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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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August Strindberg: Der Quarantänemeister.
der Arbeiter durch das Verhalten der Zechenbesitzer nach Veröffentlichung dieses
Beschlusses so stark geworden, daß die spezielle Agitation zur Bekämpfung des
Alkoholgenusses hat eingestellt werden müssen. Die Arbeiter wollen von nichts mehr
hören als von dem Kampfe bis aufs Messer gegen die Zechenbesitzer. Es steht zu
hoffen, daß noch ein Ausgleich gefunden wird und daß die Arbeiterschaft ihre
imponierende selbstbewußte nüchterne Haltung nicht verlieren wird.

Man hat den Alkohol den "größten Betrüger" genannt. Man entdeckt bei
näherer Prüfung der einzelnen Verhältnisse, daß er diesen Namen immer mit Recht
trägt. Er verschlechtert immer die Fähigkeiten des Menschen, die des Geistes wie
des Körpers, die des Jntellekts wie des Gemütes. Die Kraft des Athleten wie des
Dichters wird durch ihn minderwertig. Das wird nicht immer gleich bemerkt, es ist
nicht immer leicht festzustellen. Aber es ist so, und wer das nicht merkt, wird eben
durch den großen Betrüger betrogen. Unsere Vorfahren, die alten Germanen, die
bei allen ihren Vorzügen doch dickköpfige Barbaren waren, haben es gewiß nicht
immer beobachtet. Sie ließen sich auch wohl gerne betrügen.

Die moderne Arbeiterschaft erklärt zu einem nicht unbeträchtlichen Teile mit
vernehmbarer Stimme, daß sie nicht mehr betrogen sein will. Und diese Stimme
schwillt immer mehr an.

Die bürgerliche Gesellschaft müßte barbarisch fest schlafen, wenn sie diese
Stimme nicht hörte.

[Abbildung]
Der Quarantänemeister.
Aus "Heiterbucht und Schmachsund" von August Strindberg.
Nach dem unveröffentlichten schwedischen Manuskript von Emil Schering.

Der Quarantänemeister war ein fünfundsechzigjähriger Mann, wohl er-
halten, klein, schlank, elastisch, mit dem Auftreten eines Offiziers; was er vom
Feldärztekorps hatte. Er gehörte von Geburt an zu den Sonderlingen, die im
Leben nicht gedeihen und sich nie zurecht finden. Jm Bergwerksdistrikt von
guten, aber harten Leuten geboren, hatte er keine schönen Kindheitserinnerungen
mitbekommen. Die Eltern sagten nie etwas Gutes, wenn sie Veranlassung dazu
hatten, aber immer etwas Böses mit oder ohne Veranlassung. Seine Mutter
gehörte zu der sonderbaren Gruppe von Menschen, die wegen nichts böse werden.
Jhr Zorn kam ohne sichtbare Veranlassung, so daß der Sohn bald glaubte, sie
sei nicht klug, bald, sie sei taub und höre verkehrt. Denn es konnte geschehen,
daß sie eine Freundlichkeit mit einer Ohrfeige beantwortete. Dadurch wurde er
mißtrauisch gegen die Menschen, denn das einzige und natürliche Band, das
ihn in Zärtlichkeit mit den Menschen vereinigen sollte, war zerrissen, und seine
Empfindungen waren das ganze Leben hindurch die eines Feindes. Darum
ging er beständig in Verteidigungszustand umher, jedoch ohne es zu zeigen.

August Strindberg: Der Quarantänemeister.
der Arbeiter durch das Verhalten der Zechenbesitzer nach Veröffentlichung dieses
Beschlusses so stark geworden, daß die spezielle Agitation zur Bekämpfung des
Alkoholgenusses hat eingestellt werden müssen. Die Arbeiter wollen von nichts mehr
hören als von dem Kampfe bis aufs Messer gegen die Zechenbesitzer. Es steht zu
hoffen, daß noch ein Ausgleich gefunden wird und daß die Arbeiterschaft ihre
imponierende selbstbewußte nüchterne Haltung nicht verlieren wird.

Man hat den Alkohol den „größten Betrüger“ genannt. Man entdeckt bei
näherer Prüfung der einzelnen Verhältnisse, daß er diesen Namen immer mit Recht
trägt. Er verschlechtert immer die Fähigkeiten des Menschen, die des Geistes wie
des Körpers, die des Jntellekts wie des Gemütes. Die Kraft des Athleten wie des
Dichters wird durch ihn minderwertig. Das wird nicht immer gleich bemerkt, es ist
nicht immer leicht festzustellen. Aber es ist so, und wer das nicht merkt, wird eben
durch den großen Betrüger betrogen. Unsere Vorfahren, die alten Germanen, die
bei allen ihren Vorzügen doch dickköpfige Barbaren waren, haben es gewiß nicht
immer beobachtet. Sie ließen sich auch wohl gerne betrügen.

Die moderne Arbeiterschaft erklärt zu einem nicht unbeträchtlichen Teile mit
vernehmbarer Stimme, daß sie nicht mehr betrogen sein will. Und diese Stimme
schwillt immer mehr an.

Die bürgerliche Gesellschaft müßte barbarisch fest schlafen, wenn sie diese
Stimme nicht hörte.

[Abbildung]
Der Quarantänemeister.
Aus „Heiterbucht und Schmachsund“ von August Strindberg.
Nach dem unveröffentlichten schwedischen Manuskript von Emil Schering.

Der Quarantänemeister war ein fünfundsechzigjähriger Mann, wohl er-
halten, klein, schlank, elastisch, mit dem Auftreten eines Offiziers; was er vom
Feldärztekorps hatte. Er gehörte von Geburt an zu den Sonderlingen, die im
Leben nicht gedeihen und sich nie zurecht finden. Jm Bergwerksdistrikt von
guten, aber harten Leuten geboren, hatte er keine schönen Kindheitserinnerungen
mitbekommen. Die Eltern sagten nie etwas Gutes, wenn sie Veranlassung dazu
hatten, aber immer etwas Böses mit oder ohne Veranlassung. Seine Mutter
gehörte zu der sonderbaren Gruppe von Menschen, die wegen nichts böse werden.
Jhr Zorn kam ohne sichtbare Veranlassung, so daß der Sohn bald glaubte, sie
sei nicht klug, bald, sie sei taub und höre verkehrt. Denn es konnte geschehen,
daß sie eine Freundlichkeit mit einer Ohrfeige beantwortete. Dadurch wurde er
mißtrauisch gegen die Menschen, denn das einzige und natürliche Band, das
ihn in Zärtlichkeit mit den Menschen vereinigen sollte, war zerrissen, und seine
Empfindungen waren das ganze Leben hindurch die eines Feindes. Darum
ging er beständig in Verteidigungszustand umher, jedoch ohne es zu zeigen.

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[277/0037] August Strindberg: Der Quarantänemeister. der Arbeiter durch das Verhalten der Zechenbesitzer nach Veröffentlichung dieses Beschlusses so stark geworden, daß die spezielle Agitation zur Bekämpfung des Alkoholgenusses hat eingestellt werden müssen. Die Arbeiter wollen von nichts mehr hören als von dem Kampfe bis aufs Messer gegen die Zechenbesitzer. Es steht zu hoffen, daß noch ein Ausgleich gefunden wird und daß die Arbeiterschaft ihre imponierende selbstbewußte nüchterne Haltung nicht verlieren wird. Man hat den Alkohol den „größten Betrüger“ genannt. Man entdeckt bei näherer Prüfung der einzelnen Verhältnisse, daß er diesen Namen immer mit Recht trägt. Er verschlechtert immer die Fähigkeiten des Menschen, die des Geistes wie des Körpers, die des Jntellekts wie des Gemütes. Die Kraft des Athleten wie des Dichters wird durch ihn minderwertig. Das wird nicht immer gleich bemerkt, es ist nicht immer leicht festzustellen. Aber es ist so, und wer das nicht merkt, wird eben durch den großen Betrüger betrogen. Unsere Vorfahren, die alten Germanen, die bei allen ihren Vorzügen doch dickköpfige Barbaren waren, haben es gewiß nicht immer beobachtet. Sie ließen sich auch wohl gerne betrügen. Die moderne Arbeiterschaft erklärt zu einem nicht unbeträchtlichen Teile mit vernehmbarer Stimme, daß sie nicht mehr betrogen sein will. Und diese Stimme schwillt immer mehr an. Die bürgerliche Gesellschaft müßte barbarisch fest schlafen, wenn sie diese Stimme nicht hörte. [Abbildung] Der Quarantänemeister. Aus „Heiterbucht und Schmachsund“ von August Strindberg. Nach dem unveröffentlichten schwedischen Manuskript von Emil Schering. Der Quarantänemeister war ein fünfundsechzigjähriger Mann, wohl er- halten, klein, schlank, elastisch, mit dem Auftreten eines Offiziers; was er vom Feldärztekorps hatte. Er gehörte von Geburt an zu den Sonderlingen, die im Leben nicht gedeihen und sich nie zurecht finden. Jm Bergwerksdistrikt von guten, aber harten Leuten geboren, hatte er keine schönen Kindheitserinnerungen mitbekommen. Die Eltern sagten nie etwas Gutes, wenn sie Veranlassung dazu hatten, aber immer etwas Böses mit oder ohne Veranlassung. Seine Mutter gehörte zu der sonderbaren Gruppe von Menschen, die wegen nichts böse werden. Jhr Zorn kam ohne sichtbare Veranlassung, so daß der Sohn bald glaubte, sie sei nicht klug, bald, sie sei taub und höre verkehrt. Denn es konnte geschehen, daß sie eine Freundlichkeit mit einer Ohrfeige beantwortete. Dadurch wurde er mißtrauisch gegen die Menschen, denn das einzige und natürliche Band, das ihn in Zärtlichkeit mit den Menschen vereinigen sollte, war zerrissen, und seine Empfindungen waren das ganze Leben hindurch die eines Feindes. Darum ging er beständig in Verteidigungszustand umher, jedoch ohne es zu zeigen.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/37>, abgerufen am 21.11.2024.