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Märkische Blätter. Jahrgang 5, Nr. 8. Hattingen, 26. Januar 1853.

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[Beginn Spaltensatz] rer Stimme und ihrer Kunstliebe, und dieser Gedanke hatte sie schon
zu der Wahl des, ihrem eigenen ähnlich klingenden Namens geleitet.
Sie sprach ihn arglos und fröhlich ihrem Gatten aus, und dieser
begriff die natürliche Berechtigung des Mutterherzens so wenig, daß
er mit alter Härte erwiderte: "Nimmermehr! Jch werde dies Kind
zu einem verständigen und glücklichen Wesen erziehen."

Sie drückte schweigend das Kind an sich, zum unwillkürlichen
Zeichen ihrer Empfindung: dieß Kind ist mein und soll ein anderes
Schicksal finden, als das Du über mich verhängt hast! Sie sagte
nun: "Rosaliens Großvater soll kommen und sie segnen."

Klingenstein erwiderte trocken: "Lade ihn ein, wenn Du willst.
Du siehst wohl ein, daß er nach dem Vorgefallenen eine Einladung
nicht erwarten, und wahrscheinlich, seinem starren Sinne gemäß nicht
einmal annehmen wird."

Rosa lud ihren Vater ein, aber er schrieb zurück: "So sehr
ich mich nach Kind und [unleserliches Material - 9 Zeichen fehlen]Enkelkind sehne, so wenig darf ich doch ein
Haus betreten, in welchem Du selbst ja nicht heimisch bist, geschweige
denn Dein Vater. Ueberdieß bin ich viel älter und schwächer ge-
worden, seitdem ich Dich leiden sah, und werde mein Haus nicht
mehr verlassen. Komme Du zu mir und bringe Dein Kind mit."

Rosalie antwortete ihm sogleich, daß sie kommen werde und
und erklärte ihrem Manne diesen Entschluß. Er konnte und mochte
nichts dagegen einwenden, als das ihre und des Kindes Kraft im
Augenblicke die Reise noch nicht gestatte. Sie mußte dieß zugeben
und und[unleserliches Material] bestimmte eine Frist,[unleserliches Material] nach welcher sie zu ihrem Vater zu
kommen versprach.

Die Frist verfloß, sie machte Anstalten zur Reise, obgleich das
Kind in der That nicht ganz nach Wunsch erstarkt und des [unleserliches Material - 6 Zeichen fehlen]Arztes
Einwendungen nicht Grundlos waren. Klingenstein warf ihr vor,
daß ihre Aufregung und Mißstimmung schuld an des Kindes Befin-
den sei, und daß sie auch jetzt in ihrem Eigensinne dessen Wohl au-
ßer Augen setze.

Die Pflicht für das Kind bewog sie, sich nochmals einem Auf-
schub zu unterziehen Sie schrieb ihrem Vater den Grund der Ver-
zögerung, die nicht lange dauern solle. Aber statt seiner Antwort ein-
pfing sie die Trauerkunde: daß ihr Vater, schon seit seiner Rückkehr
von ihr kränkelnd, plötzlich gestorben sei. Sie war außer sich und
warf Klingenstein vor, er sei schuld an ihres Vaters Tode, schuld,
daß der tiefgekränkte Greis nun auch ohne den Trost ihrer Gegenwart
gestorben sei. Sie fühlte sich jetzt ganz heimathlos und wie in feind-
licher Gewalt. Klingenstein war wirklich betroffen [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]und bekümmert
und suchte sie zu versöhnen, ihre Aufregung durch theilnehmende Be-
gegnung zu lindern.

Eine Zeit lang stellte sich ein leidliches Verhältniß zwischen
Beiden wieder her. Sie besuchten zuweilen das Theater, Emilio
wurde öfters eingeladen, und die gemeinsame Liebe der Gatten zu dem
Kinde verdeckte den Mangel der wechselseitigen.

Aber nach einiger Zeit ging gerade von dem Kinde wieder eine
trennende Gewalt aus. Je schöner und lebenskräftiger es sich ent-
wickelte, desto mehr beschäftigte sich Klingenstein [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]mit ihm. So natür-
lich dieß an sich war, so glaubte Rosa doch zu [unleserliches Material - 8 Zeichen fehlen]bemerken, daß er es
in gleichem Maaße von ihr zu entfernen suche. Jn der That wählte
und entließ er die Wärterinnen des Kindes nur nach eigenem Gutdün-
ken und schloß Rosa immer mehr von seiner Pflege und Erziehung
aus.

Sie gedachte mit Angst und Unwillen der harten Weise, mit
welcher einst ihre Zukunftträume für Rosalie gestört hatte, und beklagte
sich bitter, daß er das zarte, noch ganz und allein der mütterlichen
Sorge bedürfende Wesen dieser zu entziehen und ihr seine Liebe schon
im Keime zu entfremden suche.

"Jch thue meine Pflicht," antwortete er strenge; überließe ich
das Kind ganz Deiner Leitung, so würde es verweichlicht und eigen-
sinnig werden und zu einem unglücklichen Geschöpfe erwachsen, das
sich nicht in die Welt finden könnte."

Dieser Zwiespalt wurde immer stärker. Rosa fühlte sich in ih-
t [unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen]en heiligsten Rechten und Hoffnungen beeinträchtigt und fürchtete für
Rosalie eine freudlose Jugend unter demselben herzlosen Zwange, der
ihre eigene Jugend vor der Zeit welken ließ. Die Wärterin des
Kindes und die ganze Dienerschaft erschienen ihr als Wächter und
Spione gegen sie selbst im Solde und unter dem tyrannischen Ein-
[Spaltenumbruch] flusse ihres Mannes, der keinen selbstständigen Willen außer dem sei-
nen duldete.

Verlassen und verrathen, wie sie sich fühlte, sehnte sie sich nach
Mittheilung und tröstender, vielleicht [unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]hülfreicher Freundschaft. Der
einzige Mensch, der ihr seit ihrem ersten Eintritte in die fremde Welt
persönliche Theilnahme bezeugt hatte, war Emilio. Er kam auch jetzt
ihrem Vertrauen entgegen und sagte ihr: daß nur durch die Besorgniß
noch härteren Druck über sie zu verhängen, bisher abgehalten worden
sei, ihr die schmerzliche Theilnahme zu zeugen, mit welcher er schon
seit langer Zeit ihr Schicksal beobachtet habe.

Aus der verstohlenen Bitte und Gewährung des Trostes bei
gelegentlichen Besuchen Emilio's wurden verstohlene Zusammenkünfte,
jedoch nur, sofern Rosa in [unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]Abwesenheit ihres Mannes -- die öfters
vorkam, aber selten lange währte -- den Sänger einlud, sie in ih-
rem Hause zu besuchen. Die Einladungsbriefchen trug sie persönlich
in den Postbriefkasten; Emilio kam dann in der bezeichneten Stunde,
wußte anscheinend nichts von des Barons Abwesenheit und verweilte
nicht allzulange, so daß anfangs diese Besuche weder der Dienerschaft,
noch Klingenstein selbst auffielen. Rosa sprach unbefangen davon;
ihres Gatten Strenge lehrte sie Verstellung.

Bei diesem Berhältnisse dachte sie an keine nähere Beziehung
zu Emilio, als die zu dem einzigen Freunde, welchem sie ihre Leiden
klagen konnte. Er mißbrauchte dieß Zutrauen nicht, obschon Rosa's
Jugend und Schönheit wachsenden Eindruck auf ihn machten. Nicht
aus selbstsüchtigen Zwecken, sondern weil er kein anderes Heil für
Rosa sah, regte er den Gedanken der Trennung von Klingenstein in
ihr an.

Aber zu gerichlicher Scheidung war kein hinreichender Grund
vorhanden, und Rosa konnte gewiß sein, daß Klingenstein ihr in
keinem Falle das Kind überlassen würde, wenn er auch sie selbst frei-
gäbe, was kaum mehr zu erwarten stand.

Jhre Spannung dauerte indessen nicht lange. Dem Baron
wurden denn doch die wiederholten Besuche des Sängers in seiner
Abwesenheit verdächtig. Er empfand jetzt, wo Rosa seinem Herzen
ferner gerückt war, nicht wieder die frühere Eifersucht gegen ihn; aber
sein Stolz empörte sich bei dem Gedanken, daß das Publikum in
dem berühmten Künstler den Cicisbeor seines Weibes sehen möchte.
Eine Andentung dieser Ansicht, die er vernahm, oder zu vernehmen
glaubte brachte ihn zu einem Entschlusse.

Er mochte Emilio das Haus nicht verbieten, weil er sich ihm
bloßzustellen und Aufsehen zu erregen fürchtete. Aber er wieß seine
Diener an, ihn jedesmal zwar höflich, jedoch unter einem nichtigen
Vorwande abzuweisen, wann er ihn und seine Gemahlin besuchen
wolle. Um alle die Einwendungen Rosa's abzuschneiden theilte er
ihr diese Anordnung erst mit, nachdem er sie bereits getroffen hatte,
und untersagte ihr allen Umgang mit Emilio, indem er dies Ver-
bot durch die Sorge für ihren und seinen eigenen Nuf begründete.

Aber Rosa's Geduld war jetzt erschöpft. Sie überschüttete Klin-
genstein mit allen lange zurückgehaltenen Vorwürfen und erklärte ihm,
daß sie sich nicht mehr als willenlose Sklavin oder als schuldige Ge-
fangene werde behandeln lassen. Zwar werde sie Emilio nicht mehr
in dem Hause sehen, in welchem sie sich selbst als eine Fremde fühle,
aber sie werde nun das Theater besuchen, so oft es ihr beliebe, und
Emilio den Zutritt in ihre Loge nicht verwehren und nicht verwehren
lassen.

Klingenstein wagte nicht, dieses unvermuthete Forte durch ein
Fortissimo zu überbieten, sondern ließ sie ausreden und sagte dann[unleserliches Material]kalt: "Gut denn, ich will Deine Freiheit außer dem Hause nicht be-
schränken und es Dir überlassen, wie weit Du die Sitte achtest. Auch
im Hause werde ich mir nicht mehr erlauben, Dir für Deine Person
Rath und Vorschrift zu ertheilen. Dafür wirst Du mir gestatten, in
allen gemeinsamen Rechten und Pflichten des Hauses, folglich in
Annahmen oder Abweisung von Besuchen und in der Erziehung un-
seres Kindes meine Stellung zu behaupten.

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] rer Stimme und ihrer Kunstliebe, und dieser Gedanke hatte sie schon
zu der Wahl des, ihrem eigenen ähnlich klingenden Namens geleitet.
Sie sprach ihn arglos und fröhlich ihrem Gatten aus, und dieser
begriff die natürliche Berechtigung des Mutterherzens so wenig, daß
er mit alter Härte erwiderte: „Nimmermehr! Jch werde dies Kind
zu einem verständigen und glücklichen Wesen erziehen.“

Sie drückte schweigend das Kind an sich, zum unwillkürlichen
Zeichen ihrer Empfindung: dieß Kind ist mein und soll ein anderes
Schicksal finden, als das Du über mich verhängt hast! Sie sagte
nun: „Rosaliens Großvater soll kommen und sie segnen.“

Klingenstein erwiderte trocken: „Lade ihn ein, wenn Du willst.
Du siehst wohl ein, daß er nach dem Vorgefallenen eine Einladung
nicht erwarten, und wahrscheinlich, seinem starren Sinne gemäß nicht
einmal annehmen wird.“

Rosa lud ihren Vater ein, aber er schrieb zurück: „So sehr
ich mich nach Kind und [unleserliches Material – 9 Zeichen fehlen]Enkelkind sehne, so wenig darf ich doch ein
Haus betreten, in welchem Du selbst ja nicht heimisch bist, geschweige
denn Dein Vater. Ueberdieß bin ich viel älter und schwächer ge-
worden, seitdem ich Dich leiden sah, und werde mein Haus nicht
mehr verlassen. Komme Du zu mir und bringe Dein Kind mit.“

Rosalie antwortete ihm sogleich, daß sie kommen werde und
und erklärte ihrem Manne diesen Entschluß. Er konnte und mochte
nichts dagegen einwenden, als das ihre und des Kindes Kraft im
Augenblicke die Reise noch nicht gestatte. Sie mußte dieß zugeben
und und[unleserliches Material] bestimmte eine Frist,[unleserliches Material] nach welcher sie zu ihrem Vater zu
kommen versprach.

Die Frist verfloß, sie machte Anstalten zur Reise, obgleich das
Kind in der That nicht ganz nach Wunsch erstarkt und des [unleserliches Material – 6 Zeichen fehlen]Arztes
Einwendungen nicht Grundlos waren. Klingenstein warf ihr vor,
daß ihre Aufregung und Mißstimmung schuld an des Kindes Befin-
den sei, und daß sie auch jetzt in ihrem Eigensinne dessen Wohl au-
ßer Augen setze.

Die Pflicht für das Kind bewog sie, sich nochmals einem Auf-
schub zu unterziehen Sie schrieb ihrem Vater den Grund der Ver-
zögerung, die nicht lange dauern solle. Aber statt seiner Antwort ein-
pfing sie die Trauerkunde: daß ihr Vater, schon seit seiner Rückkehr
von ihr kränkelnd, plötzlich gestorben sei. Sie war außer sich und
warf Klingenstein vor, er sei schuld an ihres Vaters Tode, schuld,
daß der tiefgekränkte Greis nun auch ohne den Trost ihrer Gegenwart
gestorben sei. Sie fühlte sich jetzt ganz heimathlos und wie in feind-
licher Gewalt. Klingenstein war wirklich betroffen [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]und bekümmert
und suchte sie zu versöhnen, ihre Aufregung durch theilnehmende Be-
gegnung zu lindern.

Eine Zeit lang stellte sich ein leidliches Verhältniß zwischen
Beiden wieder her. Sie besuchten zuweilen das Theater, Emilio
wurde öfters eingeladen, und die gemeinsame Liebe der Gatten zu dem
Kinde verdeckte den Mangel der wechselseitigen.

Aber nach einiger Zeit ging gerade von dem Kinde wieder eine
trennende Gewalt aus. Je schöner und lebenskräftiger es sich ent-
wickelte, desto mehr beschäftigte sich Klingenstein [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]mit ihm. So natür-
lich dieß an sich war, so glaubte Rosa doch zu [unleserliches Material – 8 Zeichen fehlen]bemerken, daß er es
in gleichem Maaße von ihr zu entfernen suche. Jn der That wählte
und entließ er die Wärterinnen des Kindes nur nach eigenem Gutdün-
ken und schloß Rosa immer mehr von seiner Pflege und Erziehung
aus.

Sie gedachte mit Angst und Unwillen der harten Weise, mit
welcher einst ihre Zukunftträume für Rosalie gestört hatte, und beklagte
sich bitter, daß er das zarte, noch ganz und allein der mütterlichen
Sorge bedürfende Wesen dieser zu entziehen und ihr seine Liebe schon
im Keime zu entfremden suche.

„Jch thue meine Pflicht,“ antwortete er strenge; überließe ich
das Kind ganz Deiner Leitung, so würde es verweichlicht und eigen-
sinnig werden und zu einem unglücklichen Geschöpfe erwachsen, das
sich nicht in die Welt finden könnte.“

Dieser Zwiespalt wurde immer stärker. Rosa fühlte sich in ih-
t [unleserliches Material – 2 Zeichen fehlen]en heiligsten Rechten und Hoffnungen beeinträchtigt und fürchtete für
Rosalie eine freudlose Jugend unter demselben herzlosen Zwange, der
ihre eigene Jugend vor der Zeit welken ließ. Die Wärterin des
Kindes und die ganze Dienerschaft erschienen ihr als Wächter und
Spione gegen sie selbst im Solde und unter dem tyrannischen Ein-
[Spaltenumbruch] flusse ihres Mannes, der keinen selbstständigen Willen außer dem sei-
nen duldete.

Verlassen und verrathen, wie sie sich fühlte, sehnte sie sich nach
Mittheilung und tröstender, vielleicht [unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]hülfreicher Freundschaft. Der
einzige Mensch, der ihr seit ihrem ersten Eintritte in die fremde Welt
persönliche Theilnahme bezeugt hatte, war Emilio. Er kam auch jetzt
ihrem Vertrauen entgegen und sagte ihr: daß nur durch die Besorgniß
noch härteren Druck über sie zu verhängen, bisher abgehalten worden
sei, ihr die schmerzliche Theilnahme zu zeugen, mit welcher er schon
seit langer Zeit ihr Schicksal beobachtet habe.

Aus der verstohlenen Bitte und Gewährung des Trostes bei
gelegentlichen Besuchen Emilio's wurden verstohlene Zusammenkünfte,
jedoch nur, sofern Rosa in [unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]Abwesenheit ihres Mannes — die öfters
vorkam, aber selten lange währte — den Sänger einlud, sie in ih-
rem Hause zu besuchen. Die Einladungsbriefchen trug sie persönlich
in den Postbriefkasten; Emilio kam dann in der bezeichneten Stunde,
wußte anscheinend nichts von des Barons Abwesenheit und verweilte
nicht allzulange, so daß anfangs diese Besuche weder der Dienerschaft,
noch Klingenstein selbst auffielen. Rosa sprach unbefangen davon;
ihres Gatten Strenge lehrte sie Verstellung.

Bei diesem Berhältnisse dachte sie an keine nähere Beziehung
zu Emilio, als die zu dem einzigen Freunde, welchem sie ihre Leiden
klagen konnte. Er mißbrauchte dieß Zutrauen nicht, obschon Rosa's
Jugend und Schönheit wachsenden Eindruck auf ihn machten. Nicht
aus selbstsüchtigen Zwecken, sondern weil er kein anderes Heil für
Rosa sah, regte er den Gedanken der Trennung von Klingenstein in
ihr an.

Aber zu gerichlicher Scheidung war kein hinreichender Grund
vorhanden, und Rosa konnte gewiß sein, daß Klingenstein ihr in
keinem Falle das Kind überlassen würde, wenn er auch sie selbst frei-
gäbe, was kaum mehr zu erwarten stand.

Jhre Spannung dauerte indessen nicht lange. Dem Baron
wurden denn doch die wiederholten Besuche des Sängers in seiner
Abwesenheit verdächtig. Er empfand jetzt, wo Rosa seinem Herzen
ferner gerückt war, nicht wieder die frühere Eifersucht gegen ihn; aber
sein Stolz empörte sich bei dem Gedanken, daß das Publikum in
dem berühmten Künstler den Cicisbeor seines Weibes sehen möchte.
Eine Andentung dieser Ansicht, die er vernahm, oder zu vernehmen
glaubte brachte ihn zu einem Entschlusse.

Er mochte Emilio das Haus nicht verbieten, weil er sich ihm
bloßzustellen und Aufsehen zu erregen fürchtete. Aber er wieß seine
Diener an, ihn jedesmal zwar höflich, jedoch unter einem nichtigen
Vorwande abzuweisen, wann er ihn und seine Gemahlin besuchen
wolle. Um alle die Einwendungen Rosa's abzuschneiden theilte er
ihr diese Anordnung erst mit, nachdem er sie bereits getroffen hatte,
und untersagte ihr allen Umgang mit Emilio, indem er dies Ver-
bot durch die Sorge für ihren und seinen eigenen Nuf begründete.

Aber Rosa's Geduld war jetzt erschöpft. Sie überschüttete Klin-
genstein mit allen lange zurückgehaltenen Vorwürfen und erklärte ihm,
daß sie sich nicht mehr als willenlose Sklavin oder als schuldige Ge-
fangene werde behandeln lassen. Zwar werde sie Emilio nicht mehr
in dem Hause sehen, in welchem sie sich selbst als eine Fremde fühle,
aber sie werde nun das Theater besuchen, so oft es ihr beliebe, und
Emilio den Zutritt in ihre Loge nicht verwehren und nicht verwehren
lassen.

Klingenstein wagte nicht, dieses unvermuthete Forte durch ein
Fortissimo zu überbieten, sondern ließ sie ausreden und sagte dann[unleserliches Material]kalt: „Gut denn, ich will Deine Freiheit außer dem Hause nicht be-
schränken und es Dir überlassen, wie weit Du die Sitte achtest. Auch
im Hause werde ich mir nicht mehr erlauben, Dir für Deine Person
Rath und Vorschrift zu ertheilen. Dafür wirst Du mir gestatten, in
allen gemeinsamen Rechten und Pflichten des Hauses, folglich in
Annahmen oder Abweisung von Besuchen und in der Erziehung un-
seres Kindes meine Stellung zu behaupten.

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]
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[0003] rer Stimme und ihrer Kunstliebe, und dieser Gedanke hatte sie schon zu der Wahl des, ihrem eigenen ähnlich klingenden Namens geleitet. Sie sprach ihn arglos und fröhlich ihrem Gatten aus, und dieser begriff die natürliche Berechtigung des Mutterherzens so wenig, daß er mit alter Härte erwiderte: „Nimmermehr! Jch werde dies Kind zu einem verständigen und glücklichen Wesen erziehen.“ Sie drückte schweigend das Kind an sich, zum unwillkürlichen Zeichen ihrer Empfindung: dieß Kind ist mein und soll ein anderes Schicksal finden, als das Du über mich verhängt hast! Sie sagte nun: „Rosaliens Großvater soll kommen und sie segnen.“ Klingenstein erwiderte trocken: „Lade ihn ein, wenn Du willst. Du siehst wohl ein, daß er nach dem Vorgefallenen eine Einladung nicht erwarten, und wahrscheinlich, seinem starren Sinne gemäß nicht einmal annehmen wird.“ Rosa lud ihren Vater ein, aber er schrieb zurück: „So sehr ich mich nach Kind und _________Enkelkind sehne, so wenig darf ich doch ein Haus betreten, in welchem Du selbst ja nicht heimisch bist, geschweige denn Dein Vater. Ueberdieß bin ich viel älter und schwächer ge- worden, seitdem ich Dich leiden sah, und werde mein Haus nicht mehr verlassen. Komme Du zu mir und bringe Dein Kind mit.“ Rosalie antwortete ihm sogleich, daß sie kommen werde und und erklärte ihrem Manne diesen Entschluß. Er konnte und mochte nichts dagegen einwenden, als das ihre und des Kindes Kraft im Augenblicke die Reise noch nicht gestatte. Sie mußte dieß zugeben und und_ bestimmte eine Frist,_ nach welcher sie zu ihrem Vater zu kommen versprach. Die Frist verfloß, sie machte Anstalten zur Reise, obgleich das Kind in der That nicht ganz nach Wunsch erstarkt und des ______Arztes Einwendungen nicht Grundlos waren. Klingenstein warf ihr vor, daß ihre Aufregung und Mißstimmung schuld an des Kindes Befin- den sei, und daß sie auch jetzt in ihrem Eigensinne dessen Wohl au- ßer Augen setze. Die Pflicht für das Kind bewog sie, sich nochmals einem Auf- schub zu unterziehen Sie schrieb ihrem Vater den Grund der Ver- zögerung, die nicht lange dauern solle. Aber statt seiner Antwort ein- pfing sie die Trauerkunde: daß ihr Vater, schon seit seiner Rückkehr von ihr kränkelnd, plötzlich gestorben sei. Sie war außer sich und warf Klingenstein vor, er sei schuld an ihres Vaters Tode, schuld, daß der tiefgekränkte Greis nun auch ohne den Trost ihrer Gegenwart gestorben sei. Sie fühlte sich jetzt ganz heimathlos und wie in feind- licher Gewalt. Klingenstein war wirklich betroffen ___und bekümmert und suchte sie zu versöhnen, ihre Aufregung durch theilnehmende Be- gegnung zu lindern. Eine Zeit lang stellte sich ein leidliches Verhältniß zwischen Beiden wieder her. Sie besuchten zuweilen das Theater, Emilio wurde öfters eingeladen, und die gemeinsame Liebe der Gatten zu dem Kinde verdeckte den Mangel der wechselseitigen. Aber nach einiger Zeit ging gerade von dem Kinde wieder eine trennende Gewalt aus. Je schöner und lebenskräftiger es sich ent- wickelte, desto mehr beschäftigte sich Klingenstein ___mit ihm. So natür- lich dieß an sich war, so glaubte Rosa doch zu ________bemerken, daß er es in gleichem Maaße von ihr zu entfernen suche. Jn der That wählte und entließ er die Wärterinnen des Kindes nur nach eigenem Gutdün- ken und schloß Rosa immer mehr von seiner Pflege und Erziehung aus. Sie gedachte mit Angst und Unwillen der harten Weise, mit welcher einst ihre Zukunftträume für Rosalie gestört hatte, und beklagte sich bitter, daß er das zarte, noch ganz und allein der mütterlichen Sorge bedürfende Wesen dieser zu entziehen und ihr seine Liebe schon im Keime zu entfremden suche. „Jch thue meine Pflicht,“ antwortete er strenge; überließe ich das Kind ganz Deiner Leitung, so würde es verweichlicht und eigen- sinnig werden und zu einem unglücklichen Geschöpfe erwachsen, das sich nicht in die Welt finden könnte.“ Dieser Zwiespalt wurde immer stärker. Rosa fühlte sich in ih- t __en heiligsten Rechten und Hoffnungen beeinträchtigt und fürchtete für Rosalie eine freudlose Jugend unter demselben herzlosen Zwange, der ihre eigene Jugend vor der Zeit welken ließ. Die Wärterin des Kindes und die ganze Dienerschaft erschienen ihr als Wächter und Spione gegen sie selbst im Solde und unter dem tyrannischen Ein- flusse ihres Mannes, der keinen selbstständigen Willen außer dem sei- nen duldete. Verlassen und verrathen, wie sie sich fühlte, sehnte sie sich nach Mittheilung und tröstender, vielleicht ___________hülfreicher Freundschaft. Der einzige Mensch, der ihr seit ihrem ersten Eintritte in die fremde Welt persönliche Theilnahme bezeugt hatte, war Emilio. Er kam auch jetzt ihrem Vertrauen entgegen und sagte ihr: daß nur durch die Besorgniß noch härteren Druck über sie zu verhängen, bisher abgehalten worden sei, ihr die schmerzliche Theilnahme zu zeugen, mit welcher er schon seit langer Zeit ihr Schicksal beobachtet habe. Aus der verstohlenen Bitte und Gewährung des Trostes bei gelegentlichen Besuchen Emilio's wurden verstohlene Zusammenkünfte, jedoch nur, sofern Rosa in ___________Abwesenheit ihres Mannes — die öfters vorkam, aber selten lange währte — den Sänger einlud, sie in ih- rem Hause zu besuchen. Die Einladungsbriefchen trug sie persönlich in den Postbriefkasten; Emilio kam dann in der bezeichneten Stunde, wußte anscheinend nichts von des Barons Abwesenheit und verweilte nicht allzulange, so daß anfangs diese Besuche weder der Dienerschaft, noch Klingenstein selbst auffielen. Rosa sprach unbefangen davon; ihres Gatten Strenge lehrte sie Verstellung. Bei diesem Berhältnisse dachte sie an keine nähere Beziehung zu Emilio, als die zu dem einzigen Freunde, welchem sie ihre Leiden klagen konnte. Er mißbrauchte dieß Zutrauen nicht, obschon Rosa's Jugend und Schönheit wachsenden Eindruck auf ihn machten. Nicht aus selbstsüchtigen Zwecken, sondern weil er kein anderes Heil für Rosa sah, regte er den Gedanken der Trennung von Klingenstein in ihr an. Aber zu gerichlicher Scheidung war kein hinreichender Grund vorhanden, und Rosa konnte gewiß sein, daß Klingenstein ihr in keinem Falle das Kind überlassen würde, wenn er auch sie selbst frei- gäbe, was kaum mehr zu erwarten stand. Jhre Spannung dauerte indessen nicht lange. Dem Baron wurden denn doch die wiederholten Besuche des Sängers in seiner Abwesenheit verdächtig. Er empfand jetzt, wo Rosa seinem Herzen ferner gerückt war, nicht wieder die frühere Eifersucht gegen ihn; aber sein Stolz empörte sich bei dem Gedanken, daß das Publikum in dem berühmten Künstler den Cicisbeor seines Weibes sehen möchte. Eine Andentung dieser Ansicht, die er vernahm, oder zu vernehmen glaubte brachte ihn zu einem Entschlusse. Er mochte Emilio das Haus nicht verbieten, weil er sich ihm bloßzustellen und Aufsehen zu erregen fürchtete. Aber er wieß seine Diener an, ihn jedesmal zwar höflich, jedoch unter einem nichtigen Vorwande abzuweisen, wann er ihn und seine Gemahlin besuchen wolle. Um alle die Einwendungen Rosa's abzuschneiden theilte er ihr diese Anordnung erst mit, nachdem er sie bereits getroffen hatte, und untersagte ihr allen Umgang mit Emilio, indem er dies Ver- bot durch die Sorge für ihren und seinen eigenen Nuf begründete. Aber Rosa's Geduld war jetzt erschöpft. Sie überschüttete Klin- genstein mit allen lange zurückgehaltenen Vorwürfen und erklärte ihm, daß sie sich nicht mehr als willenlose Sklavin oder als schuldige Ge- fangene werde behandeln lassen. Zwar werde sie Emilio nicht mehr in dem Hause sehen, in welchem sie sich selbst als eine Fremde fühle, aber sie werde nun das Theater besuchen, so oft es ihr beliebe, und Emilio den Zutritt in ihre Loge nicht verwehren und nicht verwehren lassen. Klingenstein wagte nicht, dieses unvermuthete Forte durch ein Fortissimo zu überbieten, sondern ließ sie ausreden und sagte dann_ kalt: „Gut denn, ich will Deine Freiheit außer dem Hause nicht be- schränken und es Dir überlassen, wie weit Du die Sitte achtest. Auch im Hause werde ich mir nicht mehr erlauben, Dir für Deine Person Rath und Vorschrift zu ertheilen. Dafür wirst Du mir gestatten, in allen gemeinsamen Rechten und Pflichten des Hauses, folglich in Annahmen oder Abweisung von Besuchen und in der Erziehung un- seres Kindes meine Stellung zu behaupten. ( Fortsetzung folgt. )

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Jahrgang 5, Nr. 8. Hattingen, 26. Januar 1853, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische008_1853/3>, abgerufen am 29.05.2024.