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Mainzer Journal. Nr. 29. Mainz, 14. Juli 1848.

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[Beginn Spaltensatz] Aerzte und barmherzigen Schwestern die gebührende Anerkennung
gezollt hatte, kam der Gesetzvorschlag über den freiwilligen Ein-
tritt in's Heer im Alter von 17 Jahren zur Berathung. Mehrere
Generäle, wahrscheinlich Soldaten von der alten Schule, be-
merkten dagegen, Freiwillige von siebenzehn Jahren könnten die
Kriegsstrapatzen noch nicht ertragen, junge Leute dürften zu einer
Zeit, wo sie der sittlichen Leitung noch so sehr bedürften, der
elterlichen Aufsicht nicht entzogen werden, thue man es aber doch,
so werde der Staat am Ende von diesen Freiwilligen mehr Scha-
den als Nutzen haben. Als jedoch Herr Senard, der eigentliche
Redner des Ministeriums, der Kammer ganz offenherzig zu Ge-
müth führte, die Maasregel sey ja nur eine politische und es
würden wohl schon wieder bessere Zeiten kommen, es thue jetzt
vor allen Dingen Noth, die hoffnungsvollen "Zöglinge der
Nationalwerkstätten" wieder an Ordnung, Disciplin und
Subordination zu gewöhnen und ihnen "das Brod der
Ehre" zu reichen, -- da gab die Kammer zu Allem ihre Ein-
willigung. Eben so offenherzig erklärte Herr Senard der Ver-
sammlung, die Regierung brauche auch jetzt noch Geld für die
Organisation der geheimen Polizei -- ein Thema, worüber
früher von den Oppositionsmännern aller Farben die donnernd-
sten Reden gehalten wurden -- und die Kammer gewährte ohne
Weiteres Alles, was man wollte. Wie sehr muß sich Louis Phi-
lippe nicht freuen, daß die Gallier, obgleich sie ihn vertrieben,
dennoch trotz der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sein
System mit aller Gewalt behalten wollen!

Die Gesetzmacherei und Volksvertretung kommt das franzö-
sische Volk noch theurer zu stehen als das deutsche. Man höre
und staune! Die Diäten der Kammer, welche im vorigen Jahre
nur 786,599 Francs betrugen, belaufen sich für die acht Monate
des Jahres 1848 auf 6 Millionen und 224,217 Francs. Jeder
Volksrepräsentant bezieht täglich 25 Francs, die von keinem
Huissier mit Beschlag belegt werden dürfen. Dabei ist die Natio-
nalversammlung noch mit großer Sparsamkeit zu Werke gegangen
und hat z. B. das Buffet, an welchem seit 1830 den Deputirten
die Erfrischungen umsonst verabreicht wurden und welches den
Staat jährlich 42,000 Francs kostete, abgeschafft. Dieses Jahr
würden die Ausgaben für Limonade und Zuckerwasser mehr als
60,000 Francs verschlungen haben.

Der Oberst der Lyoner Bürgerartillerie, Felix Blanc, der
sich während der Pariser Junierreignisse in der Hauptstadt[unleserliches Material] herum-
getrieben, ist nach seiner Heimkehr verhaftet worden. Ebenso
wurde der letztabgegangene Eilwagen zwischen Paris und Lyon
auf höheren Befehl angehalten, weil man vermuthete, er über-
bringe den Plan zu einem neuen, in Lyon zu veranstaltenden
Barrikadenkampf. Alle Zeichen weisen darauf hin, wie weit-
verbreitet die letzte Pariser Verschwörung war.

Von belgischen Blättern wird das bekannte oder berüchtigte
Santo=Thomas im Staate Guatemala als der Ort vorgeschla-
gen, an welchen die Republik ihre rebellischen Söhne transpor-
tiren soll. Auch von Madagaskar war schon mehrfach die Rede.

Börse vom 10. Juli. Ohne irgend ein politisches Motiv
lediglich in Folge des unbefriedigenden Standes der Bank hatte
die heutige Börse eine rückgängige Richtung angenommen. 5%
Renten gingen von Frs. 78 auf Frcs. 77. -- 3% von Frs. 50.
50 auf Frcs. 49. 50 zurück. Bankactien anfangs 1775 fielen auf
1600 und schlossen 1620. -- Schatzscheine 12--14% Verlust.
Orleans 685. Rouen 510. Strasburg 363. 75. Nantes 350.
Marseille 245. Bordeaux 405. Nordbahn 370. Lyon 333. 75.
Basel 97. 50.

Paris 5. Juli. ( A. Z. ) Jedermann fühlt, daß der Zustand,
in dem wir uns befinden, ein transitorischer ist. Ein definitives
Militärregiment will man in Frankreich nicht, und selbst die tap-
feren Generale, die durch eine unabweisbare Nothwendigkeit an
die Spitze der Regierung gestellt wurden, denken nicht entfernt an
eine Wiederholung der Consular= oder Jmperialzeit in Frankreich.
Was aber merkwürdiger ist und das Ausland weit mehr interes-
sirt, als die bürgerliche Tendenz im Jnnern, trotz der militäri-
schen Außenseite, daß ist, daß man heute noch viel weniger
an Krieg und Eroberung denkt,
als unter der provisori-
schen Regierung und der Executivcommission. Was unter der
provisorischen Regierung ein schöner Traum, eine Jdylle war,
was unter der Executivcommission alle Wahrscheinlichkeit ver-
loren hatte, denn man war nicht mehr Herr der Situation,
das ist heute verständiger Ernst und fester Entschluß. Frankreich
will seine ganze Kraft für sich behalten, und wahrlich es bedarf
ihrer. Die Republik wird gewiß keine frivole Gelegenheit geben,
sie anzugreifen, und wird sich von jeder Eroberungsvelleität
frei halten. Die Generale, die jetzt das Staatsruder in Hän-
[Spaltenumbruch] den haben, retteten Frankreich und vielleicht Europa vor dem
entsetzlichsten Bürgerkriege -- sie sind vor Allem Bürger, und
dann erst Soldaten -- wie sollten sie der Anarchie durch einen
europäischen Krieg die Hand bieten? Daß sich in Algier Herz und
Verstand reiner und klarer erhielten, als in unserer corrum-
pirten Pariser Gesellschaft, das ist die Wahrheit. Als General
Lamoriciere im verflossenen Jahre zum erstenmal über die Ge-
fangennehmung Abd=El=Kaders sprach, da wehte aus jedem
Gedanken frisches, gesundes Leben, wie es die heuchlerische
Kammer längst nicht mehr zu hören gewöhnt war. Wenn Cavaig-
nac heute in der Nationalversammlung spricht, so erstaunen die Her-
ren von der alten Linken über die frische, edle, kernige Natur; unsere
kranke, verpestete Gesellschaft war an uncomponirte, gesunde
Gedanken gar nicht mehr gewöhnt -- die Stimme aus der Sa-
hara erquickte sie, die Thaten des Afrikaners retteten sie -- als
es galt den vortrefflichen General auf die höchste Stufe der Macht
zu erheben, widersprach auch nicht eine einzige Stimme, nicht
Lamartine, nicht Flocon, nicht Ledru=Rollin, sie fühlten sich alle-
sammt gerettet! Und gehen Sie heute durch die Straßen von
Paris und wollen Sie sich nicht selber belügen, so sehen Sie
Beruhigung auf allen Gesichtern, auf denen der Arbeiter wie
der Bürger -- man fühli sich wieder sicher und fühlt sich wieder
frei. Der Franzose fühle, daß der Staat wieder ein Steuer-
ruder hat, und bekanntlich ist der Drang darnach eines der her-
vorstechendsten Züge des französischen Nationalcharakters. Noch
sind wir nicht über alle Stürme hinweg -- wenigstens aber haben
wir jetzt eine Regierung, die sie nicht heraufbeschwört und die nicht
mit ihnen spielt. Kommen sie trotzdem, nun so ist es wenigstens nicht
die Schuld derer, die berufen sind den Staat vor ihnen zu be-
wahren.

Lyon 7. Juli. ( K. Z. ) Von allen Seiten wurden in den
letzten Tagen wieder Truppen hierher gezogen. Die Alpenarmee
lieferte namentlich ein sehr starkes Contingent. Telegraphische
Meldungen aus Paris forderten die Civil= und Militärbehörden
zu starker Wachsamkeit und energischen Maßregeln auf, da die Re-
giernng einem ausgedehnten Complotte auf der Spur sey. Croix-
Rousse, dieser ewige Heerd von Emeuten, ward gestern von impo-
santen militärischen Streitkräften umzingelt, indessen wurde die
Ruhe nirgends gestört. Ganz Lyon gleicht einem Militärlager. Jn
allen Städten des Südens läßt die Regierung die Besatzungen ver-
stärken; die Alpenarmee wird in diesem Augenblicke bloß für den
Dienst im Jnnern verwendet und kann eigentlich gar nicht als
Beobachtungscorps für die Gränze betrachtet werden. Frankreich
wäre in Verlegenheit, wenn es heute oder morgen von Jtalien
um bewaffnetes Einschreiten gebeten würde. Alle Berichte,
welche uns aus diesem Lande zukommen, sprechen von nicht
unbedeutenden Siegen der Oesterreicher. Wie es scheint, verliert
Piemont allmählig die Früchte seiner ersten Siege, und kommt
ihm die französische Armee nicht bald zu Hülfe, so wird seine
Lage eine trostlose. Diesen Morgen haben wir einen neuen Prä-
fecten erhalten -- den vierten seit der Februarrevolution. Die
Verwaltung leidet durch diesen häufigen Wechsel gewaltig. Man
spricht noch immer von einer vollständigen Entwaffnung der Na-
tionalgarde und einer gänzlichen Reorganisation derselben. Alle
Weisungen aus Paris zeigen klar, daß wir jetzt von Generalen
regiert werden.

Türkei.

Durch Briefe aus Constantinopel vom 28. Juni erhalten
wir die Nachricht, daß Reschid Pascha, der Reformminister, reac-
tivirt ist. Er wurde zum Minister ohne Portefeuille ernannt.



Vermiethung.

Dienstag den 25. Juli 1848, des Nachmittags um zwei Uhr, wer-
den in dem St. Rochushospitale dahier nachbemerkte Localitäten in
dem dem hiesigen Hospizienfond zugehörigen Hause Lit. C. Nr. 365 da-
hier ( vormaliges Heilig=Geisthospital ) , auf6 3 / 4 Jahre, von Michaelis
1848 bis Johannis 1855, öffentlich vermiethet werden, als:

1 ) ein Laden mit zwei Thüren, unmittelbar neben der Einfahrt des
Hauses, mit einem dahinter gelegenen Ladenzimmer;

2 ) ein Laden neben dem obigen mit einer Thüre;

3 ) ein Laden neben dem vorerwähnten mit einer Thüre und einem
anstoßenden Ladenzimmer;

4 ) eine Wohnung im ersten Stocke, bestehend aus zwei Zimmern,
einer Küche und einem kleinen Keller.

Sämmtliche Localitäten sind gänzlich neu hergestellt.

Die Bedingnisse der Vermiethung können auf der Schreibstube des
Unterzeichneten täglich eingesehen werden.

Mainz, den 12. Juli 1848.

Der Hospizien=Einnehmer,
Moser.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] Aerzte und barmherzigen Schwestern die gebührende Anerkennung
gezollt hatte, kam der Gesetzvorschlag über den freiwilligen Ein-
tritt in's Heer im Alter von 17 Jahren zur Berathung. Mehrere
Generäle, wahrscheinlich Soldaten von der alten Schule, be-
merkten dagegen, Freiwillige von siebenzehn Jahren könnten die
Kriegsstrapatzen noch nicht ertragen, junge Leute dürften zu einer
Zeit, wo sie der sittlichen Leitung noch so sehr bedürften, der
elterlichen Aufsicht nicht entzogen werden, thue man es aber doch,
so werde der Staat am Ende von diesen Freiwilligen mehr Scha-
den als Nutzen haben. Als jedoch Herr Senard, der eigentliche
Redner des Ministeriums, der Kammer ganz offenherzig zu Ge-
müth führte, die Maasregel sey ja nur eine politische und es
würden wohl schon wieder bessere Zeiten kommen, es thue jetzt
vor allen Dingen Noth, die hoffnungsvollen „Zöglinge der
Nationalwerkstätten“ wieder an Ordnung, Disciplin und
Subordination zu gewöhnen und ihnen „das Brod der
Ehre“ zu reichen, — da gab die Kammer zu Allem ihre Ein-
willigung. Eben so offenherzig erklärte Herr Senard der Ver-
sammlung, die Regierung brauche auch jetzt noch Geld für die
Organisation der geheimen Polizei — ein Thema, worüber
früher von den Oppositionsmännern aller Farben die donnernd-
sten Reden gehalten wurden — und die Kammer gewährte ohne
Weiteres Alles, was man wollte. Wie sehr muß sich Louis Phi-
lippe nicht freuen, daß die Gallier, obgleich sie ihn vertrieben,
dennoch trotz der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sein
System mit aller Gewalt behalten wollen!

Die Gesetzmacherei und Volksvertretung kommt das franzö-
sische Volk noch theurer zu stehen als das deutsche. Man höre
und staune! Die Diäten der Kammer, welche im vorigen Jahre
nur 786,599 Francs betrugen, belaufen sich für die acht Monate
des Jahres 1848 auf 6 Millionen und 224,217 Francs. Jeder
Volksrepräsentant bezieht täglich 25 Francs, die von keinem
Huissier mit Beschlag belegt werden dürfen. Dabei ist die Natio-
nalversammlung noch mit großer Sparsamkeit zu Werke gegangen
und hat z. B. das Buffet, an welchem seit 1830 den Deputirten
die Erfrischungen umsonst verabreicht wurden und welches den
Staat jährlich 42,000 Francs kostete, abgeschafft. Dieses Jahr
würden die Ausgaben für Limonade und Zuckerwasser mehr als
60,000 Francs verschlungen haben.

Der Oberst der Lyoner Bürgerartillerie, Felix Blanc, der
sich während der Pariser Junierreignisse in der Hauptstadt[unleserliches Material] herum-
getrieben, ist nach seiner Heimkehr verhaftet worden. Ebenso
wurde der letztabgegangene Eilwagen zwischen Paris und Lyon
auf höheren Befehl angehalten, weil man vermuthete, er über-
bringe den Plan zu einem neuen, in Lyon zu veranstaltenden
Barrikadenkampf. Alle Zeichen weisen darauf hin, wie weit-
verbreitet die letzte Pariser Verschwörung war.

Von belgischen Blättern wird das bekannte oder berüchtigte
Santo=Thomas im Staate Guatemala als der Ort vorgeschla-
gen, an welchen die Republik ihre rebellischen Söhne transpor-
tiren soll. Auch von Madagaskar war schon mehrfach die Rede.

Börse vom 10. Juli. Ohne irgend ein politisches Motiv
lediglich in Folge des unbefriedigenden Standes der Bank hatte
die heutige Börse eine rückgängige Richtung angenommen. 5%
Renten gingen von Frs. 78 auf Frcs. 77. — 3% von Frs. 50.
50 auf Frcs. 49. 50 zurück. Bankactien anfangs 1775 fielen auf
1600 und schlossen 1620. — Schatzscheine 12—14% Verlust.
Orleans 685. Rouen 510. Strasburg 363. 75. Nantes 350.
Marseille 245. Bordeaux 405. Nordbahn 370. Lyon 333. 75.
Basel 97. 50.

Paris 5. Juli. ( A. Z. ) Jedermann fühlt, daß der Zustand,
in dem wir uns befinden, ein transitorischer ist. Ein definitives
Militärregiment will man in Frankreich nicht, und selbst die tap-
feren Generale, die durch eine unabweisbare Nothwendigkeit an
die Spitze der Regierung gestellt wurden, denken nicht entfernt an
eine Wiederholung der Consular= oder Jmperialzeit in Frankreich.
Was aber merkwürdiger ist und das Ausland weit mehr interes-
sirt, als die bürgerliche Tendenz im Jnnern, trotz der militäri-
schen Außenseite, daß ist, daß man heute noch viel weniger
an Krieg und Eroberung denkt,
als unter der provisori-
schen Regierung und der Executivcommission. Was unter der
provisorischen Regierung ein schöner Traum, eine Jdylle war,
was unter der Executivcommission alle Wahrscheinlichkeit ver-
loren hatte, denn man war nicht mehr Herr der Situation,
das ist heute verständiger Ernst und fester Entschluß. Frankreich
will seine ganze Kraft für sich behalten, und wahrlich es bedarf
ihrer. Die Republik wird gewiß keine frivole Gelegenheit geben,
sie anzugreifen, und wird sich von jeder Eroberungsvelleität
frei halten. Die Generale, die jetzt das Staatsruder in Hän-
[Spaltenumbruch] den haben, retteten Frankreich und vielleicht Europa vor dem
entsetzlichsten Bürgerkriege — sie sind vor Allem Bürger, und
dann erst Soldaten — wie sollten sie der Anarchie durch einen
europäischen Krieg die Hand bieten? Daß sich in Algier Herz und
Verstand reiner und klarer erhielten, als in unserer corrum-
pirten Pariser Gesellschaft, das ist die Wahrheit. Als General
Lamoricière im verflossenen Jahre zum erstenmal über die Ge-
fangennehmung Abd=El=Kaders sprach, da wehte aus jedem
Gedanken frisches, gesundes Leben, wie es die heuchlerische
Kammer längst nicht mehr zu hören gewöhnt war. Wenn Cavaig-
nac heute in der Nationalversammlung spricht, so erstaunen die Her-
ren von der alten Linken über die frische, edle, kernige Natur; unsere
kranke, verpestete Gesellschaft war an uncomponirte, gesunde
Gedanken gar nicht mehr gewöhnt — die Stimme aus der Sa-
hara erquickte sie, die Thaten des Afrikaners retteten sie — als
es galt den vortrefflichen General auf die höchste Stufe der Macht
zu erheben, widersprach auch nicht eine einzige Stimme, nicht
Lamartine, nicht Flocon, nicht Ledru=Rollin, sie fühlten sich alle-
sammt gerettet! Und gehen Sie heute durch die Straßen von
Paris und wollen Sie sich nicht selber belügen, so sehen Sie
Beruhigung auf allen Gesichtern, auf denen der Arbeiter wie
der Bürger — man fühli sich wieder sicher und fühlt sich wieder
frei. Der Franzose fühle, daß der Staat wieder ein Steuer-
ruder hat, und bekanntlich ist der Drang darnach eines der her-
vorstechendsten Züge des französischen Nationalcharakters. Noch
sind wir nicht über alle Stürme hinweg — wenigstens aber haben
wir jetzt eine Regierung, die sie nicht heraufbeschwört und die nicht
mit ihnen spielt. Kommen sie trotzdem, nun so ist es wenigstens nicht
die Schuld derer, die berufen sind den Staat vor ihnen zu be-
wahren.

Lyon 7. Juli. ( K. Z. ) Von allen Seiten wurden in den
letzten Tagen wieder Truppen hierher gezogen. Die Alpenarmee
lieferte namentlich ein sehr starkes Contingent. Telegraphische
Meldungen aus Paris forderten die Civil= und Militärbehörden
zu starker Wachsamkeit und energischen Maßregeln auf, da die Re-
giernng einem ausgedehnten Complotte auf der Spur sey. Croix-
Rousse, dieser ewige Heerd von Emeuten, ward gestern von impo-
santen militärischen Streitkräften umzingelt, indessen wurde die
Ruhe nirgends gestört. Ganz Lyon gleicht einem Militärlager. Jn
allen Städten des Südens läßt die Regierung die Besatzungen ver-
stärken; die Alpenarmee wird in diesem Augenblicke bloß für den
Dienst im Jnnern verwendet und kann eigentlich gar nicht als
Beobachtungscorps für die Gränze betrachtet werden. Frankreich
wäre in Verlegenheit, wenn es heute oder morgen von Jtalien
um bewaffnetes Einschreiten gebeten würde. Alle Berichte,
welche uns aus diesem Lande zukommen, sprechen von nicht
unbedeutenden Siegen der Oesterreicher. Wie es scheint, verliert
Piemont allmählig die Früchte seiner ersten Siege, und kommt
ihm die französische Armee nicht bald zu Hülfe, so wird seine
Lage eine trostlose. Diesen Morgen haben wir einen neuen Prä-
fecten erhalten — den vierten seit der Februarrevolution. Die
Verwaltung leidet durch diesen häufigen Wechsel gewaltig. Man
spricht noch immer von einer vollständigen Entwaffnung der Na-
tionalgarde und einer gänzlichen Reorganisation derselben. Alle
Weisungen aus Paris zeigen klar, daß wir jetzt von Generalen
regiert werden.

Türkei.

Durch Briefe aus Constantinopel vom 28. Juni erhalten
wir die Nachricht, daß Reschid Pascha, der Reformminister, reac-
tivirt ist. Er wurde zum Minister ohne Portefeuille ernannt.



Vermiethung.

Dienstag den 25. Juli 1848, des Nachmittags um zwei Uhr, wer-
den in dem St. Rochushospitale dahier nachbemerkte Localitäten in
dem dem hiesigen Hospizienfond zugehörigen Hause Lit. C. Nr. 365 da-
hier ( vormaliges Heilig=Geisthospital ) , auf6 3 / 4 Jahre, von Michaelis
1848 bis Johannis 1855, öffentlich vermiethet werden, als:

1 ) ein Laden mit zwei Thüren, unmittelbar neben der Einfahrt des
Hauses, mit einem dahinter gelegenen Ladenzimmer;

2 ) ein Laden neben dem obigen mit einer Thüre;

3 ) ein Laden neben dem vorerwähnten mit einer Thüre und einem
anstoßenden Ladenzimmer;

4 ) eine Wohnung im ersten Stocke, bestehend aus zwei Zimmern,
einer Küche und einem kleinen Keller.

Sämmtliche Localitäten sind gänzlich neu hergestellt.

Die Bedingnisse der Vermiethung können auf der Schreibstube des
Unterzeichneten täglich eingesehen werden.

Mainz, den 12. Juli 1848.

Der Hospizien=Einnehmer,
Moser.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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[0004] Aerzte und barmherzigen Schwestern die gebührende Anerkennung gezollt hatte, kam der Gesetzvorschlag über den freiwilligen Ein- tritt in's Heer im Alter von 17 Jahren zur Berathung. Mehrere Generäle, wahrscheinlich Soldaten von der alten Schule, be- merkten dagegen, Freiwillige von siebenzehn Jahren könnten die Kriegsstrapatzen noch nicht ertragen, junge Leute dürften zu einer Zeit, wo sie der sittlichen Leitung noch so sehr bedürften, der elterlichen Aufsicht nicht entzogen werden, thue man es aber doch, so werde der Staat am Ende von diesen Freiwilligen mehr Scha- den als Nutzen haben. Als jedoch Herr Senard, der eigentliche Redner des Ministeriums, der Kammer ganz offenherzig zu Ge- müth führte, die Maasregel sey ja nur eine politische und es würden wohl schon wieder bessere Zeiten kommen, es thue jetzt vor allen Dingen Noth, die hoffnungsvollen „Zöglinge der Nationalwerkstätten“ wieder an Ordnung, Disciplin und Subordination zu gewöhnen und ihnen „das Brod der Ehre“ zu reichen, — da gab die Kammer zu Allem ihre Ein- willigung. Eben so offenherzig erklärte Herr Senard der Ver- sammlung, die Regierung brauche auch jetzt noch Geld für die Organisation der geheimen Polizei — ein Thema, worüber früher von den Oppositionsmännern aller Farben die donnernd- sten Reden gehalten wurden — und die Kammer gewährte ohne Weiteres Alles, was man wollte. Wie sehr muß sich Louis Phi- lippe nicht freuen, daß die Gallier, obgleich sie ihn vertrieben, dennoch trotz der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sein System mit aller Gewalt behalten wollen! Die Gesetzmacherei und Volksvertretung kommt das franzö- sische Volk noch theurer zu stehen als das deutsche. Man höre und staune! Die Diäten der Kammer, welche im vorigen Jahre nur 786,599 Francs betrugen, belaufen sich für die acht Monate des Jahres 1848 auf 6 Millionen und 224,217 Francs. Jeder Volksrepräsentant bezieht täglich 25 Francs, die von keinem Huissier mit Beschlag belegt werden dürfen. Dabei ist die Natio- nalversammlung noch mit großer Sparsamkeit zu Werke gegangen und hat z. B. das Buffet, an welchem seit 1830 den Deputirten die Erfrischungen umsonst verabreicht wurden und welches den Staat jährlich 42,000 Francs kostete, abgeschafft. Dieses Jahr würden die Ausgaben für Limonade und Zuckerwasser mehr als 60,000 Francs verschlungen haben. Der Oberst der Lyoner Bürgerartillerie, Felix Blanc, der sich während der Pariser Junierreignisse in der Hauptstadt_ herum- getrieben, ist nach seiner Heimkehr verhaftet worden. Ebenso wurde der letztabgegangene Eilwagen zwischen Paris und Lyon auf höheren Befehl angehalten, weil man vermuthete, er über- bringe den Plan zu einem neuen, in Lyon zu veranstaltenden Barrikadenkampf. Alle Zeichen weisen darauf hin, wie weit- verbreitet die letzte Pariser Verschwörung war. Von belgischen Blättern wird das bekannte oder berüchtigte Santo=Thomas im Staate Guatemala als der Ort vorgeschla- gen, an welchen die Republik ihre rebellischen Söhne transpor- tiren soll. Auch von Madagaskar war schon mehrfach die Rede. Börse vom 10. Juli. Ohne irgend ein politisches Motiv lediglich in Folge des unbefriedigenden Standes der Bank hatte die heutige Börse eine rückgängige Richtung angenommen. 5% Renten gingen von Frs. 78 auf Frcs. 77. — 3% von Frs. 50. 50 auf Frcs. 49. 50 zurück. Bankactien anfangs 1775 fielen auf 1600 und schlossen 1620. — Schatzscheine 12—14% Verlust. Orleans 685. Rouen 510. Strasburg 363. 75. Nantes 350. Marseille 245. Bordeaux 405. Nordbahn 370. Lyon 333. 75. Basel 97. 50. Paris 5. Juli. ( A. Z. ) Jedermann fühlt, daß der Zustand, in dem wir uns befinden, ein transitorischer ist. Ein definitives Militärregiment will man in Frankreich nicht, und selbst die tap- feren Generale, die durch eine unabweisbare Nothwendigkeit an die Spitze der Regierung gestellt wurden, denken nicht entfernt an eine Wiederholung der Consular= oder Jmperialzeit in Frankreich. Was aber merkwürdiger ist und das Ausland weit mehr interes- sirt, als die bürgerliche Tendenz im Jnnern, trotz der militäri- schen Außenseite, daß ist, daß man heute noch viel weniger an Krieg und Eroberung denkt, als unter der provisori- schen Regierung und der Executivcommission. Was unter der provisorischen Regierung ein schöner Traum, eine Jdylle war, was unter der Executivcommission alle Wahrscheinlichkeit ver- loren hatte, denn man war nicht mehr Herr der Situation, das ist heute verständiger Ernst und fester Entschluß. Frankreich will seine ganze Kraft für sich behalten, und wahrlich es bedarf ihrer. Die Republik wird gewiß keine frivole Gelegenheit geben, sie anzugreifen, und wird sich von jeder Eroberungsvelleität frei halten. Die Generale, die jetzt das Staatsruder in Hän- den haben, retteten Frankreich und vielleicht Europa vor dem entsetzlichsten Bürgerkriege — sie sind vor Allem Bürger, und dann erst Soldaten — wie sollten sie der Anarchie durch einen europäischen Krieg die Hand bieten? Daß sich in Algier Herz und Verstand reiner und klarer erhielten, als in unserer corrum- pirten Pariser Gesellschaft, das ist die Wahrheit. Als General Lamoricière im verflossenen Jahre zum erstenmal über die Ge- fangennehmung Abd=El=Kaders sprach, da wehte aus jedem Gedanken frisches, gesundes Leben, wie es die heuchlerische Kammer längst nicht mehr zu hören gewöhnt war. Wenn Cavaig- nac heute in der Nationalversammlung spricht, so erstaunen die Her- ren von der alten Linken über die frische, edle, kernige Natur; unsere kranke, verpestete Gesellschaft war an uncomponirte, gesunde Gedanken gar nicht mehr gewöhnt — die Stimme aus der Sa- hara erquickte sie, die Thaten des Afrikaners retteten sie — als es galt den vortrefflichen General auf die höchste Stufe der Macht zu erheben, widersprach auch nicht eine einzige Stimme, nicht Lamartine, nicht Flocon, nicht Ledru=Rollin, sie fühlten sich alle- sammt gerettet! Und gehen Sie heute durch die Straßen von Paris und wollen Sie sich nicht selber belügen, so sehen Sie Beruhigung auf allen Gesichtern, auf denen der Arbeiter wie der Bürger — man fühli sich wieder sicher und fühlt sich wieder frei. Der Franzose fühle, daß der Staat wieder ein Steuer- ruder hat, und bekanntlich ist der Drang darnach eines der her- vorstechendsten Züge des französischen Nationalcharakters. Noch sind wir nicht über alle Stürme hinweg — wenigstens aber haben wir jetzt eine Regierung, die sie nicht heraufbeschwört und die nicht mit ihnen spielt. Kommen sie trotzdem, nun so ist es wenigstens nicht die Schuld derer, die berufen sind den Staat vor ihnen zu be- wahren. Lyon 7. Juli. ( K. Z. ) Von allen Seiten wurden in den letzten Tagen wieder Truppen hierher gezogen. Die Alpenarmee lieferte namentlich ein sehr starkes Contingent. Telegraphische Meldungen aus Paris forderten die Civil= und Militärbehörden zu starker Wachsamkeit und energischen Maßregeln auf, da die Re- giernng einem ausgedehnten Complotte auf der Spur sey. Croix- Rousse, dieser ewige Heerd von Emeuten, ward gestern von impo- santen militärischen Streitkräften umzingelt, indessen wurde die Ruhe nirgends gestört. Ganz Lyon gleicht einem Militärlager. Jn allen Städten des Südens läßt die Regierung die Besatzungen ver- stärken; die Alpenarmee wird in diesem Augenblicke bloß für den Dienst im Jnnern verwendet und kann eigentlich gar nicht als Beobachtungscorps für die Gränze betrachtet werden. Frankreich wäre in Verlegenheit, wenn es heute oder morgen von Jtalien um bewaffnetes Einschreiten gebeten würde. Alle Berichte, welche uns aus diesem Lande zukommen, sprechen von nicht unbedeutenden Siegen der Oesterreicher. Wie es scheint, verliert Piemont allmählig die Früchte seiner ersten Siege, und kommt ihm die französische Armee nicht bald zu Hülfe, so wird seine Lage eine trostlose. Diesen Morgen haben wir einen neuen Prä- fecten erhalten — den vierten seit der Februarrevolution. Die Verwaltung leidet durch diesen häufigen Wechsel gewaltig. Man spricht noch immer von einer vollständigen Entwaffnung der Na- tionalgarde und einer gänzlichen Reorganisation derselben. Alle Weisungen aus Paris zeigen klar, daß wir jetzt von Generalen regiert werden. Türkei. Durch Briefe aus Constantinopel vom 28. Juni erhalten wir die Nachricht, daß Reschid Pascha, der Reformminister, reac- tivirt ist. Er wurde zum Minister ohne Portefeuille ernannt. Vermiethung. Dienstag den 25. Juli 1848, des Nachmittags um zwei Uhr, wer- den in dem St. Rochushospitale dahier nachbemerkte Localitäten in dem dem hiesigen Hospizienfond zugehörigen Hause Lit. C. Nr. 365 da- hier ( vormaliges Heilig=Geisthospital ) , auf6 3 / 4 Jahre, von Michaelis 1848 bis Johannis 1855, öffentlich vermiethet werden, als: 1 ) ein Laden mit zwei Thüren, unmittelbar neben der Einfahrt des Hauses, mit einem dahinter gelegenen Ladenzimmer; 2 ) ein Laden neben dem obigen mit einer Thüre; 3 ) ein Laden neben dem vorerwähnten mit einer Thüre und einem anstoßenden Ladenzimmer; 4 ) eine Wohnung im ersten Stocke, bestehend aus zwei Zimmern, einer Küche und einem kleinen Keller. Sämmtliche Localitäten sind gänzlich neu hergestellt. Die Bedingnisse der Vermiethung können auf der Schreibstube des Unterzeichneten täglich eingesehen werden. Mainz, den 12. Juli 1848. Der Hospizien=Einnehmer, Moser. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 29. Mainz, 14. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal029_1848/4>, abgerufen am 21.11.2024.