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Mainzer Journal. Nr. 19. Mainz, 4. Juli 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 19. Dienstag, den 4. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Pariser Arbeiterrevolution.

# # Jst noch irgend etwas im Stande, unseren Zeitgenossen
über die wahre Zustände der menschlichen Gesellschaft in der Ge-
genwart die Augen zu öffnen, so ist es die neueste Pariser Re-
volution.

Hier hat sich einmal der Abgrund geöffnet, über dem wir Alle
wandeln und hat seine blutig qualmenden Flammen bis an das
Firmament empor gesendet. Wer hätte das gedacht? Die schöne
und gebildete Stadt Paris mit Trümmern und Leichen bedeckt,
und dasselbe hochherzige Volk, das kürzlich die Abschaffung der
Todesstrafe beschlossen, mordet sich gegenseitig zu Tausenden!
Und was hat den Kämpfern diesen Muth und diese Wuth einge-
haucht? Etwa eine große Jdee? Kämpfen sie für das Vaterland
gegen einen fremden Unterdrücker? Kämpfen sie für die Freiheit
gegen einen eingedrungenen Tyrannen? Kämpfen sie für ihre
Religion und Ueberzeugung? Nichts von allem dem; "Brod
oder Tod!" liest man auf jener blutrothen Fahne; und auf der
anderen dort: "Plünderung und Schändung" -- und ein anderes
Losungswort hieß: "Plünderung, wenn wir siegen, Brand wenn
wir unterliegen!" Ueberall könnte man unter den Aufständischen
hören, daß ihr Kampf Nothwehr sey gegen den Hungertod, so
daß man durch Proclamationen und Anreden dieses Volk zu
überzeugen sucht, man wolle es nicht verhungern und verderben
lassen!" Die Anderen aber, die Bürger, sie sind von gleicher Noth
getrieben und üben gleiche Nothwehr; es gilt ihnen sich vor Plün-
derung und vor der Guillotine zu retten!

Und welch' eine Furie des Hasses und der Verzweiflung ist
in die Streitenden gefahren? Nicht wie Soldaten in der Schlacht,
nicht einmal wie Parteien in Bürgerkriegen; sondern wie Tod-
feinde stehen sie einander gegenüber. Jede Waffe gilt -- Gift
und Hinterlist; Alles wird eingesetzt -- Weib und Kind stehen
auf den Barricaden.

Das Schrecklichste aber zeigt sich erst, wenn man näher er-
wägt, wer die Kämpfenden sind. Die Bürger sind es und die
Arbeiter.
Das Wort Bürger darf aber hier nicht mehr in
einem politischen Sinne genommen werden; in diesem Sinne sind
auch die Arbeiter Bürger, Bürger der einen und untheilbaren
brüderlichen Republik. Nein, Bürger bedeutet hier alle ansässi-
gen Leute, die ihr eigenes Geschäft oder Vermögen haben, von
dem sie mit ihrer Familie leben. Die Arbeiter aber, das sind
die Gesellen, die Gehilfen, die Taglöhner, die Arbeiter in den
Fabriken, die verdorbenen Geschäftsleute, die Vermögenslosen,
die vom Tage Lebenden. Also hier in der Nationalgarde steht der
Meister, dort auf der Barricade der Gesell, hier in der National-
garde der Kaufmann, dort auf der Barricade sein Taglöhner
oder Packknecht; hier in der Nationalgarde der wohlhabende
Gläubiger, dort auf der Barricade sein verarmter Schuldner!
Und siehe, diese Leute, diese Arbeiter und Proletarier, von eini-
gen verwegenen Führern geleitet, sind so stark, daß die große
französische Republik am Centrum ihrer Macht alle Kräfte des
Heeres und der Nationalgarde, unter Einem militärischen Dic-
tator
vereinigt, aufbieten muß, um ihrer Herr zu werden, daß
hunderttausend Mann vonnöthen sind, um nur die Barricaden
der Vorstadt von St. Anton einzunehmen.

Welche unerhörten Zustände, wo die Besitzlosen so zahlreich,
so mächtig und mit solcher Feindschaft gegen die Besitzenden er-
füllt sind! Und wer wird diesen Zuständen ein Ende machen?
War vorher der Haß groß, so ist jetzt der Grimm noch größer,
und was noch weit schlimmer: die Verarmung, welche die
Schaaren der Aufständischen so zahlreich gemacht, die Noth,
welche sie zu dieser Verzweiflung getrieben, sie ist täglich noch
[Spaltenumbruch] im Steigen begriffen. War bisher die Stockung der Ge-
schäfte schon so groß, wie wird sie erst jetzt seyn und werden
in dem verwüsteten Paris, welches nun den geflüchteten und ver-
schüchterten Kapitalisten den Beweis zu liefern scheint, wie wohl-
begründet ihr bisheriges Mißtrauen gegen die bestehenden Zu-
stände gewesen. Der Geist schaudert, wenn er in diesen Abgrund
hineinsieht. Und das Alles ist Wirklichkeit, Wirklichkeit mitten im
19. Jahrhundert. Wie? Haben wir denn nicht seit Jahren ge-
hört, daß es gar nichts Vollkommeneres geben könne, als dieses
glückselige Jahrhundert, wo der Menschengeist nicht blos die Na-
tur, sondern auch das Schicksal bewältigt und sich dienstbar ge-
macht; wo in Folge der wunderbaren Entdeckungen, der trium-
phirenden Jndustrie, der unbedingten Censurfreiheit, der Wohl-
stand so wohlbegründet und so groß; wo in Folge der vortreff-
lichen Schulen und der allgemeinen Aufklärung die Bildung und
Civilisation so verbreitet, daß alle blutigen Greuel eine Unmög-
lichkeit geworden; wo die Staatsmaschine so wohlgeordnet ist,
die Verfassung so freisinnig und überall Talent und Geist das
Ruder führt; dieses Jahrhundert, das mit solchem Stolz der
Verachtung auf alle früheren Jahrhunderte herabsieht, das es als
einen Schimpf für sich selbst ansehen würde, an den früheren Zeiten
auch nur irgend Etwas anzuerkennen, oder von ihnen irgend
Etwas anzunehmen oder zu lernen; dieses Jahrhundert, das die
ganze Vergangenheit kaum eines Blickes würdigend, eine neue
unbeschreiblich herrliche Zukunft rein aus der Urkraft seines Gei-
stes zeugen und gebähren will?

Werden wir endlich jetzt nüchtern, bescheiden und weise wer-
den, und aufhören nur Bewunderer unserer eigenen Vortrefflich-
keit zu seyn? Hoffentlich wird man jetzt anfangen, einmal vorur-
theilsfrei die Geschichte der menschlichen Gesellschaft, besonders
die der christlichen Societät zu studiren, und anstatt immer nur
Theorieen und Luftschlösser in das Blaue zu bauen, einmal zuzu-
sehen, was als naturgemäß und heilsam durch die Erfahrung
von Jahrhunderten sich erprobt hat. So lange z. B. ein in den
rechten Schranken gehaltenes Zunftwesen dem Gewerb und Wohl-
stand der Handwerker, wenn auch weniger Glanz, doch mehr
Solidität und Stetigkeit verlieh, gab es lange nicht so viel Pro-
letarier. So lange durch denselben Zunftverband die Gesellen in
altherkömmlicher ehrenfester Zucht und Gerechtigkeit ihre Dienst-
jahre verbrachten, waren sie noch unempfänglich für die Lehren
des Communismus. So lange die Gesellen und Gehilfen noch
angenommene Glieder in den Familien der Meister waren, bei
denen sie Wohnung und Unterhalt hatten, waren sie, weit ent-
fernt, Todfeinde dieser ihrer Meister zu seyn, ihnen gegenüber
einen besonderen "Arbeiterstand" zu bilden und mit ihnen Kriege
auf Tod und Leben zu führen. Und so lange alle diese Leute noch
auf den Katechismus etwas hielten und die zehn Gebote als ein
Gesetzbuch anerkannten, konnten keine communistischen Propheten
bei ihnen Jünger werben. Ob nun Polizei, Gewalt, Decrete
der Nationalversammlung, Bewilligung von Subsidien, schöne
Proclamationen und die Devise "Freiheit, Gleichheit und Brü-
derlichkeit " leisten werden, was viele Jahrhunderte lang die Cor-
porationen und Jnnungen, die bürgerliche Ehrenfestigkeit und
das Christenthum geleistet haben, wird schon die allernächste Zu-
kunft lehren.



Deutschland.

Jn Prag hat der Gubernialpräsident, Graf Thun, am 22.
die nachfolgende Proclamation erlassen, die sich über die dortigen
Zustände sehr klar ausspricht: "Die Ereignisse, deren Zeugen
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 19. Dienstag, den 4. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Pariser Arbeiterrevolution.

# # Jst noch irgend etwas im Stande, unseren Zeitgenossen
über die wahre Zustände der menschlichen Gesellschaft in der Ge-
genwart die Augen zu öffnen, so ist es die neueste Pariser Re-
volution.

Hier hat sich einmal der Abgrund geöffnet, über dem wir Alle
wandeln und hat seine blutig qualmenden Flammen bis an das
Firmament empor gesendet. Wer hätte das gedacht? Die schöne
und gebildete Stadt Paris mit Trümmern und Leichen bedeckt,
und dasselbe hochherzige Volk, das kürzlich die Abschaffung der
Todesstrafe beschlossen, mordet sich gegenseitig zu Tausenden!
Und was hat den Kämpfern diesen Muth und diese Wuth einge-
haucht? Etwa eine große Jdee? Kämpfen sie für das Vaterland
gegen einen fremden Unterdrücker? Kämpfen sie für die Freiheit
gegen einen eingedrungenen Tyrannen? Kämpfen sie für ihre
Religion und Ueberzeugung? Nichts von allem dem; „Brod
oder Tod!“ liest man auf jener blutrothen Fahne; und auf der
anderen dort: „Plünderung und Schändung“ — und ein anderes
Losungswort hieß: „Plünderung, wenn wir siegen, Brand wenn
wir unterliegen!“ Ueberall könnte man unter den Aufständischen
hören, daß ihr Kampf Nothwehr sey gegen den Hungertod, so
daß man durch Proclamationen und Anreden dieses Volk zu
überzeugen sucht, man wolle es nicht verhungern und verderben
lassen!“ Die Anderen aber, die Bürger, sie sind von gleicher Noth
getrieben und üben gleiche Nothwehr; es gilt ihnen sich vor Plün-
derung und vor der Guillotine zu retten!

Und welch' eine Furie des Hasses und der Verzweiflung ist
in die Streitenden gefahren? Nicht wie Soldaten in der Schlacht,
nicht einmal wie Parteien in Bürgerkriegen; sondern wie Tod-
feinde stehen sie einander gegenüber. Jede Waffe gilt — Gift
und Hinterlist; Alles wird eingesetzt — Weib und Kind stehen
auf den Barricaden.

Das Schrecklichste aber zeigt sich erst, wenn man näher er-
wägt, wer die Kämpfenden sind. Die Bürger sind es und die
Arbeiter.
Das Wort Bürger darf aber hier nicht mehr in
einem politischen Sinne genommen werden; in diesem Sinne sind
auch die Arbeiter Bürger, Bürger der einen und untheilbaren
brüderlichen Republik. Nein, Bürger bedeutet hier alle ansässi-
gen Leute, die ihr eigenes Geschäft oder Vermögen haben, von
dem sie mit ihrer Familie leben. Die Arbeiter aber, das sind
die Gesellen, die Gehilfen, die Taglöhner, die Arbeiter in den
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die vom Tage Lebenden. Also hier in der Nationalgarde steht der
Meister, dort auf der Barricade der Gesell, hier in der National-
garde der Kaufmann, dort auf der Barricade sein Taglöhner
oder Packknecht; hier in der Nationalgarde der wohlhabende
Gläubiger, dort auf der Barricade sein verarmter Schuldner!
Und siehe, diese Leute, diese Arbeiter und Proletarier, von eini-
gen verwegenen Führern geleitet, sind so stark, daß die große
französische Republik am Centrum ihrer Macht alle Kräfte des
Heeres und der Nationalgarde, unter Einem militärischen Dic-
tator
vereinigt, aufbieten muß, um ihrer Herr zu werden, daß
hunderttausend Mann vonnöthen sind, um nur die Barricaden
der Vorstadt von St. Anton einzunehmen.

Welche unerhörten Zustände, wo die Besitzlosen so zahlreich,
so mächtig und mit solcher Feindschaft gegen die Besitzenden er-
füllt sind! Und wer wird diesen Zuständen ein Ende machen?
War vorher der Haß groß, so ist jetzt der Grimm noch größer,
und was noch weit schlimmer: die Verarmung, welche die
Schaaren der Aufständischen so zahlreich gemacht, die Noth,
welche sie zu dieser Verzweiflung getrieben, sie ist täglich noch
[Spaltenumbruch] im Steigen begriffen. War bisher die Stockung der Ge-
schäfte schon so groß, wie wird sie erst jetzt seyn und werden
in dem verwüsteten Paris, welches nun den geflüchteten und ver-
schüchterten Kapitalisten den Beweis zu liefern scheint, wie wohl-
begründet ihr bisheriges Mißtrauen gegen die bestehenden Zu-
stände gewesen. Der Geist schaudert, wenn er in diesen Abgrund
hineinsieht. Und das Alles ist Wirklichkeit, Wirklichkeit mitten im
19. Jahrhundert. Wie? Haben wir denn nicht seit Jahren ge-
hört, daß es gar nichts Vollkommeneres geben könne, als dieses
glückselige Jahrhundert, wo der Menschengeist nicht blos die Na-
tur, sondern auch das Schicksal bewältigt und sich dienstbar ge-
macht; wo in Folge der wunderbaren Entdeckungen, der trium-
phirenden Jndustrie, der unbedingten Censurfreiheit, der Wohl-
stand so wohlbegründet und so groß; wo in Folge der vortreff-
lichen Schulen und der allgemeinen Aufklärung die Bildung und
Civilisation so verbreitet, daß alle blutigen Greuel eine Unmög-
lichkeit geworden; wo die Staatsmaschine so wohlgeordnet ist,
die Verfassung so freisinnig und überall Talent und Geist das
Ruder führt; dieses Jahrhundert, das mit solchem Stolz der
Verachtung auf alle früheren Jahrhunderte herabsieht, das es als
einen Schimpf für sich selbst ansehen würde, an den früheren Zeiten
auch nur irgend Etwas anzuerkennen, oder von ihnen irgend
Etwas anzunehmen oder zu lernen; dieses Jahrhundert, das die
ganze Vergangenheit kaum eines Blickes würdigend, eine neue
unbeschreiblich herrliche Zukunft rein aus der Urkraft seines Gei-
stes zeugen und gebähren will?

Werden wir endlich jetzt nüchtern, bescheiden und weise wer-
den, und aufhören nur Bewunderer unserer eigenen Vortrefflich-
keit zu seyn? Hoffentlich wird man jetzt anfangen, einmal vorur-
theilsfrei die Geschichte der menschlichen Gesellschaft, besonders
die der christlichen Societät zu studiren, und anstatt immer nur
Theorieen und Luftschlösser in das Blaue zu bauen, einmal zuzu-
sehen, was als naturgemäß und heilsam durch die Erfahrung
von Jahrhunderten sich erprobt hat. So lange z. B. ein in den
rechten Schranken gehaltenes Zunftwesen dem Gewerb und Wohl-
stand der Handwerker, wenn auch weniger Glanz, doch mehr
Solidität und Stetigkeit verlieh, gab es lange nicht so viel Pro-
letarier. So lange durch denselben Zunftverband die Gesellen in
altherkömmlicher ehrenfester Zucht und Gerechtigkeit ihre Dienst-
jahre verbrachten, waren sie noch unempfänglich für die Lehren
des Communismus. So lange die Gesellen und Gehilfen noch
angenommene Glieder in den Familien der Meister waren, bei
denen sie Wohnung und Unterhalt hatten, waren sie, weit ent-
fernt, Todfeinde dieser ihrer Meister zu seyn, ihnen gegenüber
einen besonderen „Arbeiterstand“ zu bilden und mit ihnen Kriege
auf Tod und Leben zu führen. Und so lange alle diese Leute noch
auf den Katechismus etwas hielten und die zehn Gebote als ein
Gesetzbuch anerkannten, konnten keine communistischen Propheten
bei ihnen Jünger werben. Ob nun Polizei, Gewalt, Decrete
der Nationalversammlung, Bewilligung von Subsidien, schöne
Proclamationen und die Devise „Freiheit, Gleichheit und Brü-
derlichkeit “ leisten werden, was viele Jahrhunderte lang die Cor-
porationen und Jnnungen, die bürgerliche Ehrenfestigkeit und
das Christenthum geleistet haben, wird schon die allernächste Zu-
kunft lehren.



Deutschland.

Jn Prag hat der Gubernialpräsident, Graf Thun, am 22.
die nachfolgende Proclamation erlassen, die sich über die dortigen
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Hier hat sich einmal der Abgrund geöffnet, über dem wir Alle wandeln und hat seine blutig qualmenden Flammen bis an das Firmament empor gesendet. Wer hätte das gedacht? Die schöne und gebildete Stadt Paris mit Trümmern und Leichen bedeckt, und dasselbe hochherzige Volk, das kürzlich die Abschaffung der Todesstrafe beschlossen, mordet sich gegenseitig zu Tausenden! Und was hat den Kämpfern diesen Muth und diese Wuth einge- haucht? Etwa eine große Jdee? Kämpfen sie für das Vaterland gegen einen fremden Unterdrücker? Kämpfen sie für die Freiheit gegen einen eingedrungenen Tyrannen? Kämpfen sie für ihre Religion und Ueberzeugung? Nichts von allem dem; „Brod oder Tod!“ liest man auf jener blutrothen Fahne; und auf der anderen dort: „Plünderung und Schändung“ — und ein anderes Losungswort hieß: „Plünderung, wenn wir siegen, Brand wenn wir unterliegen!“ Ueberall könnte man unter den Aufständischen hören, daß ihr Kampf Nothwehr sey gegen den Hungertod, so daß man durch Proclamationen und Anreden dieses Volk zu überzeugen sucht, man wolle es nicht verhungern und verderben lassen!“ Die Anderen aber, die Bürger, sie sind von gleicher Noth getrieben und üben gleiche Nothwehr; es gilt ihnen sich vor Plün- derung und vor der Guillotine zu retten! Und welch' eine Furie des Hasses und der Verzweiflung ist in die Streitenden gefahren? Nicht wie Soldaten in der Schlacht, nicht einmal wie Parteien in Bürgerkriegen; sondern wie Tod- feinde stehen sie einander gegenüber. Jede Waffe gilt — Gift und Hinterlist; Alles wird eingesetzt — Weib und Kind stehen auf den Barricaden. Das Schrecklichste aber zeigt sich erst, wenn man näher er- wägt, wer die Kämpfenden sind. Die Bürger sind es und die Arbeiter. Das Wort Bürger darf aber hier nicht mehr in einem politischen Sinne genommen werden; in diesem Sinne sind auch die Arbeiter Bürger, Bürger der einen und untheilbaren brüderlichen Republik. Nein, Bürger bedeutet hier alle ansässi- gen Leute, die ihr eigenes Geschäft oder Vermögen haben, von dem sie mit ihrer Familie leben. Die Arbeiter aber, das sind die Gesellen, die Gehilfen, die Taglöhner, die Arbeiter in den Fabriken, die verdorbenen Geschäftsleute, die Vermögenslosen, die vom Tage Lebenden. Also hier in der Nationalgarde steht der Meister, dort auf der Barricade der Gesell, hier in der National- garde der Kaufmann, dort auf der Barricade sein Taglöhner oder Packknecht; hier in der Nationalgarde der wohlhabende Gläubiger, dort auf der Barricade sein verarmter Schuldner! Und siehe, diese Leute, diese Arbeiter und Proletarier, von eini- gen verwegenen Führern geleitet, sind so stark, daß die große französische Republik am Centrum ihrer Macht alle Kräfte des Heeres und der Nationalgarde, unter Einem militärischen Dic- tator vereinigt, aufbieten muß, um ihrer Herr zu werden, daß hunderttausend Mann vonnöthen sind, um nur die Barricaden der Vorstadt von St. Anton einzunehmen. Welche unerhörten Zustände, wo die Besitzlosen so zahlreich, so mächtig und mit solcher Feindschaft gegen die Besitzenden er- füllt sind! Und wer wird diesen Zuständen ein Ende machen? War vorher der Haß groß, so ist jetzt der Grimm noch größer, und was noch weit schlimmer: die Verarmung, welche die Schaaren der Aufständischen so zahlreich gemacht, die Noth, welche sie zu dieser Verzweiflung getrieben, sie ist täglich noch im Steigen begriffen. War bisher die Stockung der Ge- schäfte schon so groß, wie wird sie erst jetzt seyn und werden in dem verwüsteten Paris, welches nun den geflüchteten und ver- schüchterten Kapitalisten den Beweis zu liefern scheint, wie wohl- begründet ihr bisheriges Mißtrauen gegen die bestehenden Zu- stände gewesen. Der Geist schaudert, wenn er in diesen Abgrund hineinsieht. Und das Alles ist Wirklichkeit, Wirklichkeit mitten im 19. Jahrhundert. Wie? Haben wir denn nicht seit Jahren ge- hört, daß es gar nichts Vollkommeneres geben könne, als dieses glückselige Jahrhundert, wo der Menschengeist nicht blos die Na- tur, sondern auch das Schicksal bewältigt und sich dienstbar ge- macht; wo in Folge der wunderbaren Entdeckungen, der trium- phirenden Jndustrie, der unbedingten Censurfreiheit, der Wohl- stand so wohlbegründet und so groß; wo in Folge der vortreff- lichen Schulen und der allgemeinen Aufklärung die Bildung und Civilisation so verbreitet, daß alle blutigen Greuel eine Unmög- lichkeit geworden; wo die Staatsmaschine so wohlgeordnet ist, die Verfassung so freisinnig und überall Talent und Geist das Ruder führt; dieses Jahrhundert, das mit solchem Stolz der Verachtung auf alle früheren Jahrhunderte herabsieht, das es als einen Schimpf für sich selbst ansehen würde, an den früheren Zeiten auch nur irgend Etwas anzuerkennen, oder von ihnen irgend Etwas anzunehmen oder zu lernen; dieses Jahrhundert, das die ganze Vergangenheit kaum eines Blickes würdigend, eine neue unbeschreiblich herrliche Zukunft rein aus der Urkraft seines Gei- stes zeugen und gebähren will? Werden wir endlich jetzt nüchtern, bescheiden und weise wer- den, und aufhören nur Bewunderer unserer eigenen Vortrefflich- keit zu seyn? Hoffentlich wird man jetzt anfangen, einmal vorur- theilsfrei die Geschichte der menschlichen Gesellschaft, besonders die der christlichen Societät zu studiren, und anstatt immer nur Theorieen und Luftschlösser in das Blaue zu bauen, einmal zuzu- sehen, was als naturgemäß und heilsam durch die Erfahrung von Jahrhunderten sich erprobt hat. So lange z. B. ein in den rechten Schranken gehaltenes Zunftwesen dem Gewerb und Wohl- stand der Handwerker, wenn auch weniger Glanz, doch mehr Solidität und Stetigkeit verlieh, gab es lange nicht so viel Pro- letarier. So lange durch denselben Zunftverband die Gesellen in altherkömmlicher ehrenfester Zucht und Gerechtigkeit ihre Dienst- jahre verbrachten, waren sie noch unempfänglich für die Lehren des Communismus. So lange die Gesellen und Gehilfen noch angenommene Glieder in den Familien der Meister waren, bei denen sie Wohnung und Unterhalt hatten, waren sie, weit ent- fernt, Todfeinde dieser ihrer Meister zu seyn, ihnen gegenüber einen besonderen „Arbeiterstand“ zu bilden und mit ihnen Kriege auf Tod und Leben zu führen. Und so lange alle diese Leute noch auf den Katechismus etwas hielten und die zehn Gebote als ein Gesetzbuch anerkannten, konnten keine communistischen Propheten bei ihnen Jünger werben. Ob nun Polizei, Gewalt, Decrete der Nationalversammlung, Bewilligung von Subsidien, schöne Proclamationen und die Devise „Freiheit, Gleichheit und Brü- derlichkeit “ leisten werden, was viele Jahrhunderte lang die Cor- porationen und Jnnungen, die bürgerliche Ehrenfestigkeit und das Christenthum geleistet haben, wird schon die allernächste Zu- kunft lehren. Deutschland. Jn Prag hat der Gubernialpräsident, Graf Thun, am 22. die nachfolgende Proclamation erlassen, die sich über die dortigen Zustände sehr klar ausspricht: „Die Ereignisse, deren Zeugen

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 19. Mainz, 4. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal019_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.