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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905.

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Allostis: Der Zweck heiligt das Mittel.
großer ethisch=kultureller und zugleich religiös=konfessioneller Bedeutung ist,
ein für allemal festzustellen, daß der Hauptträger des Ultramon-
tanismus, der Jesuitenorden, in die christliche Ethik ein
Kapitel hineingeschrieben hat, das eine gerade zu per-
verse
" Moral " enthält, eine Moral, die alle Obscöni-
täten über das sechste Gebot und die Ehe, die sich in je-
suitischen
" Lehrbüchern der Moral " aufgehäuft
vorfinden, an Verderblichkeit, an Unsittlichkeit
weit übertrifft.
" Und wenn er von allgemein giltigen,
unumstößlichen Grundsätzen der menschlichen Ethik" spricht, so irrt er ebenso
sehr wie mit seiner Behauptung: "nicht das christliche, sondern das allgemein
menschliche Sittengesetz verurteilt den Satz: Der Zweck heiligt die Mittel."
Man muß sich klar machen, was alles hinter den Worten steckt und auf den
Zusammenhang sehen, in dem alle Dinge der Welt zu einander stehen. Es
gibt nun einmal nichts Absolutes in der Natur, weder in der menschlichen, noch
in der außermenschlichen.

Jn dem Begriff der Handlung ist der Zweckbegriff enthalten, ohne be-
wußte Zweckvorstellungen sind nur unwillkürliche Bewegungen, keine Hand-
lungen gegeben. Ob eine Handlung gut oder böse ist, hängt von dem mit der
Handlung notwendig verbundenen Zwecke ab. Deshalb ist eine "an sich ver-
werfliche Handlung" ein Unsinn, ebenso wie eine "an sich gute Handlung".
Es gibt auch keine "an sich giftigen" Pflanzen oder "an sich heilsamen"
Kräuter, ganz abgesehen davon, daß in gewissen Fällen heilsam sein kann, was
in anderen vergiftet. Tolstoi sagt, das Wort der Bibel: Du sollst nicht töten!
gelte allgemein, deshalb dürfe auch der Staat keinen Verbrecher hinrichten
oder Soldaten in den Krieg schicken. Andere sagen, nicht das Töten an sich
ist unsittlich, sondern der Mord, und zwar der Mord an sich, gleichviel zu
welchem Zwecke, also auch der Tyrannenmord. Was haben unsere guten
Zeitungen über die "feigen Mörder" des Königs Alexander von Serbien ge-
schrieben! ( Jeder Mörder ist "feige", auch wenn er hundertmal sein Leben
wagt. ) Und als in Rußland Plehwe das Zeitliche segnen mußte, das ihn
tausendfach verflucht hatte, da umarmte sich zwar das Volk auf der Straße
unter Freudentränen, und Jubelfeste wurden gefeiert, namentlich in den Kreisen
der verbannten Russen, ja, die Zeitungen schrieben fast einstimmig, die von
einem Scheusale befreite Welt atme auf, aber dennoch hielt man sich für
verpflichtet, seinem Abscheu Ausdruck zu geben über die verruchte Tat des feigen
Mörders.

Das Strafgesetz sagt: "Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er
die Handlung mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode be-
straft." Auch der Henker führt die Tötung vorsätzlich und mit Ueberlegung
aus, ebenso der Soldat im Felde, bei ihnen fehlt aber die Rechtswidrigkeit der
Handlung, die zum Begriffe des Mordes, wenn auch nicht ausdrücklich, ver-
langt wird. Einen nicht rechtswidrigen Mord gibt es nicht. Wenn aber der
Staat in gewissen Fällen -- dazu gehört u. a. auch das Duell -- die vorsätzliche
und mit Ueberlegung ausgeführte Tötung gar nicht oder nicht als Mord
bestraft, so ist es der Zweck, der das Mittel heiligt. Das Recht, als eine
Zwangsordnung, die sich nach der Regel richtet, läßt aber den Zweck nur nach

Allostis: Der Zweck heiligt das Mittel.
großer ethisch=kultureller und zugleich religiös=konfessioneller Bedeutung ist,
ein für allemal festzustellen, daß der Hauptträger des Ultramon-
tanismus, der Jesuitenorden, in die christliche Ethik ein
Kapitel hineingeschrieben hat, das eine gerade zu per-
verse
Moralenthält, eine Moral, die alle Obscöni-
täten über das sechste Gebot und die Ehe, die sich in je-
suitischen
Lehrbüchern der Moralaufgehäuft
vorfinden, an Verderblichkeit, an Unsittlichkeit
weit übertrifft.
“ Und wenn er von allgemein giltigen,
unumstößlichen Grundsätzen der menschlichen Ethik“ spricht, so irrt er ebenso
sehr wie mit seiner Behauptung: „nicht das christliche, sondern das allgemein
menschliche Sittengesetz verurteilt den Satz: Der Zweck heiligt die Mittel.“
Man muß sich klar machen, was alles hinter den Worten steckt und auf den
Zusammenhang sehen, in dem alle Dinge der Welt zu einander stehen. Es
gibt nun einmal nichts Absolutes in der Natur, weder in der menschlichen, noch
in der außermenschlichen.

Jn dem Begriff der Handlung ist der Zweckbegriff enthalten, ohne be-
wußte Zweckvorstellungen sind nur unwillkürliche Bewegungen, keine Hand-
lungen gegeben. Ob eine Handlung gut oder böse ist, hängt von dem mit der
Handlung notwendig verbundenen Zwecke ab. Deshalb ist eine „an sich ver-
werfliche Handlung“ ein Unsinn, ebenso wie eine „an sich gute Handlung“.
Es gibt auch keine „an sich giftigen“ Pflanzen oder „an sich heilsamen“
Kräuter, ganz abgesehen davon, daß in gewissen Fällen heilsam sein kann, was
in anderen vergiftet. Tolstoi sagt, das Wort der Bibel: Du sollst nicht töten!
gelte allgemein, deshalb dürfe auch der Staat keinen Verbrecher hinrichten
oder Soldaten in den Krieg schicken. Andere sagen, nicht das Töten an sich
ist unsittlich, sondern der Mord, und zwar der Mord an sich, gleichviel zu
welchem Zwecke, also auch der Tyrannenmord. Was haben unsere guten
Zeitungen über die „feigen Mörder“ des Königs Alexander von Serbien ge-
schrieben! ( Jeder Mörder ist „feige“, auch wenn er hundertmal sein Leben
wagt. ) Und als in Rußland Plehwe das Zeitliche segnen mußte, das ihn
tausendfach verflucht hatte, da umarmte sich zwar das Volk auf der Straße
unter Freudentränen, und Jubelfeste wurden gefeiert, namentlich in den Kreisen
der verbannten Russen, ja, die Zeitungen schrieben fast einstimmig, die von
einem Scheusale befreite Welt atme auf, aber dennoch hielt man sich für
verpflichtet, seinem Abscheu Ausdruck zu geben über die verruchte Tat des feigen
Mörders.

Das Strafgesetz sagt: „Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er
die Handlung mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode be-
straft.“ Auch der Henker führt die Tötung vorsätzlich und mit Ueberlegung
aus, ebenso der Soldat im Felde, bei ihnen fehlt aber die Rechtswidrigkeit der
Handlung, die zum Begriffe des Mordes, wenn auch nicht ausdrücklich, ver-
langt wird. Einen nicht rechtswidrigen Mord gibt es nicht. Wenn aber der
Staat in gewissen Fällen — dazu gehört u. a. auch das Duell — die vorsätzliche
und mit Ueberlegung ausgeführte Tötung gar nicht oder nicht als Mord
bestraft, so ist es der Zweck, der das Mittel heiligt. Das Recht, als eine
Zwangsordnung, die sich nach der Regel richtet, läßt aber den Zweck nur nach

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[622/0030] Allostis: Der Zweck heiligt das Mittel. großer ethisch=kultureller und zugleich religiös=konfessioneller Bedeutung ist, ein für allemal festzustellen, daß der Hauptträger des Ultramon- tanismus, der Jesuitenorden, in die christliche Ethik ein Kapitel hineingeschrieben hat, das eine gerade zu per- verse „ Moral “ enthält, eine Moral, die alle Obscöni- täten über das sechste Gebot und die Ehe, die sich in je- suitischen „ Lehrbüchern der Moral “ aufgehäuft vorfinden, an Verderblichkeit, an Unsittlichkeit weit übertrifft. “ Und wenn er von allgemein giltigen, unumstößlichen Grundsätzen der menschlichen Ethik“ spricht, so irrt er ebenso sehr wie mit seiner Behauptung: „nicht das christliche, sondern das allgemein menschliche Sittengesetz verurteilt den Satz: Der Zweck heiligt die Mittel.“ Man muß sich klar machen, was alles hinter den Worten steckt und auf den Zusammenhang sehen, in dem alle Dinge der Welt zu einander stehen. Es gibt nun einmal nichts Absolutes in der Natur, weder in der menschlichen, noch in der außermenschlichen. Jn dem Begriff der Handlung ist der Zweckbegriff enthalten, ohne be- wußte Zweckvorstellungen sind nur unwillkürliche Bewegungen, keine Hand- lungen gegeben. Ob eine Handlung gut oder böse ist, hängt von dem mit der Handlung notwendig verbundenen Zwecke ab. Deshalb ist eine „an sich ver- werfliche Handlung“ ein Unsinn, ebenso wie eine „an sich gute Handlung“. Es gibt auch keine „an sich giftigen“ Pflanzen oder „an sich heilsamen“ Kräuter, ganz abgesehen davon, daß in gewissen Fällen heilsam sein kann, was in anderen vergiftet. Tolstoi sagt, das Wort der Bibel: Du sollst nicht töten! gelte allgemein, deshalb dürfe auch der Staat keinen Verbrecher hinrichten oder Soldaten in den Krieg schicken. Andere sagen, nicht das Töten an sich ist unsittlich, sondern der Mord, und zwar der Mord an sich, gleichviel zu welchem Zwecke, also auch der Tyrannenmord. Was haben unsere guten Zeitungen über die „feigen Mörder“ des Königs Alexander von Serbien ge- schrieben! ( Jeder Mörder ist „feige“, auch wenn er hundertmal sein Leben wagt. ) Und als in Rußland Plehwe das Zeitliche segnen mußte, das ihn tausendfach verflucht hatte, da umarmte sich zwar das Volk auf der Straße unter Freudentränen, und Jubelfeste wurden gefeiert, namentlich in den Kreisen der verbannten Russen, ja, die Zeitungen schrieben fast einstimmig, die von einem Scheusale befreite Welt atme auf, aber dennoch hielt man sich für verpflichtet, seinem Abscheu Ausdruck zu geben über die verruchte Tat des feigen Mörders. Das Strafgesetz sagt: „Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Handlung mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode be- straft.“ Auch der Henker führt die Tötung vorsätzlich und mit Ueberlegung aus, ebenso der Soldat im Felde, bei ihnen fehlt aber die Rechtswidrigkeit der Handlung, die zum Begriffe des Mordes, wenn auch nicht ausdrücklich, ver- langt wird. Einen nicht rechtswidrigen Mord gibt es nicht. Wenn aber der Staat in gewissen Fällen — dazu gehört u. a. auch das Duell — die vorsätzliche und mit Ueberlegung ausgeführte Tötung gar nicht oder nicht als Mord bestraft, so ist es der Zweck, der das Mittel heiligt. Das Recht, als eine Zwangsordnung, die sich nach der Regel richtet, läßt aber den Zweck nur nach

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0113_1905/30>, abgerufen am 21.11.2024.