Mährisches Tagblatt. Nr. 1, Olmütz, 02.01.1893.[Spaltenumbruch]
Das Celephon Nr. 9. [Spaltenumbruch] Mährisches Tagblatt. [Spaltenumbruch] Insertionsgebühren Außerhalb Olmütz überneh- men Insertions-Aufträge: Heinrich Schalek, Annon- cen-Exped in Wien, I. Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler, in Wien, Prag, Buda- pest, Berlin, Frankfurt a. M. Hamburg, Basel und Leipzig. Alois Opellik, in Wien. Rud. Mosse, in Wien, München u. Berlin. M. Dukes, Wien, I. Schulerstraße 8. G. L. Daube, und Co., Frankfurt a. M. Adolf Steiner's Annoncen- bureau in Hamburg, sowie sämmtl. conc. Insertionsbu- reaus des In- u. Auslandes. Manuscripte werden nicht zurückgestellt. Telephon Nr. 9. Nr. 1. Olmütz, Montag den 2. Jänner 1893. 14 Jahrgang. [Spaltenumbruch] Die landwirthschaftliche Krise. Wien, 1. Jänner. (Orig.-Corr.) In der "alten Zeit", welche die großen Dann kam die Dampfkraft und brachte Völker Aber während es im westlichen Europa ver- Die landwirthschaftliche Krise war nun da, Daß die Landwirthschaft unter solchen Um- [Spaltenumbruch] Feuilleton. Gerade wie sonst --! Eine Neujahrsplau derei von Maximilian W. Trapp. (Nachdruck verboten.) Der Schnee fällt in dichten Massen. Der noch vor wenigen Stunden frostig-klare Bei alledem ist es ein lustiges Schneetrei- So streben dort drüben glänzende Unifor- Wagen auf Wagen rollt in das weitge- Eine Anzahl Gassenjungen hat sich dort trotz Da tritt eine einzelne Frauengestalt in "O je, da kommt gar eine zu Fuß, zum Ein junges Mädchen springt heraus, leicht Alle vier steigen jetzt die breite, mit Teppi- Oben im Saale ein ceremonielles Begrüßen "Wer ist denn dieser "pauvere" Nachtvogel?" "Das ist Fräulein von Stern, eine Jugend- Doch schnell ist dieses Lächeln verschwunden, [Spaltenumbruch]
Das Celephon Nr. 9. [Spaltenumbruch] Mähriſches Tagblatt. [Spaltenumbruch] Inſertionsgebühren Außerhalb Olmütz überneh- men Inſertions-Aufträge: Heinrich Schalek, Annon- cen-Exped in Wien, I. Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler, in Wien, Prag, Buda- peſt, Berlin, Frankfurt a. M. Hamburg, Baſel und Leipzig. Alois Opellik, in Wien. Rud. Mosse, in Wien, München u. Berlin. M. Dukes, Wien, I. Schulerſtraße 8. G. L. Daube, und Co., Frankfurt a. M. Adolf Steiner’s Annoncen- bureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertionsbu- reaus des In- u. Auslandes. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Telephon Nr. 9. Nr. 1. Olmütz, Montag den 2. Jänner 1893. 14 Jahrgang. [Spaltenumbruch] Die landwirthſchaftliche Kriſe. Wien, 1. Jänner. (Orig.-Corr.) ♓ In der „alten Zeit“, welche die großen Dann kam die Dampfkraft und brachte Völker Aber während es im weſtlichen Europa ver- Die landwirthſchaftliche Kriſe war nun da, Daß die Landwirthſchaft unter ſolchen Um- [Spaltenumbruch] Feuilleton. Gerade wie ſonſt —! Eine Neujahrsplau derei von Maximilian W. Trapp. (Nachdruck verboten.) Der Schnee fällt in dichten Maſſen. Der noch vor wenigen Stunden froſtig-klare Bei alledem iſt es ein luſtiges Schneetrei- So ſtreben dort drüben glänzende Unifor- Wagen auf Wagen rollt in das weitge- Eine Anzahl Gaſſenjungen hat ſich dort trotz Da tritt eine einzelne Frauengeſtalt in „O je, da kommt gar eine zu Fuß, zum Ein junges Mädchen ſpringt heraus, leicht Alle vier ſteigen jetzt die breite, mit Teppi- Oben im Saale ein ceremonielles Begrüßen „Wer iſt denn dieſer „pauvere“ Nachtvogel?“ „Das iſt Fräulein von Stern, eine Jugend- Doch ſchnell iſt dieſes Lächeln verſchwunden, <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="[1]"/> <cb/> <div type="jExpedition"> <p> Das<lb/><hi rendition="#b">„Mähriſche Tagblatt“</hi><lb/> erſcheint mit Ausnahme der<lb/> Sonn- und Feiertage täglich.<lb/> Ausgabe 2 Uhr Nachmittag<lb/> im Adminiſtrationslocale<lb/><hi rendition="#b">Niederring Nr. 41 neu.<lb/> Abonnement für Olmütz:</hi><lb/> Ganzjährig fl. 10.—<lb/> Halbjährig „ 5.—<lb/> Vierteljährig „ 2.50<lb/> Monatlich „ —.90<lb/> Zuſtellung ins Haus monat-<lb/> lich 10 kr.<lb/><hi rendition="#b">Auswärts durch die Poſt:</hi><lb/> Ganzjährig fl. 14.—<lb/> Halbjährig „ 7.—<lb/> Vierteljährig „ 3.50<lb/> Einzelne Nummern 5 kr.<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><hi rendition="#b">Celephon Nr. 9.</hi> </p> </div><lb/> <cb/> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Mähriſches<lb/> Tagblatt.</hi> </titlePart> </titlePage><lb/> <cb/> <div type="jExpedition"> <p><hi rendition="#b">Inſertionsgebühren</hi><lb/><supplied>n</supplied>ach aufliegendem Tari<supplied>f</supplied>.<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Außerhalb <hi rendition="#b">Olmütz</hi> überneh-<lb/> men Inſertions-Aufträge:<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Heinrich Schalek,</hi></hi> Annon-<lb/> cen-Exped in Wien, <hi rendition="#aq">I.</hi> Woll-<lb/> zeile Nr. 11, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">Haasenstein &<lb/> Vogler,</hi></hi> in Wien, Prag, Buda-<lb/> peſt, Berlin, Frankfurt a. 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Der Grundherr wurde vom Ernte-<lb/> ertrag ebenſo abhängig, wie es früher das Volk<lb/> war. Die Agrarkriſe war da und ſie verſchärfte<lb/> ſich beſtändig. Ungeheuere Gebiete jungfräulichen<lb/> Bodens wurden urbar gemacht und bebaut; un-<lb/> geheuere Herden von Schafen, Rindern und<lb/> Schweinen wurden herangezüchtet. Die Zunahme<lb/> an Nahrungsmitteln hielt nicht nur Schritt mit<lb/> der Zunahme der Menſchenzähl, ſie überflügelte<lb/> ſie bei weitem. Die Ueberproduction der über-<lb/> ſeeiſchen Länder konnte bei den geänderten Trans-<lb/> portverhältniſſen nur die Folge haben, die Preiſe<lb/> auf den Märkten der alten Welt herabzudrücken.<lb/> Alles wurde billiger: Brotfrucht, Wolle, Speck,<lb/> Fleiſch. Die Landwirthe der alten Welt wurden<lb/> von ihren Collegen in der neuen Welt gezwun-<lb/> gen, billiger zu verkaufen. Der Grundbeſitz klam-<lb/> merte ſich dabei noch immer an die hohe Bewer-<lb/> tung ſeines Bodens; er verlangte noch immer<lb/> eine Rente, die dieſer Boden unter dem Einfluſſe<lb/> der überſeeiſchen Concurrenz nicht geben konnte.<lb/> Wurde doch alles, was der Boden erzeugt, billi-<lb/><cb/> ger und billiger. Es war dies ein Segen für<lb/> die arme Menſchheit, aber eine Calamität für den<lb/> Grundbeſitz.</p><lb/> <p>Die landwirthſchaftliche Kriſe war nun da,<lb/> ſie wurde immer acuter und wird noch<lb/> acuter werden. Schon ſeit langem ſtehen<lb/> die Viehpreiſe und beſonders die Getreidepreiſe<lb/> ſo niedrig, daß unſere Landwirthe dabei nicht<lb/> exiſtiren können. Die Anſprüche der Dienſtboten<lb/> werden immer höher, die Staats- Landes- und<lb/> Gemeindeſteuern wachſen fortwährend und der<lb/> Landwirth nimmt nicht mehr, ſondern weniger<lb/> ein wie früher. In guten und regelmäßig ver-<lb/> laufenden Zeiten kann der Landwirth bei aller<lb/> Sparſamkeit, Mühe und Plage nur mühſelig<lb/> ſchwimmen, hat er irgend ein Unglück oder iſt<lb/> ſeine Realität mit Schulden belaſtet, ſo iſt er<lb/> geliefert. Das war ſchon bis heute der Fall, in<lb/> Zukunft wird es noch ſchlimmer werden. Das<lb/> Getreide hat ſchon heute einen beiſpiellos nie-<lb/> drigen Preis, und doch iſt dieſer Preis des Ge-<lb/> treides in Oeſterreich-Ungarn noch viel zu hoch,<lb/> da ganz Weſt- und Centraleuropa von ameri-<lb/> kaniſchem Getreide überſchwemmt wird, ſo zwar,<lb/> daß der Metercentner des ſchwerſten amerika-<lb/> niſchen Weizens in der Schweiz, in Deutſch-<lb/> land um zwei Francs oder zwei Mark billiger<lb/> iſt als der Weizen aus Oeſterreich-Ungarn, und<lb/> das Getreide aus Rußland, Rumänien ꝛc. iſt<lb/> noch billiger. Die Folge davon iſt, daß die Ge-<lb/> treideausfuhr aus Oeſterreich-Ungarn faſt ganz<lb/> aufgehört hat und daß bei uns das Getreide noch<lb/> billiger werden muß als jetzt.</p><lb/> <p>Daß die Landwirthſchaft unter ſolchen Um-<lb/> ſtänden nicht beſtehen kann und zugrunde gehen<lb/> muß, iſt ſelbſtverſtändlich und es wäre Pflicht</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> </div> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Feuilleton.</hi> </hi> </hi> </head><lb/> <div xml:id="f1a" next="#f1b" type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Gerade wie ſonſt —!</hi><lb/> <hi rendition="#g">Eine Neujahrsplau derei von</hi><lb/> <bibl> <hi rendition="#b">Maximilian W. 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Die Menſchen eilen<lb/> jetzt, die Naſe im Rockkragen, die Hände in den<lb/> Taſchen, haſtig vorwärts: Niemand bleibt ſtehen<lb/> und die Hausthüren öffnen und ſchließen ſich<lb/> unmittelbar wieder, um Schnee und Kälte nicht<lb/> einzulaſſen.</p><lb/> <p>Bei alledem iſt es ein luſtiges Schneetrei-<lb/> ben, wenigſtens für diejenigen, die ſorglos ihrem<lb/> Vergnügen oder der warmen Stube zuſtreben.</p><lb/> <p>So ſtreben dort drüben glänzende Unifor-<lb/> men, kokette „alte Fräulein“ und junge Dämchen<lb/> den erhellten Salons des Baron Herrnig’ſchen<lb/> Hauſes zum Sylveſterball zu.</p><lb/> <p>Wagen auf Wagen rollt in das weitge-<lb/> öffnete Portal.</p><lb/> <p>Eine Anzahl Gaſſenjungen hat ſich dort trotz<lb/> Wind und Wetter angeſammelt und begrüßt<lb/> jeden Wagen, welcher Gäſte bringt, mit Schreien<lb/><cb/> und Lachen und jeden Ausſteigenden mit einem<lb/> verwunderten „Ah!“</p><lb/> <p>Da tritt eine einzelne Frauengeſtalt in<lb/> dunklem Kleid und Mantel tief verſchleiert in<lb/> das Portal.</p><lb/> <p>„O je, da kommt gar eine zu Fuß, zum<lb/> Tanzen!“ rufen die Gaſſenjungen mit dem ihnen<lb/> eigenthümlichen Spott, doch ſchon zieht ein eben<lb/> einfahrender Wagen ihre Aufmerkſamkeit auf ſich.</p><lb/> <p>Ein junges Mädchen ſpringt heraus, leicht<lb/> und behend, noch ehe ein Diener herbeieilen kann,<lb/> ihr folgt ein Herr in Officiers-Uniform und<lb/> dieſem wieder eine ältere Dame. Die einzelne<lb/> Dame, die vorher einen Schritt vor dem anfah-<lb/> renden Wagen zurückgetreten war, folgt nun<lb/> ebenfalls, ohne von den ihr Vorangehenden bemerkt<lb/> zu werden.</p><lb/> <p>Alle vier ſteigen jetzt die breite, mit Teppi-<lb/> chen belegte Treppe hinan.</p><lb/> <p>Oben im Saale ein ceremonielles Begrüßen<lb/> — ein bewunderndes oder auch neidiſches Be-<lb/> trachten einer neuen Toilette — ein mitleidiges<lb/> Achſelzucken bei einem gewaſchenen Mullfähnchen<lb/> — feurige Blicke aus dunklen Männeraugen —<lb/> verheißungsvolles Lächeln von roſigen Lippen.<lb/> Das fade Schmeichelwort des alten Stutzers —<lb/> das kokette Fächerſpiel der pikanten Witwe —<lb/> alles das zugleich und in jedem Moment ein<lb/> anderes Bild, bietet ein Ball in ſeinem Anfang,<lb/> wo die Kerzen und Augen noch hell leuchten, die<lb/> Toiletten und Stimmungen noch unzerd<supplied>r</supplied>ückt ſind<lb/><cb/> — wie ein Kaleidoſkop, das bei jedem Bewegen<lb/> ein neues buntes Geſtalten zeigt.</p><lb/> <p>„Wer iſt denn dieſer „pauvere“ Nachtvogel?“<lb/> wendet ſich eine „reizende Schöne“ an die neben<lb/> ihr ſtehende Nichte der Hausfrau. Sie ſelbſt<lb/> war allerdings neueſter Bazar und ſah mit<lb/> ſpöttiſchem Lächeln zu dem etwas altmodiſchen<lb/> Seidenkleide, das von der uns ſchon bekannten<lb/> alten Dame getragen wird, hinüber.</p><lb/> <p>„Das iſt Fräulein von Stern, eine Jugend-<lb/> freundin meiner Tante, ſie iſt auf der Durchreiſe<lb/> hier und beſucht die Verwandten,“ antwortet die<lb/> Gefragte, ohne ſelbſt ein leiſes Zucken um die<lb/> Mundwinkel unterdrücken zu können, als ſie dem<lb/> beſprochenen Kleide näher kommt.</p><lb/> <p>Doch ſchnell iſt dieſes Lächeln verſchwunden,<lb/> als das alte Fräulein auf ſo gewinnend liebens-<lb/> würdige Weiſe mit ihr ſpricht. — Sie drückt<lb/> mit herzlichen Worten die Freude aus, die liebe<lb/> Nichte ihrer Jugendfreundin zu ſehen und er-<lb/> zählt, daß ſie ſelbſt als junges Mädchen hier<lb/> getanzt habe — vor genau 30 Jahren, im<lb/> Sylveſter 1862, war es das letzte Mal geweſen<lb/> — als das Haus noch von den Eltern ihrer<lb/> Freundin — der jetzigen Freiin Herrnig — be-<lb/> wohnt wurde. „Doch nun mein liebes Kind“,<lb/> unterbrach ſie ſich, „dürfen Sie nicht länger mit<lb/> einer alten Frau ſprechen, die gar kein Recht<lb/> hat, der frohen Jugend die ſchönen Minuten<lb/> des Ballabends zu rauben, denn ich ſehe da<lb/> drüben einen jungen Herrn böſe Blicke auf mich<lb/> werfen, daß ich ſeine Tänzerin ihm ſo lange</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
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Nr. 1. Olmütz, Montag den 2. Jänner 1893. 14 Jahrgang.
Die landwirthſchaftliche Kriſe.
Wien, 1. Jänner. (Orig.-Corr.)
♓ In der „alten Zeit“, welche die großen
Herren die „gute“ und die meiſten aus dem
Volke die „ſchlimme“ zu nennen alle Urſache
hatten, da war der Grund und Boden, ſchreibt
die „Linzer Tagespoſt“, nicht nur die ſicherſte
Capitalsanlage, was er wohl auch heute noch
iſt, ſondern auch die regelmäßigſte und ſtetigſte
Einnahmsquelle. Die großen und kleinen Land-
güter konnten freilich mit ihren Feldfrüchten
keine entlegenen Märkte aufſuchen, aber ſie hatten
dafür auch keine Mitbewerbung zu fürchten. Die
Unmöglichkeit des Transportes der verhältniß-
mäßig geringwerthigen und ſchweren Producte
des Feldbaues war für ſie ein Schutzzoll, der,
wie alle Schutzzölle, eine Minderheit begünſtigte
und die große Mehrheit bedrückte. Hatte das
Volk bei guter Ernte Brot, oder hungerte es
nach einer Mißernte, dem Gutsherrn war es
gleich. Wurde viel gebaut und wurde das Ge-
treide billig, ſo hatte er viel zu verkaufen, gab
es ein ſchlechtes Erntejahr, ſo ſtieg der Preis.
Der Geldbetrag für ihn blieb immer ziemlich
derſelbe, die Rente des Grundbeſitzes war eine
unveränderte, feſte.
Dann kam die Dampfkraft und brachte Völker
und Länder einander näher. Friedlich und ſtill
vollzog ſich da die größte und ſegenreichſte Revo-
lution, welche in der Geſchichte des Menſchenge-
ſchlechtes verzeichnet ſteht. Die große Maſſe des
Volkes wurde von der Scholle unabhängig, ſie
wurde freizügig; ſie konnte mit Leichtigkeit den
beſſeren, wenn auch noch ſo fernen Markt für
ihre Artikel aufſuchen und die Producte dieſes
Marktes wurden ihr nahegerückt; ſie blieb nicht
länger von dem örtlichen Ertrage der Scholle
abhängig; die Mißernten verloren ihren Schrecken,
das bleiche Geſpenſt der Hungersnoth wurde ge-
bannt.
Aber während es im weſtlichen Europa ver-
ſchwand, tauchte ein anderes Geſpenſt auf: die
landwirthſchaftliche Kriſe. Die Getreidepreiſe ſtie-
gen und fielen nicht länger mit dem Ausfalle der
localen Ernte. Die ungeheuren Preisſchwankungen
hörten auf; was früher dem beſtändigen Wechſel
unterworfen war, erlangte eine verhältnißmäßige
Stetigkeit, und umgekehrt, das früher Feſtſtehende,
der Geldertrag aus Grund und Boden, ſchwankte
auf und ab. Der Grundherr wurde vom Ernte-
ertrag ebenſo abhängig, wie es früher das Volk
war. Die Agrarkriſe war da und ſie verſchärfte
ſich beſtändig. Ungeheuere Gebiete jungfräulichen
Bodens wurden urbar gemacht und bebaut; un-
geheuere Herden von Schafen, Rindern und
Schweinen wurden herangezüchtet. Die Zunahme
an Nahrungsmitteln hielt nicht nur Schritt mit
der Zunahme der Menſchenzähl, ſie überflügelte
ſie bei weitem. Die Ueberproduction der über-
ſeeiſchen Länder konnte bei den geänderten Trans-
portverhältniſſen nur die Folge haben, die Preiſe
auf den Märkten der alten Welt herabzudrücken.
Alles wurde billiger: Brotfrucht, Wolle, Speck,
Fleiſch. Die Landwirthe der alten Welt wurden
von ihren Collegen in der neuen Welt gezwun-
gen, billiger zu verkaufen. Der Grundbeſitz klam-
merte ſich dabei noch immer an die hohe Bewer-
tung ſeines Bodens; er verlangte noch immer
eine Rente, die dieſer Boden unter dem Einfluſſe
der überſeeiſchen Concurrenz nicht geben konnte.
Wurde doch alles, was der Boden erzeugt, billi-
ger und billiger. Es war dies ein Segen für
die arme Menſchheit, aber eine Calamität für den
Grundbeſitz.
Die landwirthſchaftliche Kriſe war nun da,
ſie wurde immer acuter und wird noch
acuter werden. Schon ſeit langem ſtehen
die Viehpreiſe und beſonders die Getreidepreiſe
ſo niedrig, daß unſere Landwirthe dabei nicht
exiſtiren können. Die Anſprüche der Dienſtboten
werden immer höher, die Staats- Landes- und
Gemeindeſteuern wachſen fortwährend und der
Landwirth nimmt nicht mehr, ſondern weniger
ein wie früher. In guten und regelmäßig ver-
laufenden Zeiten kann der Landwirth bei aller
Sparſamkeit, Mühe und Plage nur mühſelig
ſchwimmen, hat er irgend ein Unglück oder iſt
ſeine Realität mit Schulden belaſtet, ſo iſt er
geliefert. Das war ſchon bis heute der Fall, in
Zukunft wird es noch ſchlimmer werden. Das
Getreide hat ſchon heute einen beiſpiellos nie-
drigen Preis, und doch iſt dieſer Preis des Ge-
treides in Oeſterreich-Ungarn noch viel zu hoch,
da ganz Weſt- und Centraleuropa von ameri-
kaniſchem Getreide überſchwemmt wird, ſo zwar,
daß der Metercentner des ſchwerſten amerika-
niſchen Weizens in der Schweiz, in Deutſch-
land um zwei Francs oder zwei Mark billiger
iſt als der Weizen aus Oeſterreich-Ungarn, und
das Getreide aus Rußland, Rumänien ꝛc. iſt
noch billiger. Die Folge davon iſt, daß die Ge-
treideausfuhr aus Oeſterreich-Ungarn faſt ganz
aufgehört hat und daß bei uns das Getreide noch
billiger werden muß als jetzt.
Daß die Landwirthſchaft unter ſolchen Um-
ſtänden nicht beſtehen kann und zugrunde gehen
muß, iſt ſelbſtverſtändlich und es wäre Pflicht
Feuilleton.
Gerade wie ſonſt —!
Eine Neujahrsplau derei von
Maximilian W. Trapp.
(Nachdruck verboten.)
Der Schnee fällt in dichten Maſſen.
Der noch vor wenigen Stunden froſtig-klare
Himmel hatte ſich mit grauem Gewölk überzogen,
das der Wind nur hin und wieder auseinander
trieb, um dem Mond einen Ausblick zu geſtatten.
Auf den hartgefrorenen Straßen knirſchte der
Schnee unter den Füßen. Die Menſchen eilen
jetzt, die Naſe im Rockkragen, die Hände in den
Taſchen, haſtig vorwärts: Niemand bleibt ſtehen
und die Hausthüren öffnen und ſchließen ſich
unmittelbar wieder, um Schnee und Kälte nicht
einzulaſſen.
Bei alledem iſt es ein luſtiges Schneetrei-
ben, wenigſtens für diejenigen, die ſorglos ihrem
Vergnügen oder der warmen Stube zuſtreben.
So ſtreben dort drüben glänzende Unifor-
men, kokette „alte Fräulein“ und junge Dämchen
den erhellten Salons des Baron Herrnig’ſchen
Hauſes zum Sylveſterball zu.
Wagen auf Wagen rollt in das weitge-
öffnete Portal.
Eine Anzahl Gaſſenjungen hat ſich dort trotz
Wind und Wetter angeſammelt und begrüßt
jeden Wagen, welcher Gäſte bringt, mit Schreien
und Lachen und jeden Ausſteigenden mit einem
verwunderten „Ah!“
Da tritt eine einzelne Frauengeſtalt in
dunklem Kleid und Mantel tief verſchleiert in
das Portal.
„O je, da kommt gar eine zu Fuß, zum
Tanzen!“ rufen die Gaſſenjungen mit dem ihnen
eigenthümlichen Spott, doch ſchon zieht ein eben
einfahrender Wagen ihre Aufmerkſamkeit auf ſich.
Ein junges Mädchen ſpringt heraus, leicht
und behend, noch ehe ein Diener herbeieilen kann,
ihr folgt ein Herr in Officiers-Uniform und
dieſem wieder eine ältere Dame. Die einzelne
Dame, die vorher einen Schritt vor dem anfah-
renden Wagen zurückgetreten war, folgt nun
ebenfalls, ohne von den ihr Vorangehenden bemerkt
zu werden.
Alle vier ſteigen jetzt die breite, mit Teppi-
chen belegte Treppe hinan.
Oben im Saale ein ceremonielles Begrüßen
— ein bewunderndes oder auch neidiſches Be-
trachten einer neuen Toilette — ein mitleidiges
Achſelzucken bei einem gewaſchenen Mullfähnchen
— feurige Blicke aus dunklen Männeraugen —
verheißungsvolles Lächeln von roſigen Lippen.
Das fade Schmeichelwort des alten Stutzers —
das kokette Fächerſpiel der pikanten Witwe —
alles das zugleich und in jedem Moment ein
anderes Bild, bietet ein Ball in ſeinem Anfang,
wo die Kerzen und Augen noch hell leuchten, die
Toiletten und Stimmungen noch unzerdrückt ſind
— wie ein Kaleidoſkop, das bei jedem Bewegen
ein neues buntes Geſtalten zeigt.
„Wer iſt denn dieſer „pauvere“ Nachtvogel?“
wendet ſich eine „reizende Schöne“ an die neben
ihr ſtehende Nichte der Hausfrau. Sie ſelbſt
war allerdings neueſter Bazar und ſah mit
ſpöttiſchem Lächeln zu dem etwas altmodiſchen
Seidenkleide, das von der uns ſchon bekannten
alten Dame getragen wird, hinüber.
„Das iſt Fräulein von Stern, eine Jugend-
freundin meiner Tante, ſie iſt auf der Durchreiſe
hier und beſucht die Verwandten,“ antwortet die
Gefragte, ohne ſelbſt ein leiſes Zucken um die
Mundwinkel unterdrücken zu können, als ſie dem
beſprochenen Kleide näher kommt.
Doch ſchnell iſt dieſes Lächeln verſchwunden,
als das alte Fräulein auf ſo gewinnend liebens-
würdige Weiſe mit ihr ſpricht. — Sie drückt
mit herzlichen Worten die Freude aus, die liebe
Nichte ihrer Jugendfreundin zu ſehen und er-
zählt, daß ſie ſelbſt als junges Mädchen hier
getanzt habe — vor genau 30 Jahren, im
Sylveſter 1862, war es das letzte Mal geweſen
— als das Haus noch von den Eltern ihrer
Freundin — der jetzigen Freiin Herrnig — be-
wohnt wurde. „Doch nun mein liebes Kind“,
unterbrach ſie ſich, „dürfen Sie nicht länger mit
einer alten Frau ſprechen, die gar kein Recht
hat, der frohen Jugend die ſchönen Minuten
des Ballabends zu rauben, denn ich ſehe da
drüben einen jungen Herrn böſe Blicke auf mich
werfen, daß ich ſeine Tänzerin ihm ſo lange
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(2018-01-26T15:49:55Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T15:49:55Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T15:49:55Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
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