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Mainzer Journal. Nr. 16. Mainz, 7. Juli 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 16. Samstag, den 1. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Arbeiterrevolution am 24. Juni 1848.

Mainz 29. Juni. Jn der ersten Nummer unserer Zei-
tung haben wir in einem "die Frage der Zukunft" überschriebenen
Aufsatze folgendes ausgesprochen: "dieses ist die große Revolu-
tion der Zukunft, die Revolution gegen das Eigenthum und das
Privatvermögen, und es stehet diese Revolution vor der Thüre
und hat bereits begonnen. Wird sie ihren Lauf vollenden? So
gewiß, als im Jahre 1793 die politische Revolution, wenn die
Bürgerschaft sich eben verkehrt benehmen wird, wie damals die
Royalisten und Aristokraten sich benommen haben." Und siehe,
heute ist bereits der erste Akt dieses entsetzlichen und gräuelvollen
Dramas abgespielt. Dieselben Proletarier und Arbeiter, welche
am 24. Februar die Barricaden errichtet und den Thron des so
unendlich schlauen und doch am Ende hintergangenen Bürgerkö-
nigs umgeblasen, haben am 24. Juni mit derselben Nationalgarde,
mit derselben Pariser Bürgerschaft, welche damals mit ihnen
fraternisirte, einen Vernichtungskampf gekämpft, so verzweifelt,
so blutig, als die Geschichte der Bürgerkriege aller Zeiten kaum
einen aufzuweisen hat. Keine Partei gibt Pardon. Tod oder
Sieg, ist die Losung der Arbeiter, welche unter der rothen Blut-
fahne für die socialistische Republik fochten. Der Aufstand muß
unterdrückt werden und wenn Paris in Trümmern sinken sollte!
ist die Parole der durch die Nationalversammlung und die Natio-
nalgarde repräsentirten Bürgerschaft, die unter der dreifarbigen
Fahne für die Republik der honetten Leute kämpft. Todesmuthig
setzt jeder sein Leben ein: denn in diesem Augenblick erkennt er
es, daß es sich für die Einen darum handelt, Alles zu gewinnen,
für die Anderen Alles zu verlieren.

Wie aber, müssen wir fragen, hat so schnell sich Alles derge-
stalt gerändert, daß die Arbeiter und Bürger, Nationalgarde und
Blousenmänner, Volk und Soldaten, die vor vier Monaten ein-
ander freudetrunken in die Arme gestürtzt, als Brüder sich geküßt,
nun in wilder und unversöhnlicher Schlachtenwuth einander zer-
fleischen? Daß dieselben Volksmänner, die noch kürzlich sich
nicht erschöpfen konnten im Lobpreis des bewundernswürdigen
Volkes von Paris und der Barricadenhelden, nunmehr dasselbe
Volk mit Kartätschen niederschmettern lassen und geschworen ha-
ben, es zu bändigen oder unterzugehen? Oder sind vielleicht die
Barrciadenkämpfer vom 24. Juni anders als die vom 24. Fe-
bruar? Oder ist heute die Bürgerschaft eine andere, als sie da-
mals war? Keineswegs, es sind ganz dieselben Leute; identisch
dieselben Arbeiter und Blousenmänner sind es, die heute rufen:
Nieder mit der Nationalversammlung! welche damals schrieen:
Nieder mit Louis Philipp! welche heute die socialistische Repu-
blik hochleben lassen und damals erst die Reform und dann die
Republik schlechthin zum Feldgeschrei gewählt hatten, die damals
mit solch' überraschender Kühnheit den Julithron über den Hau-
fen geworfen und die heute die dreifarbige Republik an den Rand
des Abgrunds gebracht. Auch die Nationalgarde und Bürger-
schaft ist ganz dieselbe wie damals -- und auch die Verhältnisse
sind im Allgemeinen dieselben geblieben. Nur Eines hat sich
seitdem geändert, ein Kleines: am 24. Februar hatte man sich
gegenseitig getäuscht, da man fraternisirte, und diese Täuschung
ist inzwischen geschwunden, -- darum steht man sich heute auf
Tod und Leben gegenüber und hat diese blutige Satyre gemacht
auf die Devise der neuen Republik: "Freiheit, Gleichheit, Brü-
derlichkeit!"

Die Revolution vom 24. Februar war in der That eine so
rein communistische, wie die vom 24. Juni. Die Kämpfer vom
Februar wollen nicht etwa einfach das Königthum stürzen, sondern
in Louis Philipp dem Bürgerkönig die seit der Julirevolution
[Spaltenumbruch] unumschränkt herrschende Bourgoisie. Unter den vielen tausen-
den der Arbeiter war die communistische Verschwörung gegen die
ganze bestehende gesellschaftliche Ordnung in vielen Jahren heran-
gereift; in geheimen Gesellschaften und öffentlichen Versamm-
lungen, durch Zeitungen und Brochüren, durch Lieder, Romane
und Schauspiele, und durch die persönliche Thätigkeit der ver-
schiedenen Communistenhäupter, die mit Kraft, Beharrlichkeit
und Scharfblick, einen schwärmerischen Fanatismus verbinden,
waren die Lehren des Communismus das Gemeingut vieler Ar-
beiter, ja eine Art Religion derselben geworden. Sie erblicken
in der jetzigen Gestaltung des Privateigenthums die Quelle
aller Uebel und das größte Unrecht, hingegen in der gänzlichen
oder theilweisen Beraubung der Reichen die Ausübung eines Ur-
rechtes und in der Gemeinschaftlichkeit der Güter und der Genüsse
das neue goldene Zeitalter. Zu diesen Arbeitern, welche die
Theorie des Communismus gründlich verstehen, welche als die
Tüchtigeren und Talentvolleren sich zu Anführern qualificiren,
kommen noch weit zahlreichere Proletarier, die nichts wollen als
Befreiung aus ihrer Armuth und die das nächste handgreifliche
Mittel hiezu in einer Gütertheilung oder Plünderung erblicken.
Diese Proletarier und Arbeiter ergriffen, wie auch nicht dem min-
desten Zweifel mehr unterliegt, im Februar, zur Zeit der Reform-
bewegung, die Gelegenheit am Schopfe. So kam -- Alles so ganz
unerwartet -- die Revolution und die neue französische Republik
zu Stande.

Allein, wie 1830 Louis Philipp die Revolution auszubeuten
und raschen Griffes die Krone sich zuzueignen verstanden, so
machte es jetzt wiederum die liberale Bourgeoisie. Sie bemäch-
tigte sich der Regierung und der Nationalversammlung; Alle,
die etwas zu verlieren hatten, hielten mit ihr; alle vernünftigen
und redlichen Männer erkannten, daß es jetzt gelte das Vater-
land vor gänzlichem Untergang, in welchen der Communismus es
stürzen mußte, zu retten; selbst manche von den Häuptern der
am 24. Februar ausgebrochenen Revolution kamen zur Besin-
nung und so wurde denn die "Republik der honetten Leute" eta-
blirt, welche nach dem neuen Verfassungsentwurf sich kaum in
etwas Anderem von der Staatsform unter Louis Philipp unter-
scheidet, als dadurch, daß an die Stelle eines Königs ein Prä-
sident gesetzt ist. Während aber so das Regiment der honetten
und liberalen Bourgeoisie der Julirevolution unter republikani-
schem Anstrich sich neu constituirte, waren die Arbeiter und Pro-
letarier durch den Sieg über die so stark geglaubte Julidynastie
im vollen Bewußtseyn ihrer Kraft und die Waffen in der Hand, ge-
wärtig nun den Lohn ihrer Thaten einzuernten. Sie mußten da-
her beschwichtigt und abgefunden werden. Mehrere ihrer Häupter
wurden in die provisorische Regierung aufgenommen, ein Arbei-
terministerium wird errichtet, die Nationalwerkstätten werden
aufgethan; anderthalbhunderttausend Arbeiter in Paris allein
beziehen eine Viertelmillion täglich als Pension; so ist ganz
Frankreich denselben tributbar. Die gewaltige Umwälzung und
noch mehr der im Hintergrund drohende Communismus erzeugt
ein gänzliches Verschwinden der Capitalien, Stocken des Ver-
kehrs und der Arbeit, und die Folge ist ein stetes Zunehmen der
arbeitslosen Arbeiter und Proletarier, welche bereits sich daran
gewöhnen als die Herren des Staates sich zu betrachten, und
von allen Seiten strömen ihnen Abentheurer, verwegene vor
nichts zurückbebende Menschen, freigewordene Verbrecher in gro-
ßer Menge zu. Da endlich reißt den honetten Leuten, in demsel-
ben Maße als sie die Lage der Dinge klarer erkennen und in der
Nationalversammlung und Nationalgarde sich gestärkt und orga-
nisirt haben, die Geduld. Die Emeute vom 15. Mai bietet bereits
willkommene Gelegenheit, eine Reihe von Häuptern der rothen,
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 16. Samstag, den 1. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Arbeiterrevolution am 24. Juni 1848.

Ɉ Mainz 29. Juni. Jn der ersten Nummer unserer Zei-
tung haben wir in einem „die Frage der Zukunft“ überschriebenen
Aufsatze folgendes ausgesprochen: „dieses ist die große Revolu-
tion der Zukunft, die Revolution gegen das Eigenthum und das
Privatvermögen, und es stehet diese Revolution vor der Thüre
und hat bereits begonnen. Wird sie ihren Lauf vollenden? So
gewiß, als im Jahre 1793 die politische Revolution, wenn die
Bürgerschaft sich eben verkehrt benehmen wird, wie damals die
Royalisten und Aristokraten sich benommen haben.“ Und siehe,
heute ist bereits der erste Akt dieses entsetzlichen und gräuelvollen
Dramas abgespielt. Dieselben Proletarier und Arbeiter, welche
am 24. Februar die Barricaden errichtet und den Thron des so
unendlich schlauen und doch am Ende hintergangenen Bürgerkö-
nigs umgeblasen, haben am 24. Juni mit derselben Nationalgarde,
mit derselben Pariser Bürgerschaft, welche damals mit ihnen
fraternisirte, einen Vernichtungskampf gekämpft, so verzweifelt,
so blutig, als die Geschichte der Bürgerkriege aller Zeiten kaum
einen aufzuweisen hat. Keine Partei gibt Pardon. Tod oder
Sieg, ist die Losung der Arbeiter, welche unter der rothen Blut-
fahne für die socialistische Republik fochten. Der Aufstand muß
unterdrückt werden und wenn Paris in Trümmern sinken sollte!
ist die Parole der durch die Nationalversammlung und die Natio-
nalgarde repräsentirten Bürgerschaft, die unter der dreifarbigen
Fahne für die Republik der honetten Leute kämpft. Todesmuthig
setzt jeder sein Leben ein: denn in diesem Augenblick erkennt er
es, daß es sich für die Einen darum handelt, Alles zu gewinnen,
für die Anderen Alles zu verlieren.

Wie aber, müssen wir fragen, hat so schnell sich Alles derge-
stalt gerändert, daß die Arbeiter und Bürger, Nationalgarde und
Blousenmänner, Volk und Soldaten, die vor vier Monaten ein-
ander freudetrunken in die Arme gestürtzt, als Brüder sich geküßt,
nun in wilder und unversöhnlicher Schlachtenwuth einander zer-
fleischen? Daß dieselben Volksmänner, die noch kürzlich sich
nicht erschöpfen konnten im Lobpreis des bewundernswürdigen
Volkes von Paris und der Barricadenhelden, nunmehr dasselbe
Volk mit Kartätschen niederschmettern lassen und geschworen ha-
ben, es zu bändigen oder unterzugehen? Oder sind vielleicht die
Barrciadenkämpfer vom 24. Juni anders als die vom 24. Fe-
bruar? Oder ist heute die Bürgerschaft eine andere, als sie da-
mals war? Keineswegs, es sind ganz dieselben Leute; identisch
dieselben Arbeiter und Blousenmänner sind es, die heute rufen:
Nieder mit der Nationalversammlung! welche damals schrieen:
Nieder mit Louis Philipp! welche heute die socialistische Repu-
blik hochleben lassen und damals erst die Reform und dann die
Republik schlechthin zum Feldgeschrei gewählt hatten, die damals
mit solch' überraschender Kühnheit den Julithron über den Hau-
fen geworfen und die heute die dreifarbige Republik an den Rand
des Abgrunds gebracht. Auch die Nationalgarde und Bürger-
schaft ist ganz dieselbe wie damals — und auch die Verhältnisse
sind im Allgemeinen dieselben geblieben. Nur Eines hat sich
seitdem geändert, ein Kleines: am 24. Februar hatte man sich
gegenseitig getäuscht, da man fraternisirte, und diese Täuschung
ist inzwischen geschwunden, — darum steht man sich heute auf
Tod und Leben gegenüber und hat diese blutige Satyre gemacht
auf die Devise der neuen Republik: „Freiheit, Gleichheit, Brü-
derlichkeit!“

Die Revolution vom 24. Februar war in der That eine so
rein communistische, wie die vom 24. Juni. Die Kämpfer vom
Februar wollen nicht etwa einfach das Königthum stürzen, sondern
in Louis Philipp dem Bürgerkönig die seit der Julirevolution
[Spaltenumbruch] unumschränkt herrschende Bourgoisie. Unter den vielen tausen-
den der Arbeiter war die communistische Verschwörung gegen die
ganze bestehende gesellschaftliche Ordnung in vielen Jahren heran-
gereift; in geheimen Gesellschaften und öffentlichen Versamm-
lungen, durch Zeitungen und Brochüren, durch Lieder, Romane
und Schauspiele, und durch die persönliche Thätigkeit der ver-
schiedenen Communistenhäupter, die mit Kraft, Beharrlichkeit
und Scharfblick, einen schwärmerischen Fanatismus verbinden,
waren die Lehren des Communismus das Gemeingut vieler Ar-
beiter, ja eine Art Religion derselben geworden. Sie erblicken
in der jetzigen Gestaltung des Privateigenthums die Quelle
aller Uebel und das größte Unrecht, hingegen in der gänzlichen
oder theilweisen Beraubung der Reichen die Ausübung eines Ur-
rechtes und in der Gemeinschaftlichkeit der Güter und der Genüsse
das neue goldene Zeitalter. Zu diesen Arbeitern, welche die
Theorie des Communismus gründlich verstehen, welche als die
Tüchtigeren und Talentvolleren sich zu Anführern qualificiren,
kommen noch weit zahlreichere Proletarier, die nichts wollen als
Befreiung aus ihrer Armuth und die das nächste handgreifliche
Mittel hiezu in einer Gütertheilung oder Plünderung erblicken.
Diese Proletarier und Arbeiter ergriffen, wie auch nicht dem min-
desten Zweifel mehr unterliegt, im Februar, zur Zeit der Reform-
bewegung, die Gelegenheit am Schopfe. So kam — Alles so ganz
unerwartet — die Revolution und die neue französische Republik
zu Stande.

Allein, wie 1830 Louis Philipp die Revolution auszubeuten
und raschen Griffes die Krone sich zuzueignen verstanden, so
machte es jetzt wiederum die liberale Bourgeoisie. Sie bemäch-
tigte sich der Regierung und der Nationalversammlung; Alle,
die etwas zu verlieren hatten, hielten mit ihr; alle vernünftigen
und redlichen Männer erkannten, daß es jetzt gelte das Vater-
land vor gänzlichem Untergang, in welchen der Communismus es
stürzen mußte, zu retten; selbst manche von den Häuptern der
am 24. Februar ausgebrochenen Revolution kamen zur Besin-
nung und so wurde denn die „Republik der honetten Leute“ eta-
blirt, welche nach dem neuen Verfassungsentwurf sich kaum in
etwas Anderem von der Staatsform unter Louis Philipp unter-
scheidet, als dadurch, daß an die Stelle eines Königs ein Prä-
sident gesetzt ist. Während aber so das Regiment der honetten
und liberalen Bourgeoisie der Julirevolution unter republikani-
schem Anstrich sich neu constituirte, waren die Arbeiter und Pro-
letarier durch den Sieg über die so stark geglaubte Julidynastie
im vollen Bewußtseyn ihrer Kraft und die Waffen in der Hand, ge-
wärtig nun den Lohn ihrer Thaten einzuernten. Sie mußten da-
her beschwichtigt und abgefunden werden. Mehrere ihrer Häupter
wurden in die provisorische Regierung aufgenommen, ein Arbei-
terministerium wird errichtet, die Nationalwerkstätten werden
aufgethan; anderthalbhunderttausend Arbeiter in Paris allein
beziehen eine Viertelmillion täglich als Pension; so ist ganz
Frankreich denselben tributbar. Die gewaltige Umwälzung und
noch mehr der im Hintergrund drohende Communismus erzeugt
ein gänzliches Verschwinden der Capitalien, Stocken des Ver-
kehrs und der Arbeit, und die Folge ist ein stetes Zunehmen der
arbeitslosen Arbeiter und Proletarier, welche bereits sich daran
gewöhnen als die Herren des Staates sich zu betrachten, und
von allen Seiten strömen ihnen Abentheurer, verwegene vor
nichts zurückbebende Menschen, freigewordene Verbrecher in gro-
ßer Menge zu. Da endlich reißt den honetten Leuten, in demsel-
ben Maße als sie die Lage der Dinge klarer erkennen und in der
Nationalversammlung und Nationalgarde sich gestärkt und orga-
nisirt haben, die Geduld. Die Emeute vom 15. Mai bietet bereits
willkommene Gelegenheit, eine Reihe von Häuptern der rothen,
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Jn der ersten Nummer unserer Zei- tung haben wir in einem „die Frage der Zukunft“ überschriebenen Aufsatze folgendes ausgesprochen: „dieses ist die große Revolu- tion der Zukunft, die Revolution gegen das Eigenthum und das Privatvermögen, und es stehet diese Revolution vor der Thüre und hat bereits begonnen. Wird sie ihren Lauf vollenden? So gewiß, als im Jahre 1793 die politische Revolution, wenn die Bürgerschaft sich eben verkehrt benehmen wird, wie damals die Royalisten und Aristokraten sich benommen haben.“ Und siehe, heute ist bereits der erste Akt dieses entsetzlichen und gräuelvollen Dramas abgespielt. Dieselben Proletarier und Arbeiter, welche am 24. Februar die Barricaden errichtet und den Thron des so unendlich schlauen und doch am Ende hintergangenen Bürgerkö- nigs umgeblasen, haben am 24. Juni mit derselben Nationalgarde, mit derselben Pariser Bürgerschaft, welche damals mit ihnen fraternisirte, einen Vernichtungskampf gekämpft, so verzweifelt, so blutig, als die Geschichte der Bürgerkriege aller Zeiten kaum einen aufzuweisen hat. Keine Partei gibt Pardon. Tod oder Sieg, ist die Losung der Arbeiter, welche unter der rothen Blut- fahne für die socialistische Republik fochten. Der Aufstand muß unterdrückt werden und wenn Paris in Trümmern sinken sollte! ist die Parole der durch die Nationalversammlung und die Natio- nalgarde repräsentirten Bürgerschaft, die unter der dreifarbigen Fahne für die Republik der honetten Leute kämpft. Todesmuthig setzt jeder sein Leben ein: denn in diesem Augenblick erkennt er es, daß es sich für die Einen darum handelt, Alles zu gewinnen, für die Anderen Alles zu verlieren. Wie aber, müssen wir fragen, hat so schnell sich Alles derge- stalt gerändert, daß die Arbeiter und Bürger, Nationalgarde und Blousenmänner, Volk und Soldaten, die vor vier Monaten ein- ander freudetrunken in die Arme gestürtzt, als Brüder sich geküßt, nun in wilder und unversöhnlicher Schlachtenwuth einander zer- fleischen? Daß dieselben Volksmänner, die noch kürzlich sich nicht erschöpfen konnten im Lobpreis des bewundernswürdigen Volkes von Paris und der Barricadenhelden, nunmehr dasselbe Volk mit Kartätschen niederschmettern lassen und geschworen ha- ben, es zu bändigen oder unterzugehen? Oder sind vielleicht die Barrciadenkämpfer vom 24. Juni anders als die vom 24. Fe- bruar? Oder ist heute die Bürgerschaft eine andere, als sie da- mals war? Keineswegs, es sind ganz dieselben Leute; identisch dieselben Arbeiter und Blousenmänner sind es, die heute rufen: Nieder mit der Nationalversammlung! welche damals schrieen: Nieder mit Louis Philipp! welche heute die socialistische Repu- blik hochleben lassen und damals erst die Reform und dann die Republik schlechthin zum Feldgeschrei gewählt hatten, die damals mit solch' überraschender Kühnheit den Julithron über den Hau- fen geworfen und die heute die dreifarbige Republik an den Rand des Abgrunds gebracht. Auch die Nationalgarde und Bürger- schaft ist ganz dieselbe wie damals — und auch die Verhältnisse sind im Allgemeinen dieselben geblieben. Nur Eines hat sich seitdem geändert, ein Kleines: am 24. Februar hatte man sich gegenseitig getäuscht, da man fraternisirte, und diese Täuschung ist inzwischen geschwunden, — darum steht man sich heute auf Tod und Leben gegenüber und hat diese blutige Satyre gemacht auf die Devise der neuen Republik: „Freiheit, Gleichheit, Brü- derlichkeit!“ Die Revolution vom 24. Februar war in der That eine so rein communistische, wie die vom 24. Juni. Die Kämpfer vom Februar wollen nicht etwa einfach das Königthum stürzen, sondern in Louis Philipp dem Bürgerkönig die seit der Julirevolution unumschränkt herrschende Bourgoisie. Unter den vielen tausen- den der Arbeiter war die communistische Verschwörung gegen die ganze bestehende gesellschaftliche Ordnung in vielen Jahren heran- gereift; in geheimen Gesellschaften und öffentlichen Versamm- lungen, durch Zeitungen und Brochüren, durch Lieder, Romane und Schauspiele, und durch die persönliche Thätigkeit der ver- schiedenen Communistenhäupter, die mit Kraft, Beharrlichkeit und Scharfblick, einen schwärmerischen Fanatismus verbinden, waren die Lehren des Communismus das Gemeingut vieler Ar- beiter, ja eine Art Religion derselben geworden. Sie erblicken in der jetzigen Gestaltung des Privateigenthums die Quelle aller Uebel und das größte Unrecht, hingegen in der gänzlichen oder theilweisen Beraubung der Reichen die Ausübung eines Ur- rechtes und in der Gemeinschaftlichkeit der Güter und der Genüsse das neue goldene Zeitalter. Zu diesen Arbeitern, welche die Theorie des Communismus gründlich verstehen, welche als die Tüchtigeren und Talentvolleren sich zu Anführern qualificiren, kommen noch weit zahlreichere Proletarier, die nichts wollen als Befreiung aus ihrer Armuth und die das nächste handgreifliche Mittel hiezu in einer Gütertheilung oder Plünderung erblicken. Diese Proletarier und Arbeiter ergriffen, wie auch nicht dem min- desten Zweifel mehr unterliegt, im Februar, zur Zeit der Reform- bewegung, die Gelegenheit am Schopfe. So kam — Alles so ganz unerwartet — die Revolution und die neue französische Republik zu Stande. Allein, wie 1830 Louis Philipp die Revolution auszubeuten und raschen Griffes die Krone sich zuzueignen verstanden, so machte es jetzt wiederum die liberale Bourgeoisie. Sie bemäch- tigte sich der Regierung und der Nationalversammlung; Alle, die etwas zu verlieren hatten, hielten mit ihr; alle vernünftigen und redlichen Männer erkannten, daß es jetzt gelte das Vater- land vor gänzlichem Untergang, in welchen der Communismus es stürzen mußte, zu retten; selbst manche von den Häuptern der am 24. Februar ausgebrochenen Revolution kamen zur Besin- nung und so wurde denn die „Republik der honetten Leute“ eta- blirt, welche nach dem neuen Verfassungsentwurf sich kaum in etwas Anderem von der Staatsform unter Louis Philipp unter- scheidet, als dadurch, daß an die Stelle eines Königs ein Prä- sident gesetzt ist. Während aber so das Regiment der honetten und liberalen Bourgeoisie der Julirevolution unter republikani- schem Anstrich sich neu constituirte, waren die Arbeiter und Pro- letarier durch den Sieg über die so stark geglaubte Julidynastie im vollen Bewußtseyn ihrer Kraft und die Waffen in der Hand, ge- wärtig nun den Lohn ihrer Thaten einzuernten. Sie mußten da- her beschwichtigt und abgefunden werden. Mehrere ihrer Häupter wurden in die provisorische Regierung aufgenommen, ein Arbei- terministerium wird errichtet, die Nationalwerkstätten werden aufgethan; anderthalbhunderttausend Arbeiter in Paris allein beziehen eine Viertelmillion täglich als Pension; so ist ganz Frankreich denselben tributbar. Die gewaltige Umwälzung und noch mehr der im Hintergrund drohende Communismus erzeugt ein gänzliches Verschwinden der Capitalien, Stocken des Ver- kehrs und der Arbeit, und die Folge ist ein stetes Zunehmen der arbeitslosen Arbeiter und Proletarier, welche bereits sich daran gewöhnen als die Herren des Staates sich zu betrachten, und von allen Seiten strömen ihnen Abentheurer, verwegene vor nichts zurückbebende Menschen, freigewordene Verbrecher in gro- ßer Menge zu. Da endlich reißt den honetten Leuten, in demsel- ben Maße als sie die Lage der Dinge klarer erkennen und in der Nationalversammlung und Nationalgarde sich gestärkt und orga- nisirt haben, die Geduld. Die Emeute vom 15. Mai bietet bereits willkommene Gelegenheit, eine Reihe von Häuptern der rothen,

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 16. Mainz, 7. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal016_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.