Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.

Bild:
<< vorherige Seite
O. zur Linde: Don Quixote. 679
[Abbildung]
Don Quixote.
Von Dr. Otto zur Linde, Charlottenburg.

Die behagliche und vernünftige Lebensphilosophie, welche uns anrät,
die Feste zu feiern, wie sie fallen.... kann man in unseren Jahr-
zehnten spezialisieren und sagen: feiere die Jubiläen, wann sie an der Reihe
sind. Und wenn ein Cervantes oder gar sein Buch der Jubilar ist -- dann
ist es sehr nützlich über die schier monomanische Sucht der Jubiläumsreden,
=Aufsätze und =Denkmäler zu spotten, zu schelten, zu weinen und zu nörgeln,
denn Sünder sind wir allzumal und mit einem etwas heuchlerischen Seufzer
gehen wir so oft im Leben zu irgend einem Festdiner, wo uns dann doch
( vorausgesetzt, daß Küche und Keller dort in Ordnung sind ) Speise und Trank
ganz vortrefflich schmecken; es ist sehr nützlich, oder auch unnützlich, ganz wie
Jhr's nehmt, sage ich: ein kleines Seufzerlein zu heben. Das salviert unseren
Anspruch auf Originalität. Oder sollte es gar schon nicht mehr
originell sein, hier leise einzusprechen? Fast will es mir scheinen! Jch meine:
wenn schon, dann wollen wir uns alle freuen, daß es sich um solch ein vor-
treffliches Buch, wie den Don Quixote handelt. Das Buch ist allerdings eine
Jubiläumsfesttafel, wie leicht keine andere, ein Tischlein=deck=Dich un-
begreiflichster Vielartigkeit und reichster Bestellung. Da geht hin, eßt und
trinkt; und der Jubilar selbst ist der Festredner, = Ordner und =Wirt in
eigener Person. Da habt ihr zur Rechten den ganz untadeligen Ritter neben
euch sitzen, euch gegenüber die Herzogin und zur Linken den freundlichen
Herrn Pfarrer, für einen unfreundlichen ist auch gesorgt. Seid mir aber
nicht hochmütig, denn die Stallmagd und das fahrende Fräulein schlimmster
Sorte, den nicht sehr wählerischen, aber braven und überaus witzigen Bauern
Sancho, Gauner und Lakaien, Schweinetreiber und mannsweise auf ihren
Eseln reitende Bäuerinnen, die nach Schweiß und Zwiebeln riechen, einige
harmlos Wahnsinnige, auch solche weniger harmloser Art -- selbst Euer sinn-
reicher Ritter soll so seine Absonderlichkeiten haben -- schlimmere andere Ver-
rückte, Galerensträflinge und viel liebliches Volk müßt ihr kennen lernen,
und es soll euch nicht gereuen.

Dies ewig junge und so reife, alte Buch! Dreihundert Jahre seitdem.
Diese Welt, so fremd und doch so nah! Wie sehr sich auch Spanien ( Land und
Volk ) in diesen Jahrhunderten gewandelt haben mag, näher ist uns das
Spanien des neunzehnten Jahrhunderts, wenn wir etwa einen Washington
Jrving ganz im Anfang und George Borrow um die Mitte des verflossenen
Jahrhunderts dorthin begleiten -- näher ist uns Spanien auch nicht, aber ebenso
wenig ferner.

O. zur Linde: Don Quixote. 679
[Abbildung]
Don Quixote.
Von Dr. Otto zur Linde, Charlottenburg.

Die behagliche und vernünftige Lebensphilosophie, welche uns anrät,
die Feste zu feiern, wie sie fallen.... kann man in unseren Jahr-
zehnten spezialisieren und sagen: feiere die Jubiläen, wann sie an der Reihe
sind. Und wenn ein Cervantes oder gar sein Buch der Jubilar ist — dann
ist es sehr nützlich über die schier monomanische Sucht der Jubiläumsreden,
=Aufsätze und =Denkmäler zu spotten, zu schelten, zu weinen und zu nörgeln,
denn Sünder sind wir allzumal und mit einem etwas heuchlerischen Seufzer
gehen wir so oft im Leben zu irgend einem Festdiner, wo uns dann doch
( vorausgesetzt, daß Küche und Keller dort in Ordnung sind ) Speise und Trank
ganz vortrefflich schmecken; es ist sehr nützlich, oder auch unnützlich, ganz wie
Jhr's nehmt, sage ich: ein kleines Seufzerlein zu heben. Das salviert unseren
Anspruch auf Originalität. Oder sollte es gar schon nicht mehr
originell sein, hier leise einzusprechen? Fast will es mir scheinen! Jch meine:
wenn schon, dann wollen wir uns alle freuen, daß es sich um solch ein vor-
treffliches Buch, wie den Don Quixote handelt. Das Buch ist allerdings eine
Jubiläumsfesttafel, wie leicht keine andere, ein Tischlein=deck=Dich un-
begreiflichster Vielartigkeit und reichster Bestellung. Da geht hin, eßt und
trinkt; und der Jubilar selbst ist der Festredner, = Ordner und =Wirt in
eigener Person. Da habt ihr zur Rechten den ganz untadeligen Ritter neben
euch sitzen, euch gegenüber die Herzogin und zur Linken den freundlichen
Herrn Pfarrer, für einen unfreundlichen ist auch gesorgt. Seid mir aber
nicht hochmütig, denn die Stallmagd und das fahrende Fräulein schlimmster
Sorte, den nicht sehr wählerischen, aber braven und überaus witzigen Bauern
Sancho, Gauner und Lakaien, Schweinetreiber und mannsweise auf ihren
Eseln reitende Bäuerinnen, die nach Schweiß und Zwiebeln riechen, einige
harmlos Wahnsinnige, auch solche weniger harmloser Art — selbst Euer sinn-
reicher Ritter soll so seine Absonderlichkeiten haben — schlimmere andere Ver-
rückte, Galerensträflinge und viel liebliches Volk müßt ihr kennen lernen,
und es soll euch nicht gereuen.

Dies ewig junge und so reife, alte Buch! Dreihundert Jahre seitdem.
Diese Welt, so fremd und doch so nah! Wie sehr sich auch Spanien ( Land und
Volk ) in diesen Jahrhunderten gewandelt haben mag, näher ist uns das
Spanien des neunzehnten Jahrhunderts, wenn wir etwa einen Washington
Jrving ganz im Anfang und George Borrow um die Mitte des verflossenen
Jahrhunderts dorthin begleiten — näher ist uns Spanien auch nicht, aber ebenso
wenig ferner.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0039" n="679"/>
      <fw type="header" place="top">O. zur Linde: Don Quixote. 679</fw><lb/>
      <figure/><lb/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Don Quixote.</hi><lb/>
          <bibl>Von <author>Dr. <hi rendition="#g">Otto zur Linde</hi></author>, Charlottenburg.</bibl>
        </head><lb/>
        <p>Die behagliche und vernünftige Lebensphilosophie, welche uns anrät,<lb/>
die Feste zu feiern, wie sie fallen.... kann man in unseren Jahr-<lb/>
zehnten spezialisieren und sagen: feiere die Jubiläen, wann sie an der Reihe<lb/>
sind. Und wenn ein Cervantes oder gar sein Buch der Jubilar ist &#x2014; dann<lb/>
ist es sehr nützlich über die schier monomanische Sucht der Jubiläumsreden,<lb/>
=Aufsätze und =Denkmäler zu spotten, zu schelten, zu weinen und zu nörgeln,<lb/>
denn Sünder sind wir allzumal und mit einem etwas heuchlerischen Seufzer<lb/>
gehen wir so oft im Leben zu irgend einem Festdiner, wo uns dann doch<lb/>
( vorausgesetzt, daß Küche und Keller dort in Ordnung sind ) Speise und Trank<lb/>
ganz vortrefflich schmecken; es ist sehr nützlich, oder auch unnützlich, ganz wie<lb/>
Jhr's nehmt, sage ich: ein kleines Seufzerlein zu heben. Das salviert unseren<lb/>
Anspruch auf Originalität. Oder sollte es gar schon nicht mehr<lb/>
originell sein, hier leise einzusprechen? Fast will es mir scheinen! Jch meine:<lb/>
wenn schon, dann wollen wir uns alle freuen, daß es sich um solch ein vor-<lb/>
treffliches Buch, wie den Don Quixote handelt. Das Buch ist allerdings eine<lb/>
Jubiläumsfesttafel, wie leicht keine andere, ein Tischlein=deck=Dich un-<lb/>
begreiflichster Vielartigkeit und reichster Bestellung. Da geht hin, eßt und<lb/>
trinkt; und der Jubilar selbst ist der Festredner, = Ordner und =Wirt in<lb/>
eigener Person. Da habt ihr zur Rechten den ganz untadeligen Ritter neben<lb/>
euch sitzen, euch gegenüber die Herzogin und zur Linken den freundlichen<lb/>
Herrn Pfarrer, für einen unfreundlichen ist auch gesorgt. Seid mir aber<lb/>
nicht hochmütig, denn die Stallmagd und das fahrende Fräulein schlimmster<lb/>
Sorte, den nicht sehr wählerischen, aber braven und überaus witzigen Bauern<lb/>
Sancho, Gauner und Lakaien, Schweinetreiber und mannsweise auf ihren<lb/>
Eseln reitende Bäuerinnen, die nach Schweiß und Zwiebeln riechen, einige<lb/>
harmlos Wahnsinnige, auch solche weniger harmloser Art &#x2014; selbst Euer sinn-<lb/>
reicher Ritter soll so seine Absonderlichkeiten haben &#x2014; schlimmere andere Ver-<lb/>
rückte, Galerensträflinge und viel liebliches Volk müßt ihr kennen lernen,<lb/>
und es soll euch nicht gereuen.</p><lb/>
        <p>Dies ewig junge und so reife, alte Buch! Dreihundert Jahre seitdem.<lb/>
Diese Welt, so fremd und doch so nah! Wie sehr sich auch Spanien ( Land und<lb/>
Volk ) in diesen Jahrhunderten gewandelt haben mag, näher ist uns das<lb/>
Spanien des neunzehnten Jahrhunderts, wenn wir etwa einen Washington<lb/>
Jrving ganz im Anfang und George Borrow um die Mitte des verflossenen<lb/>
Jahrhunderts dorthin begleiten &#x2014; näher ist uns Spanien auch nicht, aber ebenso<lb/>
wenig ferner.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[679/0039] O. zur Linde: Don Quixote. 679 [Abbildung] Don Quixote. Von Dr. Otto zur Linde, Charlottenburg. Die behagliche und vernünftige Lebensphilosophie, welche uns anrät, die Feste zu feiern, wie sie fallen.... kann man in unseren Jahr- zehnten spezialisieren und sagen: feiere die Jubiläen, wann sie an der Reihe sind. Und wenn ein Cervantes oder gar sein Buch der Jubilar ist — dann ist es sehr nützlich über die schier monomanische Sucht der Jubiläumsreden, =Aufsätze und =Denkmäler zu spotten, zu schelten, zu weinen und zu nörgeln, denn Sünder sind wir allzumal und mit einem etwas heuchlerischen Seufzer gehen wir so oft im Leben zu irgend einem Festdiner, wo uns dann doch ( vorausgesetzt, daß Küche und Keller dort in Ordnung sind ) Speise und Trank ganz vortrefflich schmecken; es ist sehr nützlich, oder auch unnützlich, ganz wie Jhr's nehmt, sage ich: ein kleines Seufzerlein zu heben. Das salviert unseren Anspruch auf Originalität. Oder sollte es gar schon nicht mehr originell sein, hier leise einzusprechen? Fast will es mir scheinen! Jch meine: wenn schon, dann wollen wir uns alle freuen, daß es sich um solch ein vor- treffliches Buch, wie den Don Quixote handelt. Das Buch ist allerdings eine Jubiläumsfesttafel, wie leicht keine andere, ein Tischlein=deck=Dich un- begreiflichster Vielartigkeit und reichster Bestellung. Da geht hin, eßt und trinkt; und der Jubilar selbst ist der Festredner, = Ordner und =Wirt in eigener Person. Da habt ihr zur Rechten den ganz untadeligen Ritter neben euch sitzen, euch gegenüber die Herzogin und zur Linken den freundlichen Herrn Pfarrer, für einen unfreundlichen ist auch gesorgt. Seid mir aber nicht hochmütig, denn die Stallmagd und das fahrende Fräulein schlimmster Sorte, den nicht sehr wählerischen, aber braven und überaus witzigen Bauern Sancho, Gauner und Lakaien, Schweinetreiber und mannsweise auf ihren Eseln reitende Bäuerinnen, die nach Schweiß und Zwiebeln riechen, einige harmlos Wahnsinnige, auch solche weniger harmloser Art — selbst Euer sinn- reicher Ritter soll so seine Absonderlichkeiten haben — schlimmere andere Ver- rückte, Galerensträflinge und viel liebliches Volk müßt ihr kennen lernen, und es soll euch nicht gereuen. Dies ewig junge und so reife, alte Buch! Dreihundert Jahre seitdem. Diese Welt, so fremd und doch so nah! Wie sehr sich auch Spanien ( Land und Volk ) in diesen Jahrhunderten gewandelt haben mag, näher ist uns das Spanien des neunzehnten Jahrhunderts, wenn wir etwa einen Washington Jrving ganz im Anfang und George Borrow um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts dorthin begleiten — näher ist uns Spanien auch nicht, aber ebenso wenig ferner.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/39
Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/39>, abgerufen am 21.11.2024.