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Mainzer Journal. Nr. 15. Mainz, 30. Juni 1848.

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Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 15. Freitag, den 30. Juni. 1848.

[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.
Reichstag.

# Frankfurt 29. Juni. Jch schreibe Jhnen unter dem ge-
waltigsten Eindruck -- Erzherzog Johann von Oesterreich
ist mit 436 Stimmen zum Reichsverweser erwählt und als sol-
cher proclamirt worden. Lebehoch's, Kanonendonner, Glocken-
geläute und begeisterte Umarmungen waren das Werk eines
Augenblicks. Diesen Abend noch werden 7 Abgeordnete als De-
putirte an den Gewählten entsendet. Außer dem Erzherzog
erbielten Stimmen: Präsident von Gagern 52, v. Jtzstein
32, Erzherzog Stephan 1. Unter den Anwesenden haben sich
25 der Abstimmung enthalten. Morgen neue Wahl des Präsi-
denten und der Vicepräsidenten.

Einen ausführlicheren Bericht entnehmen wir der Oberpost-
amtszeitung: "Nach Verlesung und Berichtigung des Protocolls
ergriff Präsident v. Gagern das Wort, um etwa das Nach-
stehende zu sprechen: Jch erlaube mir einige Worte, um an die
Wichtigkeit der Handlung zu erinnern, die wir im Begriff sind zu
thun. Es ist die Stunde gekommen, wo seit Jahrhunderten zum
erstenmale das deutsche Volk berufen ist, sich eine Regierung ein-
zusetzen für seine Gesammtangelegenheiten und an die Spitze
dieser Regierung ein Haupt zu setzen. Was für die Einheit
Deutschlands bisher nur im Bewußtseyn ruhte, wird jetzt als
Thatsache eintreten. Hinsichtlich des Wahlmodus waren drei
Vorschläge gemacht worden, 1 ) daß jedes Mitglied der Natio-
nalversammlung die von ihm gewählte Person bei namentlichem
Aufruf laut nennt; 2 ) daß die Nennung von der Tribüne aus
geschehe; 3 ) daß durch mit Namen unterschriebene Stimmzettel
gewählt werde. Nach stürmischer Discussion wurde der erste
Vorschlag angenommen, der zweite ( nach Abzählung ) mit 271 ge-
gen 239 Stimmen abgelehnt. Der dritte Vorschlag war dadurch
beseitigt. Nach weiterem Beschluß soll die Wahl durch absolute
Stimmenmehrheit erfolgen. Präsident v. Gagern leitete die Wahl
mit den Worten ein: Wer auch aus der Wahl hervorgehen
mag, lassen Sie uns den Entschluß fassen, daß wir ihn unter-
stützen wollen mit allen Kräften, [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]die uns zu Gebote stehen.
( Stürmischer Beifall; ein großer Theil der Versammlung erhebt
sich. ) Es wurde sodann zur Wahl geschritten. Diese ergibt 436
Stimmen für Erzherzog Johann von Oestreich, 52 Stimmen für
Präsidenten Heinrich von Gagern, 32 Stimmen für Johann
Adam von Jtzstein, 1 Stimme für Erzherzog Stephan von Oester-
reich; 25 Mitglieder enthielten sich gänzlich der Abstimmung,
da sie keinen Unverantwortlichen wählen wollen. Auf
die Verkündigung des Wahlergebnisses folgte dreimaliges stürmi-
sches Hoch. Der Präsident v. Gagern: Jchproclamire
also hiermit den Erzherzog Johann von Oester-
reich als Reichsverweser über Deutschland.
Er
sey Verkünder unserer Einheit, Bewahrer unserer Freiheit, der
Wiederhersteller von Ordnung und Vertrauen! Nochmals: der
Reichsverweser, Erzherzog Johann lebe hoch! Dem wiederhol-
ten Hochrufen antwortete Glockengeläute und Kanonendonner.
Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, wurde nachstehende Er-
klärung zu Protokoll verlesen: Wir Unterzeichnete halten es mit
unserm Gewissen für unerträglich, an der Wahl eines Reichsver-
wesers Theil zu nehmen, welcher unbedingt unverantwortlich und
nicht verpflichtet seyn soll, die Beschlüsse der Nationalversamm-
lung auszuführen. Dieser Erklärung folgte eine andere längere
ähnlichen Jnhalts. Der Präsident machte darauf aufmerksam,
daß nunmehr der Reichsverweser durch eine Deputation von
der Wahl in Kenntniß zu setzen seyn würde. Nach stürmi-
scher Verhandlung wurde beschlossen, eine durch das Bureau
zu bezeichnende Deputation von sieben Personen abzusenden.
Die von dem Bureau bezeichneten Mitglieder der an den Erz-
herzog Johann von Oesterreich zu sendenden Deputation sind:
v. Andrian aus Wien, Jucho von Frankfurt, Raveaux
von Köln, Franke von Schleswig, v. Saucken von Tar-
putschen, Rotenhahn von München und Heckscher von
Hamburg. Nach dem Vorschlag des Präsidenten wird die Er-
öffnung an den Erzherzog Johann durch Mittheilung des gestern
beschlossenen Gesetzes und des Protokolls der heutigen Sitzung
erfolgen.

Berlin 26. Juni. Das neue Cabinet wird nur als ein
aus der Noth, nicht aus der Nothwendigkeit hervorgegangenes
[Spaltenumbruch] vor der Nationalrepräsentation auftreten, und das ist für den
Augenblick, der mit den allerwichtigsten Fragen drängt, das
Allerschlimmste. Doch sind wir an so viele wunderbare Wider-
spiele des Schicksals gewöhnt, daß sich auch daraus eine Hoff-
nung ziehen läßt. Das Ministerium Camphausen war aus den
populärsten und tüchtigsten Charakteren der ehemaligen Oppo-
sition gebildet und zeigte doch nicht den Charakter, den die Zeit
forderte; vielleicht daß das Sturmwehen, die Glut der Zeit das
aus verschiedenartigen Bestandtheilen zusammengesetzte neue Mi-
nisterium zu einem kräftigen Ganzen zusammendrängt und schmelzt.
Vor Allem erwarten wir eine klare, bündige, populäre Sprache,
welche die Reaction als unmöglich zurückweist, als nie beabsichtigt.
Man berufe sich nicht auf sein gutes Bewußtseyn, man rufe nicht
das Vertrauen an, man spreche deutlich und handle noch deut-
licher. So nur läßt sich die Anarchie bewältigen, so nur das Ver-
trauen herstellen unter Denen, die gern vertrauen möchten, aber
durch die schüchternen Maßregeln erschreckt sind. Es gibt keinen
andern Weg, es kann, darf nicht mehr lavirt werden. Die Regie-
rung kennt jetzt die Wünsche des wahren Volks; gehe sie auch über
das Maß hinaus, was früher die Liberalisten als möglich sich
dachten, so ist es doch jetzt eine Thatsache, eine Nothwendigkeit
geworden, gleichviel durch welche Umstände, sie muß die Wünsche
anerkennen. Sie muß selbst eine Grenze stecken, klar und deutlich,
bis hierhin schreiten wir offen, ehrlich mit, bis hierhin, aber nicht
weiter, bis hierhin und dann Widerstand der Anarchie mit allen
uns zu Gebote stehenden Kräften. Eine solche Sprache wird erst
die wahren Parteien bilden, wie sie in einem constitutionellen
Staate nothwendig sind, sie wird das Vertrauen stärken, stärken
die Partei, welche die constitutionelle Monarchie für die zur Zeit
in Preußen, Deutschland einzig mögliche erkennt, aber scheu zu-
rückhält, weil das Schweigen und die Unsicherheit der Re-
gierung doch immer neue Bedenken aufkommen läßt, ob es dort
ganz ehrlich gemeint sey, ob nicht stille Verhandlungen mit der
Reaction stattfänden. ( D. A. Z. )

Die Weser=Zeitung enthält aus Berlin vom 24. Juni fol-
gende Mittheilung, deren Verantwortlichkeit sie jedoch ihrem Cor-
respondenten überläßt: Es ist uns Nachricht von einem zwischen
England, Preußen, Oesterreich und Rußland abgeschlossenen
Tractate zugekommen, welcher mit der Anwesenheit des Prin-
zen von Preußen in enger Verbindung gestanden haben soll. Die
Anwesenheit des Prinzen von Preußen in London sey auch dazu
benutzt worden, bei der englischen Regierung anzufragen, welche
Stellung dieselbe bei einer Schilderhebung der republikanischen
Elemente in Deutschland einnehmen werde. England soll sich ver-
pflichtet haben, den republikanischen Elementen in Deutschland nicht
nur keinen Beistand zu leisten, sondern sogar gegen sie zu operiren,
wenn man auf eine wirkliche deutsche Einheit verzichtete und wenn
die Unabhängigkeit Dänemarks bis fast an die Eider garantirt
werde. Rußland würde im Fall einer republikanischen Bewegung
in drei Colonnen auf Wien, Krakau und Berlin marschiren lassen
und England sich in diesem Falle verpflichten, den Tscherkessen in
seinem Rücken auf keine Art und Weise Unterstützung zu gewäh-
ren. Jch theile diese Nachricht einfach mit, ohne mich darüber
in Raisonnements einzulassen. Ein hier circulirendes Gerücht
von einem Tractate zwischen Preußen und Nordamerika, wonach
wir eine Unterstützung von nordamerikanischen Kriegsschiffen zu
erwarten haben, beweist sich nach dem obengenannten Tractate
wohl als unbegründet; wenn aber in unsere Häfen wirklich
amerikanische Kriegschiffe einlaufen werden, so sind sie entweder
zum Schutze der nordamerikanischen Jnteressen in der Nord= und
Ostsee, oder zur Unterstützung der demokratischen Partei in Eu-
ropa bestimmt. [ Letzteres wohl auf keinen Fall! ]

Jtalien.

Rom 20. Juni. Die öffentliche Meinung hat sich hier äußerst
rasch umgesetzt, wie der Wind. Seit der Kapitulation von Vicenza
hört man nicht mehr mit jenem Ungestüm auf die gänzliche Räu-
mung Jtaliens dringen, sondern man scheint sich in den Gedanken
zu finden, daß Oesterreich das Venetianische behalte und die Lom-
bardei an Karl Albert abtrete. Andere zeigen sich selbst dahin wil-
lig, daß das ganze lombardisch=venetianische Königreich bei dem
Hause Oesterreich bleibe, aber in das Verhältniß freier und un-
abhängiger Staaten eintrete. Das sind freilich Privatmeinungen,
denen man nur im vertraulichen Gespräch begegnet, früher hätte
[Ende Spaltensatz]

Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 15. Freitag, den 30. Juni. 1848.

[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.
Reichstag.

# Frankfurt 29. Juni. Jch schreibe Jhnen unter dem ge-
waltigsten Eindruck — Erzherzog Johann von Oesterreich
ist mit 436 Stimmen zum Reichsverweser erwählt und als sol-
cher proclamirt worden. Lebehoch's, Kanonendonner, Glocken-
geläute und begeisterte Umarmungen waren das Werk eines
Augenblicks. Diesen Abend noch werden 7 Abgeordnete als De-
putirte an den Gewählten entsendet. Außer dem Erzherzog
erbielten Stimmen: Präsident von Gagern 52, v. Jtzstein
32, Erzherzog Stephan 1. Unter den Anwesenden haben sich
25 der Abstimmung enthalten. Morgen neue Wahl des Präsi-
denten und der Vicepräsidenten.

Einen ausführlicheren Bericht entnehmen wir der Oberpost-
amtszeitung: „Nach Verlesung und Berichtigung des Protocolls
ergriff Präsident v. Gagern das Wort, um etwa das Nach-
stehende zu sprechen: Jch erlaube mir einige Worte, um an die
Wichtigkeit der Handlung zu erinnern, die wir im Begriff sind zu
thun. Es ist die Stunde gekommen, wo seit Jahrhunderten zum
erstenmale das deutsche Volk berufen ist, sich eine Regierung ein-
zusetzen für seine Gesammtangelegenheiten und an die Spitze
dieser Regierung ein Haupt zu setzen. Was für die Einheit
Deutschlands bisher nur im Bewußtseyn ruhte, wird jetzt als
Thatsache eintreten. Hinsichtlich des Wahlmodus waren drei
Vorschläge gemacht worden, 1 ) daß jedes Mitglied der Natio-
nalversammlung die von ihm gewählte Person bei namentlichem
Aufruf laut nennt; 2 ) daß die Nennung von der Tribüne aus
geschehe; 3 ) daß durch mit Namen unterschriebene Stimmzettel
gewählt werde. Nach stürmischer Discussion wurde der erste
Vorschlag angenommen, der zweite ( nach Abzählung ) mit 271 ge-
gen 239 Stimmen abgelehnt. Der dritte Vorschlag war dadurch
beseitigt. Nach weiterem Beschluß soll die Wahl durch absolute
Stimmenmehrheit erfolgen. Präsident v. Gagern leitete die Wahl
mit den Worten ein: Wer auch aus der Wahl hervorgehen
mag, lassen Sie uns den Entschluß fassen, daß wir ihn unter-
stützen wollen mit allen Kräften, [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]die uns zu Gebote stehen.
( Stürmischer Beifall; ein großer Theil der Versammlung erhebt
sich. ) Es wurde sodann zur Wahl geschritten. Diese ergibt 436
Stimmen für Erzherzog Johann von Oestreich, 52 Stimmen für
Präsidenten Heinrich von Gagern, 32 Stimmen für Johann
Adam von Jtzstein, 1 Stimme für Erzherzog Stephan von Oester-
reich; 25 Mitglieder enthielten sich gänzlich der Abstimmung,
da sie keinen Unverantwortlichen wählen wollen. Auf
die Verkündigung des Wahlergebnisses folgte dreimaliges stürmi-
sches Hoch. Der Präsident v. Gagern: Jchproclamire
also hiermit den Erzherzog Johann von Oester-
reich als Reichsverweser über Deutschland.
Er
sey Verkünder unserer Einheit, Bewahrer unserer Freiheit, der
Wiederhersteller von Ordnung und Vertrauen! Nochmals: der
Reichsverweser, Erzherzog Johann lebe hoch! Dem wiederhol-
ten Hochrufen antwortete Glockengeläute und Kanonendonner.
Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, wurde nachstehende Er-
klärung zu Protokoll verlesen: Wir Unterzeichnete halten es mit
unserm Gewissen für unerträglich, an der Wahl eines Reichsver-
wesers Theil zu nehmen, welcher unbedingt unverantwortlich und
nicht verpflichtet seyn soll, die Beschlüsse der Nationalversamm-
lung auszuführen. Dieser Erklärung folgte eine andere längere
ähnlichen Jnhalts. Der Präsident machte darauf aufmerksam,
daß nunmehr der Reichsverweser durch eine Deputation von
der Wahl in Kenntniß zu setzen seyn würde. Nach stürmi-
scher Verhandlung wurde beschlossen, eine durch das Bureau
zu bezeichnende Deputation von sieben Personen abzusenden.
Die von dem Bureau bezeichneten Mitglieder der an den Erz-
herzog Johann von Oesterreich zu sendenden Deputation sind:
v. Andrian aus Wien, Jucho von Frankfurt, Raveaux
von Köln, Franke von Schleswig, v. Saucken von Tar-
putschen, Rotenhahn von München und Heckscher von
Hamburg. Nach dem Vorschlag des Präsidenten wird die Er-
öffnung an den Erzherzog Johann durch Mittheilung des gestern
beschlossenen Gesetzes und des Protokolls der heutigen Sitzung
erfolgen.

Berlin 26. Juni. Das neue Cabinet wird nur als ein
aus der Noth, nicht aus der Nothwendigkeit hervorgegangenes
[Spaltenumbruch] vor der Nationalrepräsentation auftreten, und das ist für den
Augenblick, der mit den allerwichtigsten Fragen drängt, das
Allerschlimmste. Doch sind wir an so viele wunderbare Wider-
spiele des Schicksals gewöhnt, daß sich auch daraus eine Hoff-
nung ziehen läßt. Das Ministerium Camphausen war aus den
populärsten und tüchtigsten Charakteren der ehemaligen Oppo-
sition gebildet und zeigte doch nicht den Charakter, den die Zeit
forderte; vielleicht daß das Sturmwehen, die Glut der Zeit das
aus verschiedenartigen Bestandtheilen zusammengesetzte neue Mi-
nisterium zu einem kräftigen Ganzen zusammendrängt und schmelzt.
Vor Allem erwarten wir eine klare, bündige, populäre Sprache,
welche die Reaction als unmöglich zurückweist, als nie beabsichtigt.
Man berufe sich nicht auf sein gutes Bewußtseyn, man rufe nicht
das Vertrauen an, man spreche deutlich und handle noch deut-
licher. So nur läßt sich die Anarchie bewältigen, so nur das Ver-
trauen herstellen unter Denen, die gern vertrauen möchten, aber
durch die schüchternen Maßregeln erschreckt sind. Es gibt keinen
andern Weg, es kann, darf nicht mehr lavirt werden. Die Regie-
rung kennt jetzt die Wünsche des wahren Volks; gehe sie auch über
das Maß hinaus, was früher die Liberalisten als möglich sich
dachten, so ist es doch jetzt eine Thatsache, eine Nothwendigkeit
geworden, gleichviel durch welche Umstände, sie muß die Wünsche
anerkennen. Sie muß selbst eine Grenze stecken, klar und deutlich,
bis hierhin schreiten wir offen, ehrlich mit, bis hierhin, aber nicht
weiter, bis hierhin und dann Widerstand der Anarchie mit allen
uns zu Gebote stehenden Kräften. Eine solche Sprache wird erst
die wahren Parteien bilden, wie sie in einem constitutionellen
Staate nothwendig sind, sie wird das Vertrauen stärken, stärken
die Partei, welche die constitutionelle Monarchie für die zur Zeit
in Preußen, Deutschland einzig mögliche erkennt, aber scheu zu-
rückhält, weil das Schweigen und die Unsicherheit der Re-
gierung doch immer neue Bedenken aufkommen läßt, ob es dort
ganz ehrlich gemeint sey, ob nicht stille Verhandlungen mit der
Reaction stattfänden. ( D. A. Z. )

Die Weser=Zeitung enthält aus Berlin vom 24. Juni fol-
gende Mittheilung, deren Verantwortlichkeit sie jedoch ihrem Cor-
respondenten überläßt: Es ist uns Nachricht von einem zwischen
England, Preußen, Oesterreich und Rußland abgeschlossenen
Tractate zugekommen, welcher mit der Anwesenheit des Prin-
zen von Preußen in enger Verbindung gestanden haben soll. Die
Anwesenheit des Prinzen von Preußen in London sey auch dazu
benutzt worden, bei der englischen Regierung anzufragen, welche
Stellung dieselbe bei einer Schilderhebung der republikanischen
Elemente in Deutschland einnehmen werde. England soll sich ver-
pflichtet haben, den republikanischen Elementen in Deutschland nicht
nur keinen Beistand zu leisten, sondern sogar gegen sie zu operiren,
wenn man auf eine wirkliche deutsche Einheit verzichtete und wenn
die Unabhängigkeit Dänemarks bis fast an die Eider garantirt
werde. Rußland würde im Fall einer republikanischen Bewegung
in drei Colonnen auf Wien, Krakau und Berlin marschiren lassen
und England sich in diesem Falle verpflichten, den Tscherkessen in
seinem Rücken auf keine Art und Weise Unterstützung zu gewäh-
ren. Jch theile diese Nachricht einfach mit, ohne mich darüber
in Raisonnements einzulassen. Ein hier circulirendes Gerücht
von einem Tractate zwischen Preußen und Nordamerika, wonach
wir eine Unterstützung von nordamerikanischen Kriegsschiffen zu
erwarten haben, beweist sich nach dem obengenannten Tractate
wohl als unbegründet; wenn aber in unsere Häfen wirklich
amerikanische Kriegschiffe einlaufen werden, so sind sie entweder
zum Schutze der nordamerikanischen Jnteressen in der Nord= und
Ostsee, oder zur Unterstützung der demokratischen Partei in Eu-
ropa bestimmt. [ Letzteres wohl auf keinen Fall! ]

Jtalien.

Rom 20. Juni. Die öffentliche Meinung hat sich hier äußerst
rasch umgesetzt, wie der Wind. Seit der Kapitulation von Vicenza
hört man nicht mehr mit jenem Ungestüm auf die gänzliche Räu-
mung Jtaliens dringen, sondern man scheint sich in den Gedanken
zu finden, daß Oesterreich das Venetianische behalte und die Lom-
bardei an Karl Albert abtrete. Andere zeigen sich selbst dahin wil-
lig, daß das ganze lombardisch=venetianische Königreich bei dem
Hause Oesterreich bleibe, aber in das Verhältniß freier und un-
abhängiger Staaten eintrete. Das sind freilich Privatmeinungen,
denen man nur im vertraulichen Gespräch begegnet, früher hätte
[Ende Spaltensatz]

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[0005] Beilage zum Mainzer Journal. Nro 15. Freitag, den 30. Juni. 1848. Deutschland. Reichstag. # Frankfurt 29. Juni. Jch schreibe Jhnen unter dem ge- waltigsten Eindruck — Erzherzog Johann von Oesterreich ist mit 436 Stimmen zum Reichsverweser erwählt und als sol- cher proclamirt worden. Lebehoch's, Kanonendonner, Glocken- geläute und begeisterte Umarmungen waren das Werk eines Augenblicks. Diesen Abend noch werden 7 Abgeordnete als De- putirte an den Gewählten entsendet. Außer dem Erzherzog erbielten Stimmen: Präsident von Gagern 52, v. Jtzstein 32, Erzherzog Stephan 1. Unter den Anwesenden haben sich 25 der Abstimmung enthalten. Morgen neue Wahl des Präsi- denten und der Vicepräsidenten. Einen ausführlicheren Bericht entnehmen wir der Oberpost- amtszeitung: „Nach Verlesung und Berichtigung des Protocolls ergriff Präsident v. Gagern das Wort, um etwa das Nach- stehende zu sprechen: Jch erlaube mir einige Worte, um an die Wichtigkeit der Handlung zu erinnern, die wir im Begriff sind zu thun. Es ist die Stunde gekommen, wo seit Jahrhunderten zum erstenmale das deutsche Volk berufen ist, sich eine Regierung ein- zusetzen für seine Gesammtangelegenheiten und an die Spitze dieser Regierung ein Haupt zu setzen. Was für die Einheit Deutschlands bisher nur im Bewußtseyn ruhte, wird jetzt als Thatsache eintreten. Hinsichtlich des Wahlmodus waren drei Vorschläge gemacht worden, 1 ) daß jedes Mitglied der Natio- nalversammlung die von ihm gewählte Person bei namentlichem Aufruf laut nennt; 2 ) daß die Nennung von der Tribüne aus geschehe; 3 ) daß durch mit Namen unterschriebene Stimmzettel gewählt werde. Nach stürmischer Discussion wurde der erste Vorschlag angenommen, der zweite ( nach Abzählung ) mit 271 ge- gen 239 Stimmen abgelehnt. Der dritte Vorschlag war dadurch beseitigt. Nach weiterem Beschluß soll die Wahl durch absolute Stimmenmehrheit erfolgen. Präsident v. Gagern leitete die Wahl mit den Worten ein: Wer auch aus der Wahl hervorgehen mag, lassen Sie uns den Entschluß fassen, daß wir ihn unter- stützen wollen mit allen Kräften, ___die uns zu Gebote stehen. ( Stürmischer Beifall; ein großer Theil der Versammlung erhebt sich. ) Es wurde sodann zur Wahl geschritten. Diese ergibt 436 Stimmen für Erzherzog Johann von Oestreich, 52 Stimmen für Präsidenten Heinrich von Gagern, 32 Stimmen für Johann Adam von Jtzstein, 1 Stimme für Erzherzog Stephan von Oester- reich; 25 Mitglieder enthielten sich gänzlich der Abstimmung, da sie keinen Unverantwortlichen wählen wollen. Auf die Verkündigung des Wahlergebnisses folgte dreimaliges stürmi- sches Hoch. Der Präsident v. Gagern: Jchproclamire also hiermit den Erzherzog Johann von Oester- reich als Reichsverweser über Deutschland. Er sey Verkünder unserer Einheit, Bewahrer unserer Freiheit, der Wiederhersteller von Ordnung und Vertrauen! Nochmals: der Reichsverweser, Erzherzog Johann lebe hoch! Dem wiederhol- ten Hochrufen antwortete Glockengeläute und Kanonendonner. Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, wurde nachstehende Er- klärung zu Protokoll verlesen: Wir Unterzeichnete halten es mit unserm Gewissen für unerträglich, an der Wahl eines Reichsver- wesers Theil zu nehmen, welcher unbedingt unverantwortlich und nicht verpflichtet seyn soll, die Beschlüsse der Nationalversamm- lung auszuführen. Dieser Erklärung folgte eine andere längere ähnlichen Jnhalts. Der Präsident machte darauf aufmerksam, daß nunmehr der Reichsverweser durch eine Deputation von der Wahl in Kenntniß zu setzen seyn würde. Nach stürmi- scher Verhandlung wurde beschlossen, eine durch das Bureau zu bezeichnende Deputation von sieben Personen abzusenden. Die von dem Bureau bezeichneten Mitglieder der an den Erz- herzog Johann von Oesterreich zu sendenden Deputation sind: v. Andrian aus Wien, Jucho von Frankfurt, Raveaux von Köln, Franke von Schleswig, v. Saucken von Tar- putschen, Rotenhahn von München und Heckscher von Hamburg. Nach dem Vorschlag des Präsidenten wird die Er- öffnung an den Erzherzog Johann durch Mittheilung des gestern beschlossenen Gesetzes und des Protokolls der heutigen Sitzung erfolgen. Berlin 26. Juni. Das neue Cabinet wird nur als ein aus der Noth, nicht aus der Nothwendigkeit hervorgegangenes vor der Nationalrepräsentation auftreten, und das ist für den Augenblick, der mit den allerwichtigsten Fragen drängt, das Allerschlimmste. Doch sind wir an so viele wunderbare Wider- spiele des Schicksals gewöhnt, daß sich auch daraus eine Hoff- nung ziehen läßt. Das Ministerium Camphausen war aus den populärsten und tüchtigsten Charakteren der ehemaligen Oppo- sition gebildet und zeigte doch nicht den Charakter, den die Zeit forderte; vielleicht daß das Sturmwehen, die Glut der Zeit das aus verschiedenartigen Bestandtheilen zusammengesetzte neue Mi- nisterium zu einem kräftigen Ganzen zusammendrängt und schmelzt. Vor Allem erwarten wir eine klare, bündige, populäre Sprache, welche die Reaction als unmöglich zurückweist, als nie beabsichtigt. Man berufe sich nicht auf sein gutes Bewußtseyn, man rufe nicht das Vertrauen an, man spreche deutlich und handle noch deut- licher. So nur läßt sich die Anarchie bewältigen, so nur das Ver- trauen herstellen unter Denen, die gern vertrauen möchten, aber durch die schüchternen Maßregeln erschreckt sind. Es gibt keinen andern Weg, es kann, darf nicht mehr lavirt werden. Die Regie- rung kennt jetzt die Wünsche des wahren Volks; gehe sie auch über das Maß hinaus, was früher die Liberalisten als möglich sich dachten, so ist es doch jetzt eine Thatsache, eine Nothwendigkeit geworden, gleichviel durch welche Umstände, sie muß die Wünsche anerkennen. Sie muß selbst eine Grenze stecken, klar und deutlich, bis hierhin schreiten wir offen, ehrlich mit, bis hierhin, aber nicht weiter, bis hierhin und dann Widerstand der Anarchie mit allen uns zu Gebote stehenden Kräften. Eine solche Sprache wird erst die wahren Parteien bilden, wie sie in einem constitutionellen Staate nothwendig sind, sie wird das Vertrauen stärken, stärken die Partei, welche die constitutionelle Monarchie für die zur Zeit in Preußen, Deutschland einzig mögliche erkennt, aber scheu zu- rückhält, weil das Schweigen und die Unsicherheit der Re- gierung doch immer neue Bedenken aufkommen läßt, ob es dort ganz ehrlich gemeint sey, ob nicht stille Verhandlungen mit der Reaction stattfänden. ( D. A. Z. ) Die Weser=Zeitung enthält aus Berlin vom 24. Juni fol- gende Mittheilung, deren Verantwortlichkeit sie jedoch ihrem Cor- respondenten überläßt: Es ist uns Nachricht von einem zwischen England, Preußen, Oesterreich und Rußland abgeschlossenen Tractate zugekommen, welcher mit der Anwesenheit des Prin- zen von Preußen in enger Verbindung gestanden haben soll. Die Anwesenheit des Prinzen von Preußen in London sey auch dazu benutzt worden, bei der englischen Regierung anzufragen, welche Stellung dieselbe bei einer Schilderhebung der republikanischen Elemente in Deutschland einnehmen werde. England soll sich ver- pflichtet haben, den republikanischen Elementen in Deutschland nicht nur keinen Beistand zu leisten, sondern sogar gegen sie zu operiren, wenn man auf eine wirkliche deutsche Einheit verzichtete und wenn die Unabhängigkeit Dänemarks bis fast an die Eider garantirt werde. Rußland würde im Fall einer republikanischen Bewegung in drei Colonnen auf Wien, Krakau und Berlin marschiren lassen und England sich in diesem Falle verpflichten, den Tscherkessen in seinem Rücken auf keine Art und Weise Unterstützung zu gewäh- ren. Jch theile diese Nachricht einfach mit, ohne mich darüber in Raisonnements einzulassen. Ein hier circulirendes Gerücht von einem Tractate zwischen Preußen und Nordamerika, wonach wir eine Unterstützung von nordamerikanischen Kriegsschiffen zu erwarten haben, beweist sich nach dem obengenannten Tractate wohl als unbegründet; wenn aber in unsere Häfen wirklich amerikanische Kriegschiffe einlaufen werden, so sind sie entweder zum Schutze der nordamerikanischen Jnteressen in der Nord= und Ostsee, oder zur Unterstützung der demokratischen Partei in Eu- ropa bestimmt. [ Letzteres wohl auf keinen Fall! ] Jtalien. Rom 20. Juni. Die öffentliche Meinung hat sich hier äußerst rasch umgesetzt, wie der Wind. Seit der Kapitulation von Vicenza hört man nicht mehr mit jenem Ungestüm auf die gänzliche Räu- mung Jtaliens dringen, sondern man scheint sich in den Gedanken zu finden, daß Oesterreich das Venetianische behalte und die Lom- bardei an Karl Albert abtrete. Andere zeigen sich selbst dahin wil- lig, daß das ganze lombardisch=venetianische Königreich bei dem Hause Oesterreich bleibe, aber in das Verhältniß freier und un- abhängiger Staaten eintrete. Das sind freilich Privatmeinungen, denen man nur im vertraulichen Gespräch begegnet, früher hätte

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 15. Mainz, 30. Juni 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal015_1848/5>, abgerufen am 24.11.2024.