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Das Heller-Blatt. Nr. 26. Breslau, 28. Juni 1834.

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Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz]
Nicolo Paganini.

Der erstaunungswürdigste Virtuos der bis jetzt ge-
lebt hat, Nicolo Paganini wurde im Februar 1784
zu Genua geboren. Sein Vater, kaum die Anlagen
seines Sohnes bemerkend, suchte diese in jeder Art zu
benutzen und den Verdienst seines Kindes in die Tasche
zu stecken. Mit großer Strenge hielt er denselben seit
seiner frühesten Jugend zur Uebung auf seinem Jnstru-
ment, der Violine, an, und bediente sich dabei der här-
testen Strafen, des Hungers und der Schläge, um den
Knaben zum Fleiße anzuhalten. Dennoch übertraf die-
ser durch Eifer und brennende Begeisterung für die Mu-
sik die Härte seines geitzigen Vaters. Schon in diesen
frühesten Jahren trieb es ihn an, unaufhörlich neue
Bahnen zu suchen und über das gewöhnliche Maaß hin-
auszuschreiten. Er suchte sich selbst neue und oft die
seltsamsten Griffe auf seinem Jnstrumente heraus, deren
Zusammenklingen die Hörer in Erstaunen setzte. Das
Lob Sachverständiger konnte den Knaben fast krankhaft
begeistern, und er schämte sich als er hörte, daß Mo-
zart schon in seinem sechsten Jahre ein Klavierkonzert
mit allen Jnstrumenten geschrieben hatte. Bei den
verschiedenen Kirchenkonzerteu ließ er sich zuerst öffent-
lich hören und erregte schon damals allgemeines Erstau-
nen. Den ersten gründlichen Unterricht in der Violine
erhielt er von Costa. Nach sechs Monaten war der
Meister seinem Zögling nicht mehr gewachsen, und er
sollte zu Rolla nach Parma kommen. Ueber das Ver-
hältniß zu diesem Künstler erzählt P. selbst folgende
Anekdote: "Als wir zu Rolla kamen, ( P's Vater war
mit ) war er krank und lag mißmuthig im Bett. Seine
Frau führte uns daher erst ins Nebenzimmer, um mit
ihrem Manne, der nicht sonderliche Lust zu haben schien
uns zu empfangen, Rücksprache zu nehmen. Auf ei-
nem Tisch erblickte ich eine Violine und das neueste Kon-
zert Rollas. Jch ergriff das Jnstrument und spielte
das Stück vom Blatte. Der höchst erstaunte Kompo-
nist verlangte zu wissen, wer der fremde Virtuose sei;
da man ihm nun den Knaben nannte, wollte er es
durchaus nicht glauben. Als er sich endlich überzeugt
hatte, erklärte er, er könne mir nichts mehr lehren, und
sandte mich sofort zu dem berühmten Paer." Dieser
gewann den Knaben ungemein lieb. Nunmehr reiste
der Vater des Künstlers mit ihm durch die vorzüglich-
sten Städte Oberitaliens, wo der vierzehnjährige Vir-
tuose das größte Erstaunen erregte. Bei dem Musik-
feste zn Lucca, welches damals jährlich am Martins-
tage gefeiert wurde, trat P. zum ersten Male auf, ohne
von seinem strengen Vater begleitet zu werden. Von
jener Zeit an scheint er selbstständig geblieben zu seyn.

P's Ruf wuchs in seinem Vaterlande mit jedem
Tage, jedoch drang er damals noch nicht ins Ausland,
weil die ausländischen Virtuosen, die ihn etwa hörten,
aus Eigenliebe sich hüteten, die Herolde seines Rufs zu
[Spaltenumbruch] werden. Jn den Jahren 1812-13 meldeten zuerst
deutsche Blätter die außerordentliche Erscheinung, aber
das Unglaubliche streifte zu sehr an Charlatanerie, als
daß es einen tiefen Eindruck hätte machen können. Jm
Jahr 1828 endlich überstieg P., einem Kriegshelden
vergleichbar, die Alpen, und richtete seinen Siegeszug
von Wien aus durch die Hanptstädte des nördlichen
Europas. Das P. überall als eine der außerordent-
lichsten Erscheinungen gepriesen, doch wohl auch hier
und da ( z. B. in Prag ) sein Genie bezweifelt und er als
Charlatan in öffentlichen Blättern bezeichnet wurde, ist
noch zu neu, als daß wir darüber näher berichten dürf-
t n. Die Geschichte des Künstlers ist vielfach bewegt
und mit Liebesgeschichten durchflochten, indeß sind die
Erzählungen über angeblich von ihm verübte Verbre-
chen und seine spätere fünfzehnjährige Einsperrung
durchaus Fabeln. Ein verbürgtes Ereigniß aus dem
Leben des Künstlers hat, obwohl an sich unbedeutend,
doch einen zu entscheidenden Einfluß auf die künstlerische
Entwickelung P's gehabt, als daß wir es hier überge-
hen könnten. Am Hofe zu Lucca, dessen Ruf freilich
nicht der günstigste ist, entspann sich zwischen dem
Künstler und einer Hofdame ein zärtliches Verhältniß.
Auch hier wurde der Himmel der Liebenden durch Ge-
witterwolken, die sie selbst herauffübrten, verhüllt;
man zürnte, aber man versöhnte sich wieder. P., dem
Alles Musik wurde, verfiel darauf, dieses Ereigniß in
eine musikalische Form zu bringen, der er den Namen
Liebesscene gab. Er hatte nämlich die beiden mittlern
Saiten seiner Violine abgespannt und spielte nur auf
der Quinte und G- Saite eine Art von Duett, wobei
er die weibliche Stimme auf der hohen, die männliche
auf der tiefen Saite nachahmend, anfangs ein scherz-
haftes Tändeln, dann ein Erzürnen und dann ein süßes
Vergeben in harmonischem Zusammenspiel auf beiden
Saiten darstellte. Die Dame, welcher die Komposi-
tion galt, hatte sie verstanden und belohnte den Künst-
ler mit süßen Liebesblicken; die Fürstin Elisa Bacciochi
aber warf zufällig, indem sie den Künstler für seine Lei-
stung lobte, die Worte hin: "Da Sie auf zwei Sai-
ten so etwas Schönes geleistet haben, würden Sie
auch wohl im Stande seyn, auf einer Saite etwas
hören zu lassen?" Diesen Wink faßte P. auf, schrieb
eine Sonate für die G- Saite, welche er Napoleon
nannte, und erregte durch dieses Stück das höchste Er-
staunen. Von der Zeit an faßte er eine Vorliebe für
die G- Saite und suchte derselben alle nur möglichen
Vortheile abzugewinnen.

Paganini hat das Violinspiel durch mechanische
Handgriffe ungemein erweitert; er spielt häufig mit
umgestimmten Saiten; er führt drei= ja vierstimmige
Sätze aus, wobei er das Pizzicato mit dem Gebrauch
des Bogens mischt; das Flageolett hat er, indem er es
auch zu Doppelgriffen benutzt, zu einem hohen Grade
ausgebildet, so daß Violinspieler dies fast als den höch-
[Ende Spaltensatz]

Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz]
Nicolo Paganini.

Der erstaunungswürdigste Virtuos der bis jetzt ge-
lebt hat, Nicolo Paganini wurde im Februar 1784
zu Genua geboren. Sein Vater, kaum die Anlagen
seines Sohnes bemerkend, suchte diese in jeder Art zu
benutzen und den Verdienst seines Kindes in die Tasche
zu stecken. Mit großer Strenge hielt er denselben seit
seiner frühesten Jugend zur Uebung auf seinem Jnstru-
ment, der Violine, an, und bediente sich dabei der här-
testen Strafen, des Hungers und der Schläge, um den
Knaben zum Fleiße anzuhalten. Dennoch übertraf die-
ser durch Eifer und brennende Begeisterung für die Mu-
sik die Härte seines geitzigen Vaters. Schon in diesen
frühesten Jahren trieb es ihn an, unaufhörlich neue
Bahnen zu suchen und über das gewöhnliche Maaß hin-
auszuschreiten. Er suchte sich selbst neue und oft die
seltsamsten Griffe auf seinem Jnstrumente heraus, deren
Zusammenklingen die Hörer in Erstaunen setzte. Das
Lob Sachverständiger konnte den Knaben fast krankhaft
begeistern, und er schämte sich als er hörte, daß Mo-
zart schon in seinem sechsten Jahre ein Klavierkonzert
mit allen Jnstrumenten geschrieben hatte. Bei den
verschiedenen Kirchenkonzerteu ließ er sich zuerst öffent-
lich hören und erregte schon damals allgemeines Erstau-
nen. Den ersten gründlichen Unterricht in der Violine
erhielt er von Costa. Nach sechs Monaten war der
Meister seinem Zögling nicht mehr gewachsen, und er
sollte zu Rolla nach Parma kommen. Ueber das Ver-
hältniß zu diesem Künstler erzählt P. selbst folgende
Anekdote: „Als wir zu Rolla kamen, ( P's Vater war
mit ) war er krank und lag mißmuthig im Bett. Seine
Frau führte uns daher erst ins Nebenzimmer, um mit
ihrem Manne, der nicht sonderliche Lust zu haben schien
uns zu empfangen, Rücksprache zu nehmen. Auf ei-
nem Tisch erblickte ich eine Violine und das neueste Kon-
zert Rollas. Jch ergriff das Jnstrument und spielte
das Stück vom Blatte. Der höchst erstaunte Kompo-
nist verlangte zu wissen, wer der fremde Virtuose sei;
da man ihm nun den Knaben nannte, wollte er es
durchaus nicht glauben. Als er sich endlich überzeugt
hatte, erklärte er, er könne mir nichts mehr lehren, und
sandte mich sofort zu dem berühmten Paer.“ Dieser
gewann den Knaben ungemein lieb. Nunmehr reiste
der Vater des Künstlers mit ihm durch die vorzüglich-
sten Städte Oberitaliens, wo der vierzehnjährige Vir-
tuose das größte Erstaunen erregte. Bei dem Musik-
feste zn Lucca, welches damals jährlich am Martins-
tage gefeiert wurde, trat P. zum ersten Male auf, ohne
von seinem strengen Vater begleitet zu werden. Von
jener Zeit an scheint er selbstständig geblieben zu seyn.

P's Ruf wuchs in seinem Vaterlande mit jedem
Tage, jedoch drang er damals noch nicht ins Ausland,
weil die ausländischen Virtuosen, die ihn etwa hörten,
aus Eigenliebe sich hüteten, die Herolde seines Rufs zu
[Spaltenumbruch] werden. Jn den Jahren 1812–13 meldeten zuerst
deutsche Blätter die außerordentliche Erscheinung, aber
das Unglaubliche streifte zu sehr an Charlatanerie, als
daß es einen tiefen Eindruck hätte machen können. Jm
Jahr 1828 endlich überstieg P., einem Kriegshelden
vergleichbar, die Alpen, und richtete seinen Siegeszug
von Wien aus durch die Hanptstädte des nördlichen
Europas. Das P. überall als eine der außerordent-
lichsten Erscheinungen gepriesen, doch wohl auch hier
und da ( z. B. in Prag ) sein Genie bezweifelt und er als
Charlatan in öffentlichen Blättern bezeichnet wurde, ist
noch zu neu, als daß wir darüber näher berichten dürf-
t n. Die Geschichte des Künstlers ist vielfach bewegt
und mit Liebesgeschichten durchflochten, indeß sind die
Erzählungen über angeblich von ihm verübte Verbre-
chen und seine spätere fünfzehnjährige Einsperrung
durchaus Fabeln. Ein verbürgtes Ereigniß aus dem
Leben des Künstlers hat, obwohl an sich unbedeutend,
doch einen zu entscheidenden Einfluß auf die künstlerische
Entwickelung P's gehabt, als daß wir es hier überge-
hen könnten. Am Hofe zu Lucca, dessen Ruf freilich
nicht der günstigste ist, entspann sich zwischen dem
Künstler und einer Hofdame ein zärtliches Verhältniß.
Auch hier wurde der Himmel der Liebenden durch Ge-
witterwolken, die sie selbst herauffübrten, verhüllt;
man zürnte, aber man versöhnte sich wieder. P., dem
Alles Musik wurde, verfiel darauf, dieses Ereigniß in
eine musikalische Form zu bringen, der er den Namen
Liebesscene gab. Er hatte nämlich die beiden mittlern
Saiten seiner Violine abgespannt und spielte nur auf
der Quinte und G- Saite eine Art von Duett, wobei
er die weibliche Stimme auf der hohen, die männliche
auf der tiefen Saite nachahmend, anfangs ein scherz-
haftes Tändeln, dann ein Erzürnen und dann ein süßes
Vergeben in harmonischem Zusammenspiel auf beiden
Saiten darstellte. Die Dame, welcher die Komposi-
tion galt, hatte sie verstanden und belohnte den Künst-
ler mit süßen Liebesblicken; die Fürstin Elisa Bacciochi
aber warf zufällig, indem sie den Künstler für seine Lei-
stung lobte, die Worte hin: „Da Sie auf zwei Sai-
ten so etwas Schönes geleistet haben, würden Sie
auch wohl im Stande seyn, auf einer Saite etwas
hören zu lassen?“ Diesen Wink faßte P. auf, schrieb
eine Sonate für die G- Saite, welche er Napoleon
nannte, und erregte durch dieses Stück das höchste Er-
staunen. Von der Zeit an faßte er eine Vorliebe für
die G- Saite und suchte derselben alle nur möglichen
Vortheile abzugewinnen.

Paganini hat das Violinspiel durch mechanische
Handgriffe ungemein erweitert; er spielt häufig mit
umgestimmten Saiten; er führt drei= ja vierstimmige
Sätze aus, wobei er das Pizzicato mit dem Gebrauch
des Bogens mischt; das Flageolett hat er, indem er es
auch zu Doppelgriffen benutzt, zu einem hohen Grade
ausgebildet, so daß Violinspieler dies fast als den höch-
[Ende Spaltensatz]

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Ein verbürgtes Ereigniß aus dem Leben des Künstlers hat, obwohl an sich unbedeutend, doch einen zu entscheidenden Einfluß auf die künstlerische Entwickelung P's gehabt, als daß wir es hier überge- hen könnten. Am Hofe zu Lucca, dessen Ruf freilich nicht der günstigste ist, entspann sich zwischen dem Künstler und einer Hofdame ein zärtliches Verhältniß. Auch hier wurde der Himmel der Liebenden durch Ge- witterwolken, die sie selbst herauffübrten, verhüllt; man zürnte, aber man versöhnte sich wieder. P., dem Alles Musik wurde, verfiel darauf, dieses Ereigniß in eine musikalische Form zu bringen, der er den Namen Liebesscene gab. 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Zitationshilfe: Das Heller-Blatt. Nr. 26. Breslau, 28. Juni 1834, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_heller26_1834/7>, abgerufen am 01.06.2024.