſo ſtarcke <hi rendition="#fr">Kette</hi> entzwey zu <hi rendition="#fr">ſaͤgen,</hi> da die Saͤge<lb/> nicht einmahl von Menſchen regieret, zu dergleichen Verrichtung aber eine<lb/> gewiſſe Bewegung erfordert wird, welche bey einem in Waſſer hin und her<lb/> wanckenden Schiff nicht anzutreffen iſt. Jch ſolte es faſt eher vor wahr-<lb/> ſcheinlich hatten, wenn es hieß, ſie haͤtten die Kette entzwey <hi rendition="#fr">geſegelt,</hi> indem<lb/> die <hi rendition="#aq">Force</hi> eines mit vollen Seegeln gehenden Schiffes euch genugſam be-<lb/> kand iſt, in welchem Fall aber nicht eben eine Saͤge, ſondern ein ander<lb/> Stuͤck Eiſen oder auch gar nichts, als ein feſtes Schiff noͤthig geweſen.<lb/> Dieſer war mit ihm hierinnen einig, doch dieſe Erzehlung hatte ihnen ſo viel<lb/> Begierde erwecket das <hi rendition="#fr">Modell des Schiffs</hi> zu ſehen, daß ſie ſich ohn-<lb/> verzuͤglich in die <hi rendition="#fr">Kirche</hi> begaben, welche wegen ihres beſondern <hi rendition="#fr">Umfangs</hi><lb/> die <hi rendition="#fr">groſſe</hi> genennet wird. Sie funden es in der That, allda konten ſich<lb/> aber noch nicht voͤllig der Wahrheit verſichert halten. Nach eingenomme-<lb/> ner kleinen Mahlzeit verlieſſen ſie das angenehme <hi rendition="#fr">Harlem,</hi> welches ſich<lb/> durch ſeinen Reichthum den <hi rendition="#fr">andern</hi> Platz unter den vornehmſten Staͤdten<lb/> Hollands zu wege gebracht hat, und ſetzten ihre Reiſe nach dem benachbar-<lb/> ten <hi rendition="#fr">Leyden</hi> fort. Dieſes liegt wenige Stunden von Harlem, und weil ſie des<lb/> Abends erſt dort anzulangen willens waren begiengen ſie eine kleine Aus-<lb/> ſchweifung, und wendeten ſich nach den <hi rendition="#fr">Duͤnen</hi> zu, deren Anmuth ſie nicht<lb/> genug bewundern konten. Sie geſtunden, daß die <hi rendition="#aq">Duynen</hi> auf dem Eng-<lb/> liſchen Ufer von <hi rendition="#aq">Kent</hi> noch lange nicht dieſe Annehmlichkeit beſaͤſſen. Denn<lb/> hier ſahen ſie auf einer Seite gedachte <hi rendition="#aq">Duynen,</hi> oder <hi rendition="#fr">Sand-Huͤgel,</hi> auf<lb/> der andern aber die weite See, die eine unzehlige Menge Fahrzeuge mit un-<lb/> tergemiſchten groſſen Schiffen bedeckte. Der Boden an ſich war ſo eben,<lb/> als wie hier zu Lande die vor groſſe Herren gebahnten Wege, und die Ca-<lb/> ninchen liefen unter dem Wagen haͤufig herum, welche in Holland unter<lb/> die <hi rendition="#aq">delicat</hi>ſten Speiſen gerechnet werden, aber von Niemand, welches Ver-<lb/> both unſern <hi rendition="#aq">Lords</hi> mehr als zu bekand war, bey hoͤchſter Strafe getoͤdet<lb/> werden duͤrfen. Dieſe unvergleichliche Ausſicht gab ihnen ein ausnehmen-<lb/> des Vergnuͤgen, und ſie ſahen ſich faſt mit Mißfallen, nach <hi rendition="#fr">Leyden</hi> den<lb/> Weg zu nehmen genoͤthiget. Sie langten mit einbrechendem Abend in<lb/> dieſem ſogenannten <hi rendition="#fr">Auge,</hi> und <hi rendition="#fr">Garten von Holland</hi> an, und die Daͤm-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">merung</fw><lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [16/0026]
entzwey zu deſſen Beweiß noch in der hieſigen Haupt-Kirche das Modell
dieſes Schiffs gewieſen wird.
Childron.
Erlaubet, Mylord, euch dieſer Begebenheit wegen unmaßgeblich mei-
ne Gedancken zu eroͤfnen, welche darinnen beſtehen, daß ich mich ohnmoͤg-
lich dieſes zu glauben bereden kan. Denn uͤberleget doch, Mylord, ob es
wohl moͤglich iſt, eine ſo ſtarcke Kette entzwey zu ſaͤgen, da die Saͤge
nicht einmahl von Menſchen regieret, zu dergleichen Verrichtung aber eine
gewiſſe Bewegung erfordert wird, welche bey einem in Waſſer hin und her
wanckenden Schiff nicht anzutreffen iſt. Jch ſolte es faſt eher vor wahr-
ſcheinlich hatten, wenn es hieß, ſie haͤtten die Kette entzwey geſegelt, indem
die Force eines mit vollen Seegeln gehenden Schiffes euch genugſam be-
kand iſt, in welchem Fall aber nicht eben eine Saͤge, ſondern ein ander
Stuͤck Eiſen oder auch gar nichts, als ein feſtes Schiff noͤthig geweſen.
Dieſer war mit ihm hierinnen einig, doch dieſe Erzehlung hatte ihnen ſo viel
Begierde erwecket das Modell des Schiffs zu ſehen, daß ſie ſich ohn-
verzuͤglich in die Kirche begaben, welche wegen ihres beſondern Umfangs
die groſſe genennet wird. Sie funden es in der That, allda konten ſich
aber noch nicht voͤllig der Wahrheit verſichert halten. Nach eingenomme-
ner kleinen Mahlzeit verlieſſen ſie das angenehme Harlem, welches ſich
durch ſeinen Reichthum den andern Platz unter den vornehmſten Staͤdten
Hollands zu wege gebracht hat, und ſetzten ihre Reiſe nach dem benachbar-
ten Leyden fort. Dieſes liegt wenige Stunden von Harlem, und weil ſie des
Abends erſt dort anzulangen willens waren begiengen ſie eine kleine Aus-
ſchweifung, und wendeten ſich nach den Duͤnen zu, deren Anmuth ſie nicht
genug bewundern konten. Sie geſtunden, daß die Duynen auf dem Eng-
liſchen Ufer von Kent noch lange nicht dieſe Annehmlichkeit beſaͤſſen. Denn
hier ſahen ſie auf einer Seite gedachte Duynen, oder Sand-Huͤgel, auf
der andern aber die weite See, die eine unzehlige Menge Fahrzeuge mit un-
tergemiſchten groſſen Schiffen bedeckte. Der Boden an ſich war ſo eben,
als wie hier zu Lande die vor groſſe Herren gebahnten Wege, und die Ca-
ninchen liefen unter dem Wagen haͤufig herum, welche in Holland unter
die delicatſten Speiſen gerechnet werden, aber von Niemand, welches Ver-
both unſern Lords mehr als zu bekand war, bey hoͤchſter Strafe getoͤdet
werden duͤrfen. Dieſe unvergleichliche Ausſicht gab ihnen ein ausnehmen-
des Vergnuͤgen, und ſie ſahen ſich faſt mit Mißfallen, nach Leyden den
Weg zu nehmen genoͤthiget. Sie langten mit einbrechendem Abend in
dieſem ſogenannten Auge, und Garten von Holland an, und die Daͤm-
merung
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |