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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.

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688 H. Bethge: Die Malerei in Belgien.
macht Minne alle Geberden ekstatischer, traumhafter, sehnsuchtsvoller und
auch kränklicher. Etwas Süßes, etwas Wehes, etwas Verworrenes ist in
seinen eigenwilligen Bildwerken. Er weist zu Maeterlinck und Khnopff
hinüber.

Belgien hat nicht immer so wichtige und interessante künstlerische Re-
präsentanten wie heute gehabt. Jn der ersten Hälfte des verflossenen Jahr-
hunderts herrschte in Belgien durchaus die Theaterpose a la Piloty und eine
sehr äußerliche, flache Abhängigkeit von Rubens: Gustave Wappers, Louis
Gallait und Edmond de Biefve waren die wichtigsten Vertreter dieser Rich-
tung; sie malten schlimme historische Bilder, die für einen Menschen von
heute nicht mehr genießbar sind, damals aber höchst berühmt und bestaunt
waren und leider von nachhaltigem Einfluß auf Deutschland wurden, dessen
junge Maler damals vielfach nach Brüssel in die Lehre gingen.

Durch Antoine Wiertz kommt um 1850 ein etwas frischerer Zug in die
belgische Kunst. Aber Wiertz ist in seinen Malereien viel zu sehr Philosoph
und Friedenstendenzler, viel zu sehr der posierende Apostel gewisser Jdeen,
als daß er unter die großen Maler gerechnet werden könnte. Ueber seinen
tendenziösen Gedanken, die er in Riesenbilder hineintrug -- man kann sie jetzt
im Wiertz=Museum zu Brüssel sehen -- vernachlässigte er nur zu oft die künst-
lerische Form. Dem Weltfrieden galt sein regstes Jnteresse, und er hat Na-
poleon in der Hölle dargestellt, wie alle Geister erregt und drohend auf ihn
eindringen. Uebrigens zeigt er schon manches, was Watts später prägnanter
und ungleich künstlerischer ausgedrückt hat. Er ist Rubens verpflichtet und
hat ihn mit pathetischen Allüren verquickt.

Eine neue Epoche beginnt mit dem verdienstvollen Henrik Leys. Er
knüpft wieder an eine solide Tradition an, zunächst an die alten Holländer,
Pieter de Hoch und Terborg, dann an die alten deutschen Meister, an Dürer,
Cranach und Holbein. Er malt mit einem herben, kräftigen Gefühl; eine
gotische Eckigkeit, spröde Form und kernige Farben kennzeichnen ihn; er ist
Maler und nicht Literat, wie Wiertz. Mancher gemeinsame Zug mit den Prä-
rafaeliten, die sich zu gleicher Zeit in England zu regen begannen, läßt sich
verzeichnen.

Dann kommt Charles de Groux. Er ging von Courbet aus, dessen
"Steinklopfer" im Jahre 1852 in Brüssel ausgestellt waren und Aufsehen
erregten. Groux malt, selber arm, die Leiden der Armut, und seine Kunst
ist dunkel und lichtlos wie die Kunst Laermans-. Auch er hat, wie Laermans,
einen "Trunkenbold" gemalt. Der Mann wird von seinen Kindern in das
Zimmer gezerrt, wo sein Weib im Sterben liegt. Da steht er nun, mit
schlotternden Knieen, besinnungslos und ekelhaft, während sein Weib den
letzten Seufzer tut. Das Bild ist stofflich, wie man sieht, noch ungleich furcht-
barer als Laermans' Bild. Dennoch ist es lange nicht so ergreifend. Das
macht, weil ihm jener große, herbe Stil fehlt, der das Bild des lebenden
Künstlers in eine höhere Region emporrückt. -- Bei de Groux findet man nicht
selten feine, geschmackvolle, farbige Reize, die an Velasquez denken lassen.
Mitunter gewinnt seine Malerei eine gewisse Größe, wie in dem " Tisch-
gebet ": Sinn für mächtige Kontur und ernste Schlichtheit paart sich mit
eigentümlich süßlichen Elementen.

688 H. Bethge: Die Malerei in Belgien.
macht Minne alle Geberden ekstatischer, traumhafter, sehnsuchtsvoller und
auch kränklicher. Etwas Süßes, etwas Wehes, etwas Verworrenes ist in
seinen eigenwilligen Bildwerken. Er weist zu Maeterlinck und Khnopff
hinüber.

Belgien hat nicht immer so wichtige und interessante künstlerische Re-
präsentanten wie heute gehabt. Jn der ersten Hälfte des verflossenen Jahr-
hunderts herrschte in Belgien durchaus die Theaterpose à la Piloty und eine
sehr äußerliche, flache Abhängigkeit von Rubens: Gustave Wappers, Louis
Gallait und Edmond de Bièfve waren die wichtigsten Vertreter dieser Rich-
tung; sie malten schlimme historische Bilder, die für einen Menschen von
heute nicht mehr genießbar sind, damals aber höchst berühmt und bestaunt
waren und leider von nachhaltigem Einfluß auf Deutschland wurden, dessen
junge Maler damals vielfach nach Brüssel in die Lehre gingen.

Durch Antoine Wiertz kommt um 1850 ein etwas frischerer Zug in die
belgische Kunst. Aber Wiertz ist in seinen Malereien viel zu sehr Philosoph
und Friedenstendenzler, viel zu sehr der posierende Apostel gewisser Jdeen,
als daß er unter die großen Maler gerechnet werden könnte. Ueber seinen
tendenziösen Gedanken, die er in Riesenbilder hineintrug — man kann sie jetzt
im Wiertz=Museum zu Brüssel sehen — vernachlässigte er nur zu oft die künst-
lerische Form. Dem Weltfrieden galt sein regstes Jnteresse, und er hat Na-
poleon in der Hölle dargestellt, wie alle Geister erregt und drohend auf ihn
eindringen. Uebrigens zeigt er schon manches, was Watts später prägnanter
und ungleich künstlerischer ausgedrückt hat. Er ist Rubens verpflichtet und
hat ihn mit pathetischen Allüren verquickt.

Eine neue Epoche beginnt mit dem verdienstvollen Henrik Leys. Er
knüpft wieder an eine solide Tradition an, zunächst an die alten Holländer,
Pieter de Hoch und Terborg, dann an die alten deutschen Meister, an Dürer,
Cranach und Holbein. Er malt mit einem herben, kräftigen Gefühl; eine
gotische Eckigkeit, spröde Form und kernige Farben kennzeichnen ihn; er ist
Maler und nicht Literat, wie Wiertz. Mancher gemeinsame Zug mit den Prä-
rafaeliten, die sich zu gleicher Zeit in England zu regen begannen, läßt sich
verzeichnen.

Dann kommt Charles de Groux. Er ging von Courbet aus, dessen
„Steinklopfer“ im Jahre 1852 in Brüssel ausgestellt waren und Aufsehen
erregten. Groux malt, selber arm, die Leiden der Armut, und seine Kunst
ist dunkel und lichtlos wie die Kunst Laermans-. Auch er hat, wie Laermans,
einen „Trunkenbold“ gemalt. Der Mann wird von seinen Kindern in das
Zimmer gezerrt, wo sein Weib im Sterben liegt. Da steht er nun, mit
schlotternden Knieen, besinnungslos und ekelhaft, während sein Weib den
letzten Seufzer tut. Das Bild ist stofflich, wie man sieht, noch ungleich furcht-
barer als Laermans' Bild. Dennoch ist es lange nicht so ergreifend. Das
macht, weil ihm jener große, herbe Stil fehlt, der das Bild des lebenden
Künstlers in eine höhere Region emporrückt. — Bei de Groux findet man nicht
selten feine, geschmackvolle, farbige Reize, die an Velasquez denken lassen.
Mitunter gewinnt seine Malerei eine gewisse Größe, wie in dem „ Tisch-
gebet “: Sinn für mächtige Kontur und ernste Schlichtheit paart sich mit
eigentümlich süßlichen Elementen.

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[688/0048] 688 H. Bethge: Die Malerei in Belgien. macht Minne alle Geberden ekstatischer, traumhafter, sehnsuchtsvoller und auch kränklicher. Etwas Süßes, etwas Wehes, etwas Verworrenes ist in seinen eigenwilligen Bildwerken. Er weist zu Maeterlinck und Khnopff hinüber. Belgien hat nicht immer so wichtige und interessante künstlerische Re- präsentanten wie heute gehabt. Jn der ersten Hälfte des verflossenen Jahr- hunderts herrschte in Belgien durchaus die Theaterpose à la Piloty und eine sehr äußerliche, flache Abhängigkeit von Rubens: Gustave Wappers, Louis Gallait und Edmond de Bièfve waren die wichtigsten Vertreter dieser Rich- tung; sie malten schlimme historische Bilder, die für einen Menschen von heute nicht mehr genießbar sind, damals aber höchst berühmt und bestaunt waren und leider von nachhaltigem Einfluß auf Deutschland wurden, dessen junge Maler damals vielfach nach Brüssel in die Lehre gingen. Durch Antoine Wiertz kommt um 1850 ein etwas frischerer Zug in die belgische Kunst. Aber Wiertz ist in seinen Malereien viel zu sehr Philosoph und Friedenstendenzler, viel zu sehr der posierende Apostel gewisser Jdeen, als daß er unter die großen Maler gerechnet werden könnte. Ueber seinen tendenziösen Gedanken, die er in Riesenbilder hineintrug — man kann sie jetzt im Wiertz=Museum zu Brüssel sehen — vernachlässigte er nur zu oft die künst- lerische Form. Dem Weltfrieden galt sein regstes Jnteresse, und er hat Na- poleon in der Hölle dargestellt, wie alle Geister erregt und drohend auf ihn eindringen. Uebrigens zeigt er schon manches, was Watts später prägnanter und ungleich künstlerischer ausgedrückt hat. Er ist Rubens verpflichtet und hat ihn mit pathetischen Allüren verquickt. Eine neue Epoche beginnt mit dem verdienstvollen Henrik Leys. Er knüpft wieder an eine solide Tradition an, zunächst an die alten Holländer, Pieter de Hoch und Terborg, dann an die alten deutschen Meister, an Dürer, Cranach und Holbein. Er malt mit einem herben, kräftigen Gefühl; eine gotische Eckigkeit, spröde Form und kernige Farben kennzeichnen ihn; er ist Maler und nicht Literat, wie Wiertz. Mancher gemeinsame Zug mit den Prä- rafaeliten, die sich zu gleicher Zeit in England zu regen begannen, läßt sich verzeichnen. Dann kommt Charles de Groux. Er ging von Courbet aus, dessen „Steinklopfer“ im Jahre 1852 in Brüssel ausgestellt waren und Aufsehen erregten. Groux malt, selber arm, die Leiden der Armut, und seine Kunst ist dunkel und lichtlos wie die Kunst Laermans-. Auch er hat, wie Laermans, einen „Trunkenbold“ gemalt. Der Mann wird von seinen Kindern in das Zimmer gezerrt, wo sein Weib im Sterben liegt. Da steht er nun, mit schlotternden Knieen, besinnungslos und ekelhaft, während sein Weib den letzten Seufzer tut. Das Bild ist stofflich, wie man sieht, noch ungleich furcht- barer als Laermans' Bild. Dennoch ist es lange nicht so ergreifend. Das macht, weil ihm jener große, herbe Stil fehlt, der das Bild des lebenden Künstlers in eine höhere Region emporrückt. — Bei de Groux findet man nicht selten feine, geschmackvolle, farbige Reize, die an Velasquez denken lassen. Mitunter gewinnt seine Malerei eine gewisse Größe, wie in dem „ Tisch- gebet “: Sinn für mächtige Kontur und ernste Schlichtheit paart sich mit eigentümlich süßlichen Elementen.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/48>, abgerufen am 24.11.2024.