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Mainzer Journal. Nr. 98. Mainz, 28. September 1848.

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[Beginn Spaltensatz] geübt wird durch die verfassungsmäßigen Organe, d. h. in dem
großen Ganzen des Reiches durch Parlament und Centralgewalt,
in jedem einzelnen Staate durch die Regierung und die Stände,
in den einzelnen Gemeinden durch die gesetzlichen Gemeindebehör-
den. Nichts aber kann mit der Freiheit mehr im Widerspruch
stehen und dieselbe mehr gefährden, als wenn die gesetzlichen
Organe gelähmt sind und statt dessen -- in der That und Wahr-
heit -- Clubs die Alleinherrschaft üben; Clubs, in denen
immer Einzelne dominiren und Geschrei und Ge-
walt den Ausschlag gibt.

Und das Reich der Freiheit ist drittens ein Reich der Weis-
heit und der Besonnenheit.
Darum ist es hohe Zeit, wenn
nicht Alles zu Grunde gehen soll, daß diese fieberhafte Aufregung,
dieses blinde Toben, diese beständige Hetze des Volkes in stürmischen
Versammlungen und mit leidenschaftlichen Flugschriften ein Ende
nehmen. Wehe Denen, die sich ein Geschäft daraus machen, alle
wilden Leidenschaften immer mehr zu entflammen!

So stellet denn her, ihr Bürger selbst, vor Allem Sicher-
heit, gesetzliche Ordnung
und Besonnenheit -- und
dann können, sollen Alle nach bestem Wissen und Vermögen zu-
sammenwirken, um das sittliche und materielle Wohl des Volkes
herzustellen und zu sichern; um die kleinen Bauern auf dem Lande,
und das kleine Gewerb und Handwerk in den Städten vor der
Verarmung zu schützen; die Armen aber wirksam zu unterstützen
und zu heben, und vor Allem die Lüderlichkeit uud Sittenlosigkeit,
diese Mutter vieler Uebel, auszurotten.



Deutschland.

Wien 20. September. ( A. Z. ) Die Rede, welche der Mi-
nisterpräsident Wessenberg in der merkwürdigen Sitzung der
Reichsversammlung vom gestrigen Tage in Beziehung auf die
ungarischen Verhältnisse hielt, lautete, wie ich von einem Ohren-
zeugen hörte, ungefähr folgendermaßen: "Jch sehe mich veran-
laßt über die Stellung des Ministeriums Ungarn gegenüber eine
Erklärung abzugeben. Die Stellung des Ministeriums Ungarn
gegenüber war nie eine feindliche, sondern eine versöhnende und
vermittelnde, der Wunsch des Ministeriums war und ist noch, die
Bande zwischen Ungarn und dem Gesammtreich immer fester zu
schlingen zum gegenseitigen Vortheil und Wohl. Jn dieser Ab-
sicht hat es schon im Monat Mai an das ungarische Ministerium
das Anerbieten gemacht, zur Verständigung und Einigung über
gewisse das Gesammtreich und die wechselseitigen Beziehungen
betreffende Angelegenheiten in gemeinsame Berathung und Ver-
handlung zu treten. Jm Julius wurde dieses Anerbieten noch in
bestimmteren Ausdrücken wiederholt, und darauf hingewiesen, daß
die gleiche Berechtigung aller Nationalitäten festgestellt werden
müsse. Auch dieser Versuch blieb ohne Ersolg; mittlerweile aber
gestalteten sich die Umstände bedenklicher und die Nothwendigkeit
einer Abhülfe zeigte sich um so dringender, als die Aufregungen
zwischen Croatien und Ungarn immer drohender wurden. Dieses
veranlaßte das Ministerium, seine Ansichten über die mögliche Be-
schwichtigung immer zunehmenderer Zerwürfnisse in einer Staats-
schrift niederzulegen und solche mit einem Vortrage über die noth-
wendigsten Maßregeln an Se. Maj. zu begleiten. Se. Maj. ge-
ruhten auch am 31. August diese Staatsschrift dem ungarischen
Ministerium zur genauen Erwägung zu empfehlen, und solches
aufzufordern, innerhalb einer Frist von 8 bis 14 Tagen sich in
Wien zu der beabsichtigten Unterhandlung einzufinden. Das Mi-
nisterium hat von dieser Staatsschrift bisher keinen öffentlichen
Gebrauch gemacht aus Achtung für das ungarische Ministerium,
wenngleich deren Bekanntmachung zur Vertheidigung seiner red-
lichen Absichten offenbar gedient hätte. Da nun aber die erwähnte
Frist fruchtlos verstrichen, so nimmt das Ministerium keinen An-
stand, dieselbe nunmehr auf den Tisch des Hauses zu legen, und
ich ersuche den Herrn Justizminister, der hohen Versammlung die
weiter nöthigen Aufklärungen über das Benehmen des Ministeri-
ums in dieser Angelegenheit zn geben." Die in dieser Rede er-
wähnte Staatsschrift ist seitdem im Druck erschienen: es wird
darin der Bestand eines von dem österreichischen Kaiserhause ge-
trennten Königreichs Ungarn als eine politische Unmöglichkeit be-
zeichnet. Es stelle sich die unbedingte Nothwendigkeit heraus, die
seit dem März d. J. in der ungarischen Regierung vorgenomme-
nen Einrichtungen nach den Bedürfnissen der Gesammtmonarchie
und nach Wort und Sinn der pragmatischen Sanction zu ändern,
so daß die Einheit der Monarchie gefichert und eine vereinte
oberste Staatsleitung wieder hergestellt werde.

Wien 22. September. Aus dem nördlichen Ungarn lauten
die Nachrichten betrübend. Jn den slovakischen und rußniakischen
Comitaten herrscht die größte Aufregung. Die dortigen Bauern,
wie im Neutraer und andern Comitaten, sprechen sich laut für
[Spaltenumbruch] Jellachich aus, und wollen von einer Recrutenaushebung zu
Gunsten Ungarns nichts wissen. Jm Byharer Comitat wollte
man sieben Dörfer, die sich ebenso weigerten, durch herbeibeor-
derte Nationalgarde zwingen, allein die Bauern schaarten sich
zusammen und die Nationalgarde mußte abziehen. -- Vom
Kriegsschauplatz verschiedene, aber durchaus widersprechende und
darum unglaubwürdige Nachrichten. Heute ging hier das Gerücht
herum, Jellachich sey bereits in Stuhlweißenburg. Andere
wollen Nachrichten haben, die Ungarn hätten einen Sieg erfoch-
ten. Auch über das seit ein paar Tagen circulirende Gericht von
dem bei St Thomas durch die Ungarn eingenommenen Lager
der Serben weiß man nichts officielles, und die Nachricht scheint
somit sich auch nicht zu bestätigen. -- Pulszky ist heute aus
Pesth wieder hier eingetroffen.

Wien 23. September. Das galizische Jnfanterieregiment
"Großfürst Michael," welches Befehl hatte, nach Ungarn zu mar-
schiren, blieb an der Gränze in Dukla stehen, und das galizische
Cavallerieregiment "Johann Dragoner," sowie ein Theil des
Chevaulegersregimentes Wrbna hat sich dem Banus ange-
schlossen. Einer glaubwürdigen Mittheilung zufolge, hat sich der
Palatin Erzherzog Stephan nicht zur Armee gegen Jellachich,
sondern zum ungarischen Corps gegen die Serben begeben! Ge-
wiß scheint, daß über das Eintreffen des Palatins im ungarischen
Hauptquartier noch keine officielle Nachricht bekannt wurde. Aus
dem Neograder Comitate laufen betrübende Nachrichten über die
gereizte Stimmung der dortigen Bauern ein, die, wie fast sämmt-
liche Bewohner der nördlichen Comitate, aus Slowaken und Ruß-
niaken bestehen und sich laut für die slawisch=croatische Sache er-
klären. Die dortigen Edelleute entfernen sich bereits, um der
drohenden Gefahr zu entgehen.

Berlin 25. September, 5 Uhr Nachmittags. ( K. Z. ) Es
war und ist Alles heute hier vorbereitet für den Ausbruch einer
neuen Revolution; denn schon hatten die s. g. Volksführer nicht
mehr geglaubt, daß das Ministerium in solchem Grade nachgeben
werde, und für diesen Fall war der Ausbruch der Emeute be-
stimmt. Tausende von Menschen umgaben deßhalb schon seit dem
frühen Morgen das Sitzungslocal der Nationalversammlung,
und wer es sich seit längerer Zeit zur Aufgabe gemacht hat, die
Physiognomie derartiger Volksversammlungen mit Aufmerksam-
keit zu beobachten, der mußte bald erkennen, daß sich heute ganz
absonderliche und gefahrdrohende Elemente darunter befanden.
Nur eines Funkens bedurfte es, damit der hier angesammelte
Zündstoff in hellen Flammen emporschlug. Allein statt dieses
Funkens kam durch die Erklärung des Ministers v. Pfuel ein
Niederschlag für alle diese gährenden Elemente. Die Sitzung
wurde geschlossen, die Abgeordneten begaben sich ungefährdet
nach Hause, und die bloß durch ihre Neugierde herbeigelockten
Personen verliefen sich nach und nach. Aber noch viele Hunderte
blieben auf den Straßen zurück, Personen von einem unheim-
lichen Aussehen, zum großen Theil in trunkenem Zustande;
entwürdigt erblickte man die Farben des deutschen Reiches,
die Symbole deutscher Einheit, in einer großen Menge von
Bändern und dreifarbigen Mützen; doch das nicht genug, ganze
Banden sah man mit blutrothen Mützen, deren neues und zum
Theil elegantes Aussehen meist grell abstach gegen die sonstige
zerlumpte Kleidung. Noch ziehen diese Massen die Straßen auf
und ab, singend, tobend und lärmend, lassen sich Reden halten an
allen Ecken von ihren Führern, und die Hoch's und Bravo's
wollen dann nicht enden. Die Pferde spannt man von den Wa-
gen, setzt ein Dutzend Leute mit rothen Mützen hinauf und zieht
dieselben, umjubelt von der bachantisch rasenden Menge, im
Triumphe umher. Wir bewundern die Mäßigung, mit der man
es heute vermeidet, durch irgend welches Einschreiten die Leiden-
schaften noch heftiger anzuregen: kein Militär, keine Bürgerwehr
sieht man auf den Straßen.

Köln 27. September. ( K. Z. ) Jm Laufe des gestrigen
Tages ist unsere Garnison um drei Bataillone, nämlich des 13.,
17. und 34. Jnfanterieregiments, welch letzteres uns erst vor ein
paar Tagen verlassen hatte, und eine Abtheilung Schützen verstärkt
worden. Das 6. Ulanenregiment von Düsseldorf soll für die Dauer
des Belagerungszustandes nach Deutz verlegt seyn. Hier in Köln
wurden die Soldaten von ihren Cameraden mit Jubel empfangen
und nahmen theils an den Bivouaks auf den öffentlichen Plätzen
Theil, theils aber zogen sie in die Forts, da der ganze Rayon
der Festung mit Truppen besetzt ist. Während der ganzen Nacht ist
auch nicht die geringste Störung vorgefallen. Jm Laufe des heutigen
Tages wurden noch mehrere Verhaftungen vorgenommen. Die
beiden, am Montag der Verhaftung entgangenen Personen
werden steckbrieflich verfolgt.

Jn Regensburg gibt man sich viel Mühe, die Nationalver-
sammlung dorthin zu bekommen. Auf den 25. war eine Volks-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] geübt wird durch die verfassungsmäßigen Organe, d. h. in dem
großen Ganzen des Reiches durch Parlament und Centralgewalt,
in jedem einzelnen Staate durch die Regierung und die Stände,
in den einzelnen Gemeinden durch die gesetzlichen Gemeindebehör-
den. Nichts aber kann mit der Freiheit mehr im Widerspruch
stehen und dieselbe mehr gefährden, als wenn die gesetzlichen
Organe gelähmt sind und statt dessen — in der That und Wahr-
heit — Clubs die Alleinherrschaft üben; Clubs, in denen
immer Einzelne dominiren und Geschrei und Ge-
walt den Ausschlag gibt.

Und das Reich der Freiheit ist drittens ein Reich der Weis-
heit und der Besonnenheit.
Darum ist es hohe Zeit, wenn
nicht Alles zu Grunde gehen soll, daß diese fieberhafte Aufregung,
dieses blinde Toben, diese beständige Hetze des Volkes in stürmischen
Versammlungen und mit leidenschaftlichen Flugschriften ein Ende
nehmen. Wehe Denen, die sich ein Geschäft daraus machen, alle
wilden Leidenschaften immer mehr zu entflammen!

So stellet denn her, ihr Bürger selbst, vor Allem Sicher-
heit, gesetzliche Ordnung
und Besonnenheit — und
dann können, sollen Alle nach bestem Wissen und Vermögen zu-
sammenwirken, um das sittliche und materielle Wohl des Volkes
herzustellen und zu sichern; um die kleinen Bauern auf dem Lande,
und das kleine Gewerb und Handwerk in den Städten vor der
Verarmung zu schützen; die Armen aber wirksam zu unterstützen
und zu heben, und vor Allem die Lüderlichkeit uud Sittenlosigkeit,
diese Mutter vieler Uebel, auszurotten.



Deutschland.

Wien 20. September. ( A. Z. ) Die Rede, welche der Mi-
nisterpräsident Wessenberg in der merkwürdigen Sitzung der
Reichsversammlung vom gestrigen Tage in Beziehung auf die
ungarischen Verhältnisse hielt, lautete, wie ich von einem Ohren-
zeugen hörte, ungefähr folgendermaßen: „Jch sehe mich veran-
laßt über die Stellung des Ministeriums Ungarn gegenüber eine
Erklärung abzugeben. Die Stellung des Ministeriums Ungarn
gegenüber war nie eine feindliche, sondern eine versöhnende und
vermittelnde, der Wunsch des Ministeriums war und ist noch, die
Bande zwischen Ungarn und dem Gesammtreich immer fester zu
schlingen zum gegenseitigen Vortheil und Wohl. Jn dieser Ab-
sicht hat es schon im Monat Mai an das ungarische Ministerium
das Anerbieten gemacht, zur Verständigung und Einigung über
gewisse das Gesammtreich und die wechselseitigen Beziehungen
betreffende Angelegenheiten in gemeinsame Berathung und Ver-
handlung zu treten. Jm Julius wurde dieses Anerbieten noch in
bestimmteren Ausdrücken wiederholt, und darauf hingewiesen, daß
die gleiche Berechtigung aller Nationalitäten festgestellt werden
müsse. Auch dieser Versuch blieb ohne Ersolg; mittlerweile aber
gestalteten sich die Umstände bedenklicher und die Nothwendigkeit
einer Abhülfe zeigte sich um so dringender, als die Aufregungen
zwischen Croatien und Ungarn immer drohender wurden. Dieses
veranlaßte das Ministerium, seine Ansichten über die mögliche Be-
schwichtigung immer zunehmenderer Zerwürfnisse in einer Staats-
schrift niederzulegen und solche mit einem Vortrage über die noth-
wendigsten Maßregeln an Se. Maj. zu begleiten. Se. Maj. ge-
ruhten auch am 31. August diese Staatsschrift dem ungarischen
Ministerium zur genauen Erwägung zu empfehlen, und solches
aufzufordern, innerhalb einer Frist von 8 bis 14 Tagen sich in
Wien zu der beabsichtigten Unterhandlung einzufinden. Das Mi-
nisterium hat von dieser Staatsschrift bisher keinen öffentlichen
Gebrauch gemacht aus Achtung für das ungarische Ministerium,
wenngleich deren Bekanntmachung zur Vertheidigung seiner red-
lichen Absichten offenbar gedient hätte. Da nun aber die erwähnte
Frist fruchtlos verstrichen, so nimmt das Ministerium keinen An-
stand, dieselbe nunmehr auf den Tisch des Hauses zu legen, und
ich ersuche den Herrn Justizminister, der hohen Versammlung die
weiter nöthigen Aufklärungen über das Benehmen des Ministeri-
ums in dieser Angelegenheit zn geben.“ Die in dieser Rede er-
wähnte Staatsschrift ist seitdem im Druck erschienen: es wird
darin der Bestand eines von dem österreichischen Kaiserhause ge-
trennten Königreichs Ungarn als eine politische Unmöglichkeit be-
zeichnet. Es stelle sich die unbedingte Nothwendigkeit heraus, die
seit dem März d. J. in der ungarischen Regierung vorgenomme-
nen Einrichtungen nach den Bedürfnissen der Gesammtmonarchie
und nach Wort und Sinn der pragmatischen Sanction zu ändern,
so daß die Einheit der Monarchie gefichert und eine vereinte
oberste Staatsleitung wieder hergestellt werde.

Wien 22. September. Aus dem nördlichen Ungarn lauten
die Nachrichten betrübend. Jn den slovakischen und rußniakischen
Comitaten herrscht die größte Aufregung. Die dortigen Bauern,
wie im Neutraer und andern Comitaten, sprechen sich laut für
[Spaltenumbruch] Jellachich aus, und wollen von einer Recrutenaushebung zu
Gunsten Ungarns nichts wissen. Jm Byharer Comitat wollte
man sieben Dörfer, die sich ebenso weigerten, durch herbeibeor-
derte Nationalgarde zwingen, allein die Bauern schaarten sich
zusammen und die Nationalgarde mußte abziehen. — Vom
Kriegsschauplatz verschiedene, aber durchaus widersprechende und
darum unglaubwürdige Nachrichten. Heute ging hier das Gerücht
herum, Jellachich sey bereits in Stuhlweißenburg. Andere
wollen Nachrichten haben, die Ungarn hätten einen Sieg erfoch-
ten. Auch über das seit ein paar Tagen circulirende Gericht von
dem bei St Thomas durch die Ungarn eingenommenen Lager
der Serben weiß man nichts officielles, und die Nachricht scheint
somit sich auch nicht zu bestätigen. — Pulszky ist heute aus
Pesth wieder hier eingetroffen.

Wien 23. September. Das galizische Jnfanterieregiment
„Großfürst Michael,“ welches Befehl hatte, nach Ungarn zu mar-
schiren, blieb an der Gränze in Dukla stehen, und das galizische
Cavallerieregiment „Johann Dragoner,“ sowie ein Theil des
Chevaulegersregimentes Wrbna hat sich dem Banus ange-
schlossen. Einer glaubwürdigen Mittheilung zufolge, hat sich der
Palatin Erzherzog Stephan nicht zur Armee gegen Jellachich,
sondern zum ungarischen Corps gegen die Serben begeben! Ge-
wiß scheint, daß über das Eintreffen des Palatins im ungarischen
Hauptquartier noch keine officielle Nachricht bekannt wurde. Aus
dem Neograder Comitate laufen betrübende Nachrichten über die
gereizte Stimmung der dortigen Bauern ein, die, wie fast sämmt-
liche Bewohner der nördlichen Comitate, aus Slowaken und Ruß-
niaken bestehen und sich laut für die slawisch=croatische Sache er-
klären. Die dortigen Edelleute entfernen sich bereits, um der
drohenden Gefahr zu entgehen.

Berlin 25. September, 5 Uhr Nachmittags. ( K. Z. ) Es
war und ist Alles heute hier vorbereitet für den Ausbruch einer
neuen Revolution; denn schon hatten die s. g. Volksführer nicht
mehr geglaubt, daß das Ministerium in solchem Grade nachgeben
werde, und für diesen Fall war der Ausbruch der Emeute be-
stimmt. Tausende von Menschen umgaben deßhalb schon seit dem
frühen Morgen das Sitzungslocal der Nationalversammlung,
und wer es sich seit längerer Zeit zur Aufgabe gemacht hat, die
Physiognomie derartiger Volksversammlungen mit Aufmerksam-
keit zu beobachten, der mußte bald erkennen, daß sich heute ganz
absonderliche und gefahrdrohende Elemente darunter befanden.
Nur eines Funkens bedurfte es, damit der hier angesammelte
Zündstoff in hellen Flammen emporschlug. Allein statt dieses
Funkens kam durch die Erklärung des Ministers v. Pfuel ein
Niederschlag für alle diese gährenden Elemente. Die Sitzung
wurde geschlossen, die Abgeordneten begaben sich ungefährdet
nach Hause, und die bloß durch ihre Neugierde herbeigelockten
Personen verliefen sich nach und nach. Aber noch viele Hunderte
blieben auf den Straßen zurück, Personen von einem unheim-
lichen Aussehen, zum großen Theil in trunkenem Zustande;
entwürdigt erblickte man die Farben des deutschen Reiches,
die Symbole deutscher Einheit, in einer großen Menge von
Bändern und dreifarbigen Mützen; doch das nicht genug, ganze
Banden sah man mit blutrothen Mützen, deren neues und zum
Theil elegantes Aussehen meist grell abstach gegen die sonstige
zerlumpte Kleidung. Noch ziehen diese Massen die Straßen auf
und ab, singend, tobend und lärmend, lassen sich Reden halten an
allen Ecken von ihren Führern, und die Hoch's und Bravo's
wollen dann nicht enden. Die Pferde spannt man von den Wa-
gen, setzt ein Dutzend Leute mit rothen Mützen hinauf und zieht
dieselben, umjubelt von der bachantisch rasenden Menge, im
Triumphe umher. Wir bewundern die Mäßigung, mit der man
es heute vermeidet, durch irgend welches Einschreiten die Leiden-
schaften noch heftiger anzuregen: kein Militär, keine Bürgerwehr
sieht man auf den Straßen.

Köln 27. September. ( K. Z. ) Jm Laufe des gestrigen
Tages ist unsere Garnison um drei Bataillone, nämlich des 13.,
17. und 34. Jnfanterieregiments, welch letzteres uns erst vor ein
paar Tagen verlassen hatte, und eine Abtheilung Schützen verstärkt
worden. Das 6. Ulanenregiment von Düsseldorf soll für die Dauer
des Belagerungszustandes nach Deutz verlegt seyn. Hier in Köln
wurden die Soldaten von ihren Cameraden mit Jubel empfangen
und nahmen theils an den Bivouaks auf den öffentlichen Plätzen
Theil, theils aber zogen sie in die Forts, da der ganze Rayon
der Festung mit Truppen besetzt ist. Während der ganzen Nacht ist
auch nicht die geringste Störung vorgefallen. Jm Laufe des heutigen
Tages wurden noch mehrere Verhaftungen vorgenommen. Die
beiden, am Montag der Verhaftung entgangenen Personen
werden steckbrieflich verfolgt.

Jn Regensburg gibt man sich viel Mühe, die Nationalver-
sammlung dorthin zu bekommen. Auf den 25. war eine Volks-
[Ende Spaltensatz]

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[0002] geübt wird durch die verfassungsmäßigen Organe, d. h. in dem großen Ganzen des Reiches durch Parlament und Centralgewalt, in jedem einzelnen Staate durch die Regierung und die Stände, in den einzelnen Gemeinden durch die gesetzlichen Gemeindebehör- den. Nichts aber kann mit der Freiheit mehr im Widerspruch stehen und dieselbe mehr gefährden, als wenn die gesetzlichen Organe gelähmt sind und statt dessen — in der That und Wahr- heit — Clubs die Alleinherrschaft üben; Clubs, in denen immer Einzelne dominiren und Geschrei und Ge- walt den Ausschlag gibt. Und das Reich der Freiheit ist drittens ein Reich der Weis- heit und der Besonnenheit. Darum ist es hohe Zeit, wenn nicht Alles zu Grunde gehen soll, daß diese fieberhafte Aufregung, dieses blinde Toben, diese beständige Hetze des Volkes in stürmischen Versammlungen und mit leidenschaftlichen Flugschriften ein Ende nehmen. Wehe Denen, die sich ein Geschäft daraus machen, alle wilden Leidenschaften immer mehr zu entflammen! So stellet denn her, ihr Bürger selbst, vor Allem Sicher- heit, gesetzliche Ordnung und Besonnenheit — und dann können, sollen Alle nach bestem Wissen und Vermögen zu- sammenwirken, um das sittliche und materielle Wohl des Volkes herzustellen und zu sichern; um die kleinen Bauern auf dem Lande, und das kleine Gewerb und Handwerk in den Städten vor der Verarmung zu schützen; die Armen aber wirksam zu unterstützen und zu heben, und vor Allem die Lüderlichkeit uud Sittenlosigkeit, diese Mutter vieler Uebel, auszurotten. Deutschland. Wien 20. September. ( A. Z. ) Die Rede, welche der Mi- nisterpräsident Wessenberg in der merkwürdigen Sitzung der Reichsversammlung vom gestrigen Tage in Beziehung auf die ungarischen Verhältnisse hielt, lautete, wie ich von einem Ohren- zeugen hörte, ungefähr folgendermaßen: „Jch sehe mich veran- laßt über die Stellung des Ministeriums Ungarn gegenüber eine Erklärung abzugeben. Die Stellung des Ministeriums Ungarn gegenüber war nie eine feindliche, sondern eine versöhnende und vermittelnde, der Wunsch des Ministeriums war und ist noch, die Bande zwischen Ungarn und dem Gesammtreich immer fester zu schlingen zum gegenseitigen Vortheil und Wohl. Jn dieser Ab- sicht hat es schon im Monat Mai an das ungarische Ministerium das Anerbieten gemacht, zur Verständigung und Einigung über gewisse das Gesammtreich und die wechselseitigen Beziehungen betreffende Angelegenheiten in gemeinsame Berathung und Ver- handlung zu treten. Jm Julius wurde dieses Anerbieten noch in bestimmteren Ausdrücken wiederholt, und darauf hingewiesen, daß die gleiche Berechtigung aller Nationalitäten festgestellt werden müsse. Auch dieser Versuch blieb ohne Ersolg; mittlerweile aber gestalteten sich die Umstände bedenklicher und die Nothwendigkeit einer Abhülfe zeigte sich um so dringender, als die Aufregungen zwischen Croatien und Ungarn immer drohender wurden. Dieses veranlaßte das Ministerium, seine Ansichten über die mögliche Be- schwichtigung immer zunehmenderer Zerwürfnisse in einer Staats- schrift niederzulegen und solche mit einem Vortrage über die noth- wendigsten Maßregeln an Se. Maj. zu begleiten. Se. Maj. ge- ruhten auch am 31. August diese Staatsschrift dem ungarischen Ministerium zur genauen Erwägung zu empfehlen, und solches aufzufordern, innerhalb einer Frist von 8 bis 14 Tagen sich in Wien zu der beabsichtigten Unterhandlung einzufinden. Das Mi- nisterium hat von dieser Staatsschrift bisher keinen öffentlichen Gebrauch gemacht aus Achtung für das ungarische Ministerium, wenngleich deren Bekanntmachung zur Vertheidigung seiner red- lichen Absichten offenbar gedient hätte. Da nun aber die erwähnte Frist fruchtlos verstrichen, so nimmt das Ministerium keinen An- stand, dieselbe nunmehr auf den Tisch des Hauses zu legen, und ich ersuche den Herrn Justizminister, der hohen Versammlung die weiter nöthigen Aufklärungen über das Benehmen des Ministeri- ums in dieser Angelegenheit zn geben.“ Die in dieser Rede er- wähnte Staatsschrift ist seitdem im Druck erschienen: es wird darin der Bestand eines von dem österreichischen Kaiserhause ge- trennten Königreichs Ungarn als eine politische Unmöglichkeit be- zeichnet. Es stelle sich die unbedingte Nothwendigkeit heraus, die seit dem März d. J. in der ungarischen Regierung vorgenomme- nen Einrichtungen nach den Bedürfnissen der Gesammtmonarchie und nach Wort und Sinn der pragmatischen Sanction zu ändern, so daß die Einheit der Monarchie gefichert und eine vereinte oberste Staatsleitung wieder hergestellt werde. Wien 22. September. Aus dem nördlichen Ungarn lauten die Nachrichten betrübend. Jn den slovakischen und rußniakischen Comitaten herrscht die größte Aufregung. Die dortigen Bauern, wie im Neutraer und andern Comitaten, sprechen sich laut für Jellachich aus, und wollen von einer Recrutenaushebung zu Gunsten Ungarns nichts wissen. Jm Byharer Comitat wollte man sieben Dörfer, die sich ebenso weigerten, durch herbeibeor- derte Nationalgarde zwingen, allein die Bauern schaarten sich zusammen und die Nationalgarde mußte abziehen. — Vom Kriegsschauplatz verschiedene, aber durchaus widersprechende und darum unglaubwürdige Nachrichten. Heute ging hier das Gerücht herum, Jellachich sey bereits in Stuhlweißenburg. Andere wollen Nachrichten haben, die Ungarn hätten einen Sieg erfoch- ten. Auch über das seit ein paar Tagen circulirende Gericht von dem bei St Thomas durch die Ungarn eingenommenen Lager der Serben weiß man nichts officielles, und die Nachricht scheint somit sich auch nicht zu bestätigen. — Pulszky ist heute aus Pesth wieder hier eingetroffen. Wien 23. September. Das galizische Jnfanterieregiment „Großfürst Michael,“ welches Befehl hatte, nach Ungarn zu mar- schiren, blieb an der Gränze in Dukla stehen, und das galizische Cavallerieregiment „Johann Dragoner,“ sowie ein Theil des Chevaulegersregimentes Wrbna hat sich dem Banus ange- schlossen. Einer glaubwürdigen Mittheilung zufolge, hat sich der Palatin Erzherzog Stephan nicht zur Armee gegen Jellachich, sondern zum ungarischen Corps gegen die Serben begeben! Ge- wiß scheint, daß über das Eintreffen des Palatins im ungarischen Hauptquartier noch keine officielle Nachricht bekannt wurde. Aus dem Neograder Comitate laufen betrübende Nachrichten über die gereizte Stimmung der dortigen Bauern ein, die, wie fast sämmt- liche Bewohner der nördlichen Comitate, aus Slowaken und Ruß- niaken bestehen und sich laut für die slawisch=croatische Sache er- klären. Die dortigen Edelleute entfernen sich bereits, um der drohenden Gefahr zu entgehen. Berlin 25. September, 5 Uhr Nachmittags. ( K. Z. ) Es war und ist Alles heute hier vorbereitet für den Ausbruch einer neuen Revolution; denn schon hatten die s. g. Volksführer nicht mehr geglaubt, daß das Ministerium in solchem Grade nachgeben werde, und für diesen Fall war der Ausbruch der Emeute be- stimmt. Tausende von Menschen umgaben deßhalb schon seit dem frühen Morgen das Sitzungslocal der Nationalversammlung, und wer es sich seit längerer Zeit zur Aufgabe gemacht hat, die Physiognomie derartiger Volksversammlungen mit Aufmerksam- keit zu beobachten, der mußte bald erkennen, daß sich heute ganz absonderliche und gefahrdrohende Elemente darunter befanden. Nur eines Funkens bedurfte es, damit der hier angesammelte Zündstoff in hellen Flammen emporschlug. Allein statt dieses Funkens kam durch die Erklärung des Ministers v. Pfuel ein Niederschlag für alle diese gährenden Elemente. Die Sitzung wurde geschlossen, die Abgeordneten begaben sich ungefährdet nach Hause, und die bloß durch ihre Neugierde herbeigelockten Personen verliefen sich nach und nach. Aber noch viele Hunderte blieben auf den Straßen zurück, Personen von einem unheim- lichen Aussehen, zum großen Theil in trunkenem Zustande; entwürdigt erblickte man die Farben des deutschen Reiches, die Symbole deutscher Einheit, in einer großen Menge von Bändern und dreifarbigen Mützen; doch das nicht genug, ganze Banden sah man mit blutrothen Mützen, deren neues und zum Theil elegantes Aussehen meist grell abstach gegen die sonstige zerlumpte Kleidung. Noch ziehen diese Massen die Straßen auf und ab, singend, tobend und lärmend, lassen sich Reden halten an allen Ecken von ihren Führern, und die Hoch's und Bravo's wollen dann nicht enden. Die Pferde spannt man von den Wa- gen, setzt ein Dutzend Leute mit rothen Mützen hinauf und zieht dieselben, umjubelt von der bachantisch rasenden Menge, im Triumphe umher. Wir bewundern die Mäßigung, mit der man es heute vermeidet, durch irgend welches Einschreiten die Leiden- schaften noch heftiger anzuregen: kein Militär, keine Bürgerwehr sieht man auf den Straßen. Köln 27. September. ( K. Z. ) Jm Laufe des gestrigen Tages ist unsere Garnison um drei Bataillone, nämlich des 13., 17. und 34. Jnfanterieregiments, welch letzteres uns erst vor ein paar Tagen verlassen hatte, und eine Abtheilung Schützen verstärkt worden. Das 6. Ulanenregiment von Düsseldorf soll für die Dauer des Belagerungszustandes nach Deutz verlegt seyn. Hier in Köln wurden die Soldaten von ihren Cameraden mit Jubel empfangen und nahmen theils an den Bivouaks auf den öffentlichen Plätzen Theil, theils aber zogen sie in die Forts, da der ganze Rayon der Festung mit Truppen besetzt ist. Während der ganzen Nacht ist auch nicht die geringste Störung vorgefallen. Jm Laufe des heutigen Tages wurden noch mehrere Verhaftungen vorgenommen. Die beiden, am Montag der Verhaftung entgangenen Personen werden steckbrieflich verfolgt. Jn Regensburg gibt man sich viel Mühe, die Nationalver- sammlung dorthin zu bekommen. Auf den 25. war eine Volks-

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 98. Mainz, 28. September 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal098_1848/2>, abgerufen am 23.11.2024.