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Mährisches Tagblatt. Nr. 17, Olmütz, 22.01.1894.

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"Mährische Tagblatt"
erscheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
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Telephon Nr. 9.


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Mährisches
Tagblatt.

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nach aufliegendem Tarif.



Außerhalb Olmütz überneh-
men Insertions-Aufträge
Heinrich Schalek, Annon-
cen-Exped in Wien, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein &
Vogler,
in Wien, Buda-
pest, Berlin, Frankfurt a. M.
[...]mburg, Basel und Leipzig.
Al[ois] Opellik, in Wien. Rud.
Mosse,
in Wien, München u.
Berlin. M. Dukes, Wien, I.
Schulerstraße 8. G. L. Daube,
and Co.,
Frankfurt a. M.
Karoly u. Liebmann's Annon-
cenb[u]reau in Hamburg, [so]wie
[säm]mtl. conc. Insertionsbu-
r[ea]us des In- u. Auslandes.
Manuscripte werden nich
zurückgestellt.


Telephon Nr. 9.




Nr. 17 Olmütz, Montag, den 22. Jänner, 1894. 15. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Neue Krisen in Serbien.


Zur Abwechslung "kriselt" es wieder einmal
in Serbien. Es deuten allerlei Anzeichen auf
eine baldige tiefgehende Wandlung in den politi-
schen Verhältnissen des Königreiches Serbien hin,
und welche Mühe sich auch die vom radicalen
Central-Ausschuß inspirirte Belgrader Presse gebe,
die Gerüchte über einen bevorstehenden Zusammen-
bruch zu dementiren, die serbische Politik kracht
zu laut in allen ihren Fugen, um den Glauben
an die Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes
aufkommen zu lassen. Wie die Verhältnisse heute
liegen, kann ein gründlicher Regimewechsel in
Serbien nur noch eine Frage von Wochen sein.
Das Cabinet Gruics ist in sich uneinig, seine
gemäßigt-radicale Mehrheit ist eine Gefangene
der extrem-radicalen Minderheit, hinter welcher
der ganz und gar von der bäuerlichen Demagogie
beherrschte Partei-Ausschuß steht. Die maßvollen
und klugen Männer, die heute im Kronrathe
sitzen, sind sonach zur Ohnmacht verurtheilt; ihre
löblichsten Vorsätze scheitern an dem Terrorismus,
der durch ihre dem extremen Parteiflügel ange-
hörigen Ministercollegen auf sie geübt wird. Diese
Minorität des Cabinets vor den Kopf zu stoßen,
ist moralisch und materiell gleich unmöglich; denn
sie repräsentirt die erdrückende Mehrheit jener
Partei, die -- bis auf die zehn fortschrittlichen
Mandate -- über sämmtliche Stimmen der
Skupschtina verfügt. So wird denn heute Serbien
nicht aus den Bureaux der Minister, sondern
aus dem Clublocal des radicalen Partei-Aus-
schusses regiert.

Dieser Sachverhalt erklärt manche sonst
räthselhafte Erscheinung der serbischen Polikik;
er erklärt alle die monströsen Züge derselben, die
[Spaltenumbruch] sich wie ein Hohn auf politische Gesittung und
gesunden Menschenverstand ausnehmen. Die rohen
Instinkte und die Bornirtheit des Pöbels: diese
beiden Factoren vergewaltigen in Serbien jegliche
radicale Regierung, welchen Namen sie immer
haben möge. Diesen Factoren dankte der nach so
vielen Mühen endlich beigelegte Obrt[-]Conflikt
seinen Ursprung. Der Minister des Aeußern im
Ministerium Dokics, Herr Andra Nikolics, ist
ein besonnener, klar denkender Politiker, der auf
die freundschaftlichen Beziehungen mit unserer
Monarchie das allergrößte Gewicht legte. Seine
guten Absichten wurden aber vereitelt durch den
beständig nach Bosnien schielenden großserbischen
Wahnsinn des Partei-Ausschusses, dem es richtig
gelang, die loyalen Pläne des Ministers des
Aeußern durch einen wirthschaftspolitischen Conflict
mit unserer Monarchie zu durchkreuzen. Und weil
Nikolics nicht mitthun wollte, als es sich darum
handelte, Serbien mit Oesterreich-Ungarn zu
brouilliren, empfing er von der Demagogie seine
Strafe: er mußte bei der Reconstruction des
Ministeriums Dokics sein Portefeuille niederlegen.
Und nun kommt ein anderes gefährliches Unter-
nehmen der extremen Elemente: der in der
Skupschtina noch in diesem Monate zur Ver-
handlung gelangende Antrag auf Hinausgabe
der Waffen an die nationale Miliz. Welche Be-
deutung dieser Antrag hat, braucht Niemandem
erst gesagt zu werden. Das wäre einfach die
Stabilisirung einer zweifachen Gefahr: der Ge-
fahr innerer Insurrctionen und äußerer Ver-
wicklungen. Die zügellose Demagogie kriegerisch
ausrüsten, hieße: die innere Ordnung und den
internationalen Frieden des Landes den Bauern-
massen auf Gnade und Ungnade ausliefern.
Ginge der Antrag durch, so müßte man jeden
Augenblick darauf gefaßt sein, ein durch Auf-
[Spaltenumbruch] wiegler zusammengetrommeltes Volksheer einmal
gegen die legalen Gewalten des eigenen Landes
marschiren, ein andermal in das Gebiet benach-
barter Mächte einbrechen zu sehen. Ueber
Nacht könnte alsdann Serbien in einen blu-
tigen Bürgerkrieg, oder in einen bewaffneten
Conflict mit seinen Nachbarn, oder auch in Bei-
des verwickelt werden. Daß unter solchen Um-
ständen keine Regierung in Serbien die Verant-
wortung für die inneren und äußeren Schicksale
des Landes zu übernehmen vermöchte, liegt klar
auf der Hand. Allein der Parteiausschuß besteht
auf dem Unsinn, und der Wille dieses Ausschusses
ist auch derjenige der Skupschtina-Mehrheit.

Das ist nun der Grund der abermaligen
Krise in Serbien. Der radicale Mob wähnt sich
allmächtig seit dem Staatsstreiche und er geht
jetzt daran, seine Allmacht werkthätig auszuüben.
Die Lage ist für den König und für die ge-
mäßigten Elemente der Regierung eine überaus
gefährliche. Triumphirt auch dießmal die Dema-
gogie, so ist ein anarchistischer Zustand geschaffen,
der unfehlbar zum allgemeinen Zusammenbruche
führen muß. Unterliegt sie aber, so ist es um
das streng verfassungsmäßige Regime geschehen,
denn Krone und Regierung müßten, um das
drohende Unglück abzuwehren, sich gegen die
Skupschtina-Mehrheit wenden, d. i. gegen den-
jenigen Factor, der im Sinne der Constitution
der serbischen Politik die Richtung zu weisen hat.
Die radicale Parteileitung scheint dergleichen zu
wittern, denn sie läßt in ihrer Presse nunmehr
den König selbst angreifen.

Eine tiefe Kluft gähnt fortab zwischen König
Alexander und dem extrem-radicalen Umsturzgeiste.
Das Aufeinanderplatzen der bestehenden und un-
versöhnlichen Gegensätze kann böchstens noch ge-
fristet, für die Dauer jedoch nicht mehr aufge-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der Modedichter.
Von Alexander Engel.

(Nachdruck verboten.)

Es klopfte an seiner Thür. Mechanisch rief
er ein lautes "Herein!" Und in dem herrlichen
Salon des berühmten Dichters trat leichten
Schrittes eine elegante Dame: "Bon jour, mon
cher ami,"
sprach sie, Du kennst mich ja gut,
ich bin die Frivolität."

Der Poet brachte rasch sein Lockenhaar in
Unordnung, verbeugte sich respectvoll und wollte
der liebenswürdigen Dame die Hand küssen.

"Aber mach' keine Geschichten, ich fühle mich
bei Dir wie zu Hause, Du kannst es ebenso
machen. ..." "Lass' rasch Champagner herein-
bringen, eine gute Marke, wir werden fest trinken.
Für fesche Kerle, wie wir Zwei, geziemt sich das.
Nur Bacchanalien und Orgien feiern, Freunderl,
man muß bei diesen schlechten Zeiten seinen Pessi-
mismus im Wein ertränken. Na, warum so
stumm, red' Du auch was Geistreiches, es ist
doch Dein Geschäft."

Inzwischen hatte Jean Champagner auf den
Tisch gestellt. Der Dichter erfaßte den Kelch mit
dem perlenden, flüssigen Gold und stieß mit der
Frivolität an.


[Spaltenumbruch]

"Es lebe die neue Richtung und die alte
Dummheit," sagte sie, bevor sie das Glas an
den sinnlichen Mund setzte. Dann leerte sie den
Kelch bis auf den Grund. "Füll' nur frisch,
weißt, ich genir' mich nicht; ich bin eine ehrliche
Person und heuchle nie sittliche Entrüstung; ich
gehör' nicht zu jenen Scheinprüden, die stets
wissen, wann sie erröthen sollen. Also Prosit,
auf Dein Wohl, es lebe das Leben und meine
süße Freundin Cliquot, Juchhe!"

Mit Begeisterung trank sie den Wein. Sie
plauderten und unterhielten sich köstlich. Die
Frivolität hatte so heitere Augen, die immer
mitlachten, wenn die Cynismen des Dichters be-
sonders brutal ausfielen. Plötzlich erhob sie sich,
umarmte ihn herzlich, klopfte mit fast athletischer
Stärke auf seine Schulter und empfahl sich. --
"Ja, heut' besuch' ich alle meine Liebhaber, denn
ich bin eine treue Person und ich schau, wie's
ihnen geht ... Na, und den Champagner trink'
ich auch gern. Aber Dich hab' ich am allerlieb-
sten; ich kann mich auch nicht beklagen, Du
thust mir in Deinen Stücken, die Du schreibst,
alle Ehre an. Nur weiter brav bleiben, damit
Du noch reicher wirst. Da hast Du einen schönen
Kuß von mir ... Adieu, a revoir!" Und
sie entschwebte graciös.

Noch bevor der Dichter über das Gesche-
hene nachgedacht hatte, stand eine andere Gestalt
vor ihm. Sie trug ein zerlumptes Gewand,
[Spaltenumbruch] ihre Augen blickten so lüstern, Stirn und Wan-
gen w[a]ren mit Flecken bedeckt. "Ich bin die
Häßlichkeit," sprach sie -- ihre Stimme kreischte,
wie das Alter -- "und ich komme Dir danken
dafür, daß Du mich in so hochherziger Weise
protegirst. Wie stolz ich nun über die Bretter
wandeln kann, welche die Welt bedeuten. Ah,
jetzt, sieht mich Niemand mehr geringschätzig an,
nun achten sie mich und kümmern sich nicht
mehr um die unwahre Schönheit. Fort mit den
Sonnenstrahlen, den Blumen, dem hellen Mäd-
chengekicher. Alles Lügen der Tradition; nur
ich lebe, ich existire; schau her, das ist Alles
echter Schmutz!

Endlich habt Ihr mich entdeckt, nachdem ich
lange, lange verkannt gewesen: mit mir beginnt
für Euch die wahre Kunst, denn nur die Häßlichkeit
ist Wahrheit." Als sie sich das vom Herzen ge-
redet und ihr der Poet ewige Treue bis zu ihrem
äußersten Kloakenthum geschworen, entfernte sie
sich befriedigt. Fast wäre ein Freudenstrahl über
ihr düsteres Antlitz gepflogen, doch noch recht-
zeitig erinnerte sie sich ihres Metiers und als
civilisirte Häßlichkeit wollte sie keine Inconse-
quenz begehen ...

Bald öffnete sich wieder die Thür und eine
feierlich gekleidete Deputation trat ein, um dem
Dichter zu danken. Es kamen die Decoration, der
Scandal, die Mode und die Tendenz. -- Zum
Schlusse hüpfte der Kalauer ins's Zimmer, machte


[Spaltenumbruch]

Das
„Mähriſche Tagblatt“
erſcheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
Ausgabe 2 Uhr Nachmittag
im Adminiſtrationslocale
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Auswärts durch die Poſt:
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Halbjährig „ 7.
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Mähriſches
Tagblatt.

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nach aufliegendem Tarif.



Außerhalb Olmütz überneh-
men Inſertions-Aufträge
Heinrich Schalek, Annon-
cen-Exped in Wien, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein &
Vogler,
in Wien, Buda-
peſt, Berlin, Frankfurt a. M.
[…]mburg, Baſel und Leipzig.
Al[ois] Opellik, in Wien. Rud.
Mosse,
in Wien, München u.
Berlin. M. Dukes, Wien, I.
Schulerſtraße 8. G. L. Daube,
and Co.,
Frankfurt a. M.
Karoly u. Liebmann’s Annon-
cenb[u]reau in Hamburg, [ſo]wie
[ſäm]mtl. conc. Inſertionsbu-
r[ea]us des In- u. Auslandes.
Manuſcripte werden nich
zurückgeſtellt.


Telephon Nr. 9.




Nr. 17 Olmütz, Montag, den 22. Jänner, 1894. 15. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
Neue Kriſen in Serbien.


Zur Abwechslung „kriſelt“ es wieder einmal
in Serbien. Es deuten allerlei Anzeichen auf
eine baldige tiefgehende Wandlung in den politi-
ſchen Verhältniſſen des Königreiches Serbien hin,
und welche Mühe ſich auch die vom radicalen
Central-Ausſchuß inſpirirte Belgrader Preſſe gebe,
die Gerüchte über einen bevorſtehenden Zuſammen-
bruch zu dementiren, die ſerbiſche Politik kracht
zu laut in allen ihren Fugen, um den Glauben
an die Fortdauer des gegenwärtigen Zuſtandes
aufkommen zu laſſen. Wie die Verhältniſſe heute
liegen, kann ein gründlicher Regimewechſel in
Serbien nur noch eine Frage von Wochen ſein.
Das Cabinet Gruics iſt in ſich uneinig, ſeine
gemäßigt-radicale Mehrheit iſt eine Gefangene
der extrem-radicalen Minderheit, hinter welcher
der ganz und gar von der bäuerlichen Demagogie
beherrſchte Partei-Ausſchuß ſteht. Die maßvollen
und klugen Männer, die heute im Kronrathe
ſitzen, ſind ſonach zur Ohnmacht verurtheilt; ihre
löblichſten Vorſätze ſcheitern an dem Terrorismus,
der durch ihre dem extremen Parteiflügel ange-
hörigen Miniſtercollegen auf ſie geübt wird. Dieſe
Minorität des Cabinets vor den Kopf zu ſtoßen,
iſt moraliſch und materiell gleich unmöglich; denn
ſie repräſentirt die erdrückende Mehrheit jener
Partei, die — bis auf die zehn fortſchrittlichen
Mandate — über ſämmtliche Stimmen der
Skupſchtina verfügt. So wird denn heute Serbien
nicht aus den Bureaux der Miniſter, ſondern
aus dem Clublocal des radicalen Partei-Aus-
ſchuſſes regiert.

Dieſer Sachverhalt erklärt manche ſonſt
räthſelhafte Erſcheinung der ſerbiſchen Polikik;
er erklärt alle die monſtröſen Züge derſelben, die
[Spaltenumbruch] ſich wie ein Hohn auf politiſche Geſittung und
geſunden Menſchenverſtand ausnehmen. Die rohen
Inſtinkte und die Bornirtheit des Pöbels: dieſe
beiden Factoren vergewaltigen in Serbien jegliche
radicale Regierung, welchen Namen ſie immer
haben möge. Dieſen Factoren dankte der nach ſo
vielen Mühen endlich beigelegte Obrt[-]Conflikt
ſeinen Urſprung. Der Miniſter des Aeußern im
Miniſterium Dokics, Herr Andra Nikolics, iſt
ein beſonnener, klar denkender Politiker, der auf
die freundſchaftlichen Beziehungen mit unſerer
Monarchie das allergrößte Gewicht legte. Seine
guten Abſichten wurden aber vereitelt durch den
beſtändig nach Bosnien ſchielenden großſerbiſchen
Wahnſinn des Partei-Ausſchuſſes, dem es richtig
gelang, die loyalen Pläne des Miniſters des
Aeußern durch einen wirthſchaftspolitiſchen Conflict
mit unſerer Monarchie zu durchkreuzen. Und weil
Nikolics nicht mitthun wollte, als es ſich darum
handelte, Serbien mit Oeſterreich-Ungarn zu
brouilliren, empfing er von der Demagogie ſeine
Strafe: er mußte bei der Reconſtruction des
Miniſteriums Dokics ſein Portefeuille niederlegen.
Und nun kommt ein anderes gefährliches Unter-
nehmen der extremen Elemente: der in der
Skupſchtina noch in dieſem Monate zur Ver-
handlung gelangende Antrag auf Hinausgabe
der Waffen an die nationale Miliz. Welche Be-
deutung dieſer Antrag hat, braucht Niemandem
erſt geſagt zu werden. Das wäre einfach die
Stabiliſirung einer zweifachen Gefahr: der Ge-
fahr innerer Inſurrctionen und äußerer Ver-
wicklungen. Die zügelloſe Demagogie kriegeriſch
ausrüſten, hieße: die innere Ordnung und den
internationalen Frieden des Landes den Bauern-
maſſen auf Gnade und Ungnade ausliefern.
Ginge der Antrag durch, ſo müßte man jeden
Augenblick darauf gefaßt ſein, ein durch Auf-
[Spaltenumbruch] wiegler zuſammengetrommeltes Volksheer einmal
gegen die legalen Gewalten des eigenen Landes
marſchiren, ein andermal in das Gebiet benach-
barter Mächte einbrechen zu ſehen. Ueber
Nacht könnte alsdann Serbien in einen blu-
tigen Bürgerkrieg, oder in einen bewaffneten
Conflict mit ſeinen Nachbarn, oder auch in Bei-
des verwickelt werden. Daß unter ſolchen Um-
ſtänden keine Regierung in Serbien die Verant-
wortung für die inneren und äußeren Schickſale
des Landes zu übernehmen vermöchte, liegt klar
auf der Hand. Allein der Parteiausſchuß beſteht
auf dem Unſinn, und der Wille dieſes Ausſchuſſes
iſt auch derjenige der Skupſchtina-Mehrheit.

Das iſt nun der Grund der abermaligen
Kriſe in Serbien. Der radicale Mob wähnt ſich
allmächtig ſeit dem Staatsſtreiche und er geht
jetzt daran, ſeine Allmacht werkthätig auszuüben.
Die Lage iſt für den König und für die ge-
mäßigten Elemente der Regierung eine überaus
gefährliche. Triumphirt auch dießmal die Dema-
gogie, ſo iſt ein anarchiſtiſcher Zuſtand geſchaffen,
der unfehlbar zum allgemeinen Zuſammenbruche
führen muß. Unterliegt ſie aber, ſo iſt es um
das ſtreng verfaſſungsmäßige Regime geſchehen,
denn Krone und Regierung müßten, um das
drohende Unglück abzuwehren, ſich gegen die
Skupſchtina-Mehrheit wenden, d. i. gegen den-
jenigen Factor, der im Sinne der Conſtitution
der ſerbiſchen Politik die Richtung zu weiſen hat.
Die radicale Parteileitung ſcheint dergleichen zu
wittern, denn ſie läßt in ihrer Preſſe nunmehr
den König ſelbſt angreifen.

Eine tiefe Kluft gähnt fortab zwiſchen König
Alexander und dem extrem-radicalen Umſturzgeiſte.
Das Aufeinanderplatzen der beſtehenden und un-
verſöhnlichen Gegenſätze kann böchſtens noch ge-
friſtet, für die Dauer jedoch nicht mehr aufge-




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der Modedichter.
Von Alexander Engel.

(Nachdruck verboten.)

Es klopfte an ſeiner Thür. Mechaniſch rief
er ein lautes „Herein!“ Und in dem herrlichen
Salon des berühmten Dichters trat leichten
Schrittes eine elegante Dame: „Bon jour, mon
cher ami,“
ſprach ſie, Du kennſt mich ja gut,
ich bin die Frivolität.“

Der Poet brachte raſch ſein Lockenhaar in
Unordnung, verbeugte ſich reſpectvoll und wollte
der liebenswürdigen Dame die Hand küſſen.

„Aber mach’ keine Geſchichten, ich fühle mich
bei Dir wie zu Hauſe, Du kannſt es ebenſo
machen. ...“ „Laſſ’ raſch Champagner herein-
bringen, eine gute Marke, wir werden feſt trinken.
Für feſche Kerle, wie wir Zwei, geziemt ſich das.
Nur Bacchanalien und Orgien feiern, Freunderl,
man muß bei dieſen ſchlechten Zeiten ſeinen Peſſi-
mismus im Wein ertränken. Na, warum ſo
ſtumm, red’ Du auch was Geiſtreiches, es iſt
doch Dein Geſchäft.“

Inzwiſchen hatte Jean Champagner auf den
Tiſch geſtellt. Der Dichter erfaßte den Kelch mit
dem perlenden, flüſſigen Gold und ſtieß mit der
Frivolität an.


[Spaltenumbruch]

„Es lebe die neue Richtung und die alte
Dummheit,“ ſagte ſie, bevor ſie das Glas an
den ſinnlichen Mund ſetzte. Dann leerte ſie den
Kelch bis auf den Grund. „Füll’ nur friſch,
weißt, ich genir’ mich nicht; ich bin eine ehrliche
Perſon und heuchle nie ſittliche Entrüſtung; ich
gehör’ nicht zu jenen Scheinprüden, die ſtets
wiſſen, wann ſie erröthen ſollen. Alſo Proſit,
auf Dein Wohl, es lebe das Leben und meine
ſüße Freundin Cliquot, Juchhe!“

Mit Begeiſterung trank ſie den Wein. Sie
plauderten und unterhielten ſich köſtlich. Die
Frivolität hatte ſo heitere Augen, die immer
mitlachten, wenn die Cynismen des Dichters be-
ſonders brutal ausfielen. Plötzlich erhob ſie ſich,
umarmte ihn herzlich, klopfte mit faſt athletiſcher
Stärke auf ſeine Schulter und empfahl ſich. —
„Ja, heut’ beſuch’ ich alle meine Liebhaber, denn
ich bin eine treue Perſon und ich ſchau, wie’s
ihnen geht ... Na, und den Champagner trink’
ich auch gern. Aber Dich hab’ ich am allerlieb-
ſten; ich kann mich auch nicht beklagen, Du
thuſt mir in Deinen Stücken, die Du ſchreibſt,
alle Ehre an. Nur weiter brav bleiben, damit
Du noch reicher wirſt. Da haſt Du einen ſchönen
Kuß von mir ... Adieu, a revoir!“ Und
ſie entſchwebte graciös.

Noch bevor der Dichter über das Geſche-
hene nachgedacht hatte, ſtand eine andere Geſtalt
vor ihm. Sie trug ein zerlumptes Gewand,
[Spaltenumbruch] ihre Augen blickten ſo lüſtern, Stirn und Wan-
gen w[a]ren mit Flecken bedeckt. „Ich bin die
Häßlichkeit,“ ſprach ſie — ihre Stimme kreiſchte,
wie das Alter — „und ich komme Dir danken
dafür, daß Du mich in ſo hochherziger Weiſe
protegirſt. Wie ſtolz ich nun über die Bretter
wandeln kann, welche die Welt bedeuten. Ah,
jetzt, ſieht mich Niemand mehr geringſchätzig an,
nun achten ſie mich und kümmern ſich nicht
mehr um die unwahre Schönheit. Fort mit den
Sonnenſtrahlen, den Blumen, dem hellen Mäd-
chengekicher. Alles Lügen der Tradition; nur
ich lebe, ich exiſtire; ſchau her, das iſt Alles
echter Schmutz!

Endlich habt Ihr mich entdeckt, nachdem ich
lange, lange verkannt geweſen: mit mir beginnt
für Euch die wahre Kunſt, denn nur die Häßlichkeit
iſt Wahrheit.“ Als ſie ſich das vom Herzen ge-
redet und ihr der Poet ewige Treue bis zu ihrem
äußerſten Kloakenthum geſchworen, entfernte ſie
ſich befriedigt. Faſt wäre ein Freudenſtrahl über
ihr düſteres Antlitz gepflogen, doch noch recht-
zeitig erinnerte ſie ſich ihres Metiers und als
civiliſirte Häßlichkeit wollte ſie keine Inconſe-
quenz begehen ...

Bald öffnete ſich wieder die Thür und eine
feierlich gekleidete Deputation trat ein, um dem
Dichter zu danken. Es kamen die Decoration, der
Scandal, die Mode und die Tendenz. — Zum
Schluſſe hüpfte der Kalauer ins’s Zimmer, machte


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[[1]/0001] Das „Mähriſche Tagblatt“ erſcheint mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täglich. Ausgabe 2 Uhr Nachmittag im Adminiſtrationslocale Niederring Nr. 41 neu. Abonnement für Olmütz: Ganzjährig fl. 10 Halbjährig „ 5.— Vierteljährig „ 2.50 Monatlich „ —.90 Zuſtellung ins Haus monat- lich 10 kr. Auswärts durch die Poſt: Ganzjährig fl. 14. Halbjährig „ 7. Vierteljährig „ 3.50 Einzelne Nummern 5 kr. Telephon Nr. 9. Mähriſches Tagblatt. Inſertionsgebühren nach aufliegendem Tarif. Außerhalb Olmütz überneh- men Inſertions-Aufträge Heinrich Schalek, Annon- cen-Exped in Wien, I. Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler, in Wien, Buda- peſt, Berlin, Frankfurt a. M. mburg, Baſel und Leipzig. Alois Opellik, in Wien. Rud. Mosse, in Wien, München u. Berlin. M. Dukes, Wien, I. Schulerſtraße 8. G. L. Daube, and Co., Frankfurt a. M. Karoly u. Liebmann’s Annon- cenbureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertionsbu- reaus des In- u. Auslandes. Manuſcripte werden nich zurückgeſtellt. Telephon Nr. 9. Nr. 17 Olmütz, Montag, den 22. Jänner, 1894. 15. Jahrgang Neue Kriſen in Serbien. Olmütz, 22. Jänner. Zur Abwechslung „kriſelt“ es wieder einmal in Serbien. Es deuten allerlei Anzeichen auf eine baldige tiefgehende Wandlung in den politi- ſchen Verhältniſſen des Königreiches Serbien hin, und welche Mühe ſich auch die vom radicalen Central-Ausſchuß inſpirirte Belgrader Preſſe gebe, die Gerüchte über einen bevorſtehenden Zuſammen- bruch zu dementiren, die ſerbiſche Politik kracht zu laut in allen ihren Fugen, um den Glauben an die Fortdauer des gegenwärtigen Zuſtandes aufkommen zu laſſen. Wie die Verhältniſſe heute liegen, kann ein gründlicher Regimewechſel in Serbien nur noch eine Frage von Wochen ſein. Das Cabinet Gruics iſt in ſich uneinig, ſeine gemäßigt-radicale Mehrheit iſt eine Gefangene der extrem-radicalen Minderheit, hinter welcher der ganz und gar von der bäuerlichen Demagogie beherrſchte Partei-Ausſchuß ſteht. Die maßvollen und klugen Männer, die heute im Kronrathe ſitzen, ſind ſonach zur Ohnmacht verurtheilt; ihre löblichſten Vorſätze ſcheitern an dem Terrorismus, der durch ihre dem extremen Parteiflügel ange- hörigen Miniſtercollegen auf ſie geübt wird. Dieſe Minorität des Cabinets vor den Kopf zu ſtoßen, iſt moraliſch und materiell gleich unmöglich; denn ſie repräſentirt die erdrückende Mehrheit jener Partei, die — bis auf die zehn fortſchrittlichen Mandate — über ſämmtliche Stimmen der Skupſchtina verfügt. So wird denn heute Serbien nicht aus den Bureaux der Miniſter, ſondern aus dem Clublocal des radicalen Partei-Aus- ſchuſſes regiert. Dieſer Sachverhalt erklärt manche ſonſt räthſelhafte Erſcheinung der ſerbiſchen Polikik; er erklärt alle die monſtröſen Züge derſelben, die ſich wie ein Hohn auf politiſche Geſittung und geſunden Menſchenverſtand ausnehmen. Die rohen Inſtinkte und die Bornirtheit des Pöbels: dieſe beiden Factoren vergewaltigen in Serbien jegliche radicale Regierung, welchen Namen ſie immer haben möge. Dieſen Factoren dankte der nach ſo vielen Mühen endlich beigelegte Obrt-Conflikt ſeinen Urſprung. Der Miniſter des Aeußern im Miniſterium Dokics, Herr Andra Nikolics, iſt ein beſonnener, klar denkender Politiker, der auf die freundſchaftlichen Beziehungen mit unſerer Monarchie das allergrößte Gewicht legte. Seine guten Abſichten wurden aber vereitelt durch den beſtändig nach Bosnien ſchielenden großſerbiſchen Wahnſinn des Partei-Ausſchuſſes, dem es richtig gelang, die loyalen Pläne des Miniſters des Aeußern durch einen wirthſchaftspolitiſchen Conflict mit unſerer Monarchie zu durchkreuzen. Und weil Nikolics nicht mitthun wollte, als es ſich darum handelte, Serbien mit Oeſterreich-Ungarn zu brouilliren, empfing er von der Demagogie ſeine Strafe: er mußte bei der Reconſtruction des Miniſteriums Dokics ſein Portefeuille niederlegen. Und nun kommt ein anderes gefährliches Unter- nehmen der extremen Elemente: der in der Skupſchtina noch in dieſem Monate zur Ver- handlung gelangende Antrag auf Hinausgabe der Waffen an die nationale Miliz. Welche Be- deutung dieſer Antrag hat, braucht Niemandem erſt geſagt zu werden. Das wäre einfach die Stabiliſirung einer zweifachen Gefahr: der Ge- fahr innerer Inſurrctionen und äußerer Ver- wicklungen. Die zügelloſe Demagogie kriegeriſch ausrüſten, hieße: die innere Ordnung und den internationalen Frieden des Landes den Bauern- maſſen auf Gnade und Ungnade ausliefern. Ginge der Antrag durch, ſo müßte man jeden Augenblick darauf gefaßt ſein, ein durch Auf- wiegler zuſammengetrommeltes Volksheer einmal gegen die legalen Gewalten des eigenen Landes marſchiren, ein andermal in das Gebiet benach- barter Mächte einbrechen zu ſehen. Ueber Nacht könnte alsdann Serbien in einen blu- tigen Bürgerkrieg, oder in einen bewaffneten Conflict mit ſeinen Nachbarn, oder auch in Bei- des verwickelt werden. Daß unter ſolchen Um- ſtänden keine Regierung in Serbien die Verant- wortung für die inneren und äußeren Schickſale des Landes zu übernehmen vermöchte, liegt klar auf der Hand. Allein der Parteiausſchuß beſteht auf dem Unſinn, und der Wille dieſes Ausſchuſſes iſt auch derjenige der Skupſchtina-Mehrheit. Das iſt nun der Grund der abermaligen Kriſe in Serbien. Der radicale Mob wähnt ſich allmächtig ſeit dem Staatsſtreiche und er geht jetzt daran, ſeine Allmacht werkthätig auszuüben. Die Lage iſt für den König und für die ge- mäßigten Elemente der Regierung eine überaus gefährliche. Triumphirt auch dießmal die Dema- gogie, ſo iſt ein anarchiſtiſcher Zuſtand geſchaffen, der unfehlbar zum allgemeinen Zuſammenbruche führen muß. Unterliegt ſie aber, ſo iſt es um das ſtreng verfaſſungsmäßige Regime geſchehen, denn Krone und Regierung müßten, um das drohende Unglück abzuwehren, ſich gegen die Skupſchtina-Mehrheit wenden, d. i. gegen den- jenigen Factor, der im Sinne der Conſtitution der ſerbiſchen Politik die Richtung zu weiſen hat. Die radicale Parteileitung ſcheint dergleichen zu wittern, denn ſie läßt in ihrer Preſſe nunmehr den König ſelbſt angreifen. Eine tiefe Kluft gähnt fortab zwiſchen König Alexander und dem extrem-radicalen Umſturzgeiſte. Das Aufeinanderplatzen der beſtehenden und un- verſöhnlichen Gegenſätze kann böchſtens noch ge- friſtet, für die Dauer jedoch nicht mehr aufge- Feuilleton. Der Modedichter. Von Alexander Engel. (Nachdruck verboten.) Es klopfte an ſeiner Thür. Mechaniſch rief er ein lautes „Herein!“ Und in dem herrlichen Salon des berühmten Dichters trat leichten Schrittes eine elegante Dame: „Bon jour, mon cher ami,“ ſprach ſie, Du kennſt mich ja gut, ich bin die Frivolität.“ Der Poet brachte raſch ſein Lockenhaar in Unordnung, verbeugte ſich reſpectvoll und wollte der liebenswürdigen Dame die Hand küſſen. „Aber mach’ keine Geſchichten, ich fühle mich bei Dir wie zu Hauſe, Du kannſt es ebenſo machen. ...“ „Laſſ’ raſch Champagner herein- bringen, eine gute Marke, wir werden feſt trinken. Für feſche Kerle, wie wir Zwei, geziemt ſich das. Nur Bacchanalien und Orgien feiern, Freunderl, man muß bei dieſen ſchlechten Zeiten ſeinen Peſſi- mismus im Wein ertränken. Na, warum ſo ſtumm, red’ Du auch was Geiſtreiches, es iſt doch Dein Geſchäft.“ Inzwiſchen hatte Jean Champagner auf den Tiſch geſtellt. Der Dichter erfaßte den Kelch mit dem perlenden, flüſſigen Gold und ſtieß mit der Frivolität an. „Es lebe die neue Richtung und die alte Dummheit,“ ſagte ſie, bevor ſie das Glas an den ſinnlichen Mund ſetzte. Dann leerte ſie den Kelch bis auf den Grund. „Füll’ nur friſch, weißt, ich genir’ mich nicht; ich bin eine ehrliche Perſon und heuchle nie ſittliche Entrüſtung; ich gehör’ nicht zu jenen Scheinprüden, die ſtets wiſſen, wann ſie erröthen ſollen. Alſo Proſit, auf Dein Wohl, es lebe das Leben und meine ſüße Freundin Cliquot, Juchhe!“ Mit Begeiſterung trank ſie den Wein. Sie plauderten und unterhielten ſich köſtlich. Die Frivolität hatte ſo heitere Augen, die immer mitlachten, wenn die Cynismen des Dichters be- ſonders brutal ausfielen. Plötzlich erhob ſie ſich, umarmte ihn herzlich, klopfte mit faſt athletiſcher Stärke auf ſeine Schulter und empfahl ſich. — „Ja, heut’ beſuch’ ich alle meine Liebhaber, denn ich bin eine treue Perſon und ich ſchau, wie’s ihnen geht ... Na, und den Champagner trink’ ich auch gern. Aber Dich hab’ ich am allerlieb- ſten; ich kann mich auch nicht beklagen, Du thuſt mir in Deinen Stücken, die Du ſchreibſt, alle Ehre an. Nur weiter brav bleiben, damit Du noch reicher wirſt. Da haſt Du einen ſchönen Kuß von mir ... Adieu, a revoir!“ Und ſie entſchwebte graciös. Noch bevor der Dichter über das Geſche- hene nachgedacht hatte, ſtand eine andere Geſtalt vor ihm. Sie trug ein zerlumptes Gewand, ihre Augen blickten ſo lüſtern, Stirn und Wan- gen waren mit Flecken bedeckt. „Ich bin die Häßlichkeit,“ ſprach ſie — ihre Stimme kreiſchte, wie das Alter — „und ich komme Dir danken dafür, daß Du mich in ſo hochherziger Weiſe protegirſt. Wie ſtolz ich nun über die Bretter wandeln kann, welche die Welt bedeuten. Ah, jetzt, ſieht mich Niemand mehr geringſchätzig an, nun achten ſie mich und kümmern ſich nicht mehr um die unwahre Schönheit. Fort mit den Sonnenſtrahlen, den Blumen, dem hellen Mäd- chengekicher. Alles Lügen der Tradition; nur ich lebe, ich exiſtire; ſchau her, das iſt Alles echter Schmutz! Endlich habt Ihr mich entdeckt, nachdem ich lange, lange verkannt geweſen: mit mir beginnt für Euch die wahre Kunſt, denn nur die Häßlichkeit iſt Wahrheit.“ Als ſie ſich das vom Herzen ge- redet und ihr der Poet ewige Treue bis zu ihrem äußerſten Kloakenthum geſchworen, entfernte ſie ſich befriedigt. Faſt wäre ein Freudenſtrahl über ihr düſteres Antlitz gepflogen, doch noch recht- zeitig erinnerte ſie ſich ihres Metiers und als civiliſirte Häßlichkeit wollte ſie keine Inconſe- quenz begehen ... Bald öffnete ſich wieder die Thür und eine feierlich gekleidete Deputation trat ein, um dem Dichter zu danken. Es kamen die Decoration, der Scandal, die Mode und die Tendenz. — Zum Schluſſe hüpfte der Kalauer ins’s Zimmer, machte

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 17, Olmütz, 22.01.1894, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches17_1894/1>, abgerufen am 21.11.2024.