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Mährisches Tagblatt. Nr. 71, Olmütz, 29.03.1886.

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[Spaltenumbruch]

streit des Fürsten gegen den ministeriellen Ver-
fassungsentwurf war ein grundsätzlicher und aus
monatelangem Meinungsaustausch sattsam bekannt.
... Es wurde nun die letzte Hand an das Preß-
gesetz und jenes über Association gelegt, die gleich-
zeitig mit der Verfassung oder unmittelbar da-
nach kundgemacht werden sollten. Manifest und
Proclamation, womit der große Schritt, den man
vorhatte, zu begleiten war, standen noch aus.
Während dies in Wien besorgt wurde, verfügte
sich der Ministerpräsident zum Kaiser (1. März).
Am 3. wohnten drei der Minister der Reichstags-
sitzung in Kremsier bei und fuhren von da nach
Olmütz, wo im vollen Ministerrathe die letzte
Besprechung der Proclamations-Entwürfe, der
Modalitäten der Auflösung des Reichstags, der
Kundmachung etc. stattfand. Am 4. erfolgte die
Unterschrift Sr. Majestat des Kaisers. Auch in
Olmütz wurden Vorbereitungen für das bevor-
stehende Unternehmen getroffen. Im Laufe des
December hatte Radetzky den Major im General-
Quartiermeisterstabe Grafen Joh. Huyn an das
kais. Hoflager geschickt, der ihn in fortlaufender
Kenntniß der Verhältnisse erhalten und für die Armee
in Italien auf die höchsten Kreise einwirken sollte.
Am Morgen des 6. wurde Huyn zum Minister-
Präsidenten beschieden, der ihm mittheilte, was
bevorstand, und daß er ausersehen sei, die Sache
Hand in Hand mit dem Olmützer Kreishaupt-
mann Grafen Mercandin durchzuführen. Der
gräfliche Major verlangte eine auf wenige Punc-
tationen beschränkte Instruction, die ihm Fürst
Schwarzenberg einzuhändigen versprach; unmittel-
bar danach, mit dem Krakauer Nachtzuge, sollte
Huyn mit den Truppen nach Hullein und Krem-
sier abgehen.

Für den 6. März war der Unter-Staats-
secretär Dr. Helfert nach Wien beschieden worden.
Kaum dort angelangt, empfing er die Weisung,
sich für den Olmützer Abendzug auf dem Nord-
bahnhofe einzufinden. Im Wartesaale gewahrte
er den Landrath Georg Ritter von Mitis und
einige junge Beamte mit ungeheuren Päcken von
Druckschristen. Stadion und Bach ließen nicht
auf sich warten und nahmen Helfert in ihr
Coupe. Gleich nachdem man über Wien hinaus
war, sagte Stadion zu Bach: "Wir müssen jetzt
wohl unsern jungen Freund in Kenntniß setzen,
was im Zuge ist"; er that dies sogleich in kurzen
Worten und fragte, was dieser dazu meine.
"Haben Sie in Prag genug Militär?" fuhr es
dem Unter-Staatssecretär unwillkürlich heraus,
denn er kannte die gereizte Stimmung in Böhmen.
Stadion stutzte: "Wieso?" Bach theilte jene
Besorgnisse nicht, sagte einige beschwichtende Worte
und brachte das Gespräch auf das Nächstliegende,
das Wie dessen, was man vorhatte.

Es war finstere Nacht, als Stadion und
Helfert (Bach war direct nach Olmütz gereist)
in Kremsier ein fuhren und allsogleich eine Anzahl
[Spaltenumbruch] Diener in die Wohnungen der gewünschten Abge-
ordneten ausschickten. Viele lagen schon im Bette,
als sie die Einladung traf: "Se. Erlaucht läßt
bitten, sogleich zu erscheinen". So war es 11 Uhr
und darüber, ehe die Geladenen zusammentrafen.
Nachdem die Eingeladenen vollzählig beisammen
waren, nahm Stadion das Wort und eröffnete
ihnen den Beschluß Seiner Majestät des
Kaisers, den Reichstag aufzulösen und eine Ver-
fassung zu geben, die sich auf alle Theile des
Reiches erstrecken sollte.... Der Eindruck, den
diese Mittheilung auf die Anwesenden machte, war
überwältigend. Die Scene, die sich damals ab-
spielte, ist vielfach geschildert worden, und wir
erwähnen aus dem Berichte Helfert's nur, daß,
mit Ausnahme von zwei Abgeordneten, Dr. Gredler
aus Schwaz und Ober-Rabbiner Thieman aus
Rumburg, sich fast alle Einberufenen mit aller
Entschiedenheit gegen die projeetirte Maßregel
aussprachen und die furchtbarsten Ereignisse in
Aussicht stellten. "Gewiß", meint Helfert, "war
es in ihrem Innern nicht Ernst mit dem, was
Jeder von ihnen in Gegenwart der Anderen zur
Schau trug. Unter vier Augen war gerade in
der letzten Zeit von Solchen, die sich jetzt so ge-
waltig gegen den Entschluß der Regierung auf-
bäumten, ganz Anderes zu hören gewesen. War
es nicht Dieser da (Pinkas), der wiederholt im
Zwiegespräch mit dem Justizminister geäußert
hatte: "Schickt uns nach Hause, zu Stande brin-
gen wir ja doch nichts." Oder gar Jener dort
(Cajetan Mayer), der ebenfalls im Zwiegespräch
mit aufgehobenen Händen, halb Scherz, halb
Ernst, den Grafen Stadion angerufen hatte:
"Erlaucht, lösen's uns auf."

Stadion war sichtlich ergriffen. Seine Natur
die bereits bedenkliche Symptome geistiger Ueber-
spannung und Abmattung aufwies, war solchem
Sturme nicht mehr gewachsen... Während dies
in Kremsier vorging, spielte sich eine Verhand-
lung anderer Art in Olmütz ab. Major Graf
Huyn hatte sich dem ihm gewordenen Bescheid
gemäß gegen Abend beim Minister-Präsidenten
eingefunden, um sich die erbetene Instruction zu
holen. Aber sie war noch nicht fertig; der Fürst
berieth sich eben mit Bach und Bruck, dem im
letzten Augenblicke Zweifel aller Art aufstiegen,
und zwar äußerte der Justizminister Rechtsbeden-
ken wegen der durch die Polizei vorzunehmenden
Verhaftung der Compromittirten; der Handels-
minister machte Einwendungen in constitutio-
neller Richtung über den Vorgang bei
der Auflösung. Darüber verging eine halbe
Stunde nach der andern; der Zeiger an der Uhr
ging auf 11 Uhr los, wo der Prager Zug Ol-
mütz passirte. Graf Huyn, der nun keinen Augen-
blick zögern durste, um mit dem Morgen an
Ort und Stelle zu sein, erbat sich unverweiltes
Gehen und trat mit der Erklärung unter die
Minister: "Ich verzichte auf eine Instruction,
[Spaltenumbruch] wenn mich Eure Durchlaucht genau und bestimmt
über einige Puncte aufklären wollen: 1. Ist es
des Kaisers Wille und Befehl, daß der Reichstag
aufgelöst werde?" -- "Gewiß!" -- "2. Ist dem
Reichstag zu gestatten, noch einmal zu einer
Sitzung zusammerzutreten?" -- "Unter keinen
Umständen!" -- "3. Ist sonst in Kremsier oder
im Weichbilde der Stadt eine Versammlung von
Abgeordneten zum Zwecke von Adressen oder
Protesten zu gestatteu?" -- "Ebensowenig!" --
"Ich danke Eurer Durchlaucht, ich habe die In-
struction, die ich brauche, und werde darnach
handeln."

Ungefähr um 1 Uhr Nachts, während die
beiden von Olmütz mitgenommenen Compagnien
von Hullein nach Kremsier marschirten, langten
Mercandin und Huyn in den Appartements
Stadion's ein und waren sehr erstaunt, zu ver-
nehmen, daß sich der Minister in lebhaften Ver-
handlungen mit mehreren Abgeordneten befinde;
sie zogen sich, weil Niemand von ihrer Anwesen-
heit etwas wissen durfte, in Seitengemächer
zurück und warteten den Schluß der Berathung ab.

Es war gegen die dritte Morgenstunde des
7. März, als die Versammelten auseinandergin-
gen, nachdem ihnen Stadion das Versprechen
abgenommen hatte, über das was vorgefallen,
bis zur Entscheidung unverbrüchliches Stillschweigen
zu bewahren, wogegen er ihnen zusagte, sich ohne
Aufenthalt nach Olmütz zu begeben und für eine
Aenderung der dort gefaßten Beschlüsse zu wirken.
Nachdem eine Aenderung der dort gefaßten Be-
schlüsse zu wirken. Nachdem Alle, bis auf den
Hausherrn und Helfert fort waren, trat der
Major aus seinem Cabinet hervor. -- "Was
machen Sie hier? fuhr ihn Stadion in seiner
Erregtheit an. -- "Eure Erlaucht wissen
wohl, daß morgen der Reichstag aufgelöst
wird, und dazu bin ich hier." -- "Das kann
nicht sein! Ich werde das auf die beste Weise
machen. Ich habe mich eben der Zustimmung der
Abgeordneten versichert, daß sie die Verfassung
en ploc annehmen werden. Eine Gewaltmaßre-
gel ist daher nicht nothwendig und sehr gefähr-
lich." -- "Das mögen sehr richtige Ansichten
sein, allein ich habe ganz bestimmte Weisungen,
von denen ich nicht abgehen kann, es wäre denn,
Fürst Schwarzenberg befehle es."

Stadion erklärte, daß es ohnedies seine Ab-
sicht sei, unverzüglich nach Olmütz zu fahren und
dort mit dem Minister-Präsidenten zu sprechen.
Dann sei die Sache sehr einfach, versetzte Huyn,
der Postwagen, mit dem er von Hullein gekom-
men, stehe im Hofe und könne gleich zur Fahrt
nach Olmütz benützt werden, Fürst Schwarzen-
berg möge dann telegraphisch seine Befehle ge-
ben. Während dieses Gespäches war Graf Mer-
candin, der sich in der Zwischenzeit einem kurzen
Schlummer hingegeben hatte, herausgekommen,
welcher dem Unter-Staatssecretär im Abgehen




[Spaltenumbruch]

lich eine Klage bei einem Notar machen ließ.
Dieser ließ Pater J. rufen, theilte ihm die Sache
mit und gab ihm den Rath, die Angelegenheit
durch Zahlung eines Betrages beizulegen. Pater
J. willigte endlich ein und mit Zahlung von 11
Gulden war die Sache abgethan. Doch siehe da!
Die Entnahme der 11 Gulden begründet der
Pater mit folgende Worte: "Ad notam! Hievon
dem betrügerischen Notar ... in ... durch
viehische Erpressung herausgenommen am .. den
Betrag von 11 Gulden. Im Jahre der Gnade
18 .. --". -- Ein zweiter Zettel: "Ad notam!
Hievon dem ... (genauer Name und Adresse)
für den Macherlohn neuer wallachischer Babutschen
in aller Ehrbarkeit herausgenommen 5 Gulden.
Im Jahre der Gnade 18 ...--". Ein dritter
Zettel: "Ad notam! Diese anliegend gewesenen
3 Gulden der Bedienerin .. als ein großmüthi-
ges Douceur in aller Ehrbarkeit gegeben." --
Nun lassen wir noch zwei Zettel mit wahrhaft
köstlichem Inhalte folgen; der erste lautet: "Diese
hier anliegend gewesenen 9 Stück Silbercoupons
persönlich ausgewechselt zu Olmütz, im effectiven
Werte von 39 fl. während meiner dreiwöchent-
lichen Anwesenheit in Olmütz in meinem Irr-
thume und zugleich auch aus einer unverzeihlichen
Dummheit ganz leichtsinnig verschwendet und
durchgebracht." -- Und der zweite: "Hiervon
am 27. März 18 .. der Elisabeth .. nach T..
zum fortwährenden Andenken durch die Post un-
francirt in aller Güte, gepräget im Jahre 1874
überschicket und zwar: Zwei blanke harte Silber-
thaler, glänzend weiß, wie die pure Milch." --
[Spaltenumbruch] Bevor wir die Characteristik schließen, wollen wir
noch einen Brief anführen, welchen einer seiner
Studiencollegen und zugleich Amtsbruder vor
etwa zwanzig Jahren an ihn richtete; wir füh-
ren ihn wörtlichan, weil dieses Schriftstück einen
ganz besonders gelungene Characteristik enthält:

Lieber Franz!

Neulich wird mir ein Recepisse zugestellt,
auf welchem stand: "eine Kiste von N. ohne
Wert." -- Holla, dachte ich, das kommt ge-
wiß vom Spotz (Spitznamen unseres Paters),
denn der schickt gewiß nichts Wertvolles. Richtig
-- eine Kiste mit Trauben = Macka, welche
schon durch den Boden der Kiste rann. Das sind
also die mir von Dir bei meiner letzten Anwesen-
heit in ... versprochenen Ananaschen? O Du
Erz -- Schmu -- nicht, Erzknauser Du?
Der Gärtner hat Dir halt keine Ana-
naschen geschenkt, wie vielleicht die Trauben ein
altes Mütterchen, oder hast Du keine Gelegenheit
gehabt, welche zu stibitzen -- denn daß Du Etwas
kaufen möchtest -- das gibts net -- Du hast
gewiß, was Du in ... bist, keinen Kreuzer aus-
gegeben. Wer weiß, ob Du schon die halbe Bier
und den schwarzen Caffee beim Juden für mich
gezahlt hast? Ich muß doch nächstens selbst nach-
sehen kommen, ob ich oder Du nicht noch auf der
schwarzen Tafel des Juden paradiren.

Obwohl ich bessere Trauben aus meinem
Garten bis jetzt noch vorräthig habe, als die
waren, welche Du mir geschickt hast, so hat es
mich doch recht sehr gefreut und ich danke Dir
[Spaltenumbruch] herzlich dafür. Es ist mir noch nicht alle Hoff-
nung geschwunden, daß Du Dich doch noch bes-
sern könntest. Nun lebe recht wohl. Dies und
einen guten Appetit wünscht Dir

Dein gewiß aufrichtiger
Freund und Bruder
......

Als Pater Franz starb, hinterließ er ein Ver-
mögen von etwa 60000 fl., nur 3 oder 4 Tausend soll
er einer nahen Verwandten testirt haben; das Uebrige
mußte er nothgedrungen in dieser Welt zurück-
lassen und bestimmte daher, sein Schloßherr und
Gönner solle dasselbe zu "frommen" Zwecken
verwenden; da "fromm" und "wohlthätig" nicht
dasselbe ist, so dürfte der Erbe wohl manchmal
in Verlegenheit kommen, das bedeutende Capital
zweckentsprechend zu verwenden.

In den letzten Jahrzehnten war sein Geiz
und sein Wuchersinn auf das Höchste gestiegen.
Die Sorge für die Reinlichkeit und Pflege seines
Körpers war ziemlich geschwunden; er sparte sich
einen großen Theil des ihm gebotenen Essens
und verkaufte diese Ersparnisse an ärmere Dorf-
bewohner, das disponible Geld aber verlieh er zu
den kleinsten Beträgen gegen erhebliche Zinsen.

Hiemit sind wir am Schlusse angekommen;
können wir auch nicht voraussetzen, daß diese
Characteristik seine Freunde interessiren wird, --
denn er hatte keine -- so wollen wir doch an-
nehmen, daß sie von jenen zahlreichen Personen
gelesen werden wird, denen er ein "geistlicher
Gläubiger" gewesen.




[Spaltenumbruch]

ſtreit des Fürſten gegen den miniſteriellen Ver-
faſſungsentwurf war ein grundſätzlicher und aus
monatelangem Meinungsaustauſch ſattſam bekannt.
... Es wurde nun die letzte Hand an das Preß-
geſetz und jenes über Aſſociation gelegt, die gleich-
zeitig mit der Verfaſſung oder unmittelbar da-
nach kundgemacht werden ſollten. Manifeſt und
Proclamation, womit der große Schritt, den man
vorhatte, zu begleiten war, ſtanden noch aus.
Während dies in Wien beſorgt wurde, verfügte
ſich der Miniſterpräſident zum Kaiſer (1. März).
Am 3. wohnten drei der Miniſter der Reichstags-
ſitzung in Kremſier bei und fuhren von da nach
Olmütz, wo im vollen Miniſterrathe die letzte
Beſprechung der Proclamations-Entwürfe, der
Modalitäten der Auflöſung des Reichstags, der
Kundmachung ꝛc. ſtattfand. Am 4. erfolgte die
Unterſchrift Sr. Majeſtat des Kaiſers. Auch in
Olmütz wurden Vorbereitungen für das bevor-
ſtehende Unternehmen getroffen. Im Laufe des
December hatte Radetzky den Major im General-
Quartiermeiſterſtabe Grafen Joh. Huyn an das
kaiſ. Hoflager geſchickt, der ihn in fortlaufender
Kenntniß der Verhältniſſe erhalten und für die Armee
in Italien auf die höchſten Kreiſe einwirken ſollte.
Am Morgen des 6. wurde Huyn zum Miniſter-
Präſidenten beſchieden, der ihm mittheilte, was
bevorſtand, und daß er auserſehen ſei, die Sache
Hand in Hand mit dem Olmützer Kreishaupt-
mann Grafen Mercandin durchzuführen. Der
gräfliche Major verlangte eine auf wenige Punc-
tationen beſchränkte Inſtruction, die ihm Fürſt
Schwarzenberg einzuhändigen verſprach; unmittel-
bar danach, mit dem Krakauer Nachtzuge, ſollte
Huyn mit den Truppen nach Hullein und Krem-
ſier abgehen.

Für den 6. März war der Unter-Staats-
ſecretär Dr. Helfert nach Wien beſchieden worden.
Kaum dort angelangt, empfing er die Weiſung,
ſich für den Olmützer Abendzug auf dem Nord-
bahnhofe einzufinden. Im Warteſaale gewahrte
er den Landrath Georg Ritter von Mitis und
einige junge Beamte mit ungeheuren Päcken von
Druckſchriſten. Stadion und Bach ließen nicht
auf ſich warten und nahmen Helfert in ihr
Coupé. Gleich nachdem man über Wien hinaus
war, ſagte Stadion zu Bach: „Wir müſſen jetzt
wohl unſern jungen Freund in Kenntniß ſetzen,
was im Zuge iſt“; er that dies ſogleich in kurzen
Worten und fragte, was dieſer dazu meine.
„Haben Sie in Prag genug Militär?“ fuhr es
dem Unter-Staatsſecretär unwillkürlich heraus,
denn er kannte die gereizte Stimmung in Böhmen.
Stadion ſtutzte: „Wieſo?“ Bach theilte jene
Beſorgniſſe nicht, ſagte einige beſchwichtende Worte
und brachte das Geſpräch auf das Nächſtliegende,
das Wie deſſen, was man vorhatte.

Es war finſtere Nacht, als Stadion und
Helfert (Bach war direct nach Olmütz gereiſt)
in Kremſier ein fuhren und allſogleich eine Anzahl
[Spaltenumbruch] Diener in die Wohnungen der gewünſchten Abge-
ordneten ausſchickten. Viele lagen ſchon im Bette,
als ſie die Einladung traf: „Se. Erlaucht läßt
bitten, ſogleich zu erſcheinen“. So war es 11 Uhr
und darüber, ehe die Geladenen zuſammentrafen.
Nachdem die Eingeladenen vollzählig beiſammen
waren, nahm Stadion das Wort und eröffnete
ihnen den Beſchluß Seiner Majeſtät des
Kaiſers, den Reichstag aufzulöſen und eine Ver-
faſſung zu geben, die ſich auf alle Theile des
Reiches erſtrecken ſollte.... Der Eindruck, den
dieſe Mittheilung auf die Anweſenden machte, war
überwältigend. Die Scene, die ſich damals ab-
ſpielte, iſt vielfach geſchildert worden, und wir
erwähnen aus dem Berichte Helfert’s nur, daß,
mit Ausnahme von zwei Abgeordneten, Dr. Gredler
aus Schwaz und Ober-Rabbiner Thieman aus
Rumburg, ſich faſt alle Einberufenen mit aller
Entſchiedenheit gegen die projeetirte Maßregel
ausſprachen und die furchtbarſten Ereigniſſe in
Ausſicht ſtellten. „Gewiß“, meint Helfert, „war
es in ihrem Innern nicht Ernſt mit dem, was
Jeder von ihnen in Gegenwart der Anderen zur
Schau trug. Unter vier Augen war gerade in
der letzten Zeit von Solchen, die ſich jetzt ſo ge-
waltig gegen den Entſchluß der Regierung auf-
bäumten, ganz Anderes zu hören geweſen. War
es nicht Dieſer da (Pinkas), der wiederholt im
Zwiegeſpräch mit dem Juſtizminiſter geäußert
hatte: „Schickt uns nach Hauſe, zu Stande brin-
gen wir ja doch nichts.“ Oder gar Jener dort
(Cajetan Mayer), der ebenfalls im Zwiegeſpräch
mit aufgehobenen Händen, halb Scherz, halb
Ernſt, den Grafen Stadion angerufen hatte:
„Erlaucht, löſen’s uns auf.“

Stadion war ſichtlich ergriffen. Seine Natur
die bereits bedenkliche Symptome geiſtiger Ueber-
ſpannung und Abmattung aufwies, war ſolchem
Sturme nicht mehr gewachſen... Während dies
in Kremſier vorging, ſpielte ſich eine Verhand-
lung anderer Art in Olmütz ab. Major Graf
Huyn hatte ſich dem ihm gewordenen Beſcheid
gemäß gegen Abend beim Miniſter-Präſidenten
eingefunden, um ſich die erbetene Inſtruction zu
holen. Aber ſie war noch nicht fertig; der Fürſt
berieth ſich eben mit Bach und Bruck, dem im
letzten Augenblicke Zweifel aller Art aufſtiegen,
und zwar äußerte der Juſtizminiſter Rechtsbeden-
ken wegen der durch die Polizei vorzunehmenden
Verhaftung der Compromittirten; der Handels-
miniſter machte Einwendungen in conſtitutio-
neller Richtung über den Vorgang bei
der Auflöſung. Darüber verging eine halbe
Stunde nach der andern; der Zeiger an der Uhr
ging auf 11 Uhr los, wo der Prager Zug Ol-
mütz paſſirte. Graf Huyn, der nun keinen Augen-
blick zögern durſte, um mit dem Morgen an
Ort und Stelle zu ſein, erbat ſich unverweiltes
Gehen und trat mit der Erklärung unter die
Miniſter: „Ich verzichte auf eine Inſtruction,
[Spaltenumbruch] wenn mich Eure Durchlaucht genau und beſtimmt
über einige Puncte aufklären wollen: 1. Iſt es
des Kaiſers Wille und Befehl, daß der Reichstag
aufgelöſt werde?“ — „Gewiß!“ — „2. Iſt dem
Reichstag zu geſtatten, noch einmal zu einer
Sitzung zuſammerzutreten?“ — „Unter keinen
Umſtänden!“ — „3. Iſt ſonſt in Kremſier oder
im Weichbilde der Stadt eine Verſammlung von
Abgeordneten zum Zwecke von Adreſſen oder
Proteſten zu geſtatteu?“ — „Ebenſowenig!“ —
„Ich danke Eurer Durchlaucht, ich habe die In-
ſtruction, die ich brauche, und werde darnach
handeln.“

Ungefähr um 1 Uhr Nachts, während die
beiden von Olmütz mitgenommenen Compagnien
von Hullein nach Kremſier marſchirten, langten
Mercandin und Huyn in den Appartements
Stadion’s ein und waren ſehr erſtaunt, zu ver-
nehmen, daß ſich der Miniſter in lebhaften Ver-
handlungen mit mehreren Abgeordneten befinde;
ſie zogen ſich, weil Niemand von ihrer Anweſen-
heit etwas wiſſen durfte, in Seitengemächer
zurück und warteten den Schluß der Berathung ab.

Es war gegen die dritte Morgenſtunde des
7. März, als die Verſammelten auseinandergin-
gen, nachdem ihnen Stadion das Verſprechen
abgenommen hatte, über das was vorgefallen,
bis zur Entſcheidung unverbrüchliches Stillſchweigen
zu bewahren, wogegen er ihnen zuſagte, ſich ohne
Aufenthalt nach Olmütz zu begeben und für eine
Aenderung der dort gefaßten Beſchlüſſe zu wirken.
Nachdem eine Aenderung der dort gefaßten Be-
ſchlüſſe zu wirken. Nachdem Alle, bis auf den
Hausherrn und Helfert fort waren, trat der
Major aus ſeinem Cabinet hervor. — „Was
machen Sie hier? fuhr ihn Stadion in ſeiner
Erregtheit an. — „Eure Erlaucht wiſſen
wohl, daß morgen der Reichstag aufgelöſt
wird, und dazu bin ich hier.“ — „Das kann
nicht ſein! Ich werde das auf die beſte Weiſe
machen. Ich habe mich eben der Zuſtimmung der
Abgeordneten verſichert, daß ſie die Verfaſſung
en ploc annehmen werden. Eine Gewaltmaßre-
gel iſt daher nicht nothwendig und ſehr gefähr-
lich.“ — „Das mögen ſehr richtige Anſichten
ſein, allein ich habe ganz beſtimmte Weiſungen,
von denen ich nicht abgehen kann, es wäre denn,
Fürſt Schwarzenberg befehle es.“

Stadion erklärte, daß es ohnedies ſeine Ab-
ſicht ſei, unverzüglich nach Olmütz zu fahren und
dort mit dem Miniſter-Präſidenten zu ſprechen.
Dann ſei die Sache ſehr einfach, verſetzte Huyn,
der Poſtwagen, mit dem er von Hullein gekom-
men, ſtehe im Hofe und könne gleich zur Fahrt
nach Olmütz benützt werden, Fürſt Schwarzen-
berg möge dann telegraphiſch ſeine Befehle ge-
ben. Während dieſes Geſpäches war Graf Mer-
candin, der ſich in der Zwiſchenzeit einem kurzen
Schlummer hingegeben hatte, herausgekommen,
welcher dem Unter-Staatsſecretär im Abgehen




[Spaltenumbruch]

lich eine Klage bei einem Notar machen ließ.
Dieſer ließ Pater J. rufen, theilte ihm die Sache
mit und gab ihm den Rath, die Angelegenheit
durch Zahlung eines Betrages beizulegen. Pater
J. willigte endlich ein und mit Zahlung von 11
Gulden war die Sache abgethan. Doch ſiehe da!
Die Entnahme der 11 Gulden begründet der
Pater mit folgende Worte: „Ad notam! Hievon
dem betrügeriſchen Notar ... in ... durch
viehiſche Erpreſſung herausgenommen am .. den
Betrag von 11 Gulden. Im Jahre der Gnade
18 .. —“. — Ein zweiter Zettel: „Ad notam!
Hievon dem ... (genauer Name und Adreſſe)
für den Macherlohn neuer wallachiſcher Babutſchen
in aller Ehrbarkeit herausgenommen 5 Gulden.
Im Jahre der Gnade 18 ...—“. Ein dritter
Zettel: „Ad notam! Dieſe anliegend geweſenen
3 Gulden der Bedienerin .. als ein großmüthi-
ges Douceur in aller Ehrbarkeit gegeben.“ —
Nun laſſen wir noch zwei Zettel mit wahrhaft
köſtlichem Inhalte folgen; der erſte lautet: „Dieſe
hier anliegend geweſenen 9 Stück Silbercoupons
perſönlich ausgewechſelt zu Olmütz, im effectiven
Werte von 39 fl. während meiner dreiwöchent-
lichen Anweſenheit in Olmütz in meinem Irr-
thume und zugleich auch aus einer unverzeihlichen
Dummheit ganz leichtſinnig verſchwendet und
durchgebracht.“ — Und der zweite: „Hiervon
am 27. März 18 .. der Eliſabeth .. nach T..
zum fortwährenden Andenken durch die Poſt un-
francirt in aller Güte, gepräget im Jahre 1874
überſchicket und zwar: Zwei blanke harte Silber-
thaler, glänzend weiß, wie die pure Milch.“ —
[Spaltenumbruch] Bevor wir die Characteriſtik ſchließen, wollen wir
noch einen Brief anführen, welchen einer ſeiner
Studiencollegen und zugleich Amtsbruder vor
etwa zwanzig Jahren an ihn richtete; wir füh-
ren ihn wörtlichan, weil dieſes Schriftſtück einen
ganz beſonders gelungene Characteriſtik enthält:

Lieber Franz!

Neulich wird mir ein Recepiſſe zugeſtellt,
auf welchem ſtand: „eine Kiſte von N. ohne
Wert.“ — Holla, dachte ich, das kommt ge-
wiß vom Spotz (Spitznamen unſeres Paters),
denn der ſchickt gewiß nichts Wertvolles. Richtig
— eine Kiſte mit Trauben = Mačka, welche
ſchon durch den Boden der Kiſte rann. Das ſind
alſo die mir von Dir bei meiner letzten Anweſen-
heit in ... verſprochenen Ananaschen? O Du
Erz — Schmu — nicht, Erzknauſer Du?
Der Gärtner hat Dir halt keine Ana-
naschen geſchenkt, wie vielleicht die Trauben ein
altes Mütterchen, oder haſt Du keine Gelegenheit
gehabt, welche zu ſtibitzen — denn daß Du Etwas
kaufen möchteſt — das gibts net — Du haſt
gewiß, was Du in ... biſt, keinen Kreuzer aus-
gegeben. Wer weiß, ob Du ſchon die halbe Bier
und den ſchwarzen Caffee beim Juden für mich
gezahlt haſt? Ich muß doch nächſtens ſelbſt nach-
ſehen kommen, ob ich oder Du nicht noch auf der
ſchwarzen Tafel des Juden paradiren.

Obwohl ich beſſere Trauben aus meinem
Garten bis jetzt noch vorräthig habe, als die
waren, welche Du mir geſchickt haſt, ſo hat es
mich doch recht ſehr gefreut und ich danke Dir
[Spaltenumbruch] herzlich dafür. Es iſt mir noch nicht alle Hoff-
nung geſchwunden, daß Du Dich doch noch beſ-
ſern könnteſt. Nun lebe recht wohl. Dies und
einen guten Appetit wünſcht Dir

Dein gewiß aufrichtiger
Freund und Bruder
......

Als Pater Franz ſtarb, hinterließ er ein Ver-
mögen von etwa 60000 fl., nur 3 oder 4 Tauſend ſoll
er einer nahen Verwandten teſtirt haben; das Uebrige
mußte er nothgedrungen in dieſer Welt zurück-
laſſen und beſtimmte daher, ſein Schloßherr und
Gönner ſolle dasſelbe zu „frommen“ Zwecken
verwenden; da „fromm“ und „wohlthätig“ nicht
dasſelbe iſt, ſo dürfte der Erbe wohl manchmal
in Verlegenheit kommen, das bedeutende Capital
zweckentſprechend zu verwenden.

In den letzten Jahrzehnten war ſein Geiz
und ſein Wucherſinn auf das Höchſte geſtiegen.
Die Sorge für die Reinlichkeit und Pflege ſeines
Körpers war ziemlich geſchwunden; er ſparte ſich
einen großen Theil des ihm gebotenen Eſſens
und verkaufte dieſe Erſparniſſe an ärmere Dorf-
bewohner, das disponible Geld aber verlieh er zu
den kleinſten Beträgen gegen erhebliche Zinſen.

Hiemit ſind wir am Schluſſe angekommen;
können wir auch nicht vorausſetzen, daß dieſe
Characteriſtik ſeine Freunde intereſſiren wird, —
denn er hatte keine — ſo wollen wir doch an-
nehmen, daß ſie von jenen zahlreichen Perſonen
geleſen werden wird, denen er ein „geiſtlicher
Gläubiger“ geweſen.




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[[4]/0004] ſtreit des Fürſten gegen den miniſteriellen Ver- faſſungsentwurf war ein grundſätzlicher und aus monatelangem Meinungsaustauſch ſattſam bekannt. ... Es wurde nun die letzte Hand an das Preß- geſetz und jenes über Aſſociation gelegt, die gleich- zeitig mit der Verfaſſung oder unmittelbar da- nach kundgemacht werden ſollten. Manifeſt und Proclamation, womit der große Schritt, den man vorhatte, zu begleiten war, ſtanden noch aus. Während dies in Wien beſorgt wurde, verfügte ſich der Miniſterpräſident zum Kaiſer (1. März). Am 3. wohnten drei der Miniſter der Reichstags- ſitzung in Kremſier bei und fuhren von da nach Olmütz, wo im vollen Miniſterrathe die letzte Beſprechung der Proclamations-Entwürfe, der Modalitäten der Auflöſung des Reichstags, der Kundmachung ꝛc. ſtattfand. Am 4. erfolgte die Unterſchrift Sr. Majeſtat des Kaiſers. Auch in Olmütz wurden Vorbereitungen für das bevor- ſtehende Unternehmen getroffen. Im Laufe des December hatte Radetzky den Major im General- Quartiermeiſterſtabe Grafen Joh. Huyn an das kaiſ. Hoflager geſchickt, der ihn in fortlaufender Kenntniß der Verhältniſſe erhalten und für die Armee in Italien auf die höchſten Kreiſe einwirken ſollte. Am Morgen des 6. wurde Huyn zum Miniſter- Präſidenten beſchieden, der ihm mittheilte, was bevorſtand, und daß er auserſehen ſei, die Sache Hand in Hand mit dem Olmützer Kreishaupt- mann Grafen Mercandin durchzuführen. Der gräfliche Major verlangte eine auf wenige Punc- tationen beſchränkte Inſtruction, die ihm Fürſt Schwarzenberg einzuhändigen verſprach; unmittel- bar danach, mit dem Krakauer Nachtzuge, ſollte Huyn mit den Truppen nach Hullein und Krem- ſier abgehen. Für den 6. März war der Unter-Staats- ſecretär Dr. Helfert nach Wien beſchieden worden. Kaum dort angelangt, empfing er die Weiſung, ſich für den Olmützer Abendzug auf dem Nord- bahnhofe einzufinden. Im Warteſaale gewahrte er den Landrath Georg Ritter von Mitis und einige junge Beamte mit ungeheuren Päcken von Druckſchriſten. Stadion und Bach ließen nicht auf ſich warten und nahmen Helfert in ihr Coupé. Gleich nachdem man über Wien hinaus war, ſagte Stadion zu Bach: „Wir müſſen jetzt wohl unſern jungen Freund in Kenntniß ſetzen, was im Zuge iſt“; er that dies ſogleich in kurzen Worten und fragte, was dieſer dazu meine. „Haben Sie in Prag genug Militär?“ fuhr es dem Unter-Staatsſecretär unwillkürlich heraus, denn er kannte die gereizte Stimmung in Böhmen. Stadion ſtutzte: „Wieſo?“ Bach theilte jene Beſorgniſſe nicht, ſagte einige beſchwichtende Worte und brachte das Geſpräch auf das Nächſtliegende, das Wie deſſen, was man vorhatte. Es war finſtere Nacht, als Stadion und Helfert (Bach war direct nach Olmütz gereiſt) in Kremſier ein fuhren und allſogleich eine Anzahl Diener in die Wohnungen der gewünſchten Abge- ordneten ausſchickten. Viele lagen ſchon im Bette, als ſie die Einladung traf: „Se. Erlaucht läßt bitten, ſogleich zu erſcheinen“. So war es 11 Uhr und darüber, ehe die Geladenen zuſammentrafen. Nachdem die Eingeladenen vollzählig beiſammen waren, nahm Stadion das Wort und eröffnete ihnen den Beſchluß Seiner Majeſtät des Kaiſers, den Reichstag aufzulöſen und eine Ver- faſſung zu geben, die ſich auf alle Theile des Reiches erſtrecken ſollte.... Der Eindruck, den dieſe Mittheilung auf die Anweſenden machte, war überwältigend. Die Scene, die ſich damals ab- ſpielte, iſt vielfach geſchildert worden, und wir erwähnen aus dem Berichte Helfert’s nur, daß, mit Ausnahme von zwei Abgeordneten, Dr. Gredler aus Schwaz und Ober-Rabbiner Thieman aus Rumburg, ſich faſt alle Einberufenen mit aller Entſchiedenheit gegen die projeetirte Maßregel ausſprachen und die furchtbarſten Ereigniſſe in Ausſicht ſtellten. „Gewiß“, meint Helfert, „war es in ihrem Innern nicht Ernſt mit dem, was Jeder von ihnen in Gegenwart der Anderen zur Schau trug. Unter vier Augen war gerade in der letzten Zeit von Solchen, die ſich jetzt ſo ge- waltig gegen den Entſchluß der Regierung auf- bäumten, ganz Anderes zu hören geweſen. War es nicht Dieſer da (Pinkas), der wiederholt im Zwiegeſpräch mit dem Juſtizminiſter geäußert hatte: „Schickt uns nach Hauſe, zu Stande brin- gen wir ja doch nichts.“ Oder gar Jener dort (Cajetan Mayer), der ebenfalls im Zwiegeſpräch mit aufgehobenen Händen, halb Scherz, halb Ernſt, den Grafen Stadion angerufen hatte: „Erlaucht, löſen’s uns auf.“ Stadion war ſichtlich ergriffen. Seine Natur die bereits bedenkliche Symptome geiſtiger Ueber- ſpannung und Abmattung aufwies, war ſolchem Sturme nicht mehr gewachſen... Während dies in Kremſier vorging, ſpielte ſich eine Verhand- lung anderer Art in Olmütz ab. Major Graf Huyn hatte ſich dem ihm gewordenen Beſcheid gemäß gegen Abend beim Miniſter-Präſidenten eingefunden, um ſich die erbetene Inſtruction zu holen. Aber ſie war noch nicht fertig; der Fürſt berieth ſich eben mit Bach und Bruck, dem im letzten Augenblicke Zweifel aller Art aufſtiegen, und zwar äußerte der Juſtizminiſter Rechtsbeden- ken wegen der durch die Polizei vorzunehmenden Verhaftung der Compromittirten; der Handels- miniſter machte Einwendungen in conſtitutio- neller Richtung über den Vorgang bei der Auflöſung. Darüber verging eine halbe Stunde nach der andern; der Zeiger an der Uhr ging auf 11 Uhr los, wo der Prager Zug Ol- mütz paſſirte. Graf Huyn, der nun keinen Augen- blick zögern durſte, um mit dem Morgen an Ort und Stelle zu ſein, erbat ſich unverweiltes Gehen und trat mit der Erklärung unter die Miniſter: „Ich verzichte auf eine Inſtruction, wenn mich Eure Durchlaucht genau und beſtimmt über einige Puncte aufklären wollen: 1. Iſt es des Kaiſers Wille und Befehl, daß der Reichstag aufgelöſt werde?“ — „Gewiß!“ — „2. Iſt dem Reichstag zu geſtatten, noch einmal zu einer Sitzung zuſammerzutreten?“ — „Unter keinen Umſtänden!“ — „3. Iſt ſonſt in Kremſier oder im Weichbilde der Stadt eine Verſammlung von Abgeordneten zum Zwecke von Adreſſen oder Proteſten zu geſtatteu?“ — „Ebenſowenig!“ — „Ich danke Eurer Durchlaucht, ich habe die In- ſtruction, die ich brauche, und werde darnach handeln.“ Ungefähr um 1 Uhr Nachts, während die beiden von Olmütz mitgenommenen Compagnien von Hullein nach Kremſier marſchirten, langten Mercandin und Huyn in den Appartements Stadion’s ein und waren ſehr erſtaunt, zu ver- nehmen, daß ſich der Miniſter in lebhaften Ver- handlungen mit mehreren Abgeordneten befinde; ſie zogen ſich, weil Niemand von ihrer Anweſen- heit etwas wiſſen durfte, in Seitengemächer zurück und warteten den Schluß der Berathung ab. Es war gegen die dritte Morgenſtunde des 7. März, als die Verſammelten auseinandergin- gen, nachdem ihnen Stadion das Verſprechen abgenommen hatte, über das was vorgefallen, bis zur Entſcheidung unverbrüchliches Stillſchweigen zu bewahren, wogegen er ihnen zuſagte, ſich ohne Aufenthalt nach Olmütz zu begeben und für eine Aenderung der dort gefaßten Beſchlüſſe zu wirken. Nachdem eine Aenderung der dort gefaßten Be- ſchlüſſe zu wirken. Nachdem Alle, bis auf den Hausherrn und Helfert fort waren, trat der Major aus ſeinem Cabinet hervor. — „Was machen Sie hier? fuhr ihn Stadion in ſeiner Erregtheit an. — „Eure Erlaucht wiſſen wohl, daß morgen der Reichstag aufgelöſt wird, und dazu bin ich hier.“ — „Das kann nicht ſein! Ich werde das auf die beſte Weiſe machen. Ich habe mich eben der Zuſtimmung der Abgeordneten verſichert, daß ſie die Verfaſſung en ploc annehmen werden. Eine Gewaltmaßre- gel iſt daher nicht nothwendig und ſehr gefähr- lich.“ — „Das mögen ſehr richtige Anſichten ſein, allein ich habe ganz beſtimmte Weiſungen, von denen ich nicht abgehen kann, es wäre denn, Fürſt Schwarzenberg befehle es.“ Stadion erklärte, daß es ohnedies ſeine Ab- ſicht ſei, unverzüglich nach Olmütz zu fahren und dort mit dem Miniſter-Präſidenten zu ſprechen. Dann ſei die Sache ſehr einfach, verſetzte Huyn, der Poſtwagen, mit dem er von Hullein gekom- men, ſtehe im Hofe und könne gleich zur Fahrt nach Olmütz benützt werden, Fürſt Schwarzen- berg möge dann telegraphiſch ſeine Befehle ge- ben. Während dieſes Geſpäches war Graf Mer- candin, der ſich in der Zwiſchenzeit einem kurzen Schlummer hingegeben hatte, herausgekommen, welcher dem Unter-Staatsſecretär im Abgehen lich eine Klage bei einem Notar machen ließ. Dieſer ließ Pater J. rufen, theilte ihm die Sache mit und gab ihm den Rath, die Angelegenheit durch Zahlung eines Betrages beizulegen. Pater J. willigte endlich ein und mit Zahlung von 11 Gulden war die Sache abgethan. Doch ſiehe da! Die Entnahme der 11 Gulden begründet der Pater mit folgende Worte: „Ad notam! Hievon dem betrügeriſchen Notar ... in ... durch viehiſche Erpreſſung herausgenommen am .. den Betrag von 11 Gulden. Im Jahre der Gnade 18 .. —“. — Ein zweiter Zettel: „Ad notam! Hievon dem ... (genauer Name und Adreſſe) für den Macherlohn neuer wallachiſcher Babutſchen in aller Ehrbarkeit herausgenommen 5 Gulden. Im Jahre der Gnade 18 ...—“. Ein dritter Zettel: „Ad notam! Dieſe anliegend geweſenen 3 Gulden der Bedienerin .. als ein großmüthi- ges Douceur in aller Ehrbarkeit gegeben.“ — Nun laſſen wir noch zwei Zettel mit wahrhaft köſtlichem Inhalte folgen; der erſte lautet: „Dieſe hier anliegend geweſenen 9 Stück Silbercoupons perſönlich ausgewechſelt zu Olmütz, im effectiven Werte von 39 fl. während meiner dreiwöchent- lichen Anweſenheit in Olmütz in meinem Irr- thume und zugleich auch aus einer unverzeihlichen Dummheit ganz leichtſinnig verſchwendet und durchgebracht.“ — Und der zweite: „Hiervon am 27. März 18 .. der Eliſabeth .. nach T.. zum fortwährenden Andenken durch die Poſt un- francirt in aller Güte, gepräget im Jahre 1874 überſchicket und zwar: Zwei blanke harte Silber- thaler, glänzend weiß, wie die pure Milch.“ — Bevor wir die Characteriſtik ſchließen, wollen wir noch einen Brief anführen, welchen einer ſeiner Studiencollegen und zugleich Amtsbruder vor etwa zwanzig Jahren an ihn richtete; wir füh- ren ihn wörtlichan, weil dieſes Schriftſtück einen ganz beſonders gelungene Characteriſtik enthält: Lieber Franz! Neulich wird mir ein Recepiſſe zugeſtellt, auf welchem ſtand: „eine Kiſte von N. ohne Wert.“ — Holla, dachte ich, das kommt ge- wiß vom Spotz (Spitznamen unſeres Paters), denn der ſchickt gewiß nichts Wertvolles. Richtig — eine Kiſte mit Trauben = Mačka, welche ſchon durch den Boden der Kiſte rann. Das ſind alſo die mir von Dir bei meiner letzten Anweſen- heit in ... verſprochenen Ananaschen? O Du Erz — Schmu — nicht, Erzknauſer Du? Der Gärtner hat Dir halt keine Ana- naschen geſchenkt, wie vielleicht die Trauben ein altes Mütterchen, oder haſt Du keine Gelegenheit gehabt, welche zu ſtibitzen — denn daß Du Etwas kaufen möchteſt — das gibts net — Du haſt gewiß, was Du in ... biſt, keinen Kreuzer aus- gegeben. Wer weiß, ob Du ſchon die halbe Bier und den ſchwarzen Caffee beim Juden für mich gezahlt haſt? Ich muß doch nächſtens ſelbſt nach- ſehen kommen, ob ich oder Du nicht noch auf der ſchwarzen Tafel des Juden paradiren. Obwohl ich beſſere Trauben aus meinem Garten bis jetzt noch vorräthig habe, als die waren, welche Du mir geſchickt haſt, ſo hat es mich doch recht ſehr gefreut und ich danke Dir herzlich dafür. Es iſt mir noch nicht alle Hoff- nung geſchwunden, daß Du Dich doch noch beſ- ſern könnteſt. Nun lebe recht wohl. Dies und einen guten Appetit wünſcht Dir Dein gewiß aufrichtiger Freund und Bruder ...... Als Pater Franz ſtarb, hinterließ er ein Ver- mögen von etwa 60000 fl., nur 3 oder 4 Tauſend ſoll er einer nahen Verwandten teſtirt haben; das Uebrige mußte er nothgedrungen in dieſer Welt zurück- laſſen und beſtimmte daher, ſein Schloßherr und Gönner ſolle dasſelbe zu „frommen“ Zwecken verwenden; da „fromm“ und „wohlthätig“ nicht dasſelbe iſt, ſo dürfte der Erbe wohl manchmal in Verlegenheit kommen, das bedeutende Capital zweckentſprechend zu verwenden. In den letzten Jahrzehnten war ſein Geiz und ſein Wucherſinn auf das Höchſte geſtiegen. Die Sorge für die Reinlichkeit und Pflege ſeines Körpers war ziemlich geſchwunden; er ſparte ſich einen großen Theil des ihm gebotenen Eſſens und verkaufte dieſe Erſparniſſe an ärmere Dorf- bewohner, das disponible Geld aber verlieh er zu den kleinſten Beträgen gegen erhebliche Zinſen. Hiemit ſind wir am Schluſſe angekommen; können wir auch nicht vorausſetzen, daß dieſe Characteriſtik ſeine Freunde intereſſiren wird, — denn er hatte keine — ſo wollen wir doch an- nehmen, daß ſie von jenen zahlreichen Perſonen geleſen werden wird, denen er ein „geiſtlicher Gläubiger“ geweſen.

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 71, Olmütz, 29.03.1886, S. [4]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches71_1886/4>, abgerufen am 23.11.2024.