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Mainzer Journal. Nr. 95. Mainz, 25. September 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 95. Montag, den 25. September. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
"Der Riß" in der Mainzer Zeitung.

C Eine von den Stimmen, die nur spalten können, um zu
herrschen und nur herrschen wollen, um zu spalten, hat dieser
Tage in der Mainzer Zeitung nicht ohne Salz und Pfeffer sich
vernehmen lassen, sie hat von der Weisheit und Besonnenheit des
Parlamentes an die Leidenschaft und Thatkraft des Volkes appel-
lirt. Leider scheint es, der unglückliche Theil des Volkes, welcher
seine geistige Küche von der Mainzer Zeitung versorgen läßt,
habe zum leitenden Gedanken den Satz sich erkoren: geb't uns
Salz und Pfeffer zu dem Brode, welches wir uns gewinnen
werden. Bitterkeit und Witz, das ist die ganze geistige Nahrung,
welche in der wühlerischen Presse geboten wird.

Während die unpraktischen "Professoren" sammt ihren Sy-
stemen mit Hohn übergossen werden, wird hier das System der
Volkssouveränetät in seinen Folgerungen bis zur härtesten Con-
sequenz entwickelt, bis zur praktisch härtesten, aber noch
lange nicht zurletzten. Sehr bequem ist es, aber nichts Neues
in den Rüstkammern radicaler Logik, die gesammte Wirklichkeit,
den Thatbestand zu ignoriren, wo er sich nicht will einzwängen
lassen in die Theorie der Einzelwillkür, der falschen, egoistischen
Freiheit. "Ein Volk, heißt es, kann seine Souveränetät eben-
sowenig abtreten, wie ein Mensch sich zum Sklaven verkaufen
kann; denn beides heißt so viel, als ich will nicht wollen, was
ein Widersinn ist, da eben zum Nichtwollen ein gleichzeitig dau-
ernder Wille gehört. Ein Verzicht auf die Souveränetät des
Volkes, wie er in dem Beschlusse über den Waffenstillstand lag ( ? ) ,
wäre also die Handlung einer Mehrheit von Wahnsinnigen ( ! ) ,
oder von Treulosen ( ! ) , und hierin den Ausdruck des Voks-
willens zu finden, ist selbst juristisch unmöglich." Das ist aber
pure Sophistik!

Niemand, es ist wahr, kann vernünftiger Weise, Niemand
kann rechtsgültig sich zum Sklaven verkaufen; aber das Bild
ist unrichtig gewählt zur Bezeichnung der Stellung des deutschen
Volkes zum Parlamente.

Wenn ein Volk in einer Sache getheilter Meinung ist, so sind
entweder zwei souveräne Volkswillen da, die sich wechselseitig
verneinen und aufheben, oder der Wille der Volksmehrheit wird
angenommen als der einzig souveräne Volkswille, welchem die
Minderheit sich unterwerfen muß. Das Letztere wird nothwen-
dig gefordert, so lange man voraussetzen darf, daß das Volk Ein
Volk seyn will, daß es einen Willen, eine Souveränetät haben
will. Sonst bleibt nur Eins übrig: der Bürgerkrieg. Dieser
muß verewigt werden, sobald man es für Sklaverei erklärt, sich
einem mißliebigen Beschluße zu fügen. Das ist die Nothwendig-
keit der Thatsachen, des wirklichen Lebens.

Nun müßte, um den Willen der Mehrheit zu erforschen,
eigentlich das ganze Volk Kopf für Kopf abstimmen. Daß das
unmöglich ist, ist eine zweite Thatsache. Es ist unmöglich; das
Volk kann, wie unser Gegner sagt, die Politik nur nebenbei be-
treiben, es muß die Theorien der Freiheit von den gelehrten
Herren erst in's Populäre übersetzt bekommen. Nun gibt es wirk-
lich politische Fragen, deren vernünftige Lösung den Verstand des
begabtesten Mannes vollkommen in Anspruch nimmt, deren rich-
tige Lösung gründliche Geschichts= und Rechtsstudien, genaue und
sichere Kenntniß der eigenen und der fremden Zustände voraussetzt.
Will man nicht das Schicksal des armen Volkes in dumm fatalisti-
scher Befangenheit dem Zufall vor die Füße werfen, dann muß man
nach Prinzipien, dann muß man nach den Bedürfnissen der Wirk-
lichkeit entscheiden. Welcher Vernünftige kann hier solche Verhält-
nisse jedem Einzelnen, der die Politik nur nebenher, das heißt,
[Spaltenumbruch] oberflächlich betrieben, competent erklären? Eine Abstimmung
aller Einzelnen über alle wichtigen Fragen ist ohnehin an sich
unmöglich, und wer die Theorien erst von Anderen sich muß
übersetzen lassen, kann wahrhaftig nicht Richter seyn, ob sie ihm
richtig seyen verdollmetscht worden. Was bleibt nun übrig,
wenn das souveräne Volk doch sich selbst regieren, doch seine
Angelegenheiten selbst wahrnehmen soll? Es muß durch Dele-
girte geschehen. Eine Vertretung muß stattfinden, die Vertreter
müssen aus einer Wahl des Volkes hervorgehen. So begegnen
wir denn auch dem Zugeständniß: "Das Parlament war selbstre-
dend die Vertretung der deutschen Nation, denn es war ja der
Form nach vom Volke gewählt. Ob es durch Täuschung, Be-
stechung, ob es unter den Einflüssen der alten Regierungssysteme
gewählt worden, ob ein Lichnowsky oder Radowitz vor dem
gesunden Verstande für Repräsentanten eines souveränen Vol-
kes gelten können, und wenn sie hundertmal gewählt wären --
das Alles durfte nicht in Betracht gezogen werden. Juristisch,
nach den Wahlacten, waren die 600 Wahlen in der Ordnung,
und damit war das Parlament das unfehlbare Concilium."

Also das Parlament war der Form nach vom Volke gewählt.
Und der Sache nach? Wie und von Wem soll es untersucht
werden? -- Die Wahlen sind unmittelbar, sind auf den brei-
testen Grundlagen vor sich gegangen. Aber, "nicht ohne Täusch-
ung, nicht ohne Bestehung, nicht ohne Einflüsse des alten Re-
gierungssystems!"

Welche Partei soll der Täuschung und Bestechung beschuldigt
werden? Und mit welchen Belegen? Ja, die Belege! Lich-
nowsky
war freilich eine mißliebige Person, er hielt fest mit
unermüdlicher Zähigkeit an dem spießbürgerlichen Grundsatze, für
Verdächtigungen, für Beschimpfungen, für Anklagen, für wich-
tige und widersprochene Beschimpfungen müsse man die Beweise
in der Tasche haben.

Wir müssen uns hier -- so weit sind wir entfernt von pro-
fessorenhafter Systematik und Abstraction -- wir müssen uns auf
die Wirklichkeit des Lebens, auf den sichtbaren, greifbaren Sach-
bestand berufen. Es gibt kaum Eine religiöse, philosophische,
oder politische Meinung, welche vom deutschen Volke einstimmig
adoptirt wäre. Man sagt die Aufgabe des Parlamentes sey, die
Souveränetät des Volkes zu repräsentiren; das kann nichts Ande-
res bedeuten, wenn man, wie es hier doch wohl gemeint ist, unter
Volkssouveränetät das Recht versteht, regiert zu werden, wie, von
wem und nach welchen Gesetzen man wolle, -- als: die einzelnen
Parlamentsmitglieder haben den deßfallsigen Willen ihrer Wähler
auszusprechen und in den Abstimmungen zu vertreten. Oder will
man darunter ein Recht verstehen, gar nicht oder nur in demokrati-
scher Form regiert zu werden? Wenn nun aber das Volk, oder wenn
die eine Hälfte des Volkes dieses Recht nicht will, wenn die eine
Hälfte des Volkes vom Rechte, Person und Weise seiner Regie-
rung zu bestimmen, in der Art Gebrauch machen will, daß es sich
unter gewissen von Deutschlands Einigkeit und Einheit geforder-
ten Modificationen seine alte Regierung will gefallen lassen?

Ja, das hieße aber seine Souveränetät abtreten? Keines-
wegs: wenn die Souveränetät nicht darin besteht, so regiert zu
werden, wie man nicht regiert werden will, wenn sie nicht in dem
Widerspruche besteht, demokratisch regiert werden wollen zu müs-
sen. Jene Volkssouveränetät, wonach jeder Staatsbürger ein
unverlierbares, ein keiner Uebertragung in der Rechtsform der
Vollmacht fähiges Recht hat, als berathender und bestimmender
Mitregierer bei allen social=politischen Fragen sich betheiligen zu
müssen, können wir nicht anerkennen. Einen solchen Staat hat
es nie gegeben: überall ist die Regierung unmittelbar monarchisch
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 95. Montag, den 25. September. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
„Der Riß“ in der Mainzer Zeitung.

C Eine von den Stimmen, die nur spalten können, um zu
herrschen und nur herrschen wollen, um zu spalten, hat dieser
Tage in der Mainzer Zeitung nicht ohne Salz und Pfeffer sich
vernehmen lassen, sie hat von der Weisheit und Besonnenheit des
Parlamentes an die Leidenschaft und Thatkraft des Volkes appel-
lirt. Leider scheint es, der unglückliche Theil des Volkes, welcher
seine geistige Küche von der Mainzer Zeitung versorgen läßt,
habe zum leitenden Gedanken den Satz sich erkoren: geb't uns
Salz und Pfeffer zu dem Brode, welches wir uns gewinnen
werden. Bitterkeit und Witz, das ist die ganze geistige Nahrung,
welche in der wühlerischen Presse geboten wird.

Während die unpraktischen „Professoren“ sammt ihren Sy-
stemen mit Hohn übergossen werden, wird hier das System der
Volkssouveränetät in seinen Folgerungen bis zur härtesten Con-
sequenz entwickelt, bis zur praktisch härtesten, aber noch
lange nicht zurletzten. Sehr bequem ist es, aber nichts Neues
in den Rüstkammern radicaler Logik, die gesammte Wirklichkeit,
den Thatbestand zu ignoriren, wo er sich nicht will einzwängen
lassen in die Theorie der Einzelwillkür, der falschen, egoistischen
Freiheit. „Ein Volk, heißt es, kann seine Souveränetät eben-
sowenig abtreten, wie ein Mensch sich zum Sklaven verkaufen
kann; denn beides heißt so viel, als ich will nicht wollen, was
ein Widersinn ist, da eben zum Nichtwollen ein gleichzeitig dau-
ernder Wille gehört. Ein Verzicht auf die Souveränetät des
Volkes, wie er in dem Beschlusse über den Waffenstillstand lag ( ? ) ,
wäre also die Handlung einer Mehrheit von Wahnsinnigen ( ! ) ,
oder von Treulosen ( ! ) , und hierin den Ausdruck des Voks-
willens zu finden, ist selbst juristisch unmöglich.“ Das ist aber
pure Sophistik!

Niemand, es ist wahr, kann vernünftiger Weise, Niemand
kann rechtsgültig sich zum Sklaven verkaufen; aber das Bild
ist unrichtig gewählt zur Bezeichnung der Stellung des deutschen
Volkes zum Parlamente.

Wenn ein Volk in einer Sache getheilter Meinung ist, so sind
entweder zwei souveräne Volkswillen da, die sich wechselseitig
verneinen und aufheben, oder der Wille der Volksmehrheit wird
angenommen als der einzig souveräne Volkswille, welchem die
Minderheit sich unterwerfen muß. Das Letztere wird nothwen-
dig gefordert, so lange man voraussetzen darf, daß das Volk Ein
Volk seyn will, daß es einen Willen, eine Souveränetät haben
will. Sonst bleibt nur Eins übrig: der Bürgerkrieg. Dieser
muß verewigt werden, sobald man es für Sklaverei erklärt, sich
einem mißliebigen Beschluße zu fügen. Das ist die Nothwendig-
keit der Thatsachen, des wirklichen Lebens.

Nun müßte, um den Willen der Mehrheit zu erforschen,
eigentlich das ganze Volk Kopf für Kopf abstimmen. Daß das
unmöglich ist, ist eine zweite Thatsache. Es ist unmöglich; das
Volk kann, wie unser Gegner sagt, die Politik nur nebenbei be-
treiben, es muß die Theorien der Freiheit von den gelehrten
Herren erst in's Populäre übersetzt bekommen. Nun gibt es wirk-
lich politische Fragen, deren vernünftige Lösung den Verstand des
begabtesten Mannes vollkommen in Anspruch nimmt, deren rich-
tige Lösung gründliche Geschichts= und Rechtsstudien, genaue und
sichere Kenntniß der eigenen und der fremden Zustände voraussetzt.
Will man nicht das Schicksal des armen Volkes in dumm fatalisti-
scher Befangenheit dem Zufall vor die Füße werfen, dann muß man
nach Prinzipien, dann muß man nach den Bedürfnissen der Wirk-
lichkeit entscheiden. Welcher Vernünftige kann hier solche Verhält-
nisse jedem Einzelnen, der die Politik nur nebenher, das heißt,
[Spaltenumbruch] oberflächlich betrieben, competent erklären? Eine Abstimmung
aller Einzelnen über alle wichtigen Fragen ist ohnehin an sich
unmöglich, und wer die Theorien erst von Anderen sich muß
übersetzen lassen, kann wahrhaftig nicht Richter seyn, ob sie ihm
richtig seyen verdollmetscht worden. Was bleibt nun übrig,
wenn das souveräne Volk doch sich selbst regieren, doch seine
Angelegenheiten selbst wahrnehmen soll? Es muß durch Dele-
girte geschehen. Eine Vertretung muß stattfinden, die Vertreter
müssen aus einer Wahl des Volkes hervorgehen. So begegnen
wir denn auch dem Zugeständniß: „Das Parlament war selbstre-
dend die Vertretung der deutschen Nation, denn es war ja der
Form nach vom Volke gewählt. Ob es durch Täuschung, Be-
stechung, ob es unter den Einflüssen der alten Regierungssysteme
gewählt worden, ob ein Lichnowsky oder Radowitz vor dem
gesunden Verstande für Repräsentanten eines souveränen Vol-
kes gelten können, und wenn sie hundertmal gewählt wären —
das Alles durfte nicht in Betracht gezogen werden. Juristisch,
nach den Wahlacten, waren die 600 Wahlen in der Ordnung,
und damit war das Parlament das unfehlbare Concilium.“

Also das Parlament war der Form nach vom Volke gewählt.
Und der Sache nach? Wie und von Wem soll es untersucht
werden? — Die Wahlen sind unmittelbar, sind auf den brei-
testen Grundlagen vor sich gegangen. Aber, „nicht ohne Täusch-
ung, nicht ohne Bestehung, nicht ohne Einflüsse des alten Re-
gierungssystems!“

Welche Partei soll der Täuschung und Bestechung beschuldigt
werden? Und mit welchen Belegen? Ja, die Belege! Lich-
nowsky
war freilich eine mißliebige Person, er hielt fest mit
unermüdlicher Zähigkeit an dem spießbürgerlichen Grundsatze, für
Verdächtigungen, für Beschimpfungen, für Anklagen, für wich-
tige und widersprochene Beschimpfungen müsse man die Beweise
in der Tasche haben.

Wir müssen uns hier — so weit sind wir entfernt von pro-
fessorenhafter Systematik und Abstraction — wir müssen uns auf
die Wirklichkeit des Lebens, auf den sichtbaren, greifbaren Sach-
bestand berufen. Es gibt kaum Eine religiöse, philosophische,
oder politische Meinung, welche vom deutschen Volke einstimmig
adoptirt wäre. Man sagt die Aufgabe des Parlamentes sey, die
Souveränetät des Volkes zu repräsentiren; das kann nichts Ande-
res bedeuten, wenn man, wie es hier doch wohl gemeint ist, unter
Volkssouveränetät das Recht versteht, regiert zu werden, wie, von
wem und nach welchen Gesetzen man wolle, — als: die einzelnen
Parlamentsmitglieder haben den deßfallsigen Willen ihrer Wähler
auszusprechen und in den Abstimmungen zu vertreten. Oder will
man darunter ein Recht verstehen, gar nicht oder nur in demokrati-
scher Form regiert zu werden? Wenn nun aber das Volk, oder wenn
die eine Hälfte des Volkes dieses Recht nicht will, wenn die eine
Hälfte des Volkes vom Rechte, Person und Weise seiner Regie-
rung zu bestimmen, in der Art Gebrauch machen will, daß es sich
unter gewissen von Deutschlands Einigkeit und Einheit geforder-
ten Modificationen seine alte Regierung will gefallen lassen?

Ja, das hieße aber seine Souveränetät abtreten? Keines-
wegs: wenn die Souveränetät nicht darin besteht, so regiert zu
werden, wie man nicht regiert werden will, wenn sie nicht in dem
Widerspruche besteht, demokratisch regiert werden wollen zu müs-
sen. Jene Volkssouveränetät, wonach jeder Staatsbürger ein
unverlierbares, ein keiner Uebertragung in der Rechtsform der
Vollmacht fähiges Recht hat, als berathender und bestimmender
Mitregierer bei allen social=politischen Fragen sich betheiligen zu
müssen, können wir nicht anerkennen. Einen solchen Staat hat
es nie gegeben: überall ist die Regierung unmittelbar monarchisch
[Ende Spaltensatz]

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C Eine von den Stimmen, die nur spalten können, um zu herrschen und nur herrschen wollen, um zu spalten, hat dieser Tage in der Mainzer Zeitung nicht ohne Salz und Pfeffer sich vernehmen lassen, sie hat von der Weisheit und Besonnenheit des Parlamentes an die Leidenschaft und Thatkraft des Volkes appel- lirt. Leider scheint es, der unglückliche Theil des Volkes, welcher seine geistige Küche von der Mainzer Zeitung versorgen läßt, habe zum leitenden Gedanken den Satz sich erkoren: geb't uns Salz und Pfeffer zu dem Brode, welches wir uns gewinnen werden. Bitterkeit und Witz, das ist die ganze geistige Nahrung, welche in der wühlerischen Presse geboten wird. Während die unpraktischen „Professoren“ sammt ihren Sy- stemen mit Hohn übergossen werden, wird hier das System der Volkssouveränetät in seinen Folgerungen bis zur härtesten Con- sequenz entwickelt, bis zur praktisch härtesten, aber noch lange nicht zurletzten. Sehr bequem ist es, aber nichts Neues in den Rüstkammern radicaler Logik, die gesammte Wirklichkeit, den Thatbestand zu ignoriren, wo er sich nicht will einzwängen lassen in die Theorie der Einzelwillkür, der falschen, egoistischen Freiheit. „Ein Volk, heißt es, kann seine Souveränetät eben- sowenig abtreten, wie ein Mensch sich zum Sklaven verkaufen kann; denn beides heißt so viel, als ich will nicht wollen, was ein Widersinn ist, da eben zum Nichtwollen ein gleichzeitig dau- ernder Wille gehört. Ein Verzicht auf die Souveränetät des Volkes, wie er in dem Beschlusse über den Waffenstillstand lag ( ? ) , wäre also die Handlung einer Mehrheit von Wahnsinnigen ( ! ) , oder von Treulosen ( ! ) , und hierin den Ausdruck des Voks- willens zu finden, ist selbst juristisch unmöglich.“ Das ist aber pure Sophistik! Niemand, es ist wahr, kann vernünftiger Weise, Niemand kann rechtsgültig sich zum Sklaven verkaufen; aber das Bild ist unrichtig gewählt zur Bezeichnung der Stellung des deutschen Volkes zum Parlamente. Wenn ein Volk in einer Sache getheilter Meinung ist, so sind entweder zwei souveräne Volkswillen da, die sich wechselseitig verneinen und aufheben, oder der Wille der Volksmehrheit wird angenommen als der einzig souveräne Volkswille, welchem die Minderheit sich unterwerfen muß. Das Letztere wird nothwen- dig gefordert, so lange man voraussetzen darf, daß das Volk Ein Volk seyn will, daß es einen Willen, eine Souveränetät haben will. Sonst bleibt nur Eins übrig: der Bürgerkrieg. Dieser muß verewigt werden, sobald man es für Sklaverei erklärt, sich einem mißliebigen Beschluße zu fügen. Das ist die Nothwendig- keit der Thatsachen, des wirklichen Lebens. Nun müßte, um den Willen der Mehrheit zu erforschen, eigentlich das ganze Volk Kopf für Kopf abstimmen. Daß das unmöglich ist, ist eine zweite Thatsache. Es ist unmöglich; das Volk kann, wie unser Gegner sagt, die Politik nur nebenbei be- treiben, es muß die Theorien der Freiheit von den gelehrten Herren erst in's Populäre übersetzt bekommen. Nun gibt es wirk- lich politische Fragen, deren vernünftige Lösung den Verstand des begabtesten Mannes vollkommen in Anspruch nimmt, deren rich- tige Lösung gründliche Geschichts= und Rechtsstudien, genaue und sichere Kenntniß der eigenen und der fremden Zustände voraussetzt. Will man nicht das Schicksal des armen Volkes in dumm fatalisti- scher Befangenheit dem Zufall vor die Füße werfen, dann muß man nach Prinzipien, dann muß man nach den Bedürfnissen der Wirk- lichkeit entscheiden. Welcher Vernünftige kann hier solche Verhält- nisse jedem Einzelnen, der die Politik nur nebenher, das heißt, oberflächlich betrieben, competent erklären? Eine Abstimmung aller Einzelnen über alle wichtigen Fragen ist ohnehin an sich unmöglich, und wer die Theorien erst von Anderen sich muß übersetzen lassen, kann wahrhaftig nicht Richter seyn, ob sie ihm richtig seyen verdollmetscht worden. Was bleibt nun übrig, wenn das souveräne Volk doch sich selbst regieren, doch seine Angelegenheiten selbst wahrnehmen soll? Es muß durch Dele- girte geschehen. Eine Vertretung muß stattfinden, die Vertreter müssen aus einer Wahl des Volkes hervorgehen. So begegnen wir denn auch dem Zugeständniß: „Das Parlament war selbstre- dend die Vertretung der deutschen Nation, denn es war ja der Form nach vom Volke gewählt. Ob es durch Täuschung, Be- stechung, ob es unter den Einflüssen der alten Regierungssysteme gewählt worden, ob ein Lichnowsky oder Radowitz vor dem gesunden Verstande für Repräsentanten eines souveränen Vol- kes gelten können, und wenn sie hundertmal gewählt wären — das Alles durfte nicht in Betracht gezogen werden. Juristisch, nach den Wahlacten, waren die 600 Wahlen in der Ordnung, und damit war das Parlament das unfehlbare Concilium.“ Also das Parlament war der Form nach vom Volke gewählt. Und der Sache nach? Wie und von Wem soll es untersucht werden? — Die Wahlen sind unmittelbar, sind auf den brei- testen Grundlagen vor sich gegangen. Aber, „nicht ohne Täusch- ung, nicht ohne Bestehung, nicht ohne Einflüsse des alten Re- gierungssystems!“ Welche Partei soll der Täuschung und Bestechung beschuldigt werden? Und mit welchen Belegen? Ja, die Belege! Lich- nowsky war freilich eine mißliebige Person, er hielt fest mit unermüdlicher Zähigkeit an dem spießbürgerlichen Grundsatze, für Verdächtigungen, für Beschimpfungen, für Anklagen, für wich- tige und widersprochene Beschimpfungen müsse man die Beweise in der Tasche haben. Wir müssen uns hier — so weit sind wir entfernt von pro- fessorenhafter Systematik und Abstraction — wir müssen uns auf die Wirklichkeit des Lebens, auf den sichtbaren, greifbaren Sach- bestand berufen. Es gibt kaum Eine religiöse, philosophische, oder politische Meinung, welche vom deutschen Volke einstimmig adoptirt wäre. Man sagt die Aufgabe des Parlamentes sey, die Souveränetät des Volkes zu repräsentiren; das kann nichts Ande- res bedeuten, wenn man, wie es hier doch wohl gemeint ist, unter Volkssouveränetät das Recht versteht, regiert zu werden, wie, von wem und nach welchen Gesetzen man wolle, — als: die einzelnen Parlamentsmitglieder haben den deßfallsigen Willen ihrer Wähler auszusprechen und in den Abstimmungen zu vertreten. Oder will man darunter ein Recht verstehen, gar nicht oder nur in demokrati- scher Form regiert zu werden? Wenn nun aber das Volk, oder wenn die eine Hälfte des Volkes dieses Recht nicht will, wenn die eine Hälfte des Volkes vom Rechte, Person und Weise seiner Regie- rung zu bestimmen, in der Art Gebrauch machen will, daß es sich unter gewissen von Deutschlands Einigkeit und Einheit geforder- ten Modificationen seine alte Regierung will gefallen lassen? Ja, das hieße aber seine Souveränetät abtreten? Keines- wegs: wenn die Souveränetät nicht darin besteht, so regiert zu werden, wie man nicht regiert werden will, wenn sie nicht in dem Widerspruche besteht, demokratisch regiert werden wollen zu müs- sen. Jene Volkssouveränetät, wonach jeder Staatsbürger ein unverlierbares, ein keiner Uebertragung in der Rechtsform der Vollmacht fähiges Recht hat, als berathender und bestimmender Mitregierer bei allen social=politischen Fragen sich betheiligen zu müssen, können wir nicht anerkennen. Einen solchen Staat hat es nie gegeben: überall ist die Regierung unmittelbar monarchisch

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 95. Mainz, 25. September 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal095_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.