Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905.

Bild:
<< vorherige Seite
Kurt Aram: L'art pour l'art.
[Abbildung]
L'art pour l'art.
Eine Liebesgeschichte von Kurt Aram, München.

Sie saßen in der Bar und stritten, je später es wurde, um so heftiger um
die Prinzipien der Kunst. Paul, ein Lyriker, verteidigte das: l'art pour l'art.
Eduard, ein unmoderner Maler, wetterte gegen dies Prinzip. Plötzlich sprang
Eduard auf, stand an allen Gliedern zitternd und starrte auf eine elegante
Dame, die sich in Begleitung mehrerer Herrn geschmeidig, langsam durch die
engen Stuhlreihen wand. Auch die Dame blieb stehn und starrte auf Eduard.

"Maria!"

"Eduard!"

Die Dame trat hastig auf Eduard zu, flüsterte ihre Adresse und verließ
dann eilig in Begleitung ihrer Herren die Bar.

Eduard starrte immer noch, ließ sich dann schwerfällig auf seinen Stuhl
fallen und stürzte ein Glas Sekt hinunter.

Der Lyriker, der dem Vorgang interessiert gefolgt war, schwieg eine Weile.
Als aber Eduard immer noch nichts sagte, meinte er: "Eine alte Bekannt-
schaft?"

Eduard nickte.

"Wo hast Du sie kennen gelernt?"

Eduard schwieg.

"So erzähle doch, Mensch!"

"Jn Berlin, achtzehn Jahre war ich alt, sie siebzehn... Mein Gott,
das sind nun schon zwanzig Jahre her... zwanzig Jahre!" Er grübelte
wieder vor sich hin und seine Hände zitterten, während sie mechanisch eine
Banane aus ihrer Hülle lösten.

"Also heraus mit der Geschichte!"

"Sehr schlecht ging es mir damals, entsetzlich schlecht. Selbst für den
Gerichtsvollzieher war auf meiner Bude nichts mehr zu holen. Fünfundvierzig
Pfennig hatte ich noch im Vermögen. Mit ihnen ging ich hungernd, verzweifelt
unter den Linden spazieren. Und wie es einem so geht, wenn man ganz
herunter ist, physisch und geistig, vor Hunger und Elend, es fuhr mir auf
einmal durch den Kopf: heute wirst du etwas erleben, was über deine Zukunft
entscheidet. Unsinn, Mystik, nicht wahr? Aber ich empfand so und trat ins Caf e
Bauer, eine Tasse Schwarz zu trinken, denn mir war, als warte hier das Er-
eignis auf mich. Jch suchte förmlich nach ihm, sah hierhin, dorthin und blieb
an einem Tische stehn, an dem eine junge, schöne, fremdländische Dame mit

Kurt Aram: L'art pour l'art.
[Abbildung]
L'art pour l'art.
Eine Liebesgeschichte von Kurt Aram, München.

Sie saßen in der Bar und stritten, je später es wurde, um so heftiger um
die Prinzipien der Kunst. Paul, ein Lyriker, verteidigte das: l'art pour l'art.
Eduard, ein unmoderner Maler, wetterte gegen dies Prinzip. Plötzlich sprang
Eduard auf, stand an allen Gliedern zitternd und starrte auf eine elegante
Dame, die sich in Begleitung mehrerer Herrn geschmeidig, langsam durch die
engen Stuhlreihen wand. Auch die Dame blieb stehn und starrte auf Eduard.

„Maria!“

„Eduard!“

Die Dame trat hastig auf Eduard zu, flüsterte ihre Adresse und verließ
dann eilig in Begleitung ihrer Herren die Bar.

Eduard starrte immer noch, ließ sich dann schwerfällig auf seinen Stuhl
fallen und stürzte ein Glas Sekt hinunter.

Der Lyriker, der dem Vorgang interessiert gefolgt war, schwieg eine Weile.
Als aber Eduard immer noch nichts sagte, meinte er: „Eine alte Bekannt-
schaft?“

Eduard nickte.

„Wo hast Du sie kennen gelernt?“

Eduard schwieg.

„So erzähle doch, Mensch!“

„Jn Berlin, achtzehn Jahre war ich alt, sie siebzehn... Mein Gott,
das sind nun schon zwanzig Jahre her... zwanzig Jahre!“ Er grübelte
wieder vor sich hin und seine Hände zitterten, während sie mechanisch eine
Banane aus ihrer Hülle lösten.

„Also heraus mit der Geschichte!“

„Sehr schlecht ging es mir damals, entsetzlich schlecht. Selbst für den
Gerichtsvollzieher war auf meiner Bude nichts mehr zu holen. Fünfundvierzig
Pfennig hatte ich noch im Vermögen. Mit ihnen ging ich hungernd, verzweifelt
unter den Linden spazieren. Und wie es einem so geht, wenn man ganz
herunter ist, physisch und geistig, vor Hunger und Elend, es fuhr mir auf
einmal durch den Kopf: heute wirst du etwas erleben, was über deine Zukunft
entscheidet. Unsinn, Mystik, nicht wahr? Aber ich empfand so und trat ins Caf é
Bauer, eine Tasse Schwarz zu trinken, denn mir war, als warte hier das Er-
eignis auf mich. Jch suchte förmlich nach ihm, sah hierhin, dorthin und blieb
an einem Tische stehn, an dem eine junge, schöne, fremdländische Dame mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0035" n="627"/>
      <fw type="header" place="top">Kurt Aram: <hi rendition="#aq">L'art pour l'art</hi>.</fw><lb/>
      <figure/><lb/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head><hi rendition="#aq">L'art pour l'art.</hi><lb/>
Eine Liebesgeschichte <bibl>von <author><hi rendition="#g">Kurt Aram</hi></author>, München.</bibl></head><lb/>
        <p>Sie saßen in der Bar und stritten, je später es wurde, um so heftiger um<lb/>
die Prinzipien der Kunst. Paul, ein Lyriker, verteidigte das: <hi rendition="#aq">l'art pour l'art.</hi><lb/>
Eduard, ein unmoderner Maler, wetterte gegen dies Prinzip. Plötzlich sprang<lb/>
Eduard auf, stand an allen Gliedern zitternd und starrte auf eine elegante<lb/>
Dame, die sich in Begleitung mehrerer Herrn geschmeidig, langsam durch die<lb/>
engen Stuhlreihen wand. Auch die Dame blieb stehn und starrte auf Eduard.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Maria!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eduard!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Dame trat hastig auf Eduard zu, flüsterte ihre Adresse und verließ<lb/>
dann eilig in Begleitung ihrer Herren die Bar.</p><lb/>
        <p>Eduard starrte immer noch, ließ sich dann schwerfällig auf seinen Stuhl<lb/>
fallen und stürzte ein Glas Sekt hinunter.</p><lb/>
        <p>Der Lyriker, der dem Vorgang interessiert gefolgt war, schwieg eine Weile.<lb/>
Als aber Eduard immer noch nichts sagte, meinte er: &#x201E;Eine alte Bekannt-<lb/>
schaft?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Eduard nickte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo hast Du sie kennen gelernt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Eduard schwieg.</p><lb/>
        <p>&#x201E;So erzähle doch, Mensch!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jn Berlin, achtzehn Jahre war ich alt, sie siebzehn... Mein Gott,<lb/>
das sind nun schon zwanzig Jahre her... zwanzig Jahre!&#x201C; Er grübelte<lb/>
wieder vor sich hin und seine Hände zitterten, während sie mechanisch eine<lb/>
Banane aus ihrer Hülle lösten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Also heraus mit der Geschichte!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sehr schlecht ging es mir damals, entsetzlich schlecht. Selbst für den<lb/>
Gerichtsvollzieher war auf meiner Bude nichts mehr zu holen. Fünfundvierzig<lb/>
Pfennig hatte ich noch im Vermögen. Mit ihnen ging ich hungernd, verzweifelt<lb/>
unter den Linden spazieren. Und wie es einem so geht, wenn man ganz<lb/>
herunter ist, physisch und geistig, vor Hunger und Elend, es fuhr mir auf<lb/>
einmal durch den Kopf: heute wirst du etwas erleben, was über deine Zukunft<lb/>
entscheidet. Unsinn, Mystik, nicht wahr? Aber ich empfand so und trat ins Caf <hi rendition="#aq">é</hi><lb/>
Bauer, eine Tasse Schwarz zu trinken, denn mir war, als warte hier das Er-<lb/>
eignis auf mich. Jch suchte förmlich nach ihm, sah hierhin, dorthin und blieb<lb/>
an einem Tische stehn, an dem eine junge, schöne, fremdländische Dame mit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[627/0035] Kurt Aram: L'art pour l'art. [Abbildung] L'art pour l'art. Eine Liebesgeschichte von Kurt Aram, München. Sie saßen in der Bar und stritten, je später es wurde, um so heftiger um die Prinzipien der Kunst. Paul, ein Lyriker, verteidigte das: l'art pour l'art. Eduard, ein unmoderner Maler, wetterte gegen dies Prinzip. Plötzlich sprang Eduard auf, stand an allen Gliedern zitternd und starrte auf eine elegante Dame, die sich in Begleitung mehrerer Herrn geschmeidig, langsam durch die engen Stuhlreihen wand. Auch die Dame blieb stehn und starrte auf Eduard. „Maria!“ „Eduard!“ Die Dame trat hastig auf Eduard zu, flüsterte ihre Adresse und verließ dann eilig in Begleitung ihrer Herren die Bar. Eduard starrte immer noch, ließ sich dann schwerfällig auf seinen Stuhl fallen und stürzte ein Glas Sekt hinunter. Der Lyriker, der dem Vorgang interessiert gefolgt war, schwieg eine Weile. Als aber Eduard immer noch nichts sagte, meinte er: „Eine alte Bekannt- schaft?“ Eduard nickte. „Wo hast Du sie kennen gelernt?“ Eduard schwieg. „So erzähle doch, Mensch!“ „Jn Berlin, achtzehn Jahre war ich alt, sie siebzehn... Mein Gott, das sind nun schon zwanzig Jahre her... zwanzig Jahre!“ Er grübelte wieder vor sich hin und seine Hände zitterten, während sie mechanisch eine Banane aus ihrer Hülle lösten. „Also heraus mit der Geschichte!“ „Sehr schlecht ging es mir damals, entsetzlich schlecht. Selbst für den Gerichtsvollzieher war auf meiner Bude nichts mehr zu holen. Fünfundvierzig Pfennig hatte ich noch im Vermögen. Mit ihnen ging ich hungernd, verzweifelt unter den Linden spazieren. Und wie es einem so geht, wenn man ganz herunter ist, physisch und geistig, vor Hunger und Elend, es fuhr mir auf einmal durch den Kopf: heute wirst du etwas erleben, was über deine Zukunft entscheidet. Unsinn, Mystik, nicht wahr? Aber ich empfand so und trat ins Caf é Bauer, eine Tasse Schwarz zu trinken, denn mir war, als warte hier das Er- eignis auf mich. Jch suchte förmlich nach ihm, sah hierhin, dorthin und blieb an einem Tische stehn, an dem eine junge, schöne, fremdländische Dame mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0113_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0113_1905/35
Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0113_1905/35>, abgerufen am 21.11.2024.