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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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August Strindberg: Der Quarantänemeister.
Kreisphysikus in der Provinz, und da er nun von der Gunst der Patienten un-
abhängig war, kümmerte er sich noch weniger darum, ihnen zu Gefallen zu sein.

Eines schönen Tages ging er zur Quarantäne über, und war schließlich
in Schmachsund hängen geblibene. Als er vor siebzehn Jahren dorthin kam,
geriet er sofort in Streit mit den Lotsen, welche sich als die einzigen Behörden
auf der Jnsel eine Menge Willkürlichkeiten gegen die Bevölkerung erlaubt hatten.
Der Quarantänemeister liebte Frieden und Ruhe wie andere Menschen, aber er
hatte früh gelernt, daß Kampf sein muß, und daß es nicht nützt, wenn man
mit seinen Rechten nur dasitzt, sondern daß man sie auch verteidigen muß, jeden
Tag, jede Stunde am Tage. Da er neu hingekommen war, suchte man seine
Befugnisse einzuschränken und seine kleinen Vergünstigungen ihm wegzunehmen.
Da dem Lotsenaltermann dem Herkommen nach das halbe Gebiet gehörte, der
Quarantänemeister aber in seiner kleinen Bucht eine einzige kleine Berglandzunge
hatte, welche die Lotsen zu ihren Privatböten und Fischgerätschaften benutzten,
so unterrichtete der Doktor sich zuerst über die Verhältnisse, nnd, als er erfahren
hatte, daß er das Nutzungsrecht auf der Landzunge besaß, andererseits wohl
wußte, daß die Lotsen ihre Geräte irgend wo anders haben konnten, ging er
zum Altermann und kündigte freundlich. Als er im Guten nichts ausrichtete,
faßte er hart zu und ließ den Platz von seinen Leuten räumen und einhegen
und richtete ihn zu einem Garten mit einem einfachen Lusthaus ein. Schreiben
an die Regierung hagelten, aber die Sache wurde zu seinem Gunsten entschieden.

Von da an bestand Feindschaft fürs Leben zwischen ihm und den Lotsen,
und der Quarantänemeister war auf seiner Landzunge eingesperrt, selbst in
Quarantäne versetzt. Da saß er nun siebzehn Jahre; aber in Ruh nicht, denn
es war immer Streit. Bald hatte sich sein Hund mit dem der Lotsen gebissen,
bald waren die Hühner der Lotsen in seinen Garten gekommen, bald war ein
Boot auf dem Gebiet des einen oder anderen gelandet. So wurde er in einer
beständigen Wut gehalten, und wurde es wirklich außer dem Hause einen
Augenblick ruhig, so hatte er seine Haushälterin im Hause. Sie hatten sich
siebzehn Jahre gezankt, und sie hatte einmal in der Woche ihre Sachen gepackt,
um zu gehen. Sie war ein Tyrann und verlangte, der Hausherr solle in allen
Saucen Zucker essen, sogar zu frischem Dorsch; sie konnte in siebzehn Jahren
nicht ein Ei kochen lernen, sondern wollte, der Doktor solle halbrohe Eier, die
er haßte, essen lernen. Zu Zeiten wurde er es müde, zu zanken, und dann
ging alles nach Christels alter Leier. Er aß eine ganze Woche rohe Kartoffeln,
altes Brot, saure Sahne und dergleichen mehr und bewunderte sich als einen
Sokrates; dann aber erwachte sein Selbstgefühl, und er fing wieder zu wettern
an. Er mußte jeden Tag wettern, um das Salzfaß auf den Tisch zu bekommen;
wettern, daß die Türen geschlossen wurden; wettern, um Öl auf die Lampen
zu bekommen; Docht und Glas mußte er selbst putzen, denn das konnte sie
nicht lernen.

"Du bist eine Kuh, Christel; du bist eine elende Person, die Güte nicht
zu schätzen weiß. Liebst du es, daß ich so wettere! Weißt du, ich bekomme
einen solchen Abscheu vor mir selbst, wenn ich gezwungen werde, mich so auf-
zuführen! Du machst mich zu einem schlechten Menschen, und du bist ein giftiger
Wurm. Jch wünsche, du wärest nie geboren; du lägest in der Tiefe der Erde!
Du bist kein Mensch, denn du kannst nicht lernen; du bist eine Kuh, das bjst du.
Du willst gehen! Ja, geh' zum T--l, woher du gekommen bist!"

August Strindberg: Der Quarantänemeister.
Kreisphysikus in der Provinz, und da er nun von der Gunst der Patienten un-
abhängig war, kümmerte er sich noch weniger darum, ihnen zu Gefallen zu sein.

Eines schönen Tages ging er zur Quarantäne über, und war schließlich
in Schmachsund hängen geblibene. Als er vor siebzehn Jahren dorthin kam,
geriet er sofort in Streit mit den Lotsen, welche sich als die einzigen Behörden
auf der Jnsel eine Menge Willkürlichkeiten gegen die Bevölkerung erlaubt hatten.
Der Quarantänemeister liebte Frieden und Ruhe wie andere Menschen, aber er
hatte früh gelernt, daß Kampf sein muß, und daß es nicht nützt, wenn man
mit seinen Rechten nur dasitzt, sondern daß man sie auch verteidigen muß, jeden
Tag, jede Stunde am Tage. Da er neu hingekommen war, suchte man seine
Befugnisse einzuschränken und seine kleinen Vergünstigungen ihm wegzunehmen.
Da dem Lotsenaltermann dem Herkommen nach das halbe Gebiet gehörte, der
Quarantänemeister aber in seiner kleinen Bucht eine einzige kleine Berglandzunge
hatte, welche die Lotsen zu ihren Privatböten und Fischgerätschaften benutzten,
so unterrichtete der Doktor sich zuerst über die Verhältnisse, nnd, als er erfahren
hatte, daß er das Nutzungsrecht auf der Landzunge besaß, andererseits wohl
wußte, daß die Lotsen ihre Geräte irgend wo anders haben konnten, ging er
zum Altermann und kündigte freundlich. Als er im Guten nichts ausrichtete,
faßte er hart zu und ließ den Platz von seinen Leuten räumen und einhegen
und richtete ihn zu einem Garten mit einem einfachen Lusthaus ein. Schreiben
an die Regierung hagelten, aber die Sache wurde zu seinem Gunsten entschieden.

Von da an bestand Feindschaft fürs Leben zwischen ihm und den Lotsen,
und der Quarantänemeister war auf seiner Landzunge eingesperrt, selbst in
Quarantäne versetzt. Da saß er nun siebzehn Jahre; aber in Ruh nicht, denn
es war immer Streit. Bald hatte sich sein Hund mit dem der Lotsen gebissen,
bald waren die Hühner der Lotsen in seinen Garten gekommen, bald war ein
Boot auf dem Gebiet des einen oder anderen gelandet. So wurde er in einer
beständigen Wut gehalten, und wurde es wirklich außer dem Hause einen
Augenblick ruhig, so hatte er seine Haushälterin im Hause. Sie hatten sich
siebzehn Jahre gezankt, und sie hatte einmal in der Woche ihre Sachen gepackt,
um zu gehen. Sie war ein Tyrann und verlangte, der Hausherr solle in allen
Saucen Zucker essen, sogar zu frischem Dorsch; sie konnte in siebzehn Jahren
nicht ein Ei kochen lernen, sondern wollte, der Doktor solle halbrohe Eier, die
er haßte, essen lernen. Zu Zeiten wurde er es müde, zu zanken, und dann
ging alles nach Christels alter Leier. Er aß eine ganze Woche rohe Kartoffeln,
altes Brot, saure Sahne und dergleichen mehr und bewunderte sich als einen
Sokrates; dann aber erwachte sein Selbstgefühl, und er fing wieder zu wettern
an. Er mußte jeden Tag wettern, um das Salzfaß auf den Tisch zu bekommen;
wettern, daß die Türen geschlossen wurden; wettern, um Öl auf die Lampen
zu bekommen; Docht und Glas mußte er selbst putzen, denn das konnte sie
nicht lernen.

„Du bist eine Kuh, Christel; du bist eine elende Person, die Güte nicht
zu schätzen weiß. Liebst du es, daß ich so wettere! Weißt du, ich bekomme
einen solchen Abscheu vor mir selbst, wenn ich gezwungen werde, mich so auf-
zuführen! Du machst mich zu einem schlechten Menschen, und du bist ein giftiger
Wurm. Jch wünsche, du wärest nie geboren; du lägest in der Tiefe der Erde!
Du bist kein Mensch, denn du kannst nicht lernen; du bist eine Kuh, das bjst du.
Du willst gehen! Ja, geh' zum T—l, woher du gekommen bist!“

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[279/0039] August Strindberg: Der Quarantänemeister. Kreisphysikus in der Provinz, und da er nun von der Gunst der Patienten un- abhängig war, kümmerte er sich noch weniger darum, ihnen zu Gefallen zu sein. Eines schönen Tages ging er zur Quarantäne über, und war schließlich in Schmachsund hängen geblibene. Als er vor siebzehn Jahren dorthin kam, geriet er sofort in Streit mit den Lotsen, welche sich als die einzigen Behörden auf der Jnsel eine Menge Willkürlichkeiten gegen die Bevölkerung erlaubt hatten. Der Quarantänemeister liebte Frieden und Ruhe wie andere Menschen, aber er hatte früh gelernt, daß Kampf sein muß, und daß es nicht nützt, wenn man mit seinen Rechten nur dasitzt, sondern daß man sie auch verteidigen muß, jeden Tag, jede Stunde am Tage. Da er neu hingekommen war, suchte man seine Befugnisse einzuschränken und seine kleinen Vergünstigungen ihm wegzunehmen. Da dem Lotsenaltermann dem Herkommen nach das halbe Gebiet gehörte, der Quarantänemeister aber in seiner kleinen Bucht eine einzige kleine Berglandzunge hatte, welche die Lotsen zu ihren Privatböten und Fischgerätschaften benutzten, so unterrichtete der Doktor sich zuerst über die Verhältnisse, nnd, als er erfahren hatte, daß er das Nutzungsrecht auf der Landzunge besaß, andererseits wohl wußte, daß die Lotsen ihre Geräte irgend wo anders haben konnten, ging er zum Altermann und kündigte freundlich. Als er im Guten nichts ausrichtete, faßte er hart zu und ließ den Platz von seinen Leuten räumen und einhegen und richtete ihn zu einem Garten mit einem einfachen Lusthaus ein. Schreiben an die Regierung hagelten, aber die Sache wurde zu seinem Gunsten entschieden. Von da an bestand Feindschaft fürs Leben zwischen ihm und den Lotsen, und der Quarantänemeister war auf seiner Landzunge eingesperrt, selbst in Quarantäne versetzt. Da saß er nun siebzehn Jahre; aber in Ruh nicht, denn es war immer Streit. Bald hatte sich sein Hund mit dem der Lotsen gebissen, bald waren die Hühner der Lotsen in seinen Garten gekommen, bald war ein Boot auf dem Gebiet des einen oder anderen gelandet. So wurde er in einer beständigen Wut gehalten, und wurde es wirklich außer dem Hause einen Augenblick ruhig, so hatte er seine Haushälterin im Hause. Sie hatten sich siebzehn Jahre gezankt, und sie hatte einmal in der Woche ihre Sachen gepackt, um zu gehen. Sie war ein Tyrann und verlangte, der Hausherr solle in allen Saucen Zucker essen, sogar zu frischem Dorsch; sie konnte in siebzehn Jahren nicht ein Ei kochen lernen, sondern wollte, der Doktor solle halbrohe Eier, die er haßte, essen lernen. Zu Zeiten wurde er es müde, zu zanken, und dann ging alles nach Christels alter Leier. Er aß eine ganze Woche rohe Kartoffeln, altes Brot, saure Sahne und dergleichen mehr und bewunderte sich als einen Sokrates; dann aber erwachte sein Selbstgefühl, und er fing wieder zu wettern an. Er mußte jeden Tag wettern, um das Salzfaß auf den Tisch zu bekommen; wettern, daß die Türen geschlossen wurden; wettern, um Öl auf die Lampen zu bekommen; Docht und Glas mußte er selbst putzen, denn das konnte sie nicht lernen. „Du bist eine Kuh, Christel; du bist eine elende Person, die Güte nicht zu schätzen weiß. Liebst du es, daß ich so wettere! Weißt du, ich bekomme einen solchen Abscheu vor mir selbst, wenn ich gezwungen werde, mich so auf- zuführen! Du machst mich zu einem schlechten Menschen, und du bist ein giftiger Wurm. Jch wünsche, du wärest nie geboren; du lägest in der Tiefe der Erde! Du bist kein Mensch, denn du kannst nicht lernen; du bist eine Kuh, das bjst du. Du willst gehen! Ja, geh' zum T—l, woher du gekommen bist!“

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/39>, abgerufen am 21.11.2024.