[N. N.]: Fortgesetzte und erweiterte Beschreibung des entsetzlichen Erdbebens. [s. l.], 1756.Mein Herr! seit etlichen Tagen fange ich an, mich mit meinem Unglücke Mein Herr! ſeit etlichen Tagen fange ich an, mich mit meinem Ungluͤcke <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0002"/> <p>Mein Herr! ſeit etlichen Tagen fange ich an, mich mit meinem Ungluͤcke<lb/> bekannt zu machen. Das Verlangen, die Umſtaͤnde dieſer entſetzlichen Begeben-<lb/> heit zu erfahren, hat dem Schrecken, damit ich befallen war, Platz gemacht. Jch<lb/> habe den Muth gehabt, auf die ſchreckbaren Ueberreſte unſerer ungluͤckſeligen<lb/> Haupt-Stadt, die ich kaum habe erkennen koͤnnen, ein achtſames Auge richten;<lb/> und ich kan ihnen gegenwaͤrtig die Verwuͤſtungen, welche durch das grimmige<lb/> Erdbeben von 1. Nov. zuwege gebracht worden, getreulich abſchildern. Anfaͤng-<lb/> lich waren einige geringe und ſchwache Erſchuͤtterungen. Der erſte empfindliche<lb/> Stoß warf alle Kirchen uͤbern Hauffen, in welche die Heiligkeit des Tages viele<lb/> Andaͤchtige gefuͤhret hatte. Die groſſen Palaͤſte thaten nicht mehr Widerſtand.<lb/> Die meiſten von ihnen ſtuͤrtzten durch eben dieſe Erſchuͤtterung; und allſo waren die<lb/> herrlichſten und praͤchtigſten Gebaͤude, die Liſſabon nur hatte, mit einem mahl<lb/> und wie durch einen Ruthen-Streich zerſtoͤhret. Unter den merckwuͤrdigſten Kir-<lb/> chen, welche eingeſtuͤrtzet ſind, bedauert man das Profeß-Haus der Jeſuiten ſehr,<lb/> darinn die St. Johannis-Capelle war, die eine unſaͤgliche Menge Reichthuͤmer<lb/> an Gold, Silber, Diamanten und andern Edelgeſteinen, und an Meiſterſtuͤcken<lb/> von Mahlerey und Bildhauer-Kunſt enthielt. Es war faſt kein Haus, welches<lb/> nicht durch dieſen erſten Stoß litte. Einige fielen gantz und gar ein, andere ver-<lb/> lohren nur ihre Facade; diejenigen aber, welche gantz ſtehen blieben, bekamen auf<lb/> allen Seiten Riſſe, und ſchienen denen, die ſie bewohnten, den baldigſten Tod zu<lb/> drohen. Auf dieſen erſten Stoß folgten verſchiedene andere, welche ander Gebaͤu-<lb/> de umworffen. Dieſe ſchreckliche Verwuͤſtung dauerte ohngefaͤhr 10. Minuten.<lb/> Jch ſage ohngefaͤhr, denn ich glaube nicht, daß wohl eine eintzige Perſohn gewe-<lb/> ſen, die in dieſem Augenblicke der Zerſtoͤhrung ſich ſo ruhig gefaſſet haͤtte, auf die<lb/> Zeit genau acht zu geben. Jedermann war nur beſchaͤfftiget, ſich aufs geſchwin-<lb/> deſte von ſeinem Hauſe zu entfernen. Man achtete ſich gluͤcklich, durch die erſten<lb/> eingeſtuͤrtzten Gebaͤude nicht zerqverſchet worden zu ſeyn, und erwartete lediglich ſein<lb/> Heil in der geſchwindeſten Flucht. Ein Particulier, der in ſeiner Stube unter den<lb/> Ruinen von den obern Stock-Werck faſt begraben war, wurde zugleich von ei-<lb/> nem Balcken dergeſtalt beklemmet, daß er ſchwerlich Athem holen konnte, und bey<lb/> deſſen geringſter Bewegung ſeines Todes gewaͤrtig ſeyn mußte. Jndem er nun<lb/> allſo glaubte, ſeiner letzten Stunde nahe zu ſeyn, hatte er ſchon der Welt abge-<lb/> ſaget, als ein neuer Stoß, durch den er ſich ſein Ende verſahe, zu ſeinem Gluͤck<lb/> zu ſeiner Errettung kam. Dieſer neue Stoß machte, daß der Balcke und der<lb/> groͤſte Theil von dem, was mehr auf ihm lag, vom Hauſe hinab fiel, allſo, daß<lb/> er ſich von der ſchweren Laſt, die ihn druͤckte, befreyet fand, und im Stande war,<lb/> aus einer Stadt zu gehen, wo der Aufenthalt ſo gefaͤhrlich war. Man hat mir<lb/> geſagt, daß ein hier zu Lande wohlbekannter Mann, der ſich in dem dritten Sto-<lb/> cke ſeines Hauſes befunden, das ſich geſencket, ſo viel entſchluͤſſung gehabt, durch<lb/> das Fenſter in dem Augenblicke, da eben dieſes Fenſter ſich faſt der Erde gleich be-<lb/> funden, zu ſpringen, und daß er durch dieſes erſtaunliche Mittel ſo gluͤcklich gewe-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0002]
Mein Herr! ſeit etlichen Tagen fange ich an, mich mit meinem Ungluͤcke
bekannt zu machen. Das Verlangen, die Umſtaͤnde dieſer entſetzlichen Begeben-
heit zu erfahren, hat dem Schrecken, damit ich befallen war, Platz gemacht. Jch
habe den Muth gehabt, auf die ſchreckbaren Ueberreſte unſerer ungluͤckſeligen
Haupt-Stadt, die ich kaum habe erkennen koͤnnen, ein achtſames Auge richten;
und ich kan ihnen gegenwaͤrtig die Verwuͤſtungen, welche durch das grimmige
Erdbeben von 1. Nov. zuwege gebracht worden, getreulich abſchildern. Anfaͤng-
lich waren einige geringe und ſchwache Erſchuͤtterungen. Der erſte empfindliche
Stoß warf alle Kirchen uͤbern Hauffen, in welche die Heiligkeit des Tages viele
Andaͤchtige gefuͤhret hatte. Die groſſen Palaͤſte thaten nicht mehr Widerſtand.
Die meiſten von ihnen ſtuͤrtzten durch eben dieſe Erſchuͤtterung; und allſo waren die
herrlichſten und praͤchtigſten Gebaͤude, die Liſſabon nur hatte, mit einem mahl
und wie durch einen Ruthen-Streich zerſtoͤhret. Unter den merckwuͤrdigſten Kir-
chen, welche eingeſtuͤrtzet ſind, bedauert man das Profeß-Haus der Jeſuiten ſehr,
darinn die St. Johannis-Capelle war, die eine unſaͤgliche Menge Reichthuͤmer
an Gold, Silber, Diamanten und andern Edelgeſteinen, und an Meiſterſtuͤcken
von Mahlerey und Bildhauer-Kunſt enthielt. Es war faſt kein Haus, welches
nicht durch dieſen erſten Stoß litte. Einige fielen gantz und gar ein, andere ver-
lohren nur ihre Facade; diejenigen aber, welche gantz ſtehen blieben, bekamen auf
allen Seiten Riſſe, und ſchienen denen, die ſie bewohnten, den baldigſten Tod zu
drohen. Auf dieſen erſten Stoß folgten verſchiedene andere, welche ander Gebaͤu-
de umworffen. Dieſe ſchreckliche Verwuͤſtung dauerte ohngefaͤhr 10. Minuten.
Jch ſage ohngefaͤhr, denn ich glaube nicht, daß wohl eine eintzige Perſohn gewe-
ſen, die in dieſem Augenblicke der Zerſtoͤhrung ſich ſo ruhig gefaſſet haͤtte, auf die
Zeit genau acht zu geben. Jedermann war nur beſchaͤfftiget, ſich aufs geſchwin-
deſte von ſeinem Hauſe zu entfernen. Man achtete ſich gluͤcklich, durch die erſten
eingeſtuͤrtzten Gebaͤude nicht zerqverſchet worden zu ſeyn, und erwartete lediglich ſein
Heil in der geſchwindeſten Flucht. Ein Particulier, der in ſeiner Stube unter den
Ruinen von den obern Stock-Werck faſt begraben war, wurde zugleich von ei-
nem Balcken dergeſtalt beklemmet, daß er ſchwerlich Athem holen konnte, und bey
deſſen geringſter Bewegung ſeines Todes gewaͤrtig ſeyn mußte. Jndem er nun
allſo glaubte, ſeiner letzten Stunde nahe zu ſeyn, hatte er ſchon der Welt abge-
ſaget, als ein neuer Stoß, durch den er ſich ſein Ende verſahe, zu ſeinem Gluͤck
zu ſeiner Errettung kam. Dieſer neue Stoß machte, daß der Balcke und der
groͤſte Theil von dem, was mehr auf ihm lag, vom Hauſe hinab fiel, allſo, daß
er ſich von der ſchweren Laſt, die ihn druͤckte, befreyet fand, und im Stande war,
aus einer Stadt zu gehen, wo der Aufenthalt ſo gefaͤhrlich war. Man hat mir
geſagt, daß ein hier zu Lande wohlbekannter Mann, der ſich in dem dritten Sto-
cke ſeines Hauſes befunden, das ſich geſencket, ſo viel entſchluͤſſung gehabt, durch
das Fenſter in dem Augenblicke, da eben dieſes Fenſter ſich faſt der Erde gleich be-
funden, zu ſpringen, und daß er durch dieſes erſtaunliche Mittel ſo gluͤcklich gewe-
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