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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.

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S. Kaff: Oesterreich=Ungarn oder Oesterreich und Ungarn. 669
Staaten -- Deutschland und Oesterreich -- sich vertragsmäßig verpflichten, ihre
Zölle den übrigen Staaten gegenüber eine Zeitlang unverändert auf der gegen-
wärtigen Höhe zu belassen, während sie untereinander sich staffelweise diffe-
rentielle Zollbegünstigungen zugestehen könnten, bis es möglich wäre, in all-
mählichen Uebergangsperioden, die nach Bedarf auf Jahre verteilt würden,
die Zollschranken gänzlich aufzuheben. Die Folgen dieses mitteleuropäischen
Zollbundes, dem sich bald andere Staaten anschließen würden, wären für
Deutschland und Oesterreich außerordentlich vorteilhafte in politischer wie in
wirtschaftlicher Beziehung. Gegen West und Ost, gegen Nord und Süd
würde sich der Einfluß des Bollwerks bemerkbar machen und der Friedens-
idee besser dienen als alle Reden der Friedensfreunde zusammengenommen.
Was schon vor einem halben Jahrhundert keine Utopie war, kann es heute
noch weniger sein. Damals trat Oesterreich=Ungarn dem Auslande gegenüber
als politische Einheit auf, obgleich es handelspolitisch ein dualistischer Staat
war. Und in unseren Tagen kann es -- mutatis mutandis -- wieder der
Fall sein, da der Dualismus sich zu einer Personalunion entwickelt und Oester-
reich auf Ungarn nicht mehr Rücksicht zu nehmen braucht, als dieses auf Oester-
reich nimmt. Durch die reinliche Scheidung wird Oesterreich mehr profitieren
als Ungarn, was dieses verliert, wird ersteres gewinnen, und Oesterreichs Ver-
lust wird durch ein Zoll= und Handelsbündnis mit dem Deutschen Reiche mehr
als ausgeglichen werden.

Es mag für schwarzgelbe Gemüter keine angenehme Empfindung sein,
wenn dieser Aspekt vor ihren trüben Augen sich entfaltet. Ein Trost ist ihnen
dennoch sicher und wenn sie ihn auch noch so ungläubig aufnehmen: daß ein
durch Personalunion verbundenes Oesterreich=Ungarn nicht weniger ist als eine
durch den heutigen Dualismus geschwächte Monarchie. Gegen diese Tatsache
werden alle Argumente unserer Generalstäbler nicht aufkommen, die da in
den Blättern mindestens einmal die Woche "beweisen", daß zwei Bundes-
heere schwächer seien, als ein Einheitsheer und dabei geflissentlich oder unbe-
wußt den Umstand übersehen, daß letzteres längst nicht mehr existiert, und daß
die Einheit im Heere zahlreiche Sprünge hat, die bedenklicher sind als die
Schwächen zweier Bundesheere. Und noch eines muß ausgesprochen werden:
Es handelt sich nicht nur um die Kommandosprache, nicht nur um " Einheits-
heer " oder Bundesheer, nicht nur um Zollunion und Zolltrennung; es handelt
sich auch um die Frage, ob Parlamentsheer oder nicht und ferner um Kon-
stitutionalismus oder Absolutismus. Und deswegen wird Oesterreich,
welches an dem letzteren, der noch dazu mit dem ältesten Zentralismus versetzt
ist, den Ungarn nicht in den Arm fallen und die Zolltrennung hinnehmen in
dem Bewußtsein, daß sie das unvermeidliche Durchgangsstadium ist, welches
Oesterreich und Ungarn gemeinsam durchzumachen haben, um zur beiderseitigen
Unabhängigkeit und damit zur stärkeren neuen Gemeinschaft, wie sie die wirt-
schaftliche und politische Notwendigkeit diktiert, umso sicherer zu gelangen.

S. Kaff: Oesterreich=Ungarn oder Oesterreich und Ungarn. 669
Staaten — Deutschland und Oesterreich — sich vertragsmäßig verpflichten, ihre
Zölle den übrigen Staaten gegenüber eine Zeitlang unverändert auf der gegen-
wärtigen Höhe zu belassen, während sie untereinander sich staffelweise diffe-
rentielle Zollbegünstigungen zugestehen könnten, bis es möglich wäre, in all-
mählichen Uebergangsperioden, die nach Bedarf auf Jahre verteilt würden,
die Zollschranken gänzlich aufzuheben. Die Folgen dieses mitteleuropäischen
Zollbundes, dem sich bald andere Staaten anschließen würden, wären für
Deutschland und Oesterreich außerordentlich vorteilhafte in politischer wie in
wirtschaftlicher Beziehung. Gegen West und Ost, gegen Nord und Süd
würde sich der Einfluß des Bollwerks bemerkbar machen und der Friedens-
idee besser dienen als alle Reden der Friedensfreunde zusammengenommen.
Was schon vor einem halben Jahrhundert keine Utopie war, kann es heute
noch weniger sein. Damals trat Oesterreich=Ungarn dem Auslande gegenüber
als politische Einheit auf, obgleich es handelspolitisch ein dualistischer Staat
war. Und in unseren Tagen kann es — mutatis mutandis — wieder der
Fall sein, da der Dualismus sich zu einer Personalunion entwickelt und Oester-
reich auf Ungarn nicht mehr Rücksicht zu nehmen braucht, als dieses auf Oester-
reich nimmt. Durch die reinliche Scheidung wird Oesterreich mehr profitieren
als Ungarn, was dieses verliert, wird ersteres gewinnen, und Oesterreichs Ver-
lust wird durch ein Zoll= und Handelsbündnis mit dem Deutschen Reiche mehr
als ausgeglichen werden.

Es mag für schwarzgelbe Gemüter keine angenehme Empfindung sein,
wenn dieser Aspekt vor ihren trüben Augen sich entfaltet. Ein Trost ist ihnen
dennoch sicher und wenn sie ihn auch noch so ungläubig aufnehmen: daß ein
durch Personalunion verbundenes Oesterreich=Ungarn nicht weniger ist als eine
durch den heutigen Dualismus geschwächte Monarchie. Gegen diese Tatsache
werden alle Argumente unserer Generalstäbler nicht aufkommen, die da in
den Blättern mindestens einmal die Woche „beweisen“, daß zwei Bundes-
heere schwächer seien, als ein Einheitsheer und dabei geflissentlich oder unbe-
wußt den Umstand übersehen, daß letzteres längst nicht mehr existiert, und daß
die Einheit im Heere zahlreiche Sprünge hat, die bedenklicher sind als die
Schwächen zweier Bundesheere. Und noch eines muß ausgesprochen werden:
Es handelt sich nicht nur um die Kommandosprache, nicht nur um „ Einheits-
heer “ oder Bundesheer, nicht nur um Zollunion und Zolltrennung; es handelt
sich auch um die Frage, ob Parlamentsheer oder nicht und ferner um Kon-
stitutionalismus oder Absolutismus. Und deswegen wird Oesterreich,
welches an dem letzteren, der noch dazu mit dem ältesten Zentralismus versetzt
ist, den Ungarn nicht in den Arm fallen und die Zolltrennung hinnehmen in
dem Bewußtsein, daß sie das unvermeidliche Durchgangsstadium ist, welches
Oesterreich und Ungarn gemeinsam durchzumachen haben, um zur beiderseitigen
Unabhängigkeit und damit zur stärkeren neuen Gemeinschaft, wie sie die wirt-
schaftliche und politische Notwendigkeit diktiert, umso sicherer zu gelangen.

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[669/0029] S. Kaff: Oesterreich=Ungarn oder Oesterreich und Ungarn. 669 Staaten — Deutschland und Oesterreich — sich vertragsmäßig verpflichten, ihre Zölle den übrigen Staaten gegenüber eine Zeitlang unverändert auf der gegen- wärtigen Höhe zu belassen, während sie untereinander sich staffelweise diffe- rentielle Zollbegünstigungen zugestehen könnten, bis es möglich wäre, in all- mählichen Uebergangsperioden, die nach Bedarf auf Jahre verteilt würden, die Zollschranken gänzlich aufzuheben. Die Folgen dieses mitteleuropäischen Zollbundes, dem sich bald andere Staaten anschließen würden, wären für Deutschland und Oesterreich außerordentlich vorteilhafte in politischer wie in wirtschaftlicher Beziehung. Gegen West und Ost, gegen Nord und Süd würde sich der Einfluß des Bollwerks bemerkbar machen und der Friedens- idee besser dienen als alle Reden der Friedensfreunde zusammengenommen. Was schon vor einem halben Jahrhundert keine Utopie war, kann es heute noch weniger sein. Damals trat Oesterreich=Ungarn dem Auslande gegenüber als politische Einheit auf, obgleich es handelspolitisch ein dualistischer Staat war. Und in unseren Tagen kann es — mutatis mutandis — wieder der Fall sein, da der Dualismus sich zu einer Personalunion entwickelt und Oester- reich auf Ungarn nicht mehr Rücksicht zu nehmen braucht, als dieses auf Oester- reich nimmt. Durch die reinliche Scheidung wird Oesterreich mehr profitieren als Ungarn, was dieses verliert, wird ersteres gewinnen, und Oesterreichs Ver- lust wird durch ein Zoll= und Handelsbündnis mit dem Deutschen Reiche mehr als ausgeglichen werden. Es mag für schwarzgelbe Gemüter keine angenehme Empfindung sein, wenn dieser Aspekt vor ihren trüben Augen sich entfaltet. Ein Trost ist ihnen dennoch sicher und wenn sie ihn auch noch so ungläubig aufnehmen: daß ein durch Personalunion verbundenes Oesterreich=Ungarn nicht weniger ist als eine durch den heutigen Dualismus geschwächte Monarchie. Gegen diese Tatsache werden alle Argumente unserer Generalstäbler nicht aufkommen, die da in den Blättern mindestens einmal die Woche „beweisen“, daß zwei Bundes- heere schwächer seien, als ein Einheitsheer und dabei geflissentlich oder unbe- wußt den Umstand übersehen, daß letzteres längst nicht mehr existiert, und daß die Einheit im Heere zahlreiche Sprünge hat, die bedenklicher sind als die Schwächen zweier Bundesheere. Und noch eines muß ausgesprochen werden: Es handelt sich nicht nur um die Kommandosprache, nicht nur um „ Einheits- heer “ oder Bundesheer, nicht nur um Zollunion und Zolltrennung; es handelt sich auch um die Frage, ob Parlamentsheer oder nicht und ferner um Kon- stitutionalismus oder Absolutismus. Und deswegen wird Oesterreich, welches an dem letzteren, der noch dazu mit dem ältesten Zentralismus versetzt ist, den Ungarn nicht in den Arm fallen und die Zolltrennung hinnehmen in dem Bewußtsein, daß sie das unvermeidliche Durchgangsstadium ist, welches Oesterreich und Ungarn gemeinsam durchzumachen haben, um zur beiderseitigen Unabhängigkeit und damit zur stärkeren neuen Gemeinschaft, wie sie die wirt- schaftliche und politische Notwendigkeit diktiert, umso sicherer zu gelangen.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/29>, abgerufen am 21.11.2024.