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Mainzer Journal. Nr. 135. Mainz, 10. November 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 135. Freitag, den 10. November. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Volksversammlungen und Fahnenweihen.

# Aus Rheinhessen 8. November. Man hat in unserer
Provinz an besonders herausgesuchten Orten Preußen gelegt,
Fußvolk, Reiterei und Geschütze. Die Truppen stehen in Worms,
Westhofen, Alzei, Elsheim, Ober-
und Niederingel-
heim.
Gerade diese Orte waren die Hauptsitze der Bewegung,
d. h. hier befanden sich Leute, welche sich die größte Mühe gaben,
das Volk aufzuregen, und hier trafen sie auch in der Bevölkerung
selbst am meisten Empfänglichkeit für ihr Wirken. Es ist übri-
gens fast unglaublich, wie viel schon in unserem kleinen Lande ge-
schehen ist, die Massen aufzuregen. Bisher war fast an jedem
Sonntage auf irgend einem Dorfe, oder auch auf mehreren s. g.
Turnfahnenweihe. Es ging bei diesen Festlichkeiten immer auf die-
selbe Weise her, und hat man Einer beigewohnt, so kennt man
alle durch und durch. Die Turner mit Schlapphüten nebst ver-
schiedenartiger Verzierung daran ( die am wildesten scheinen wol-
len, haben sich eine rothe Feder auf den Hut gesteckt ) , ganz grau
in grau, fangen früh Morgens schon an, zu schießen. Mit Schie-
ßen empfangen dieselben dann die Brüder Turner, die an einem
solch festlichen Tage von allen Seiten, oft von weit her, kommen
und am Sonntagsmorgen, frei vom Aberglauben, während ihres
Marsches Gott in der Natur anbeten und ihr Herz durch ein küh-
nes: "Schleswig=Holstein" zu ihm erheben. Präsidenten und Fest-
ordner gibt es denn bei diesen Gelegenheiten ebenfalls, welche die
Wichtigkeit ihres Amtes tief begreifen. Sie empfangen die frem-
den Turnerdeputationen und begrüßen sie, so gut sie können. Die
Musik spielt das "Schleswig=Holstein," welches nachgerade so
langweilig wird, wie ehemals der Krieg in Schleswig; die Häu-
ser der Turner, oft des ganzen Dorfes, sind mit Laubwerk und
Fahnen verziert, als ob man den großen Retter aus der Noth
empfangen wolle. Zur bestimmten Zeit, häufig wann der Gottes-
dienst beginnt, wird denn die Fahnenweihe vorgenommen. Zarte
Jungfrauen in weißen Kleidern mit schwarz=roth=gelben Bän-
dern, die Fahne und Kränze tragend, überreichen dann die erstere
als das Heiligthum dem Präsidenten der Turner, und eine von
ihnen sagt dazu einen Spruch oder hält auch wohl ( soweit ist es
bei den früheren Landmädchen schon gekommen ) eine Rede. Lange
vorher hat die Rednerin auf diesen wichtigen Augenblick sich vor-
bereitet. Eine für die Freiheit sich aufopfernde, für das Wohl des
Volkes sich ganz verzehrende, durch ihr bisheriges, mindestens
höchst zweckloses Leben sattsam bekannte Persönlichkeit hat es sich
in der Pfalz zu einem erwerbsmäßigen Geschäfte gemacht, den
Jungfrauen die Reden beizubringen, welche sie bei den Fahnen-
weihen zu halten haben. Der Sprecher der Turner dankt nun und
grüßt die Gäste, wenn er seine Rede, an der er sich, wer weiß
wie lange schon, den Kopf zerbrochen hat, fertig bringen kann.
Nun jeder Redner, mag er seyn, wie er will, hat doch den Trost,
auf jeden Fall unter einem gewaltigen Tusche der Musik von der
Bühne herabzusteigen. Die fremden Redner sind meistens bei allen
diesen Gelegenheiten dieselben.

Es ist übrigens merkwürdig, daß das Redehaltenfieber in
viele Bauern, junge und alte, Handwerksleute u. dgl. hineinge-
fahren ist, wie ein böser Geist, dem sie gar nicht widerstehen kön-
nen. Diese oder ein kühner, junger Turner, mit wallendem Haupt-
haare, klären nun das Volk auf. Wenn man bei den größeren
Versammlungen hin und wieder Einen hört, der doch wenigstens
Etwas redet, das man verstehen kann, so ist das bei diesen kleine-
ren Festen meistens unmöglich. Die Redner strengen sich an und
sprechen, aber zu sagen, was sie denn eigentlich gewollt haben,
das ist für die Zuhörer so schwer, wie gar für die Redner selbst.
Das verworrenste und tollste Zeug kommt da in der Regel zum
[Spaltenumbruch] Vorscheine, und es ist entsetzlich, daß solche Leute, die erst anfan-
gen müßten zu lernen, den Dünkel haben zu lehren und das Volk
aufzuklären. Einige Gemeinplätze bringen sie denn hervor; sie
eifern gegen die Fürsten und Adeligen, unter denen sie sich ( denn
Viele haben ihr Leben lang beide noch nie gesehen ) entsetzliche
Menschenfresser, Tyrannen und Böswichter vorstellen, die auf
nichts sinnen, als dem armen Volke das Blut auszusaugen ( wäh-
rend die wahren Blutsauger des Volkes oft ganz nahe und manch-
mal unter den Turnern selbst zu greifen sind ) , die nichts thun, als
schwelgen, und das thäten andere Leute auch gar zu gern! Solche
Redner, die schon erboster sind, schleudern auch kräftige Worte gegen
die "Pfaffen," von denen sie nichts wissen wollen. Am furchtbarsten
sind diejenigen, welche ihre Kenntnisse aus Romanbüchern und der
Didaskalia her haben, und das glauben und getreulich nachbeten,
was sie in diesen zuverlässigen und wahrhaften Geschichten gelesen
haben. Diese sind ganz wüthend über die Scheiterhaufen, Verfol-
gungen, die Herrschsucht und Unterdrückung, die nirgends zu sehen
sind und an die Niemand denkt, als jene Gespensterseher selbst. Die
Herbeiziehung der Religion in Reden bei solchen Veranlassungen
trägt gewiß zur Einheit und zum Frieden Deutschlands, wie zum
Wohle des Volkes nichts bei.

Besonders verliert sich auf diesen Weg immer der ehemalige
deutschkatholische Pfarrer Würmle, der in Krenznach eben
durch die Herausgabe des "Demokraten" für sich und Andere
wirkt, obwohl es die Leiter der Bewegung nicht gern sehen,
wenn jetzt schon religiöse Fragen herbei gezogen werden, und auch
schon mehrfach dem Würmle ihre Unzufriedenheit zu erkennen ge-
geben haben. Doch wessen das Herz voll ist, davon läuft der
Mund über. Würmle erzählt dem Volke seine grausame Behand-
lung unter der päpstlichen Tyrannei, daß nämlich er durch seine
Mutter sich habe bestimmen lassen, Geistlicher zu werden, und
daß er, als er nicht habe für die barmherzigen Schwestern pre-
digen wollen, auf eine andere Station u. s. w. versetzt worden
sey; dann fordert er auf, den Druck des Papstes nicht mehr zu
dulden. Von dem Steckbriefe, welchen das freiburger Ordinariat
seiner Zeit dem würdigen Manne nachgeschickt, schweigt Herr
Würmle wohlweislich. Durch dies und ähnliches Geschwätz hat er
in und um Kreuznach zum Untergange des Rongethumes vesser
gewirkt, als der eifrigste Prediger der Wahrheit hätte thun kön-
nen; denn Katholiken und Protestanten überzeugen sich deutlich,
daß hier an Sache und Person aber auch gar nichts ist. So
sind die Reden in der Regel bei den Fahnenweihen beschaffen.
Die Gäste ziehen heim, oftmals unzufrieden über den Empfang;
die Wirthe machen manchmal ein saueres Gesicht, weil Einer
oder der Andere geglaubt hat, es sey schon die glückliche Zeit ge-
kommen, wo man umsonst seine Bratwürste verspeist und seinen
Wein trinkt, und so löst sich denn Alles auf. Wahrer Nutzen
geht aus all diesen Versammlungen nicht hervor, die Tollen
werden nur immer toller und verwirrter, der Beutel leerer, die
Unzufriedenheit größer, das Glück kleiner. Das sind die Wahr-
nehmungen, die ich gemacht habe.



Deutschland.

Wien. ( A. Z. ) Was die Verhafteten betrifft, so versichert ein
Brief aus dem Hauptquartiere vom 4. November, bis dahin sey
das Standrecht an Niemand vollzogen worden, als an sieben Ueber-
gelaufenen und mit den Waffen in der Hand gefangenen Solda-
ten. Aber noch mögen viele der kommenden Stunde mit Bangniß
entgegensehen. General Bem sey verwundet und gefangen ( schon
am 30. October ) , so versichert der Brief eines unter Jellachich
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 135. Freitag, den 10. November. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Volksversammlungen und Fahnenweihen.

# Aus Rheinhessen 8. November. Man hat in unserer
Provinz an besonders herausgesuchten Orten Preußen gelegt,
Fußvolk, Reiterei und Geschütze. Die Truppen stehen in Worms,
Westhofen, Alzei, Elsheim, Ober-
und Niederingel-
heim.
Gerade diese Orte waren die Hauptsitze der Bewegung,
d. h. hier befanden sich Leute, welche sich die größte Mühe gaben,
das Volk aufzuregen, und hier trafen sie auch in der Bevölkerung
selbst am meisten Empfänglichkeit für ihr Wirken. Es ist übri-
gens fast unglaublich, wie viel schon in unserem kleinen Lande ge-
schehen ist, die Massen aufzuregen. Bisher war fast an jedem
Sonntage auf irgend einem Dorfe, oder auch auf mehreren s. g.
Turnfahnenweihe. Es ging bei diesen Festlichkeiten immer auf die-
selbe Weise her, und hat man Einer beigewohnt, so kennt man
alle durch und durch. Die Turner mit Schlapphüten nebst ver-
schiedenartiger Verzierung daran ( die am wildesten scheinen wol-
len, haben sich eine rothe Feder auf den Hut gesteckt ) , ganz grau
in grau, fangen früh Morgens schon an, zu schießen. Mit Schie-
ßen empfangen dieselben dann die Brüder Turner, die an einem
solch festlichen Tage von allen Seiten, oft von weit her, kommen
und am Sonntagsmorgen, frei vom Aberglauben, während ihres
Marsches Gott in der Natur anbeten und ihr Herz durch ein küh-
nes: „Schleswig=Holstein“ zu ihm erheben. Präsidenten und Fest-
ordner gibt es denn bei diesen Gelegenheiten ebenfalls, welche die
Wichtigkeit ihres Amtes tief begreifen. Sie empfangen die frem-
den Turnerdeputationen und begrüßen sie, so gut sie können. Die
Musik spielt das „Schleswig=Holstein,“ welches nachgerade so
langweilig wird, wie ehemals der Krieg in Schleswig; die Häu-
ser der Turner, oft des ganzen Dorfes, sind mit Laubwerk und
Fahnen verziert, als ob man den großen Retter aus der Noth
empfangen wolle. Zur bestimmten Zeit, häufig wann der Gottes-
dienst beginnt, wird denn die Fahnenweihe vorgenommen. Zarte
Jungfrauen in weißen Kleidern mit schwarz=roth=gelben Bän-
dern, die Fahne und Kränze tragend, überreichen dann die erstere
als das Heiligthum dem Präsidenten der Turner, und eine von
ihnen sagt dazu einen Spruch oder hält auch wohl ( soweit ist es
bei den früheren Landmädchen schon gekommen ) eine Rede. Lange
vorher hat die Rednerin auf diesen wichtigen Augenblick sich vor-
bereitet. Eine für die Freiheit sich aufopfernde, für das Wohl des
Volkes sich ganz verzehrende, durch ihr bisheriges, mindestens
höchst zweckloses Leben sattsam bekannte Persönlichkeit hat es sich
in der Pfalz zu einem erwerbsmäßigen Geschäfte gemacht, den
Jungfrauen die Reden beizubringen, welche sie bei den Fahnen-
weihen zu halten haben. Der Sprecher der Turner dankt nun und
grüßt die Gäste, wenn er seine Rede, an der er sich, wer weiß
wie lange schon, den Kopf zerbrochen hat, fertig bringen kann.
Nun jeder Redner, mag er seyn, wie er will, hat doch den Trost,
auf jeden Fall unter einem gewaltigen Tusche der Musik von der
Bühne herabzusteigen. Die fremden Redner sind meistens bei allen
diesen Gelegenheiten dieselben.

Es ist übrigens merkwürdig, daß das Redehaltenfieber in
viele Bauern, junge und alte, Handwerksleute u. dgl. hineinge-
fahren ist, wie ein böser Geist, dem sie gar nicht widerstehen kön-
nen. Diese oder ein kühner, junger Turner, mit wallendem Haupt-
haare, klären nun das Volk auf. Wenn man bei den größeren
Versammlungen hin und wieder Einen hört, der doch wenigstens
Etwas redet, das man verstehen kann, so ist das bei diesen kleine-
ren Festen meistens unmöglich. Die Redner strengen sich an und
sprechen, aber zu sagen, was sie denn eigentlich gewollt haben,
das ist für die Zuhörer so schwer, wie gar für die Redner selbst.
Das verworrenste und tollste Zeug kommt da in der Regel zum
[Spaltenumbruch] Vorscheine, und es ist entsetzlich, daß solche Leute, die erst anfan-
gen müßten zu lernen, den Dünkel haben zu lehren und das Volk
aufzuklären. Einige Gemeinplätze bringen sie denn hervor; sie
eifern gegen die Fürsten und Adeligen, unter denen sie sich ( denn
Viele haben ihr Leben lang beide noch nie gesehen ) entsetzliche
Menschenfresser, Tyrannen und Böswichter vorstellen, die auf
nichts sinnen, als dem armen Volke das Blut auszusaugen ( wäh-
rend die wahren Blutsauger des Volkes oft ganz nahe und manch-
mal unter den Turnern selbst zu greifen sind ) , die nichts thun, als
schwelgen, und das thäten andere Leute auch gar zu gern! Solche
Redner, die schon erboster sind, schleudern auch kräftige Worte gegen
die „Pfaffen,“ von denen sie nichts wissen wollen. Am furchtbarsten
sind diejenigen, welche ihre Kenntnisse aus Romanbüchern und der
Didaskalia her haben, und das glauben und getreulich nachbeten,
was sie in diesen zuverlässigen und wahrhaften Geschichten gelesen
haben. Diese sind ganz wüthend über die Scheiterhaufen, Verfol-
gungen, die Herrschsucht und Unterdrückung, die nirgends zu sehen
sind und an die Niemand denkt, als jene Gespensterseher selbst. Die
Herbeiziehung der Religion in Reden bei solchen Veranlassungen
trägt gewiß zur Einheit und zum Frieden Deutschlands, wie zum
Wohle des Volkes nichts bei.

Besonders verliert sich auf diesen Weg immer der ehemalige
deutschkatholische Pfarrer Würmle, der in Krenznach eben
durch die Herausgabe des „Demokraten“ für sich und Andere
wirkt, obwohl es die Leiter der Bewegung nicht gern sehen,
wenn jetzt schon religiöse Fragen herbei gezogen werden, und auch
schon mehrfach dem Würmle ihre Unzufriedenheit zu erkennen ge-
geben haben. Doch wessen das Herz voll ist, davon läuft der
Mund über. Würmle erzählt dem Volke seine grausame Behand-
lung unter der päpstlichen Tyrannei, daß nämlich er durch seine
Mutter sich habe bestimmen lassen, Geistlicher zu werden, und
daß er, als er nicht habe für die barmherzigen Schwestern pre-
digen wollen, auf eine andere Station u. s. w. versetzt worden
sey; dann fordert er auf, den Druck des Papstes nicht mehr zu
dulden. Von dem Steckbriefe, welchen das freiburger Ordinariat
seiner Zeit dem würdigen Manne nachgeschickt, schweigt Herr
Würmle wohlweislich. Durch dies und ähnliches Geschwätz hat er
in und um Kreuznach zum Untergange des Rongethumes vesser
gewirkt, als der eifrigste Prediger der Wahrheit hätte thun kön-
nen; denn Katholiken und Protestanten überzeugen sich deutlich,
daß hier an Sache und Person aber auch gar nichts ist. So
sind die Reden in der Regel bei den Fahnenweihen beschaffen.
Die Gäste ziehen heim, oftmals unzufrieden über den Empfang;
die Wirthe machen manchmal ein saueres Gesicht, weil Einer
oder der Andere geglaubt hat, es sey schon die glückliche Zeit ge-
kommen, wo man umsonst seine Bratwürste verspeist und seinen
Wein trinkt, und so löst sich denn Alles auf. Wahrer Nutzen
geht aus all diesen Versammlungen nicht hervor, die Tollen
werden nur immer toller und verwirrter, der Beutel leerer, die
Unzufriedenheit größer, das Glück kleiner. Das sind die Wahr-
nehmungen, die ich gemacht habe.



Deutschland.

Wien. ( A. Z. ) Was die Verhafteten betrifft, so versichert ein
Brief aus dem Hauptquartiere vom 4. November, bis dahin sey
das Standrecht an Niemand vollzogen worden, als an sieben Ueber-
gelaufenen und mit den Waffen in der Hand gefangenen Solda-
ten. Aber noch mögen viele der kommenden Stunde mit Bangniß
entgegensehen. General Bem sey verwundet und gefangen ( schon
am 30. October ) , so versichert der Brief eines unter Jellachich
[Ende Spaltensatz]

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[0001] Mainzer Journal. Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs- blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an; für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben- falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet. Nro 135. Freitag, den 10. November. 1848. Volksversammlungen und Fahnenweihen. # Aus Rheinhessen 8. November. Man hat in unserer Provinz an besonders herausgesuchten Orten Preußen gelegt, Fußvolk, Reiterei und Geschütze. Die Truppen stehen in Worms, Westhofen, Alzei, Elsheim, Ober- und Niederingel- heim. Gerade diese Orte waren die Hauptsitze der Bewegung, d. h. hier befanden sich Leute, welche sich die größte Mühe gaben, das Volk aufzuregen, und hier trafen sie auch in der Bevölkerung selbst am meisten Empfänglichkeit für ihr Wirken. Es ist übri- gens fast unglaublich, wie viel schon in unserem kleinen Lande ge- schehen ist, die Massen aufzuregen. Bisher war fast an jedem Sonntage auf irgend einem Dorfe, oder auch auf mehreren s. g. Turnfahnenweihe. Es ging bei diesen Festlichkeiten immer auf die- selbe Weise her, und hat man Einer beigewohnt, so kennt man alle durch und durch. Die Turner mit Schlapphüten nebst ver- schiedenartiger Verzierung daran ( die am wildesten scheinen wol- len, haben sich eine rothe Feder auf den Hut gesteckt ) , ganz grau in grau, fangen früh Morgens schon an, zu schießen. Mit Schie- ßen empfangen dieselben dann die Brüder Turner, die an einem solch festlichen Tage von allen Seiten, oft von weit her, kommen und am Sonntagsmorgen, frei vom Aberglauben, während ihres Marsches Gott in der Natur anbeten und ihr Herz durch ein küh- nes: „Schleswig=Holstein“ zu ihm erheben. Präsidenten und Fest- ordner gibt es denn bei diesen Gelegenheiten ebenfalls, welche die Wichtigkeit ihres Amtes tief begreifen. Sie empfangen die frem- den Turnerdeputationen und begrüßen sie, so gut sie können. Die Musik spielt das „Schleswig=Holstein,“ welches nachgerade so langweilig wird, wie ehemals der Krieg in Schleswig; die Häu- ser der Turner, oft des ganzen Dorfes, sind mit Laubwerk und Fahnen verziert, als ob man den großen Retter aus der Noth empfangen wolle. Zur bestimmten Zeit, häufig wann der Gottes- dienst beginnt, wird denn die Fahnenweihe vorgenommen. Zarte Jungfrauen in weißen Kleidern mit schwarz=roth=gelben Bän- dern, die Fahne und Kränze tragend, überreichen dann die erstere als das Heiligthum dem Präsidenten der Turner, und eine von ihnen sagt dazu einen Spruch oder hält auch wohl ( soweit ist es bei den früheren Landmädchen schon gekommen ) eine Rede. Lange vorher hat die Rednerin auf diesen wichtigen Augenblick sich vor- bereitet. Eine für die Freiheit sich aufopfernde, für das Wohl des Volkes sich ganz verzehrende, durch ihr bisheriges, mindestens höchst zweckloses Leben sattsam bekannte Persönlichkeit hat es sich in der Pfalz zu einem erwerbsmäßigen Geschäfte gemacht, den Jungfrauen die Reden beizubringen, welche sie bei den Fahnen- weihen zu halten haben. Der Sprecher der Turner dankt nun und grüßt die Gäste, wenn er seine Rede, an der er sich, wer weiß wie lange schon, den Kopf zerbrochen hat, fertig bringen kann. Nun jeder Redner, mag er seyn, wie er will, hat doch den Trost, auf jeden Fall unter einem gewaltigen Tusche der Musik von der Bühne herabzusteigen. Die fremden Redner sind meistens bei allen diesen Gelegenheiten dieselben. Es ist übrigens merkwürdig, daß das Redehaltenfieber in viele Bauern, junge und alte, Handwerksleute u. dgl. hineinge- fahren ist, wie ein böser Geist, dem sie gar nicht widerstehen kön- nen. Diese oder ein kühner, junger Turner, mit wallendem Haupt- haare, klären nun das Volk auf. Wenn man bei den größeren Versammlungen hin und wieder Einen hört, der doch wenigstens Etwas redet, das man verstehen kann, so ist das bei diesen kleine- ren Festen meistens unmöglich. Die Redner strengen sich an und sprechen, aber zu sagen, was sie denn eigentlich gewollt haben, das ist für die Zuhörer so schwer, wie gar für die Redner selbst. Das verworrenste und tollste Zeug kommt da in der Regel zum Vorscheine, und es ist entsetzlich, daß solche Leute, die erst anfan- gen müßten zu lernen, den Dünkel haben zu lehren und das Volk aufzuklären. Einige Gemeinplätze bringen sie denn hervor; sie eifern gegen die Fürsten und Adeligen, unter denen sie sich ( denn Viele haben ihr Leben lang beide noch nie gesehen ) entsetzliche Menschenfresser, Tyrannen und Böswichter vorstellen, die auf nichts sinnen, als dem armen Volke das Blut auszusaugen ( wäh- rend die wahren Blutsauger des Volkes oft ganz nahe und manch- mal unter den Turnern selbst zu greifen sind ) , die nichts thun, als schwelgen, und das thäten andere Leute auch gar zu gern! Solche Redner, die schon erboster sind, schleudern auch kräftige Worte gegen die „Pfaffen,“ von denen sie nichts wissen wollen. Am furchtbarsten sind diejenigen, welche ihre Kenntnisse aus Romanbüchern und der Didaskalia her haben, und das glauben und getreulich nachbeten, was sie in diesen zuverlässigen und wahrhaften Geschichten gelesen haben. Diese sind ganz wüthend über die Scheiterhaufen, Verfol- gungen, die Herrschsucht und Unterdrückung, die nirgends zu sehen sind und an die Niemand denkt, als jene Gespensterseher selbst. Die Herbeiziehung der Religion in Reden bei solchen Veranlassungen trägt gewiß zur Einheit und zum Frieden Deutschlands, wie zum Wohle des Volkes nichts bei. Besonders verliert sich auf diesen Weg immer der ehemalige deutschkatholische Pfarrer Würmle, der in Krenznach eben durch die Herausgabe des „Demokraten“ für sich und Andere wirkt, obwohl es die Leiter der Bewegung nicht gern sehen, wenn jetzt schon religiöse Fragen herbei gezogen werden, und auch schon mehrfach dem Würmle ihre Unzufriedenheit zu erkennen ge- geben haben. Doch wessen das Herz voll ist, davon läuft der Mund über. Würmle erzählt dem Volke seine grausame Behand- lung unter der päpstlichen Tyrannei, daß nämlich er durch seine Mutter sich habe bestimmen lassen, Geistlicher zu werden, und daß er, als er nicht habe für die barmherzigen Schwestern pre- digen wollen, auf eine andere Station u. s. w. versetzt worden sey; dann fordert er auf, den Druck des Papstes nicht mehr zu dulden. Von dem Steckbriefe, welchen das freiburger Ordinariat seiner Zeit dem würdigen Manne nachgeschickt, schweigt Herr Würmle wohlweislich. Durch dies und ähnliches Geschwätz hat er in und um Kreuznach zum Untergange des Rongethumes vesser gewirkt, als der eifrigste Prediger der Wahrheit hätte thun kön- nen; denn Katholiken und Protestanten überzeugen sich deutlich, daß hier an Sache und Person aber auch gar nichts ist. So sind die Reden in der Regel bei den Fahnenweihen beschaffen. Die Gäste ziehen heim, oftmals unzufrieden über den Empfang; die Wirthe machen manchmal ein saueres Gesicht, weil Einer oder der Andere geglaubt hat, es sey schon die glückliche Zeit ge- kommen, wo man umsonst seine Bratwürste verspeist und seinen Wein trinkt, und so löst sich denn Alles auf. Wahrer Nutzen geht aus all diesen Versammlungen nicht hervor, die Tollen werden nur immer toller und verwirrter, der Beutel leerer, die Unzufriedenheit größer, das Glück kleiner. Das sind die Wahr- nehmungen, die ich gemacht habe. Deutschland. Wien. ( A. Z. ) Was die Verhafteten betrifft, so versichert ein Brief aus dem Hauptquartiere vom 4. November, bis dahin sey das Standrecht an Niemand vollzogen worden, als an sieben Ueber- gelaufenen und mit den Waffen in der Hand gefangenen Solda- ten. Aber noch mögen viele der kommenden Stunde mit Bangniß entgegensehen. General Bem sey verwundet und gefangen ( schon am 30. October ) , so versichert der Brief eines unter Jellachich

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 135. Mainz, 10. November 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal135_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.