[N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734.
gedoppelte Vermählung erfolgte, dessen Personen noch jetzo diejenigen Süs- sigkeiten kosten, welche eine rechtschaffene und nicht flatterhaffte Liebe zu schen- cken vermag. Raminio. Jch gestehe es, Mylord, daß mir diese Erzehlung vieles Vergnügen gegeben, ob man wohl nicht daraus schliessen kan, daß alle Winckel- und ohne der Eltern Wissen, oder mit unbekandten vollzogene Ehen einen so glücklichen Ausgang jederzeit zu gewarten haben. Man könte hierüber noch viele Anmerckungen machen, wenn ich nicht befürchten müste, euch, Mylord, von der Ruhe allzulange abzuhalten. Womit sie sich von einander scheideten, und ein jeder in sein angewiesenes Zimmer gieng, um aldort, die Nacht durch, die Ruhe zu suchen. Früh morgends war dieses ihr erstes, daß sie alsobald die merckwürdigsten Dinge von Middelburg besahen. Diese Stadt ist die vornehmste in der Provintz Seeland, wel- che auf der Jnsul Walcheren liegt. So klein ihr Anfang ist, da sie 1121. nur noch ein Dorf gewesen, so groß ist ihr jetziger Fortgang, da sie sich den Rang unter den vornehmsten Städten mit erworben. Das reiche Prä- monstratenser-Kloster zu S. Nicolai ist ihr jetziges Land-Haus, alwo sich die Admiralität-Müntze- und Rent-Kammer befindet, auch die See- ländischen Land-Täge gehalten werden. Sie hat die Stapel-Gerechtig- keit von den Frantzösischen, Spanischen und andern Weinen, wodurch sie ihr Commercium so hoch gebracht, daß sie vor eine der schönsten, grö- sten und reichsten Handels-Plätze in den Niederlanden paßiren kan. Auch ist dieses von ihr merckwürdig, daß 1609. die Perspective alhier erfunden seyn sollen, welche nach ihrer verschiedenen Art einen weltbekanten Nutzen haben. Nachdem sie nun dieses zur Gnüge gesehen, so begaben sie sich nach dem nur eine Meile von Middelburg entlegenen Vließingen, als demjenigen Hafen an der Schelde, der nicht unbillig der Schlüssel zu den Niederlanden genennet wird. Mylord Bingley fragte unterwegs den Raminio, in Gegenwart seines Freundes Mylords Childron, wo denn diese Stadt den Nahmen herführte, er hätte gehört, von dem Ulysse? Raminio. Nein, Mylord, das kan wohl nicht seyn, weil Ulysses nicht in diese Gegenden gekommen, und man bloß ihm zu Ehren nicht leichtlich eine Stadt nach ihm genennet haben wird. Andere sagen, und mit mehrerer Wahrschemlichkeit, daß der Nahme Vließingen, oder Fließingen, welches einer- L
gedoppelte Vermaͤhlung erfolgte, deſſen Perſonen noch jetzo diejenigen Suͤſ- ſigkeiten koſten, welche eine rechtſchaffene und nicht flatterhaffte Liebe zu ſchen- cken vermag. Raminio. Jch geſtehe es, Mylord, daß mir dieſe Erzehlung vieles Vergnuͤgen gegeben, ob man wohl nicht daraus ſchlieſſen kan, daß alle Winckel- und ohne der Eltern Wiſſen, oder mit unbekandten vollzogene Ehen einen ſo gluͤcklichen Ausgang jederzeit zu gewarten haben. Man koͤnte hieruͤber noch viele Anmerckungen machen, wenn ich nicht befuͤrchten muͤſte, euch, Mylord, von der Ruhe allzulange abzuhalten. Womit ſie ſich von einander ſcheideten, und ein jeder in ſein angewieſenes Zimmer gieng, um aldort, die Nacht durch, die Ruhe zu ſuchen. Fruͤh morgends war dieſes ihr erſtes, daß ſie alſobald die merckwuͤrdigſten Dinge von Middelburg beſahen. Dieſe Stadt iſt die vornehmſte in der Provintz Seeland, wel- che auf der Jnſul Walcheren liegt. So klein ihr Anfang iſt, da ſie 1121. nur noch ein Dorf geweſen, ſo groß iſt ihr jetziger Fortgang, da ſie ſich den Rang unter den vornehmſten Staͤdten mit erworben. Das reiche Praͤ- monſtratenſer-Kloſter zu S. Nicolai iſt ihr jetziges Land-Haus, alwo ſich die Admiralitaͤt-Muͤntze- und Rent-Kammer befindet, auch die See- laͤndiſchen Land-Taͤge gehalten werden. Sie hat die Stapel-Gerechtig- keit von den Frantzoͤſiſchen, Spaniſchen und andern Weinen, wodurch ſie ihr Commercium ſo hoch gebracht, daß ſie vor eine der ſchoͤnſten, groͤ- ſten und reichſten Handels-Plaͤtze in den Niederlanden paßiren kan. Auch iſt dieſes von ihr merckwuͤrdig, daß 1609. die Perſpective alhier erfunden ſeyn ſollen, welche nach ihrer verſchiedenen Art einen weltbekanten Nutzen haben. Nachdem ſie nun dieſes zur Gnuͤge geſehen, ſo begaben ſie ſich nach dem nur eine Meile von Middelburg entlegenen Vließingen, als demjenigen Hafen an der Schelde, der nicht unbillig der Schluͤſſel zu den Niederlanden genennet wird. Mylord Bingley fragte unterwegs den Raminio, in Gegenwart ſeines Freundes Mylords Childron, wo denn dieſe Stadt den Nahmen herfuͤhrte, er haͤtte gehoͤrt, von dem Ulyſſe? Raminio. Nein, Mylord, das kan wohl nicht ſeyn, weil Ulyſſes nicht in dieſe Gegenden gekommen, und man bloß ihm zu Ehren nicht leichtlich eine Stadt nach ihm genennet haben wird. Andere ſagen, und mit mehrerer Wahrſchemlichkeit, daß der Nahme Vließingen, oder Fließingen, welches einer- L
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp> <p><pb facs="#f0091" n="81"/> gedoppelte Vermaͤhlung erfolgte, deſſen Perſonen noch jetzo diejenigen Suͤſ-<lb/> ſigkeiten koſten, welche eine rechtſchaffene und nicht flatterhaffte Liebe zu ſchen-<lb/> cken vermag.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Raminio.</hi> </hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Jch geſtehe es, Mylord, daß mir dieſe Erzehlung vieles Vergnuͤgen<lb/> gegeben, ob man wohl nicht daraus ſchlieſſen kan, daß alle <hi rendition="#fr">Winckel-</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">ohne der Eltern Wiſſen, oder mit unbekandten vollzogene Ehen<lb/> einen ſo gluͤcklichen Ausgang jederzeit zu gewarten haben.</hi> Man<lb/> koͤnte hieruͤber noch viele Anmerckungen machen, wenn ich nicht befuͤrchten<lb/> muͤſte, euch, Mylord, von der Ruhe allzulange abzuhalten. Womit ſie<lb/> ſich von einander ſcheideten, und ein jeder in ſein angewieſenes Zimmer gieng,<lb/> um aldort, die Nacht durch, die Ruhe zu ſuchen. Fruͤh morgends war dieſes<lb/> ihr erſtes, daß ſie alſobald die merckwuͤrdigſten Dinge von <hi rendition="#fr">Middelburg</hi><lb/> beſahen. Dieſe Stadt iſt die vornehmſte in der Provintz <hi rendition="#fr">Seeland,</hi> wel-<lb/> che auf der Jnſul <hi rendition="#fr">Walcheren</hi> liegt. So klein ihr Anfang iſt, da ſie 1121.<lb/> nur noch ein Dorf geweſen, ſo groß iſt ihr jetziger Fortgang, da ſie ſich<lb/> den Rang unter den vornehmſten Staͤdten mit erworben. Das reiche Praͤ-<lb/> monſtratenſer-Kloſter zu S. Nicolai iſt ihr jetziges <hi rendition="#fr">Land-Haus,</hi> alwo<lb/> ſich die Admiralitaͤt-Muͤntze- und Rent-Kammer befindet, auch die See-<lb/> laͤndiſchen Land-Taͤge gehalten werden. Sie hat die <hi rendition="#fr">Stapel-Gerechtig-<lb/> keit</hi> von den Frantzoͤſiſchen, Spaniſchen und andern Weinen, wodurch<lb/> ſie ihr Commercium ſo hoch gebracht, daß ſie vor eine der ſchoͤnſten, groͤ-<lb/> ſten und reichſten Handels-Plaͤtze in den Niederlanden paßiren kan.<lb/> Auch iſt dieſes von ihr merckwuͤrdig, daß 1609. die <hi rendition="#fr">Perſpective</hi> alhier<lb/> erfunden ſeyn ſollen, welche nach ihrer verſchiedenen Art einen weltbekanten<lb/> Nutzen haben. Nachdem ſie nun dieſes zur Gnuͤge geſehen, ſo begaben ſie<lb/> ſich nach dem nur eine Meile von Middelburg entlegenen <hi rendition="#fr">Vließingen,</hi> als<lb/> demjenigen Hafen an der Schelde, der nicht unbillig der <hi rendition="#fr">Schluͤſſel zu den<lb/> Niederlanden</hi> genennet wird. Mylord Bingley fragte unterwegs den<lb/> Raminio, in Gegenwart ſeines Freundes Mylords Childron, wo denn<lb/> dieſe Stadt den <hi rendition="#fr">Nahmen</hi> herfuͤhrte, er haͤtte gehoͤrt, von dem Ulyſſe?</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Raminio.</hi> </hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Nein, Mylord, das kan wohl nicht ſeyn, weil Ulyſſes nicht in dieſe<lb/> Gegenden gekommen, und man bloß ihm zu Ehren nicht leichtlich eine<lb/> Stadt nach ihm genennet haben wird. Andere ſagen, und mit mehrerer<lb/> Wahrſchemlichkeit, daß der Nahme Vließingen, oder Fließingen, welches<lb/> <fw place="bottom" type="sig">L</fw><fw place="bottom" type="catch">einer-</fw><lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [81/0091]
gedoppelte Vermaͤhlung erfolgte, deſſen Perſonen noch jetzo diejenigen Suͤſ-
ſigkeiten koſten, welche eine rechtſchaffene und nicht flatterhaffte Liebe zu ſchen-
cken vermag.
Raminio.
Jch geſtehe es, Mylord, daß mir dieſe Erzehlung vieles Vergnuͤgen
gegeben, ob man wohl nicht daraus ſchlieſſen kan, daß alle Winckel- und
ohne der Eltern Wiſſen, oder mit unbekandten vollzogene Ehen
einen ſo gluͤcklichen Ausgang jederzeit zu gewarten haben. Man
koͤnte hieruͤber noch viele Anmerckungen machen, wenn ich nicht befuͤrchten
muͤſte, euch, Mylord, von der Ruhe allzulange abzuhalten. Womit ſie
ſich von einander ſcheideten, und ein jeder in ſein angewieſenes Zimmer gieng,
um aldort, die Nacht durch, die Ruhe zu ſuchen. Fruͤh morgends war dieſes
ihr erſtes, daß ſie alſobald die merckwuͤrdigſten Dinge von Middelburg
beſahen. Dieſe Stadt iſt die vornehmſte in der Provintz Seeland, wel-
che auf der Jnſul Walcheren liegt. So klein ihr Anfang iſt, da ſie 1121.
nur noch ein Dorf geweſen, ſo groß iſt ihr jetziger Fortgang, da ſie ſich
den Rang unter den vornehmſten Staͤdten mit erworben. Das reiche Praͤ-
monſtratenſer-Kloſter zu S. Nicolai iſt ihr jetziges Land-Haus, alwo
ſich die Admiralitaͤt-Muͤntze- und Rent-Kammer befindet, auch die See-
laͤndiſchen Land-Taͤge gehalten werden. Sie hat die Stapel-Gerechtig-
keit von den Frantzoͤſiſchen, Spaniſchen und andern Weinen, wodurch
ſie ihr Commercium ſo hoch gebracht, daß ſie vor eine der ſchoͤnſten, groͤ-
ſten und reichſten Handels-Plaͤtze in den Niederlanden paßiren kan.
Auch iſt dieſes von ihr merckwuͤrdig, daß 1609. die Perſpective alhier
erfunden ſeyn ſollen, welche nach ihrer verſchiedenen Art einen weltbekanten
Nutzen haben. Nachdem ſie nun dieſes zur Gnuͤge geſehen, ſo begaben ſie
ſich nach dem nur eine Meile von Middelburg entlegenen Vließingen, als
demjenigen Hafen an der Schelde, der nicht unbillig der Schluͤſſel zu den
Niederlanden genennet wird. Mylord Bingley fragte unterwegs den
Raminio, in Gegenwart ſeines Freundes Mylords Childron, wo denn
dieſe Stadt den Nahmen herfuͤhrte, er haͤtte gehoͤrt, von dem Ulyſſe?
Raminio.
Nein, Mylord, das kan wohl nicht ſeyn, weil Ulyſſes nicht in dieſe
Gegenden gekommen, und man bloß ihm zu Ehren nicht leichtlich eine
Stadt nach ihm genennet haben wird. Andere ſagen, und mit mehrerer
Wahrſchemlichkeit, daß der Nahme Vließingen, oder Fließingen, welches
einer-
L
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |