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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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August Strindberg: Der Quarantänemeister.
Mädchen warf verzweifelte Blicke im Saal umher und als die auf der Mutter
des toten Kindes, der Schauspielerin, haften blieben, die jetzt zum ersten Male
anwesend war, antwortete sie dem Richter, einfach, ungekünstelt: "Jch glaubte
die Frau wollte es!" Du hättest das Gesicht der Frau sehen sollen, als diese
Worte fielen. Jch glaubte, ich sähe ihre Kleider vom Körper fallen und sie
säße entblößt da und ich dachte da zum ersten Mal an die Abgründe der
Menschenseele, über welche der Richter mit gebundenen Augen wandern muß,
denn er hat kein Recht, uns in unserem Gedankenleben zu bestrafen; da strafen
wir uns selbst und das tun die Pietisten."

"Was du sagst, ist schon richtig, aber ich weiß auch, daß mein Leben in
dem Verborgenen zeitweise höher und reiner als mein auswendiges Leben ist."

"Zugegeben! Jch trage mich auch mit einer Vorstellung von meinem
besseren Jch, das das beste ist, was ich kenne... Uber, hörst du, was tatest du
eine ganze Stunde im Walde?"

"Jch dachte!"

"Du wirst doch wohl nicht auch Pietist werden!" schnitt der Quarantäne-
meister ab und füllte sein Glas.

"Nein, nicht ich, du!"

"Aber du glaubst nicht mehr, daß die Pietisten Charlatane sind?"

Darauf antwortete der Postmeister nicht. Aber das Trinken ging träge
diesen Abend und das Gespräch hielt sich in höheren Regionen als gewöhnlich.
Gegen zehn Uhr hörte man über den Sund ein schreckliches Geheul wie von
Wilden. Das kam von Heiterbucht und aus dem Garten des Hotels. Die beiden
Philosophen warfen ihre Blicke hinüber.

"Das sind natürlich Kuttersegler," sagte der Postmeister.

"Sie schlagen sich gewiß auch! -- Ja, Heiterbucht geht abwärts, infolge
des nächtlichen Lärms. Die Sommergäste fliehen, denn sie können nicht schlafen
-- und man hat daran gedacht, die Kneipe zu schließen."

"Und vielleicht ein Bethaus zu eröffnen?"

Auch die Frage blieb unbeantwortet und man trennte sich, ohne recht zu
wissen, wo man einander hatte.

*

Jndessen hatte sich das Gerücht auf Heiterbucht verbreiter, der Postmeister
sei im Bethaus gewesen und als er sich am folgenden Nachmittage auf dem
Hotel einfand, in seiner Koterie mit dem Zollverwalter und dem Lotsenaltermann,
begrüßten ihn diese mit der großen Neuigkeit.

"So, so, du bist Pietist geworden?"

Der Postmeister wehrte den Stoß mit einem Scherz ab, schwur und fluchte,
daß es unwahr sei und leerte zum Beweis seine Gläser ehrlicher als seine Ge-
wohnheit war.

"Ja, aber du warst da!"

"Jch war neugierig!"

"Nun, was sagten sie denn?"

Hier wurde der Postmeister finster, und als man mit dem Scherz fortfuhr,
ging es ihm auf, daß es feige und elend wäre, das zu schmähen, was er nicht
der Schmähung für wert hielt. Darum sagte er ernst, aber bestimmt:

"Laßt mich in Frieden! Jch bin kein Pietist, aber ich achte Pietisten hoch!"

Das war dasselbe, wie bekennen, und wie ein eiserner Vorhang fiel etwas

August Strindberg: Der Quarantänemeister.
Mädchen warf verzweifelte Blicke im Saal umher und als die auf der Mutter
des toten Kindes, der Schauspielerin, haften blieben, die jetzt zum ersten Male
anwesend war, antwortete sie dem Richter, einfach, ungekünstelt: „Jch glaubte
die Frau wollte es!“ Du hättest das Gesicht der Frau sehen sollen, als diese
Worte fielen. Jch glaubte, ich sähe ihre Kleider vom Körper fallen und sie
säße entblößt da und ich dachte da zum ersten Mal an die Abgründe der
Menschenseele, über welche der Richter mit gebundenen Augen wandern muß,
denn er hat kein Recht, uns in unserem Gedankenleben zu bestrafen; da strafen
wir uns selbst und das tun die Pietisten.“

„Was du sagst, ist schon richtig, aber ich weiß auch, daß mein Leben in
dem Verborgenen zeitweise höher und reiner als mein auswendiges Leben ist.“

„Zugegeben! Jch trage mich auch mit einer Vorstellung von meinem
besseren Jch, das das beste ist, was ich kenne... Uber, hörst du, was tatest du
eine ganze Stunde im Walde?“

„Jch dachte!“

„Du wirst doch wohl nicht auch Pietist werden!“ schnitt der Quarantäne-
meister ab und füllte sein Glas.

„Nein, nicht ich, du!“

„Aber du glaubst nicht mehr, daß die Pietisten Charlatane sind?“

Darauf antwortete der Postmeister nicht. Aber das Trinken ging träge
diesen Abend und das Gespräch hielt sich in höheren Regionen als gewöhnlich.
Gegen zehn Uhr hörte man über den Sund ein schreckliches Geheul wie von
Wilden. Das kam von Heiterbucht und aus dem Garten des Hotels. Die beiden
Philosophen warfen ihre Blicke hinüber.

„Das sind natürlich Kuttersegler,“ sagte der Postmeister.

„Sie schlagen sich gewiß auch! — Ja, Heiterbucht geht abwärts, infolge
des nächtlichen Lärms. Die Sommergäste fliehen, denn sie können nicht schlafen
— und man hat daran gedacht, die Kneipe zu schließen.“

„Und vielleicht ein Bethaus zu eröffnen?“

Auch die Frage blieb unbeantwortet und man trennte sich, ohne recht zu
wissen, wo man einander hatte.

*

Jndessen hatte sich das Gerücht auf Heiterbucht verbreiter, der Postmeister
sei im Bethaus gewesen und als er sich am folgenden Nachmittage auf dem
Hotel einfand, in seiner Koterie mit dem Zollverwalter und dem Lotsenaltermann,
begrüßten ihn diese mit der großen Neuigkeit.

„So, so, du bist Pietist geworden?“

Der Postmeister wehrte den Stoß mit einem Scherz ab, schwur und fluchte,
daß es unwahr sei und leerte zum Beweis seine Gläser ehrlicher als seine Ge-
wohnheit war.

„Ja, aber du warst da!“

„Jch war neugierig!“

„Nun, was sagten sie denn?“

Hier wurde der Postmeister finster, und als man mit dem Scherz fortfuhr,
ging es ihm auf, daß es feige und elend wäre, das zu schmähen, was er nicht
der Schmähung für wert hielt. Darum sagte er ernst, aber bestimmt:

„Laßt mich in Frieden! Jch bin kein Pietist, aber ich achte Pietisten hoch!“

Das war dasselbe, wie bekennen, und wie ein eiserner Vorhang fiel etwas

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[283/0043] August Strindberg: Der Quarantänemeister. Mädchen warf verzweifelte Blicke im Saal umher und als die auf der Mutter des toten Kindes, der Schauspielerin, haften blieben, die jetzt zum ersten Male anwesend war, antwortete sie dem Richter, einfach, ungekünstelt: „Jch glaubte die Frau wollte es!“ Du hättest das Gesicht der Frau sehen sollen, als diese Worte fielen. Jch glaubte, ich sähe ihre Kleider vom Körper fallen und sie säße entblößt da und ich dachte da zum ersten Mal an die Abgründe der Menschenseele, über welche der Richter mit gebundenen Augen wandern muß, denn er hat kein Recht, uns in unserem Gedankenleben zu bestrafen; da strafen wir uns selbst und das tun die Pietisten.“ „Was du sagst, ist schon richtig, aber ich weiß auch, daß mein Leben in dem Verborgenen zeitweise höher und reiner als mein auswendiges Leben ist.“ „Zugegeben! Jch trage mich auch mit einer Vorstellung von meinem besseren Jch, das das beste ist, was ich kenne... Uber, hörst du, was tatest du eine ganze Stunde im Walde?“ „Jch dachte!“ „Du wirst doch wohl nicht auch Pietist werden!“ schnitt der Quarantäne- meister ab und füllte sein Glas. „Nein, nicht ich, du!“ „Aber du glaubst nicht mehr, daß die Pietisten Charlatane sind?“ Darauf antwortete der Postmeister nicht. Aber das Trinken ging träge diesen Abend und das Gespräch hielt sich in höheren Regionen als gewöhnlich. Gegen zehn Uhr hörte man über den Sund ein schreckliches Geheul wie von Wilden. Das kam von Heiterbucht und aus dem Garten des Hotels. Die beiden Philosophen warfen ihre Blicke hinüber. „Das sind natürlich Kuttersegler,“ sagte der Postmeister. „Sie schlagen sich gewiß auch! — Ja, Heiterbucht geht abwärts, infolge des nächtlichen Lärms. Die Sommergäste fliehen, denn sie können nicht schlafen — und man hat daran gedacht, die Kneipe zu schließen.“ „Und vielleicht ein Bethaus zu eröffnen?“ Auch die Frage blieb unbeantwortet und man trennte sich, ohne recht zu wissen, wo man einander hatte. * Jndessen hatte sich das Gerücht auf Heiterbucht verbreiter, der Postmeister sei im Bethaus gewesen und als er sich am folgenden Nachmittage auf dem Hotel einfand, in seiner Koterie mit dem Zollverwalter und dem Lotsenaltermann, begrüßten ihn diese mit der großen Neuigkeit. „So, so, du bist Pietist geworden?“ Der Postmeister wehrte den Stoß mit einem Scherz ab, schwur und fluchte, daß es unwahr sei und leerte zum Beweis seine Gläser ehrlicher als seine Ge- wohnheit war. „Ja, aber du warst da!“ „Jch war neugierig!“ „Nun, was sagten sie denn?“ Hier wurde der Postmeister finster, und als man mit dem Scherz fortfuhr, ging es ihm auf, daß es feige und elend wäre, das zu schmähen, was er nicht der Schmähung für wert hielt. Darum sagte er ernst, aber bestimmt: „Laßt mich in Frieden! Jch bin kein Pietist, aber ich achte Pietisten hoch!“ Das war dasselbe, wie bekennen, und wie ein eiserner Vorhang fiel etwas

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/43>, abgerufen am 21.11.2024.