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Mainzer Journal. Nr. 26. Mainz, 11. Juli 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 26. Dienstag, den 11. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Freiheit und das Recht der Gemeinden.

# # Kann Einer ein Land regieren, der seinem eigenen
Hause nicht vorzustehen vermag? Können Bürger wahrhaft freie
genannt werden, die nicht einmal Herren in ihrem eigenen Hause
sind, die nicht einmal die Angelegenheiten ihrer Gemeinde selbst-
ständig verwalten dürfen?

Das erste und natürlichste Recht einer Gemeinde ist das, daß
sie ihre Vorsteher selbst wähle. Sind ja die Vorsteher einer Ge-
meinde deren Vertreter und Anwälte. Wie oft hat eine Gemeinde
der Staatsgewalt gegenüber Rechte und Jnteressen zu verthei-
digen; wie verträgt sich aber damit, daß die Gemeindevorsteher
Regierungsbeamte sind und von dem Gouvernement ernannt
werden? So lange es Gemeinden gibt, schon im alten römischen
Reich, dann das ganze Mittelalter hindurch bis in die neueren
Zeiten, bestellten daher die Gemeinden selbst ihre Vorsteher. So
war es auch in Frankreich zur Zeit vor der ersten Revolution.
Noch ein Edikt von 1765 gesteht den Gemeinden dieß Recht aus-
drücklich zu. Unter der Juliregierung dagegen, unter den Strah-
len der bis vor wenigen Monaten von allen liberalen Zungen
hochgepriesenen Juliussonne hielt man dieses natürliche Recht der
Gemeinde für unverträglich mit den Jnteressen des Staates. Nach
einem Gesetz vom 21. März 1831 stand es dem König, resp. dem
Präfecten zu, aus der Mitte des Municipal= ( Gemeinde= ) Rathes
den Maire ( Bürgermeister ) zu ernennen. Natürlich, in diesem
Lande beständiger Ministerkrisen und der Parteiintriguen war die
Ernennung der Bürgermeister ein viel zu treffliches Mittel für
die jeweilig herrschende Partei Einfluß in allen Gemeinden zu
üben. Kam daher in Paris durch irgend ein Hof= oder Kam-
mermanövre ein neues Ministerium, so beförderte es alsbald
seine Anhänger an die Präfecturen und was der Minister mit den
Präfecten im Umkreis des ganzen Reiches gethan, das war
nun Geschäft der einzelnen Präfecten in ihren Departementen
und bei vorkommender Gelegenheit wurden nun die Maires er-
nannt, nicht wie sie dem Wunsch und dem Jnteresse der Gemein-
den, sondern den Absichten des eben in Paris herrschenden Mi-
nisteriums entsprachen. Dies war eine von den schönen Früchten
der Centralisation und eine von den tauben Nüssen an dem flit-
terreichen Baum der französischen Freiheit!

Der glorreichen Julirevolution, die das Bürgerkönigthum
eingeführt, folgte die ebenfalls überaus glorreiche Februarrevo-
lution, welche die Republik der Freiheit, Gleichheit und Brüder-
lichkeit einführte. Alle Freunde der wahren Freiheit hofften, daß
nun endlich einmal das Fundament aller ächten und dauerhaf-
ten Volksfreiheit, die Selbstständigkeit der Gemeinde, zur Aner-
kennung kommen werde. Der Verfassungsentwurf Art. 77 that
dazu auch einen kleinen Schritt, indem er bestimmte, daß zwar
nicht die Gemeinde, aber doch der Gemeinderath den Bürger-
meister fort an wählen solle. Aber siehe da, der Vorschlag
kommt in die Nationalversammlung, um zum Gesetze erhoben zu
werden, freilich nur zu einem provisorischen Gesetze, mit dem
man es vorerst probiren will -- und die Nationalversammlung
findet, daß das Gesetz der Gemeinde viel zu viel zugestehe, daß
das Gouvernement mit einer solchen Selbstständigkeit nicht bestehen
könne! Es wird zwar den Gemeinderäthen der kleinen Gemein-
den nach dem Entwurf die Wahl des Maires überlassen; dage-
gen in allen Städten von mehr als 6000 Einwohnern und in
allen Departements= und Bezirkshauptorten bleibt auch fortan
die Wahl der Maires in den Händen der Regierung. Eine merk-
würdige Unterscheidung, die es so recht klar macht, wie nicht die
Natur der Sache, sondern einzig das Streben Einfluß in den
Departementen von Paris aus zu üben, das Gesetz eingab.
[Spaltenumbruch] Denn größere Städte sind doch wahrlich durch ihre Jntelligenz
und Bedeutung würdiger und fähiger zur Wahl ihres Maires,
als kleine Orte. Allein kleine Orte sind von keiner so großen
Wichtigkeit für die Zwecke der jeweiligen Regierung. O glück-
seliges souveraines französisches Volk: Du setztest Könige ein
und ab; der Opferrauch zahlloser Schmeichelreden steigt von dem
Mund zahlloser Redner zu dir auf, dein Lob verkünden täglich
hundert Zeitungen; souverain bist du und allmächtig! Du wählst
in unmittelbaren Wahlen Jene, welche Frankreich regieren; aber
deinen Bürgermeister dir wählen, das kannst und
darfst du nicht, und wäre dir doch oft viel besser, du dürftest
deinen Maire dir selber wählen und zu Haus in deiner Gemeinde
deinen eigenen Haushalt führen, als daß du die Ehre hast einen
Deputirten zu schicken, der in Paris Reden halten unn decretiren
hilft, daß die Wahl deines Bürgermeisters dir nicht überlassen wer-
den könne! Doch die Nationalversammlung hat es dabei nicht
bewenden lassen, damit trotz jenes Scheinzugeständnisses an die
kleineren Gemeinden dennoch jeder Bürgermeister ganz in den
Händen der Regierung, resp. des Herrn Präfecten, auf deutsch
Kreisrathes sey, hat sie beschlossen, daß die Regierung und der
Präfect die Bürgermeister suspendiren und absetzen könne.

Doch lassen wir die Franzosen ihre Sachen treiben und wen-
den wir uns nach unserem deutschen Vaterlande. Der Reichstag
zu Frankfurt berathet in diesen Tagen die Grundrechte des deut-
schen Volkes. Jn keinem Lande der Erde hat je die Gemeinde-
freiheit so herrlich geblüht und so köstliche Früchte getragen als
im alten deutschen Reich. Wer kennt nicht selbst in unserer Zeit,
mit ihrem so überaus kurzen Gedächtniß und äußerst hochmüthi-
gen Verachtung gegen alles Alte, wer kennt nicht wenigstens
sagenhaft die Herrlichkeit der freien deutschen Städte? Seitdem
man aber in Deutschland, nachdem der unglückselige dreißigjäh-
rige Krieg seine Kraft gebrochen, auf die Nachäfferei der Frem-
den sich verlegte, und zuerst Ludwig XIV., dann Napoleon nach-
ahmte, ist auch bei uns die Gemeindefreiheit mehr und mehr zu
Grabe gegangen. Das ganze Werk des Reichstags
wäre eitel und die ganze neue Freiheit ein leerer
Dunst, wenn nicht jetzt die alte ächt=germanische
Freiheit und Selbstständigkeit der Gemeinde wie-
derhergestellt wird.
Wir haben allen Grund dies von dem
Parlamente zu hoffen. Allein eben jetzt wird ein Artikel berathen,
der eine Lebensfrage für die Selbstständigkeit und das Wohl der
Gemeinden ist. Es fragt sich nämlich: soll es jedem Deutschen
freistehen, in jeder Gemeinde ohne Weiteres sich anzusiedeln und
Gemeindebürgerrecht zu erwerben, oder soll beides von der
Genehmigung der Gemeinde abhängen? Der Entwurf hat sich
zwar weder für das Eine noch für das Andere entschieden, son-
dern einstweilen bezüglich der Erlangung des Gemeindebürger-
rechts Alles den verschiedenen bestehenden Landesgesetzen über-
lassen: allein dieses Provisorium ist gewiß nicht zu billigen, wo
es gilt die wichtigsten Fragen zu entscheiden und eben das deutsche
Volk aus der Misere zu befreien, worin es sich meist durch die
modernen Territorialgesetze befindet. Jene Frage aber, ob jeder
Gemeinde die Entscheidung über die Niederlassung und Einbür-
gerung in ihrer Mitte zustehe, oder ob jeder Einzelne sich nieder-
lassen und Ortsbürgerrecht erwerben könne wie er wolle, ist,
wie gesagt, eine Lebensfrage für Deutschlands Zukunft.

Die Radicalen, wie alle Kinder des flachen Liberalismus,
werden ohne Zweifel dafür rednern und stimmen, daß Jeder sich
niederlassen und Bürgerrecht erwerben könne, wo und wie er
wolle. Die herrlichsten Phrasen über Freiheit und Menschenrechte
wird man hören lassen! Um der sehr handgreiflichen Einwendung
zu begegnen, daß dadurch eine sonst wohlhabende Gemeinde mit
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 26. Dienstag, den 11. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Die Freiheit und das Recht der Gemeinden.

# # Kann Einer ein Land regieren, der seinem eigenen
Hause nicht vorzustehen vermag? Können Bürger wahrhaft freie
genannt werden, die nicht einmal Herren in ihrem eigenen Hause
sind, die nicht einmal die Angelegenheiten ihrer Gemeinde selbst-
ständig verwalten dürfen?

Das erste und natürlichste Recht einer Gemeinde ist das, daß
sie ihre Vorsteher selbst wähle. Sind ja die Vorsteher einer Ge-
meinde deren Vertreter und Anwälte. Wie oft hat eine Gemeinde
der Staatsgewalt gegenüber Rechte und Jnteressen zu verthei-
digen; wie verträgt sich aber damit, daß die Gemeindevorsteher
Regierungsbeamte sind und von dem Gouvernement ernannt
werden? So lange es Gemeinden gibt, schon im alten römischen
Reich, dann das ganze Mittelalter hindurch bis in die neueren
Zeiten, bestellten daher die Gemeinden selbst ihre Vorsteher. So
war es auch in Frankreich zur Zeit vor der ersten Revolution.
Noch ein Edikt von 1765 gesteht den Gemeinden dieß Recht aus-
drücklich zu. Unter der Juliregierung dagegen, unter den Strah-
len der bis vor wenigen Monaten von allen liberalen Zungen
hochgepriesenen Juliussonne hielt man dieses natürliche Recht der
Gemeinde für unverträglich mit den Jnteressen des Staates. Nach
einem Gesetz vom 21. März 1831 stand es dem König, resp. dem
Präfecten zu, aus der Mitte des Municipal= ( Gemeinde= ) Rathes
den Maire ( Bürgermeister ) zu ernennen. Natürlich, in diesem
Lande beständiger Ministerkrisen und der Parteiintriguen war die
Ernennung der Bürgermeister ein viel zu treffliches Mittel für
die jeweilig herrschende Partei Einfluß in allen Gemeinden zu
üben. Kam daher in Paris durch irgend ein Hof= oder Kam-
mermanövre ein neues Ministerium, so beförderte es alsbald
seine Anhänger an die Präfecturen und was der Minister mit den
Präfecten im Umkreis des ganzen Reiches gethan, das war
nun Geschäft der einzelnen Präfecten in ihren Departementen
und bei vorkommender Gelegenheit wurden nun die Maires er-
nannt, nicht wie sie dem Wunsch und dem Jnteresse der Gemein-
den, sondern den Absichten des eben in Paris herrschenden Mi-
nisteriums entsprachen. Dies war eine von den schönen Früchten
der Centralisation und eine von den tauben Nüssen an dem flit-
terreichen Baum der französischen Freiheit!

Der glorreichen Julirevolution, die das Bürgerkönigthum
eingeführt, folgte die ebenfalls überaus glorreiche Februarrevo-
lution, welche die Republik der Freiheit, Gleichheit und Brüder-
lichkeit einführte. Alle Freunde der wahren Freiheit hofften, daß
nun endlich einmal das Fundament aller ächten und dauerhaf-
ten Volksfreiheit, die Selbstständigkeit der Gemeinde, zur Aner-
kennung kommen werde. Der Verfassungsentwurf Art. 77 that
dazu auch einen kleinen Schritt, indem er bestimmte, daß zwar
nicht die Gemeinde, aber doch der Gemeinderath den Bürger-
meister fort an wählen solle. Aber siehe da, der Vorschlag
kommt in die Nationalversammlung, um zum Gesetze erhoben zu
werden, freilich nur zu einem provisorischen Gesetze, mit dem
man es vorerst probiren will — und die Nationalversammlung
findet, daß das Gesetz der Gemeinde viel zu viel zugestehe, daß
das Gouvernement mit einer solchen Selbstständigkeit nicht bestehen
könne! Es wird zwar den Gemeinderäthen der kleinen Gemein-
den nach dem Entwurf die Wahl des Maires überlassen; dage-
gen in allen Städten von mehr als 6000 Einwohnern und in
allen Departements= und Bezirkshauptorten bleibt auch fortan
die Wahl der Maires in den Händen der Regierung. Eine merk-
würdige Unterscheidung, die es so recht klar macht, wie nicht die
Natur der Sache, sondern einzig das Streben Einfluß in den
Departementen von Paris aus zu üben, das Gesetz eingab.
[Spaltenumbruch] Denn größere Städte sind doch wahrlich durch ihre Jntelligenz
und Bedeutung würdiger und fähiger zur Wahl ihres Maires,
als kleine Orte. Allein kleine Orte sind von keiner so großen
Wichtigkeit für die Zwecke der jeweiligen Regierung. O glück-
seliges souveraines französisches Volk: Du setztest Könige ein
und ab; der Opferrauch zahlloser Schmeichelreden steigt von dem
Mund zahlloser Redner zu dir auf, dein Lob verkünden täglich
hundert Zeitungen; souverain bist du und allmächtig! Du wählst
in unmittelbaren Wahlen Jene, welche Frankreich regieren; aber
deinen Bürgermeister dir wählen, das kannst und
darfst du nicht, und wäre dir doch oft viel besser, du dürftest
deinen Maire dir selber wählen und zu Haus in deiner Gemeinde
deinen eigenen Haushalt führen, als daß du die Ehre hast einen
Deputirten zu schicken, der in Paris Reden halten unn decretiren
hilft, daß die Wahl deines Bürgermeisters dir nicht überlassen wer-
den könne! Doch die Nationalversammlung hat es dabei nicht
bewenden lassen, damit trotz jenes Scheinzugeständnisses an die
kleineren Gemeinden dennoch jeder Bürgermeister ganz in den
Händen der Regierung, resp. des Herrn Präfecten, auf deutsch
Kreisrathes sey, hat sie beschlossen, daß die Regierung und der
Präfect die Bürgermeister suspendiren und absetzen könne.

Doch lassen wir die Franzosen ihre Sachen treiben und wen-
den wir uns nach unserem deutschen Vaterlande. Der Reichstag
zu Frankfurt berathet in diesen Tagen die Grundrechte des deut-
schen Volkes. Jn keinem Lande der Erde hat je die Gemeinde-
freiheit so herrlich geblüht und so köstliche Früchte getragen als
im alten deutschen Reich. Wer kennt nicht selbst in unserer Zeit,
mit ihrem so überaus kurzen Gedächtniß und äußerst hochmüthi-
gen Verachtung gegen alles Alte, wer kennt nicht wenigstens
sagenhaft die Herrlichkeit der freien deutschen Städte? Seitdem
man aber in Deutschland, nachdem der unglückselige dreißigjäh-
rige Krieg seine Kraft gebrochen, auf die Nachäfferei der Frem-
den sich verlegte, und zuerst Ludwig XIV., dann Napoleon nach-
ahmte, ist auch bei uns die Gemeindefreiheit mehr und mehr zu
Grabe gegangen. Das ganze Werk des Reichstags
wäre eitel und die ganze neue Freiheit ein leerer
Dunst, wenn nicht jetzt die alte ächt=germanische
Freiheit und Selbstständigkeit der Gemeinde wie-
derhergestellt wird.
Wir haben allen Grund dies von dem
Parlamente zu hoffen. Allein eben jetzt wird ein Artikel berathen,
der eine Lebensfrage für die Selbstständigkeit und das Wohl der
Gemeinden ist. Es fragt sich nämlich: soll es jedem Deutschen
freistehen, in jeder Gemeinde ohne Weiteres sich anzusiedeln und
Gemeindebürgerrecht zu erwerben, oder soll beides von der
Genehmigung der Gemeinde abhängen? Der Entwurf hat sich
zwar weder für das Eine noch für das Andere entschieden, son-
dern einstweilen bezüglich der Erlangung des Gemeindebürger-
rechts Alles den verschiedenen bestehenden Landesgesetzen über-
lassen: allein dieses Provisorium ist gewiß nicht zu billigen, wo
es gilt die wichtigsten Fragen zu entscheiden und eben das deutsche
Volk aus der Misere zu befreien, worin es sich meist durch die
modernen Territorialgesetze befindet. Jene Frage aber, ob jeder
Gemeinde die Entscheidung über die Niederlassung und Einbür-
gerung in ihrer Mitte zustehe, oder ob jeder Einzelne sich nieder-
lassen und Ortsbürgerrecht erwerben könne wie er wolle, ist,
wie gesagt, eine Lebensfrage für Deutschlands Zukunft.

Die Radicalen, wie alle Kinder des flachen Liberalismus,
werden ohne Zweifel dafür rednern und stimmen, daß Jeder sich
niederlassen und Bürgerrecht erwerben könne, wo und wie er
wolle. Die herrlichsten Phrasen über Freiheit und Menschenrechte
wird man hören lassen! Um der sehr handgreiflichen Einwendung
zu begegnen, daß dadurch eine sonst wohlhabende Gemeinde mit
[Ende Spaltensatz]

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Können Bürger wahrhaft freie genannt werden, die nicht einmal Herren in ihrem eigenen Hause sind, die nicht einmal die Angelegenheiten ihrer Gemeinde selbst- ständig verwalten dürfen? Das erste und natürlichste Recht einer Gemeinde ist das, daß sie ihre Vorsteher selbst wähle. Sind ja die Vorsteher einer Ge- meinde deren Vertreter und Anwälte. Wie oft hat eine Gemeinde der Staatsgewalt gegenüber Rechte und Jnteressen zu verthei- digen; wie verträgt sich aber damit, daß die Gemeindevorsteher Regierungsbeamte sind und von dem Gouvernement ernannt werden? So lange es Gemeinden gibt, schon im alten römischen Reich, dann das ganze Mittelalter hindurch bis in die neueren Zeiten, bestellten daher die Gemeinden selbst ihre Vorsteher. So war es auch in Frankreich zur Zeit vor der ersten Revolution. Noch ein Edikt von 1765 gesteht den Gemeinden dieß Recht aus- drücklich zu. Unter der Juliregierung dagegen, unter den Strah- len der bis vor wenigen Monaten von allen liberalen Zungen hochgepriesenen Juliussonne hielt man dieses natürliche Recht der Gemeinde für unverträglich mit den Jnteressen des Staates. Nach einem Gesetz vom 21. März 1831 stand es dem König, resp. dem Präfecten zu, aus der Mitte des Municipal= ( Gemeinde= ) Rathes den Maire ( Bürgermeister ) zu ernennen. Natürlich, in diesem Lande beständiger Ministerkrisen und der Parteiintriguen war die Ernennung der Bürgermeister ein viel zu treffliches Mittel für die jeweilig herrschende Partei Einfluß in allen Gemeinden zu üben. Kam daher in Paris durch irgend ein Hof= oder Kam- mermanövre ein neues Ministerium, so beförderte es alsbald seine Anhänger an die Präfecturen und was der Minister mit den Präfecten im Umkreis des ganzen Reiches gethan, das war nun Geschäft der einzelnen Präfecten in ihren Departementen und bei vorkommender Gelegenheit wurden nun die Maires er- nannt, nicht wie sie dem Wunsch und dem Jnteresse der Gemein- den, sondern den Absichten des eben in Paris herrschenden Mi- nisteriums entsprachen. Dies war eine von den schönen Früchten der Centralisation und eine von den tauben Nüssen an dem flit- terreichen Baum der französischen Freiheit! Der glorreichen Julirevolution, die das Bürgerkönigthum eingeführt, folgte die ebenfalls überaus glorreiche Februarrevo- lution, welche die Republik der Freiheit, Gleichheit und Brüder- lichkeit einführte. Alle Freunde der wahren Freiheit hofften, daß nun endlich einmal das Fundament aller ächten und dauerhaf- ten Volksfreiheit, die Selbstständigkeit der Gemeinde, zur Aner- kennung kommen werde. Der Verfassungsentwurf Art. 77 that dazu auch einen kleinen Schritt, indem er bestimmte, daß zwar nicht die Gemeinde, aber doch der Gemeinderath den Bürger- meister fort an wählen solle. Aber siehe da, der Vorschlag kommt in die Nationalversammlung, um zum Gesetze erhoben zu werden, freilich nur zu einem provisorischen Gesetze, mit dem man es vorerst probiren will — und die Nationalversammlung findet, daß das Gesetz der Gemeinde viel zu viel zugestehe, daß das Gouvernement mit einer solchen Selbstständigkeit nicht bestehen könne! Es wird zwar den Gemeinderäthen der kleinen Gemein- den nach dem Entwurf die Wahl des Maires überlassen; dage- gen in allen Städten von mehr als 6000 Einwohnern und in allen Departements= und Bezirkshauptorten bleibt auch fortan die Wahl der Maires in den Händen der Regierung. Eine merk- würdige Unterscheidung, die es so recht klar macht, wie nicht die Natur der Sache, sondern einzig das Streben Einfluß in den Departementen von Paris aus zu üben, das Gesetz eingab. Denn größere Städte sind doch wahrlich durch ihre Jntelligenz und Bedeutung würdiger und fähiger zur Wahl ihres Maires, als kleine Orte. Allein kleine Orte sind von keiner so großen Wichtigkeit für die Zwecke der jeweiligen Regierung. O glück- seliges souveraines französisches Volk: Du setztest Könige ein und ab; der Opferrauch zahlloser Schmeichelreden steigt von dem Mund zahlloser Redner zu dir auf, dein Lob verkünden täglich hundert Zeitungen; souverain bist du und allmächtig! Du wählst in unmittelbaren Wahlen Jene, welche Frankreich regieren; aber deinen Bürgermeister dir wählen, das kannst und darfst du nicht, und wäre dir doch oft viel besser, du dürftest deinen Maire dir selber wählen und zu Haus in deiner Gemeinde deinen eigenen Haushalt führen, als daß du die Ehre hast einen Deputirten zu schicken, der in Paris Reden halten unn decretiren hilft, daß die Wahl deines Bürgermeisters dir nicht überlassen wer- den könne! Doch die Nationalversammlung hat es dabei nicht bewenden lassen, damit trotz jenes Scheinzugeständnisses an die kleineren Gemeinden dennoch jeder Bürgermeister ganz in den Händen der Regierung, resp. des Herrn Präfecten, auf deutsch Kreisrathes sey, hat sie beschlossen, daß die Regierung und der Präfect die Bürgermeister suspendiren und absetzen könne. Doch lassen wir die Franzosen ihre Sachen treiben und wen- den wir uns nach unserem deutschen Vaterlande. Der Reichstag zu Frankfurt berathet in diesen Tagen die Grundrechte des deut- schen Volkes. Jn keinem Lande der Erde hat je die Gemeinde- freiheit so herrlich geblüht und so köstliche Früchte getragen als im alten deutschen Reich. Wer kennt nicht selbst in unserer Zeit, mit ihrem so überaus kurzen Gedächtniß und äußerst hochmüthi- gen Verachtung gegen alles Alte, wer kennt nicht wenigstens sagenhaft die Herrlichkeit der freien deutschen Städte? Seitdem man aber in Deutschland, nachdem der unglückselige dreißigjäh- rige Krieg seine Kraft gebrochen, auf die Nachäfferei der Frem- den sich verlegte, und zuerst Ludwig XIV., dann Napoleon nach- ahmte, ist auch bei uns die Gemeindefreiheit mehr und mehr zu Grabe gegangen. Das ganze Werk des Reichstags wäre eitel und die ganze neue Freiheit ein leerer Dunst, wenn nicht jetzt die alte ächt=germanische Freiheit und Selbstständigkeit der Gemeinde wie- derhergestellt wird. Wir haben allen Grund dies von dem Parlamente zu hoffen. Allein eben jetzt wird ein Artikel berathen, der eine Lebensfrage für die Selbstständigkeit und das Wohl der Gemeinden ist. Es fragt sich nämlich: soll es jedem Deutschen freistehen, in jeder Gemeinde ohne Weiteres sich anzusiedeln und Gemeindebürgerrecht zu erwerben, oder soll beides von der Genehmigung der Gemeinde abhängen? Der Entwurf hat sich zwar weder für das Eine noch für das Andere entschieden, son- dern einstweilen bezüglich der Erlangung des Gemeindebürger- rechts Alles den verschiedenen bestehenden Landesgesetzen über- lassen: allein dieses Provisorium ist gewiß nicht zu billigen, wo es gilt die wichtigsten Fragen zu entscheiden und eben das deutsche Volk aus der Misere zu befreien, worin es sich meist durch die modernen Territorialgesetze befindet. Jene Frage aber, ob jeder Gemeinde die Entscheidung über die Niederlassung und Einbür- gerung in ihrer Mitte zustehe, oder ob jeder Einzelne sich nieder- lassen und Ortsbürgerrecht erwerben könne wie er wolle, ist, wie gesagt, eine Lebensfrage für Deutschlands Zukunft. Die Radicalen, wie alle Kinder des flachen Liberalismus, werden ohne Zweifel dafür rednern und stimmen, daß Jeder sich niederlassen und Bürgerrecht erwerben könne, wo und wie er wolle. Die herrlichsten Phrasen über Freiheit und Menschenrechte wird man hören lassen! Um der sehr handgreiflichen Einwendung zu begegnen, daß dadurch eine sonst wohlhabende Gemeinde mit

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 26. Mainz, 11. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal026_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.