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Mainzer Journal. Nr. 63. Mainz, 18. August 1848.

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[Beginn Spaltensatz] worden und habe sich bis nach Goito zurückgezogen! Die Stimm-
ung ist seitdem die aufgeregteste. Vorgestern Abend versammelte
sich ein Haufen Volks vor dem Palast des Gouverneurs und
schrie: Abbasso il ministerio! Morte a Ridolfi! Viva Guerrazzi
e il governo provisorio
! ( Nieder mit dem Ministerium! Tod
dem Ridolfi! Es lebe Guerrazzi und die provisorische Regierung! )
Jn Florenz fand an demselben Abend eine ähnliche und noch
ernstlichere Scene statt. Jch befürchte in Kurzem eine allge-
meine Anarchie in Jtalien.
Gestern Morgen kam mit
dem elektrischen Telegraphen die Nachricht aus Florenz: das Mi-
nisterium habe seine Demission eingereicht, die Deputirten seyen
in permanenter Sitzung, um sich über die Mittel zur Fortsetzung
des Krieges zu berathen, Karl Albert stehe mit 45,000 Mann
schlagfertig in Cremona, von allen Seiten strömten ihm neue
Truppen zu, bereit, die Deutschen zu züchtigen. Hier und in
vielen anderen Städten haben sich viele Zirkel gebildet, um sich
über die Gefahren Jtaliens zu berathen. Gestern wurde in einer
außerordentlichen Sitzung beschlossen, die Regierung zu ersuchen,
unverzüglich eine Truppenaushebung von 10,000 Mann zu be-
treiben und Frankreich um Jntervention zu bitten, unter dem
Versprechen, Savoyen nach Vertreibung der Oesterreicher aus
Jtalien abzutreten. Wird Frankreich gleich dem Sardenkönige,
durch Gewinnsucht gereizt, auch den Verräther gegen Oesterreich
spielen, oder wird es dießmal seinen Friedensbetheuerungen treu
bleiben und sich nicht in fremde Händel mischen? Die nächste
Zukunft wird Dieß zeigen. Jmmerhin wäre der deutschen Cen-
tralgewalt anzurathen, so schnell wie möglich das ganze deutsche
Heer in eine Ehrfurcht gebietende Stellung zu setzen, um auf alle
Fälle gefaßt zu seyn. Da die vielen Großprahlereien der Jta-
liener zu Wasser geworden sind, so möchten sie sich in ihrem ge-
täuschten Nationalstolze lieber dem Kaiser von Marokko als Oe-
sterreich von Neuem unterwerfen. Die Verluste der Piemontesen
müssen in den drei Schlachttagen vom 23., 24. und 25. sehr be-
deutend gewesen seyn. Das Heer Karl Albert's war wenigstens
80,000 Mann stark, und aus einem offiziellen Berichte von Cre-
mona, wo er sich am 28. Juli befand, geht hervor, daß ihm
noch 45,000 Mann übrig geblieben waren. Viele mögen aus-
einander gesprengt worden seyn. Seit zwei Tagen sieht man
nirgends mehr Karikaturen auf die Oesterreicher. Der greise und
tapfere General Radetzky hat den Jtalienern gezeigt, daß er kein
Krebs oder Hummer ist, und daß seine Soldaten nicht aus einer
Papierfabrik genommen waren. Am Einfältigsten war eine Ka-
rikatur, wo die Lombardei als eine wüthende Kuh dargestellt
wird. Ein Oesterreicher wird mit den Hörnern in die Luft ge-
worfen und einige andere mit Füßen getreten. Daneben stehen
einige Kübel voll Milch, um anzudeuten, Oesterreich habe das
lombardisch=venetianische Königreich ganz ausgesogen. Die ita-
lienische Kuh brachte Oesterreich jährlich 40 Millionen Gulden ein,
und das Futter für dieselbe kostete immer einige Millionen mehr!

Frankreich.

* * * Paris 16. August. Wegen des hohen Festes, des
alten Napoleonstages, war gestern weder Kammersitzung noch
Börse, heute sind die meisten Blätter nicht erschienen und die
Ausbeute an Neuigkeiten ist darum nur gering. Ueberhaupt ist
die Stille der französischen Blätter über die italienischen Ange-
legenheiten seit einigen Tagen sehr auffallend, und wer über den
Gang der Verhandlungen etwas erfahren will, muß zu den eng-
lischen Zeitungen seine Zuflucht nehmen, die schon mehr aus der
Schule schwatzen. So bemerken die gestrigen Times: "Wir
müssen dem Lord Palmerston Gerechtigkeit widerfahren lassen für
die Einsicht, die er jetzt gewonnen hat, daß das Geringste,
was man Oesterreich vorschlagen kann, die Etschlinie ist, und er
hat auch in der That die französische Regierung bewogen, auf
diese Grundlage hin die Unterhandlungen zu eröffnen. Was die
Lombardei betrifft, so glauben wir, daß Oesterreich kein besonderes
Gewicht auf das mailändische Gebiet ohne die Festung Mantua le-
gen wird. Nie wird es aber seine Einwilligung dazu geben, daß das
Mailändische mit Piemont vereinigt werde und der überwundene
Theil eine so reiche Beute erhalte. Wird also die Lombardei vom
österreichischen Kaiserreiche losgetrennt, so gibt sie ein kleines
Herzogthum ohne alle politische Bedeutung und
erkauft ihre Unabhängigkeit um den Preis ihres
Glückes.
" Hat es mit diesem englischen Plane seine Richtigkeit,
so könnte die deutsche Centralgewalt vielleicht einen Coburger oder
einen anderen deutschen Fürsten dort versorgen, der dann seiner-
seits seine angestammten Lande an das künftige Reichsoberhaupt
abtreten müßte. Doch Scherz bei Seite! Die Engländer haben
auf diese Weise wieder einen diplomatischen Sieg über die Fran-
zosen errungen und im Jnteresse ihres Handels Jtalien noch
mehr zerbröckelt als es seither war;
den Franzosen
aber bleibt der Trost, daß sie auch haben -- vermitteln helfen!

Die öffentliche Meinung spricht sich immer mehr dahin aus,
[Spaltenumbruch] daß die Juni=Aufständischen nach Algier transportirt werden sollen
und auch die Regierung scheint dazu geneigt zu seyn. Ob das Jnte-
resse der Colonie dadurch gefördert wird, ist freilich eine andere Frage.

Die Wühler sind in allen Ländern einander gleich: beugt sich
das "souveräne Volk" ihrem Willen, so ist es der Sitz aller
Weisheit und Jntelligenz und es gibt nichts Vortrefflicheres als
das "allgemeine Stimmrecht." Wagt das souveräne Volk aber
anders zu stimmen als seine Leiter wünschen, so wird es thierisch
gescholten und es gibt nichts Schlimmeres als eben das " allge-
meine Stimmrecht." Letzterer Ansicht ist eben auch Proudhon,
der in seinem Representant du peuple das merkwürdige Geständ-
niß ablegt: "Wir müssen uns in Acht nehmen, oder das allgemeine
Stimmrecht richtet uns zu Grunde!" Hoffentlich wird das Volk
sich künftig auch in Acht nehmen!

Paris 14. August. ( Karlsr. Z. ) Jetzt, nachdem selbst der
amtliche Moniteur erklärt hat, daß Frankreich an keine bewaff-
nete Jntervention in Jtalien denkt, läßt sich ganz wohl ein Wort
über die geheimen Gründe sagen, warum General Cavaignac
in keinen auswärtigen Krieg verwickelt werden mag. Obwohl
Frankreich auf der Oberfläche ruhig zu seyn scheint, wird es ge-
genwärtig durch die innern Zerwürfnisse der Parteien, die sich
um den Besitz der Macht streiten, mehr als jemals durchwühlt.
Der Bericht der Commission, welche beauftragt war, der Natio-
nalversammlung über die Aufstände vom 15. Mai und 23. Juni
eine ausführliche Zusammenstellung vorzulegen, hat jede Aus-
söhnung zwischen den alten und neuen Republikanern ( den Re-
publikanern de la veille und du lendemain ) unmöglich gemacht,
und die Debatte, welche über diesen Bericht heute über acht Tage
beginnen soll, wird nur das Vorspiel eines größeren Kampfes
seyn, in welchem das Schicksal der Republik entschieden werden
dürfte. Vergeblich sucht Cavaignac die betreffende Discussion zu
beseitigen. Die Partei Thiers=Odilon=Barrot ( die Neurepubli-
kaner ) weiß zu gut, daß Cavaignac mit den Mitgliedern der frü-
heren provisorischen Regierung ( den Altrepublikanern ) zusam-
menhielt, indem er als gewesener Kriegsminister die Verantwort-
lichkeit sämmtlicher Maßregeln der provisorischen Regierung
theilte. Darum dringt die unter dem Einfluß des Herrn Thiers
stehende Untersuchungscommission der Kammer auf die Veröffent-
lichung aller ihr zugekommenen Zeugenaussagen und Schriftstücke,
worin General Cavaignac persönlich ebenfalls compromittirt ist.
Da nun Thiers und Barrot eben durch diese Veröffentlichung den
General Cavaignac in der öffentlichen Meinung zu Grunde zu
richten hoffen, so halten sie unter der Hand dem General Cavaig-
nac einen Nachfolger als Haupt der vollziehenden Gewalt bereit,
und zwar in der Person des Generals Changarnier, Ober-
befehlshabers der Pariser Nationalgarde. Schon in Algerien
bestand zwischen Cavaignac und Changarnier eine gewisse Riva-
lität, welche durch Thiers, der immer Oel ins Feuer zu gießen
versteht, zweckdienlich genährt und ausgebeutet wird.

So lange aber Cavaignac die Armee, die ihn vergöttert,
für sich hat, kann er der Jntrike des Herrn Thiers, obgleich
Changarnier sich auf die Seite des Letztern neigt, noch die Spitze
bieten. Anders würde es seyn, wenn der Fall einer bewaffneten
Jntervention in Jtalien sich verwirklichen sollte. Da müßte ent-
weder Cavaignac, oder Changarnier, oder Lamorciere den
Oberbefehl der Alpenarmee übernehmen. Entfernt sich General
Cavaignac, so muß er nothwendiger Weise aufhören, das Haupt
der vollziehenden Gewalt zu seyn; in diesem Falle also würde
der Gegenpartei ein leichtes Spiel in die Hand gegeben. Ueber-
läßt er dagegen den Oberberbefehl der Alpenarmee an Chan-
garnier oder Lamorciere, so verstärken diese auf Kosten Ca-
vaignac 's ihren Einfluß bei der Armee, und bekommen vielleicht
Lust, das Beispiel Napoleons nachzuahmen, der sich nach seinen
Feldzügen in Jtalien zum Gebieter Frankreichs aufwarf. Denn
was den General Lamorciere anbelangt, so ist er ebenfalls
ein geheimer Anhänger des Herrn Thiers, dessen Schwägerin
er heirathen soll. Und da die öffentliche Meinung in
Frankreich nicht im geringsten kriegerisch gestimmt ist, sondern
vielmehr in der Erhaltung des Friedens den letzten Rettungsanker
für das Gedeihen der Jndustrie und des Handels erblickt, so hat
General Cavaignac durch die Verweigerung der Jntervention zu
Gunsten Jtaliens seine eigene Stellung eher gesichert, als in Ge-
fahr gebracht. Jm Gegentheil, er wird sich gerade auf so lange
im Besitze der Macht erhalten, als es ihm gelingen wird, die
Möglichkeit eines Friedensbruches ferne zu halten. Sollte auch
nur ein einziger französischer Soldat die Alpen überschreiten,
dann sind vor Allem zwei Ergebnisse unvermeidlich: 1 ) eine Ge-
genrevolution in unserem eigenen Lande, 2 ) ein Bankerott unse-
rer Finanzen. Dies ist so handgreiflich geworden, daß mit Aus-
nahme jener wagelustigen Abenteuerer, welche Nichts zu verlieren
haben, über die Nothwendigkeit der Erhaltung des Friedens nur
eine Stimme unter uns herrscht.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] worden und habe sich bis nach Goito zurückgezogen! Die Stimm-
ung ist seitdem die aufgeregteste. Vorgestern Abend versammelte
sich ein Haufen Volks vor dem Palast des Gouverneurs und
schrie: Abbasso il ministerio! Morte a Ridolfi! Viva Guerrazzi
e il governo provisorio
! ( Nieder mit dem Ministerium! Tod
dem Ridolfi! Es lebe Guerrazzi und die provisorische Regierung! )
Jn Florenz fand an demselben Abend eine ähnliche und noch
ernstlichere Scene statt. Jch befürchte in Kurzem eine allge-
meine Anarchie in Jtalien.
Gestern Morgen kam mit
dem elektrischen Telegraphen die Nachricht aus Florenz: das Mi-
nisterium habe seine Demission eingereicht, die Deputirten seyen
in permanenter Sitzung, um sich über die Mittel zur Fortsetzung
des Krieges zu berathen, Karl Albert stehe mit 45,000 Mann
schlagfertig in Cremona, von allen Seiten strömten ihm neue
Truppen zu, bereit, die Deutschen zu züchtigen. Hier und in
vielen anderen Städten haben sich viele Zirkel gebildet, um sich
über die Gefahren Jtaliens zu berathen. Gestern wurde in einer
außerordentlichen Sitzung beschlossen, die Regierung zu ersuchen,
unverzüglich eine Truppenaushebung von 10,000 Mann zu be-
treiben und Frankreich um Jntervention zu bitten, unter dem
Versprechen, Savoyen nach Vertreibung der Oesterreicher aus
Jtalien abzutreten. Wird Frankreich gleich dem Sardenkönige,
durch Gewinnsucht gereizt, auch den Verräther gegen Oesterreich
spielen, oder wird es dießmal seinen Friedensbetheuerungen treu
bleiben und sich nicht in fremde Händel mischen? Die nächste
Zukunft wird Dieß zeigen. Jmmerhin wäre der deutschen Cen-
tralgewalt anzurathen, so schnell wie möglich das ganze deutsche
Heer in eine Ehrfurcht gebietende Stellung zu setzen, um auf alle
Fälle gefaßt zu seyn. Da die vielen Großprahlereien der Jta-
liener zu Wasser geworden sind, so möchten sie sich in ihrem ge-
täuschten Nationalstolze lieber dem Kaiser von Marokko als Oe-
sterreich von Neuem unterwerfen. Die Verluste der Piemontesen
müssen in den drei Schlachttagen vom 23., 24. und 25. sehr be-
deutend gewesen seyn. Das Heer Karl Albert's war wenigstens
80,000 Mann stark, und aus einem offiziellen Berichte von Cre-
mona, wo er sich am 28. Juli befand, geht hervor, daß ihm
noch 45,000 Mann übrig geblieben waren. Viele mögen aus-
einander gesprengt worden seyn. Seit zwei Tagen sieht man
nirgends mehr Karikaturen auf die Oesterreicher. Der greise und
tapfere General Radetzky hat den Jtalienern gezeigt, daß er kein
Krebs oder Hummer ist, und daß seine Soldaten nicht aus einer
Papierfabrik genommen waren. Am Einfältigsten war eine Ka-
rikatur, wo die Lombardei als eine wüthende Kuh dargestellt
wird. Ein Oesterreicher wird mit den Hörnern in die Luft ge-
worfen und einige andere mit Füßen getreten. Daneben stehen
einige Kübel voll Milch, um anzudeuten, Oesterreich habe das
lombardisch=venetianische Königreich ganz ausgesogen. Die ita-
lienische Kuh brachte Oesterreich jährlich 40 Millionen Gulden ein,
und das Futter für dieselbe kostete immer einige Millionen mehr!

Frankreich.

* * * Paris 16. August. Wegen des hohen Festes, des
alten Napoleonstages, war gestern weder Kammersitzung noch
Börse, heute sind die meisten Blätter nicht erschienen und die
Ausbeute an Neuigkeiten ist darum nur gering. Ueberhaupt ist
die Stille der französischen Blätter über die italienischen Ange-
legenheiten seit einigen Tagen sehr auffallend, und wer über den
Gang der Verhandlungen etwas erfahren will, muß zu den eng-
lischen Zeitungen seine Zuflucht nehmen, die schon mehr aus der
Schule schwatzen. So bemerken die gestrigen Times: „Wir
müssen dem Lord Palmerston Gerechtigkeit widerfahren lassen für
die Einsicht, die er jetzt gewonnen hat, daß das Geringste,
was man Oesterreich vorschlagen kann, die Etschlinie ist, und er
hat auch in der That die französische Regierung bewogen, auf
diese Grundlage hin die Unterhandlungen zu eröffnen. Was die
Lombardei betrifft, so glauben wir, daß Oesterreich kein besonderes
Gewicht auf das mailändische Gebiet ohne die Festung Mantua le-
gen wird. Nie wird es aber seine Einwilligung dazu geben, daß das
Mailändische mit Piemont vereinigt werde und der überwundene
Theil eine so reiche Beute erhalte. Wird also die Lombardei vom
österreichischen Kaiserreiche losgetrennt, so gibt sie ein kleines
Herzogthum ohne alle politische Bedeutung und
erkauft ihre Unabhängigkeit um den Preis ihres
Glückes.
“ Hat es mit diesem englischen Plane seine Richtigkeit,
so könnte die deutsche Centralgewalt vielleicht einen Coburger oder
einen anderen deutschen Fürsten dort versorgen, der dann seiner-
seits seine angestammten Lande an das künftige Reichsoberhaupt
abtreten müßte. Doch Scherz bei Seite! Die Engländer haben
auf diese Weise wieder einen diplomatischen Sieg über die Fran-
zosen errungen und im Jnteresse ihres Handels Jtalien noch
mehr zerbröckelt als es seither war;
den Franzosen
aber bleibt der Trost, daß sie auch haben — vermitteln helfen!

Die öffentliche Meinung spricht sich immer mehr dahin aus,
[Spaltenumbruch] daß die Juni=Aufständischen nach Algier transportirt werden sollen
und auch die Regierung scheint dazu geneigt zu seyn. Ob das Jnte-
resse der Colonie dadurch gefördert wird, ist freilich eine andere Frage.

Die Wühler sind in allen Ländern einander gleich: beugt sich
das „souveräne Volk“ ihrem Willen, so ist es der Sitz aller
Weisheit und Jntelligenz und es gibt nichts Vortrefflicheres als
das „allgemeine Stimmrecht.“ Wagt das souveräne Volk aber
anders zu stimmen als seine Leiter wünschen, so wird es thierisch
gescholten und es gibt nichts Schlimmeres als eben das „ allge-
meine Stimmrecht.“ Letzterer Ansicht ist eben auch Proudhon,
der in seinem Représentant du peuple das merkwürdige Geständ-
niß ablegt: „Wir müssen uns in Acht nehmen, oder das allgemeine
Stimmrecht richtet uns zu Grunde!“ Hoffentlich wird das Volk
sich künftig auch in Acht nehmen!

Paris 14. August. ( Karlsr. Z. ) Jetzt, nachdem selbst der
amtliche Moniteur erklärt hat, daß Frankreich an keine bewaff-
nete Jntervention in Jtalien denkt, läßt sich ganz wohl ein Wort
über die geheimen Gründe sagen, warum General Cavaignac
in keinen auswärtigen Krieg verwickelt werden mag. Obwohl
Frankreich auf der Oberfläche ruhig zu seyn scheint, wird es ge-
genwärtig durch die innern Zerwürfnisse der Parteien, die sich
um den Besitz der Macht streiten, mehr als jemals durchwühlt.
Der Bericht der Commission, welche beauftragt war, der Natio-
nalversammlung über die Aufstände vom 15. Mai und 23. Juni
eine ausführliche Zusammenstellung vorzulegen, hat jede Aus-
söhnung zwischen den alten und neuen Republikanern ( den Re-
publikanern de la veille und du lendemain ) unmöglich gemacht,
und die Debatte, welche über diesen Bericht heute über acht Tage
beginnen soll, wird nur das Vorspiel eines größeren Kampfes
seyn, in welchem das Schicksal der Republik entschieden werden
dürfte. Vergeblich sucht Cavaignac die betreffende Discussion zu
beseitigen. Die Partei Thiers=Odilon=Barrot ( die Neurepubli-
kaner ) weiß zu gut, daß Cavaignac mit den Mitgliedern der frü-
heren provisorischen Regierung ( den Altrepublikanern ) zusam-
menhielt, indem er als gewesener Kriegsminister die Verantwort-
lichkeit sämmtlicher Maßregeln der provisorischen Regierung
theilte. Darum dringt die unter dem Einfluß des Herrn Thiers
stehende Untersuchungscommission der Kammer auf die Veröffent-
lichung aller ihr zugekommenen Zeugenaussagen und Schriftstücke,
worin General Cavaignac persönlich ebenfalls compromittirt ist.
Da nun Thiers und Barrot eben durch diese Veröffentlichung den
General Cavaignac in der öffentlichen Meinung zu Grunde zu
richten hoffen, so halten sie unter der Hand dem General Cavaig-
nac einen Nachfolger als Haupt der vollziehenden Gewalt bereit,
und zwar in der Person des Generals Changarnier, Ober-
befehlshabers der Pariser Nationalgarde. Schon in Algerien
bestand zwischen Cavaignac und Changarnier eine gewisse Riva-
lität, welche durch Thiers, der immer Oel ins Feuer zu gießen
versteht, zweckdienlich genährt und ausgebeutet wird.

So lange aber Cavaignac die Armee, die ihn vergöttert,
für sich hat, kann er der Jntrike des Herrn Thiers, obgleich
Changarnier sich auf die Seite des Letztern neigt, noch die Spitze
bieten. Anders würde es seyn, wenn der Fall einer bewaffneten
Jntervention in Jtalien sich verwirklichen sollte. Da müßte ent-
weder Cavaignac, oder Changarnier, oder Lamorcière den
Oberbefehl der Alpenarmee übernehmen. Entfernt sich General
Cavaignac, so muß er nothwendiger Weise aufhören, das Haupt
der vollziehenden Gewalt zu seyn; in diesem Falle also würde
der Gegenpartei ein leichtes Spiel in die Hand gegeben. Ueber-
läßt er dagegen den Oberberbefehl der Alpenarmee an Chan-
garnier oder Lamorcière, so verstärken diese auf Kosten Ca-
vaignac 's ihren Einfluß bei der Armee, und bekommen vielleicht
Lust, das Beispiel Napoleons nachzuahmen, der sich nach seinen
Feldzügen in Jtalien zum Gebieter Frankreichs aufwarf. Denn
was den General Lamorcière anbelangt, so ist er ebenfalls
ein geheimer Anhänger des Herrn Thiers, dessen Schwägerin
er heirathen soll. Und da die öffentliche Meinung in
Frankreich nicht im geringsten kriegerisch gestimmt ist, sondern
vielmehr in der Erhaltung des Friedens den letzten Rettungsanker
für das Gedeihen der Jndustrie und des Handels erblickt, so hat
General Cavaignac durch die Verweigerung der Jntervention zu
Gunsten Jtaliens seine eigene Stellung eher gesichert, als in Ge-
fahr gebracht. Jm Gegentheil, er wird sich gerade auf so lange
im Besitze der Macht erhalten, als es ihm gelingen wird, die
Möglichkeit eines Friedensbruches ferne zu halten. Sollte auch
nur ein einziger französischer Soldat die Alpen überschreiten,
dann sind vor Allem zwei Ergebnisse unvermeidlich: 1 ) eine Ge-
genrevolution in unserem eigenen Lande, 2 ) ein Bankerott unse-
rer Finanzen. Dies ist so handgreiflich geworden, daß mit Aus-
nahme jener wagelustigen Abenteuerer, welche Nichts zu verlieren
haben, über die Nothwendigkeit der Erhaltung des Friedens nur
eine Stimme unter uns herrscht.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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[0004] worden und habe sich bis nach Goito zurückgezogen! Die Stimm- ung ist seitdem die aufgeregteste. Vorgestern Abend versammelte sich ein Haufen Volks vor dem Palast des Gouverneurs und schrie: Abbasso il ministerio! Morte a Ridolfi! Viva Guerrazzi e il governo provisorio! ( Nieder mit dem Ministerium! Tod dem Ridolfi! Es lebe Guerrazzi und die provisorische Regierung! ) Jn Florenz fand an demselben Abend eine ähnliche und noch ernstlichere Scene statt. Jch befürchte in Kurzem eine allge- meine Anarchie in Jtalien. Gestern Morgen kam mit dem elektrischen Telegraphen die Nachricht aus Florenz: das Mi- nisterium habe seine Demission eingereicht, die Deputirten seyen in permanenter Sitzung, um sich über die Mittel zur Fortsetzung des Krieges zu berathen, Karl Albert stehe mit 45,000 Mann schlagfertig in Cremona, von allen Seiten strömten ihm neue Truppen zu, bereit, die Deutschen zu züchtigen. Hier und in vielen anderen Städten haben sich viele Zirkel gebildet, um sich über die Gefahren Jtaliens zu berathen. Gestern wurde in einer außerordentlichen Sitzung beschlossen, die Regierung zu ersuchen, unverzüglich eine Truppenaushebung von 10,000 Mann zu be- treiben und Frankreich um Jntervention zu bitten, unter dem Versprechen, Savoyen nach Vertreibung der Oesterreicher aus Jtalien abzutreten. Wird Frankreich gleich dem Sardenkönige, durch Gewinnsucht gereizt, auch den Verräther gegen Oesterreich spielen, oder wird es dießmal seinen Friedensbetheuerungen treu bleiben und sich nicht in fremde Händel mischen? Die nächste Zukunft wird Dieß zeigen. Jmmerhin wäre der deutschen Cen- tralgewalt anzurathen, so schnell wie möglich das ganze deutsche Heer in eine Ehrfurcht gebietende Stellung zu setzen, um auf alle Fälle gefaßt zu seyn. Da die vielen Großprahlereien der Jta- liener zu Wasser geworden sind, so möchten sie sich in ihrem ge- täuschten Nationalstolze lieber dem Kaiser von Marokko als Oe- sterreich von Neuem unterwerfen. Die Verluste der Piemontesen müssen in den drei Schlachttagen vom 23., 24. und 25. sehr be- deutend gewesen seyn. Das Heer Karl Albert's war wenigstens 80,000 Mann stark, und aus einem offiziellen Berichte von Cre- mona, wo er sich am 28. Juli befand, geht hervor, daß ihm noch 45,000 Mann übrig geblieben waren. Viele mögen aus- einander gesprengt worden seyn. Seit zwei Tagen sieht man nirgends mehr Karikaturen auf die Oesterreicher. Der greise und tapfere General Radetzky hat den Jtalienern gezeigt, daß er kein Krebs oder Hummer ist, und daß seine Soldaten nicht aus einer Papierfabrik genommen waren. Am Einfältigsten war eine Ka- rikatur, wo die Lombardei als eine wüthende Kuh dargestellt wird. Ein Oesterreicher wird mit den Hörnern in die Luft ge- worfen und einige andere mit Füßen getreten. Daneben stehen einige Kübel voll Milch, um anzudeuten, Oesterreich habe das lombardisch=venetianische Königreich ganz ausgesogen. Die ita- lienische Kuh brachte Oesterreich jährlich 40 Millionen Gulden ein, und das Futter für dieselbe kostete immer einige Millionen mehr! Frankreich. * * * Paris 16. August. Wegen des hohen Festes, des alten Napoleonstages, war gestern weder Kammersitzung noch Börse, heute sind die meisten Blätter nicht erschienen und die Ausbeute an Neuigkeiten ist darum nur gering. Ueberhaupt ist die Stille der französischen Blätter über die italienischen Ange- legenheiten seit einigen Tagen sehr auffallend, und wer über den Gang der Verhandlungen etwas erfahren will, muß zu den eng- lischen Zeitungen seine Zuflucht nehmen, die schon mehr aus der Schule schwatzen. So bemerken die gestrigen Times: „Wir müssen dem Lord Palmerston Gerechtigkeit widerfahren lassen für die Einsicht, die er jetzt gewonnen hat, daß das Geringste, was man Oesterreich vorschlagen kann, die Etschlinie ist, und er hat auch in der That die französische Regierung bewogen, auf diese Grundlage hin die Unterhandlungen zu eröffnen. Was die Lombardei betrifft, so glauben wir, daß Oesterreich kein besonderes Gewicht auf das mailändische Gebiet ohne die Festung Mantua le- gen wird. Nie wird es aber seine Einwilligung dazu geben, daß das Mailändische mit Piemont vereinigt werde und der überwundene Theil eine so reiche Beute erhalte. Wird also die Lombardei vom österreichischen Kaiserreiche losgetrennt, so gibt sie ein kleines Herzogthum ohne alle politische Bedeutung und erkauft ihre Unabhängigkeit um den Preis ihres Glückes. “ Hat es mit diesem englischen Plane seine Richtigkeit, so könnte die deutsche Centralgewalt vielleicht einen Coburger oder einen anderen deutschen Fürsten dort versorgen, der dann seiner- seits seine angestammten Lande an das künftige Reichsoberhaupt abtreten müßte. Doch Scherz bei Seite! Die Engländer haben auf diese Weise wieder einen diplomatischen Sieg über die Fran- zosen errungen und im Jnteresse ihres Handels Jtalien noch mehr zerbröckelt als es seither war; den Franzosen aber bleibt der Trost, daß sie auch haben — vermitteln helfen! Die öffentliche Meinung spricht sich immer mehr dahin aus, daß die Juni=Aufständischen nach Algier transportirt werden sollen und auch die Regierung scheint dazu geneigt zu seyn. Ob das Jnte- resse der Colonie dadurch gefördert wird, ist freilich eine andere Frage. Die Wühler sind in allen Ländern einander gleich: beugt sich das „souveräne Volk“ ihrem Willen, so ist es der Sitz aller Weisheit und Jntelligenz und es gibt nichts Vortrefflicheres als das „allgemeine Stimmrecht.“ Wagt das souveräne Volk aber anders zu stimmen als seine Leiter wünschen, so wird es thierisch gescholten und es gibt nichts Schlimmeres als eben das „ allge- meine Stimmrecht.“ Letzterer Ansicht ist eben auch Proudhon, der in seinem Représentant du peuple das merkwürdige Geständ- niß ablegt: „Wir müssen uns in Acht nehmen, oder das allgemeine Stimmrecht richtet uns zu Grunde!“ Hoffentlich wird das Volk sich künftig auch in Acht nehmen! Paris 14. August. ( Karlsr. Z. ) Jetzt, nachdem selbst der amtliche Moniteur erklärt hat, daß Frankreich an keine bewaff- nete Jntervention in Jtalien denkt, läßt sich ganz wohl ein Wort über die geheimen Gründe sagen, warum General Cavaignac in keinen auswärtigen Krieg verwickelt werden mag. Obwohl Frankreich auf der Oberfläche ruhig zu seyn scheint, wird es ge- genwärtig durch die innern Zerwürfnisse der Parteien, die sich um den Besitz der Macht streiten, mehr als jemals durchwühlt. Der Bericht der Commission, welche beauftragt war, der Natio- nalversammlung über die Aufstände vom 15. Mai und 23. Juni eine ausführliche Zusammenstellung vorzulegen, hat jede Aus- söhnung zwischen den alten und neuen Republikanern ( den Re- publikanern de la veille und du lendemain ) unmöglich gemacht, und die Debatte, welche über diesen Bericht heute über acht Tage beginnen soll, wird nur das Vorspiel eines größeren Kampfes seyn, in welchem das Schicksal der Republik entschieden werden dürfte. Vergeblich sucht Cavaignac die betreffende Discussion zu beseitigen. Die Partei Thiers=Odilon=Barrot ( die Neurepubli- kaner ) weiß zu gut, daß Cavaignac mit den Mitgliedern der frü- heren provisorischen Regierung ( den Altrepublikanern ) zusam- menhielt, indem er als gewesener Kriegsminister die Verantwort- lichkeit sämmtlicher Maßregeln der provisorischen Regierung theilte. Darum dringt die unter dem Einfluß des Herrn Thiers stehende Untersuchungscommission der Kammer auf die Veröffent- lichung aller ihr zugekommenen Zeugenaussagen und Schriftstücke, worin General Cavaignac persönlich ebenfalls compromittirt ist. Da nun Thiers und Barrot eben durch diese Veröffentlichung den General Cavaignac in der öffentlichen Meinung zu Grunde zu richten hoffen, so halten sie unter der Hand dem General Cavaig- nac einen Nachfolger als Haupt der vollziehenden Gewalt bereit, und zwar in der Person des Generals Changarnier, Ober- befehlshabers der Pariser Nationalgarde. Schon in Algerien bestand zwischen Cavaignac und Changarnier eine gewisse Riva- lität, welche durch Thiers, der immer Oel ins Feuer zu gießen versteht, zweckdienlich genährt und ausgebeutet wird. So lange aber Cavaignac die Armee, die ihn vergöttert, für sich hat, kann er der Jntrike des Herrn Thiers, obgleich Changarnier sich auf die Seite des Letztern neigt, noch die Spitze bieten. Anders würde es seyn, wenn der Fall einer bewaffneten Jntervention in Jtalien sich verwirklichen sollte. Da müßte ent- weder Cavaignac, oder Changarnier, oder Lamorcière den Oberbefehl der Alpenarmee übernehmen. Entfernt sich General Cavaignac, so muß er nothwendiger Weise aufhören, das Haupt der vollziehenden Gewalt zu seyn; in diesem Falle also würde der Gegenpartei ein leichtes Spiel in die Hand gegeben. Ueber- läßt er dagegen den Oberberbefehl der Alpenarmee an Chan- garnier oder Lamorcière, so verstärken diese auf Kosten Ca- vaignac 's ihren Einfluß bei der Armee, und bekommen vielleicht Lust, das Beispiel Napoleons nachzuahmen, der sich nach seinen Feldzügen in Jtalien zum Gebieter Frankreichs aufwarf. Denn was den General Lamorcière anbelangt, so ist er ebenfalls ein geheimer Anhänger des Herrn Thiers, dessen Schwägerin er heirathen soll. Und da die öffentliche Meinung in Frankreich nicht im geringsten kriegerisch gestimmt ist, sondern vielmehr in der Erhaltung des Friedens den letzten Rettungsanker für das Gedeihen der Jndustrie und des Handels erblickt, so hat General Cavaignac durch die Verweigerung der Jntervention zu Gunsten Jtaliens seine eigene Stellung eher gesichert, als in Ge- fahr gebracht. Jm Gegentheil, er wird sich gerade auf so lange im Besitze der Macht erhalten, als es ihm gelingen wird, die Möglichkeit eines Friedensbruches ferne zu halten. Sollte auch nur ein einziger französischer Soldat die Alpen überschreiten, dann sind vor Allem zwei Ergebnisse unvermeidlich: 1 ) eine Ge- genrevolution in unserem eigenen Lande, 2 ) ein Bankerott unse- rer Finanzen. Dies ist so handgreiflich geworden, daß mit Aus- nahme jener wagelustigen Abenteuerer, welche Nichts zu verlieren haben, über die Nothwendigkeit der Erhaltung des Friedens nur eine Stimme unter uns herrscht. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 63. Mainz, 18. August 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal063_1848/4>, abgerufen am 16.07.2024.