Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mainzer Journal. Nr. 156. Mainz, 5. Dezember 1848.

Bild:
<< vorherige Seite
letzte Seite

[Beginn Spaltensatz] sehr bedeutende Ausfälle stattfanden. Dies der Grund, wa-
rum die bisherigen Abgaben sämmtlich forterhoben werden sollen
und die neue außerordentliche Einkommensteuer noch dazu kommt.

Jtalien.

Die "Allgemeine Zeitung" hat Briefe aus Rom vom 25.
November Abends. Die römische Kammer bildete permanente
Sectionen. Canino, der Napoleonide, der in Jtalien dasselbe
Spiel zu beabsichtigen scheint, wie Ludwig Bonaparte in Frank-
reich, drang auf augenblickliche Berufung der italienischen Con-
stituante, wurde aber von dem Ministerium, in dem freilich sein
Secretär Sterbini sitzt, wenigstens zum Scheine bekämpft. Diese
nach Jtalien hinüber reichende Napoleonische Verzweigung dürfte
Cavaignacs Jnterventionsbeschluß bestärkt haben. Der bayerische
Gesandte begab sich von Rom nach Neapel. Die Ruhe war bis
zum 25. Abends nicht gestört worden.

Frankreich.

M Paris 30. November. Wenn die Clubs für die von den
Wühlern aufgeregten und verführten unwissenden Massen auch
gefährlich sind, so haben sie andererseits wenigstens das Gute,
daß die Jdeen sich offen in ihnen aussprechen, durch welche unsere
Revolutionäre und Reformatoren die Societät umzugestalten ge-
denken. Jch habe der letzten Sitzung des Revolutionsclubs beige-
wohnt, bei welcher etwa 3000 Personen anwesend waren. Da
kam zuerst ein Redner und erzählte die Mißhandlungen, die ihm
in einem napoleonischen Club widerfahren seyen, die Zuhörer-
schaft nahm indessen die Schilderung des unglücklichen Schlacht-
opfers trotz aller angewandten Reizmittelchen sehr kühl auf.
Mehr Beifall fand schon ein anderer Redner, der für die Candi-
datur Raspails sprach und das von dem Berge zu Gunsten
Ledru=Rollins erlassene Manifest bekämpfte. Die Vorwürfe,
welche der socialistische Redner dem Berge machte, lassen sich etwa
auf Folgendes reduciren. Der Berg hat nicht den Muth gehabt
in der Nationalversammlung den Antrag zu stellen, daß das
französische Volk zur Unterstützung der radicalen Jtaliener, der
deutschen Demokraten und der Magyaren allen Tyrannen den
Krieg erklären solle; er hat das Einkommen vom Vermögen und
den Miethzins vom Eigenthume wie seither fortbestehen lassen,
obgleich, wenn dem Eigenthume der Garaus gemacht werden soll,
Zinsenzahlung und Miethzins abgeschafft werden müssen; auch
das Budget des Cultus hat er nicht beseitigt, Gott, rief der
Redner aus, ist ein Vernunftbegriff, den ich nicht
kenne,
und auch der Staat sollte dieses Wesen nicht kennen und
in der Person seiner Diener es nicht bezahlen; Sie seyen, dieser
"Bürger" ist für unbeschränkte Cultusfreiheit! Mit einer Jncon-
sequenz aber, die bei diesem Schlage Leute nur zu oft vorkommt,
will er keine Unterrichtsfreiheit, um "die Rechte des Staates nicht
zu schmälern." Jn dieser Beziehung bemerkte der Redner, er
wisse aus ganz guter Quelle, daß die Regierung den Bischöfen
geschrieben und ihnen Cavaignac als Präsidenten empfohlen habe,
als Ersatz dafür habe man die Unterrichtsfreiheit und Zurück-
nahme des in der ersten revolutionären Hitze erlassenen Gesetzes
über den Primärunterricht in Aussicht gestellt. Der letzte Vor-
wurf, welchen dieser Apostel des Socialismus dem Berge machte,
war, daß er die bürgerliche und politische Emancipation der
Frauen noch nicht proclamirt habe. Die ganze Rede war, wie
Sie sich denken können, mit Lobsprüchen auf Raspail, Louis
Blanc und Barbes reichlich gewürzt, und als die Sprache auf
den Letztern kam, verdrehte er ganz andächtig die Augen und
seufzte tief auf: "Jch liebe ihn wie einen Vater!" ( Beifall. )

Auch Mathien de la Drome war wieder da und der gute
Mann scheint für die oratorischen Schlappen, die er in der Na-
tionalversammlung erleidet, einen gewissen Trost in den Clubs
suchen zu wollen, wo Ledru=Rollin die Rolle des Elephanten
und er die des Kornaks spielt. Jch glaube indessen nicht, daß
der Eifer des Herrn Mathieu dem Führer der äußersten Linken
besonders gute Dienste leistet, die letzte Sitzung des Revolutions-
clubs hat ihm wenigstens keine Lorberen gebracht. Der Redner
hatte den unglücklichen Einfall, daß er Ledru=Rollin durch die
Bemerkung rechtfertigen wollte, der letztere habe ja stets im Ein-
klange mit Louis Blanc, Albert und Barbes gehandelt, worauf
sogleich Tumult und heftiger Widerspruch erfolgte. Das Ein-
kommen und den Mithzins suchte er dadurch zu vertheidigen, daß
er sagte, wenn Landgüter und Häuser nichts mehr einbrächten,
so werde ja kein Mensch mehr Ackerbau treiben oder ein Haus
bauen. Neue Unterbrechung. Schreien und pfeifen. Eine Stimme:
Man soll die Agiotage abschaffen! Eine andere Stimme: und die
Dummheit! Herr Mathieu gerieth über diese üble Aufnahme sei-
ner oratorischen Kunst in einige Verlegenheit und sah einen Au-
genblick aus, als stünde er auf der Tribune der Nationalver-
sammlung. Er hielt es darum, um es mit seinem Publicum
nicht ganz zu verderben, für gerathen, wieder etwas einzulenken
[Spaltenumbruch] und hielt seinen "Bürgern", um mich eines Ausdruckes des
Marschalls Bugeaud zu bedienen, eine Handvoll Hafer vor.
Meine Herren, schrie er, mißverstehen sie mich nicht, ich bin ja
durchaus nicht für das persönliche Eigenthum, sondern für das
gemeinschaftliche Eigenthum, so ohngefähr, wie es bei den Ei-
senbahnen der Fall ist; ich bin für eine Umgestaltung des Eigen-
thumes. ( Beifall. ) Was die Emancipation der Frauen betrifft,
so war ich immer der Ansicht, daß wir nicht eher gute Republi-
kaner seyn werden, als bis die Frauen gleiche bürgerliche und
politische Rechte wie die Männer haben. ( Die anwesenden
Frauen klatschen, die Männer lachen. ) Bei der nächsten Wahl
werden die Bürger des Dromedepartements zuerst die Vorfrage
zu entscheiden haben, ob sie dem Herrn Mathieu auch noch künf-
tig 25 Francs täglich dafür zahlen wollen, daß er in den Pariser
Clubs herumzieht und dort die Umgestaltung des Eigenthumes und
die Emancipation der Frauen predigt. -- Der Bischof von Or-
leans ist in Paris wieder angekommen und sitzt wie gewöhnlich
auf der Bank Cavaignacs.

Neben den ernsthaften Fragen der Präsidentenwahl und der
auswärtigen Politik gibt es auch noch ein paar scherzhafte, welche
die öffentliche Aufmerksamkeit bis zu einem gewissen Grade be-
schäftigen. Jch meine den Hader, der zwischen den zwei socia-
listischen Helden Felix Pyat und Proudhon ausgebrochen ist und
wohl den Stoff zu einem komischen Heldengedichte abgeben könnte.
Der Grund zum Kampfe, der freilich nicht so großartig ist, wie
jener zwischen Achilleus und Agamemnon, soll in einer Adresse
liegen, welche ein paar "Wehrwölfe" ( voraces ) von Lyon neulich
an Herrn Felix Pyat erlassen haben und worin dieser Volks-
repräsentant mit Robespierre verglichen wurde. Da Proudhon
über diesen colossalen Unsinn lachte, so forderte Pyat in derber
Weise eine Erklärung darüber, erhielt aber statt dessen einen Faust-
schlag, den er mit Ohrfeigen erwiderte. Nach vielen Schreibereien
und Verhandlungen zwischen den Secundanten der beiden Par-
teien sind die Herren gestern zuerst in den Wald von Boulogne
und dann nach Saint=Ouen gezogen, wohin ihnen der Polizei-
commissär der Nationalversammlung und seine Agenten nach-
eilten, um sie abzufassen, resp. auseinander zu bringen. Es heißt
nun, sie hätten sich gestern Abend geschlagen, Andere wollen wis-
sen, sie würden sich erst heute Mittag an einem unbekannten Orte
pauken. Das Gerücht scheint jedoch nicht gegründet und heute
Morgen haben die Abgeordneten in den Clubs den beiden Par-
teien die Weisung überbracht, sich nicht zu schlagen, womit wahr-
scheinlich die zwei Kampfhähne einverstanden seyn werden.

* * * Paris 2. December. Jn der heutigen Sitzung der Na-
tionalversammlung zeigte der Vicepräsident Leon v. Malleville
an, daß der Präsident Marrast vom päpstlichen Nuntius
das nachfolgende Danksagungsschreiben erhalten habe: "Herr
Präsident! Die hochherzigen und edlen Gefühle, welche die Na-
tionalversammlung in ihrer heutigen Sitzung für die Person des
heiligen Vaters in so glänzender Weise bethätigt hat, hoben mich
tief gerührt. Jch kann es daher nicht unterlassen, die Versamm-
lung durch Jhre Vermittelung der vollkommenen Dankbarkeit
zu versichern, von der ich für die Regierung der Republik, so wie
für die Vertreter Frankreichs durchdrungen bin, jener Nation, die
nie ihre edlen Gefühle, ihre traditionelle Hingebung zu verleug-
nen im Stande ist. Genehmigen Sie, Herr Präsident, meinen
Dank und die Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung
( gez. ) Der Erzbischof von Nicäa, apostolischer Nuntius." Auf
dieses Schreiben erwiederte Marrast: "Herr Nuntius: Jch wer-
de mich beeilen, der Nationalversammlung das Schreiben, mit
dessen Zusendung Sie mich beehrt, mitzutheilen. Die National-
versammlung, das Organ der Volkssouveränetät, entsprach den
Gefühlen der ganzen Nation,
als sie ihre lebendige und
tiefe Sympathie für den heiligen Vater kundgab. Die Republik,
vor welcher die Traditionen der Vergangenheit liegen, wird stets
denjenigen treu bleiben, in welchen sich Frankreich als gastliche
Zufluchtsstätte und voll Verehrung und Hingebung für edle Tu-
genden gezeigt hat. Der Beschluß der Nationalversammlung,
welcher die von der Vollziehungsgewalt ergriffene Jnitiative bil-
ligt, wird Jhnen die Gewißheit gegeben haben, Herr Nuutius,
daß der erhabene Papst bei seinem Eintritte in das Gebiet unseres
republikanischen und katholischen Frankreichs in vollem
Maße die seiner hohen Stellung schuldige Achtung finden wird.
Diese Aeußerungen des Herzens werden so aufrichtig seyn, wie Alles,
was Glaube und Freiheit eingeben. Genehmigen Sie, Herr
Nuntius, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.
Der Präsident der Nationalversammlung. ( gez. ) A. Marrast."
Nach Verlesung dieser Actenstücke ging die Kammer zur Berathung
des Budgets des Finanzministeriums über. -- Neapel soll
den Krieg an den Kirchenstaat und Toscana erklärt
haben.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] sehr bedeutende Ausfälle stattfanden. Dies der Grund, wa-
rum die bisherigen Abgaben sämmtlich forterhoben werden sollen
und die neue außerordentliche Einkommensteuer noch dazu kommt.

Jtalien.

Die „Allgemeine Zeitung“ hat Briefe aus Rom vom 25.
November Abends. Die römische Kammer bildete permanente
Sectionen. Canino, der Napoleonide, der in Jtalien dasselbe
Spiel zu beabsichtigen scheint, wie Ludwig Bonaparte in Frank-
reich, drang auf augenblickliche Berufung der italienischen Con-
stituante, wurde aber von dem Ministerium, in dem freilich sein
Secretär Sterbini sitzt, wenigstens zum Scheine bekämpft. Diese
nach Jtalien hinüber reichende Napoleonische Verzweigung dürfte
Cavaignacs Jnterventionsbeschluß bestärkt haben. Der bayerische
Gesandte begab sich von Rom nach Neapel. Die Ruhe war bis
zum 25. Abends nicht gestört worden.

Frankreich.

M Paris 30. November. Wenn die Clubs für die von den
Wühlern aufgeregten und verführten unwissenden Massen auch
gefährlich sind, so haben sie andererseits wenigstens das Gute,
daß die Jdeen sich offen in ihnen aussprechen, durch welche unsere
Revolutionäre und Reformatoren die Societät umzugestalten ge-
denken. Jch habe der letzten Sitzung des Revolutionsclubs beige-
wohnt, bei welcher etwa 3000 Personen anwesend waren. Da
kam zuerst ein Redner und erzählte die Mißhandlungen, die ihm
in einem napoleonischen Club widerfahren seyen, die Zuhörer-
schaft nahm indessen die Schilderung des unglücklichen Schlacht-
opfers trotz aller angewandten Reizmittelchen sehr kühl auf.
Mehr Beifall fand schon ein anderer Redner, der für die Candi-
datur Raspails sprach und das von dem Berge zu Gunsten
Ledru=Rollins erlassene Manifest bekämpfte. Die Vorwürfe,
welche der socialistische Redner dem Berge machte, lassen sich etwa
auf Folgendes reduciren. Der Berg hat nicht den Muth gehabt
in der Nationalversammlung den Antrag zu stellen, daß das
französische Volk zur Unterstützung der radicalen Jtaliener, der
deutschen Demokraten und der Magyaren allen Tyrannen den
Krieg erklären solle; er hat das Einkommen vom Vermögen und
den Miethzins vom Eigenthume wie seither fortbestehen lassen,
obgleich, wenn dem Eigenthume der Garaus gemacht werden soll,
Zinsenzahlung und Miethzins abgeschafft werden müssen; auch
das Budget des Cultus hat er nicht beseitigt, Gott, rief der
Redner aus, ist ein Vernunftbegriff, den ich nicht
kenne,
und auch der Staat sollte dieses Wesen nicht kennen und
in der Person seiner Diener es nicht bezahlen; Sie seyen, dieser
„Bürger“ ist für unbeschränkte Cultusfreiheit! Mit einer Jncon-
sequenz aber, die bei diesem Schlage Leute nur zu oft vorkommt,
will er keine Unterrichtsfreiheit, um „die Rechte des Staates nicht
zu schmälern.“ Jn dieser Beziehung bemerkte der Redner, er
wisse aus ganz guter Quelle, daß die Regierung den Bischöfen
geschrieben und ihnen Cavaignac als Präsidenten empfohlen habe,
als Ersatz dafür habe man die Unterrichtsfreiheit und Zurück-
nahme des in der ersten revolutionären Hitze erlassenen Gesetzes
über den Primärunterricht in Aussicht gestellt. Der letzte Vor-
wurf, welchen dieser Apostel des Socialismus dem Berge machte,
war, daß er die bürgerliche und politische Emancipation der
Frauen noch nicht proclamirt habe. Die ganze Rede war, wie
Sie sich denken können, mit Lobsprüchen auf Raspail, Louis
Blanc und Barbès reichlich gewürzt, und als die Sprache auf
den Letztern kam, verdrehte er ganz andächtig die Augen und
seufzte tief auf: „Jch liebe ihn wie einen Vater!“ ( Beifall. )

Auch Mathien de la Drome war wieder da und der gute
Mann scheint für die oratorischen Schlappen, die er in der Na-
tionalversammlung erleidet, einen gewissen Trost in den Clubs
suchen zu wollen, wo Ledru=Rollin die Rolle des Elephanten
und er die des Kornaks spielt. Jch glaube indessen nicht, daß
der Eifer des Herrn Mathieu dem Führer der äußersten Linken
besonders gute Dienste leistet, die letzte Sitzung des Revolutions-
clubs hat ihm wenigstens keine Lorberen gebracht. Der Redner
hatte den unglücklichen Einfall, daß er Ledru=Rollin durch die
Bemerkung rechtfertigen wollte, der letztere habe ja stets im Ein-
klange mit Louis Blanc, Albert und Barbès gehandelt, worauf
sogleich Tumult und heftiger Widerspruch erfolgte. Das Ein-
kommen und den Mithzins suchte er dadurch zu vertheidigen, daß
er sagte, wenn Landgüter und Häuser nichts mehr einbrächten,
so werde ja kein Mensch mehr Ackerbau treiben oder ein Haus
bauen. Neue Unterbrechung. Schreien und pfeifen. Eine Stimme:
Man soll die Agiotage abschaffen! Eine andere Stimme: und die
Dummheit! Herr Mathieu gerieth über diese üble Aufnahme sei-
ner oratorischen Kunst in einige Verlegenheit und sah einen Au-
genblick aus, als stünde er auf der Tribune der Nationalver-
sammlung. Er hielt es darum, um es mit seinem Publicum
nicht ganz zu verderben, für gerathen, wieder etwas einzulenken
[Spaltenumbruch] und hielt seinen „Bürgern“, um mich eines Ausdruckes des
Marschalls Bugeaud zu bedienen, eine Handvoll Hafer vor.
Meine Herren, schrie er, mißverstehen sie mich nicht, ich bin ja
durchaus nicht für das persönliche Eigenthum, sondern für das
gemeinschaftliche Eigenthum, so ohngefähr, wie es bei den Ei-
senbahnen der Fall ist; ich bin für eine Umgestaltung des Eigen-
thumes. ( Beifall. ) Was die Emancipation der Frauen betrifft,
so war ich immer der Ansicht, daß wir nicht eher gute Republi-
kaner seyn werden, als bis die Frauen gleiche bürgerliche und
politische Rechte wie die Männer haben. ( Die anwesenden
Frauen klatschen, die Männer lachen. ) Bei der nächsten Wahl
werden die Bürger des Dromedepartements zuerst die Vorfrage
zu entscheiden haben, ob sie dem Herrn Mathieu auch noch künf-
tig 25 Francs täglich dafür zahlen wollen, daß er in den Pariser
Clubs herumzieht und dort die Umgestaltung des Eigenthumes und
die Emancipation der Frauen predigt. — Der Bischof von Or-
leans ist in Paris wieder angekommen und sitzt wie gewöhnlich
auf der Bank Cavaignacs.

Neben den ernsthaften Fragen der Präsidentenwahl und der
auswärtigen Politik gibt es auch noch ein paar scherzhafte, welche
die öffentliche Aufmerksamkeit bis zu einem gewissen Grade be-
schäftigen. Jch meine den Hader, der zwischen den zwei socia-
listischen Helden Felix Pyat und Proudhon ausgebrochen ist und
wohl den Stoff zu einem komischen Heldengedichte abgeben könnte.
Der Grund zum Kampfe, der freilich nicht so großartig ist, wie
jener zwischen Achilleus und Agamemnon, soll in einer Adresse
liegen, welche ein paar „Wehrwölfe“ ( voraces ) von Lyon neulich
an Herrn Felix Pyat erlassen haben und worin dieser Volks-
repräsentant mit Robespierre verglichen wurde. Da Proudhon
über diesen colossalen Unsinn lachte, so forderte Pyat in derber
Weise eine Erklärung darüber, erhielt aber statt dessen einen Faust-
schlag, den er mit Ohrfeigen erwiderte. Nach vielen Schreibereien
und Verhandlungen zwischen den Secundanten der beiden Par-
teien sind die Herren gestern zuerst in den Wald von Boulogne
und dann nach Saint=Ouen gezogen, wohin ihnen der Polizei-
commissär der Nationalversammlung und seine Agenten nach-
eilten, um sie abzufassen, resp. auseinander zu bringen. Es heißt
nun, sie hätten sich gestern Abend geschlagen, Andere wollen wis-
sen, sie würden sich erst heute Mittag an einem unbekannten Orte
pauken. Das Gerücht scheint jedoch nicht gegründet und heute
Morgen haben die Abgeordneten in den Clubs den beiden Par-
teien die Weisung überbracht, sich nicht zu schlagen, womit wahr-
scheinlich die zwei Kampfhähne einverstanden seyn werden.

* * * Paris 2. December. Jn der heutigen Sitzung der Na-
tionalversammlung zeigte der Vicepräsident Leon v. Malleville
an, daß der Präsident Marrast vom päpstlichen Nuntius
das nachfolgende Danksagungsschreiben erhalten habe: „Herr
Präsident! Die hochherzigen und edlen Gefühle, welche die Na-
tionalversammlung in ihrer heutigen Sitzung für die Person des
heiligen Vaters in so glänzender Weise bethätigt hat, hoben mich
tief gerührt. Jch kann es daher nicht unterlassen, die Versamm-
lung durch Jhre Vermittelung der vollkommenen Dankbarkeit
zu versichern, von der ich für die Regierung der Republik, so wie
für die Vertreter Frankreichs durchdrungen bin, jener Nation, die
nie ihre edlen Gefühle, ihre traditionelle Hingebung zu verleug-
nen im Stande ist. Genehmigen Sie, Herr Präsident, meinen
Dank und die Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung
( gez. ) Der Erzbischof von Nicäa, apostolischer Nuntius.“ Auf
dieses Schreiben erwiederte Marrast: „Herr Nuntius: Jch wer-
de mich beeilen, der Nationalversammlung das Schreiben, mit
dessen Zusendung Sie mich beehrt, mitzutheilen. Die National-
versammlung, das Organ der Volkssouveränetät, entsprach den
Gefühlen der ganzen Nation,
als sie ihre lebendige und
tiefe Sympathie für den heiligen Vater kundgab. Die Republik,
vor welcher die Traditionen der Vergangenheit liegen, wird stets
denjenigen treu bleiben, in welchen sich Frankreich als gastliche
Zufluchtsstätte und voll Verehrung und Hingebung für edle Tu-
genden gezeigt hat. Der Beschluß der Nationalversammlung,
welcher die von der Vollziehungsgewalt ergriffene Jnitiative bil-
ligt, wird Jhnen die Gewißheit gegeben haben, Herr Nuutius,
daß der erhabene Papst bei seinem Eintritte in das Gebiet unseres
republikanischen und katholischen Frankreichs in vollem
Maße die seiner hohen Stellung schuldige Achtung finden wird.
Diese Aeußerungen des Herzens werden so aufrichtig seyn, wie Alles,
was Glaube und Freiheit eingeben. Genehmigen Sie, Herr
Nuntius, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.
Der Präsident der Nationalversammlung. ( gez. ) A. Marrast.“
Nach Verlesung dieser Actenstücke ging die Kammer zur Berathung
des Budgets des Finanzministeriums über. — Neapel soll
den Krieg an den Kirchenstaat und Toscana erklärt
haben.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0004"/><cb type="start"/>
sehr bedeutende Ausfälle stattfanden. Dies der Grund, wa-<lb/>
rum die bisherigen Abgaben sämmtlich forterhoben werden sollen<lb/>
und die neue außerordentliche Einkommensteuer noch dazu kommt.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Jtalien.</hi> </head><lb/>
        <p>Die &#x201E;Allgemeine Zeitung&#x201C; hat Briefe aus Rom vom 25.<lb/>
November Abends. Die römische Kammer bildete permanente<lb/>
Sectionen. Canino, der Napoleonide, der in Jtalien dasselbe<lb/>
Spiel zu beabsichtigen scheint, wie Ludwig Bonaparte in Frank-<lb/>
reich, drang auf augenblickliche Berufung der italienischen Con-<lb/>
stituante, wurde aber von dem Ministerium, in dem freilich sein<lb/>
Secretär Sterbini sitzt, wenigstens zum Scheine bekämpft. Diese<lb/>
nach Jtalien hinüber reichende Napoleonische Verzweigung dürfte<lb/>
Cavaignacs Jnterventionsbeschluß bestärkt haben. Der bayerische<lb/>
Gesandte begab sich von Rom nach Neapel. Die Ruhe war bis<lb/>
zum 25. Abends nicht gestört worden.</p>
      </div><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Frankreich.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><hi rendition="#aq">M</hi> Paris 30. November. Wenn die Clubs für die von den<lb/>
Wühlern aufgeregten und verführten unwissenden Massen auch<lb/>
gefährlich sind, so haben sie andererseits wenigstens das Gute,<lb/>
daß die Jdeen sich offen in ihnen aussprechen, durch welche unsere<lb/>
Revolutionäre und Reformatoren die Societät umzugestalten ge-<lb/>
denken. Jch habe der letzten Sitzung des Revolutionsclubs beige-<lb/>
wohnt, bei welcher etwa 3000 Personen anwesend waren. Da<lb/>
kam zuerst ein Redner und erzählte die Mißhandlungen, die ihm<lb/>
in einem napoleonischen Club widerfahren seyen, die Zuhörer-<lb/>
schaft nahm indessen die Schilderung des unglücklichen Schlacht-<lb/>
opfers trotz aller angewandten Reizmittelchen sehr kühl auf.<lb/>
Mehr Beifall fand schon ein anderer Redner, der für die Candi-<lb/>
datur Raspails sprach und das von dem Berge zu Gunsten<lb/>
Ledru=Rollins erlassene Manifest bekämpfte. Die Vorwürfe,<lb/>
welche der socialistische Redner dem Berge machte, lassen sich etwa<lb/>
auf Folgendes reduciren. Der Berg hat nicht den Muth gehabt<lb/>
in der Nationalversammlung den Antrag zu stellen, daß das<lb/>
französische Volk zur Unterstützung der radicalen Jtaliener, der<lb/>
deutschen Demokraten und der Magyaren allen Tyrannen den<lb/>
Krieg erklären solle; er hat das Einkommen vom Vermögen und<lb/>
den Miethzins vom Eigenthume wie seither fortbestehen lassen,<lb/>
obgleich, wenn dem Eigenthume der Garaus gemacht werden soll,<lb/>
Zinsenzahlung und Miethzins abgeschafft werden müssen; auch<lb/>
das Budget des Cultus hat er nicht beseitigt, <hi rendition="#g">Gott,</hi> rief der<lb/>
Redner aus, <hi rendition="#g">ist ein Vernunftbegriff, den ich nicht<lb/>
kenne,</hi> und auch der Staat sollte dieses Wesen nicht kennen und<lb/>
in der Person seiner Diener es nicht bezahlen; Sie seyen, dieser<lb/>
&#x201E;Bürger&#x201C; ist für unbeschränkte Cultusfreiheit! Mit einer Jncon-<lb/>
sequenz aber, die bei diesem Schlage Leute nur zu oft vorkommt,<lb/>
will er keine Unterrichtsfreiheit, um &#x201E;die Rechte des Staates nicht<lb/>
zu schmälern.&#x201C; Jn dieser Beziehung bemerkte der Redner, er<lb/>
wisse aus ganz guter Quelle, daß die Regierung den Bischöfen<lb/>
geschrieben und ihnen Cavaignac als Präsidenten empfohlen habe,<lb/>
als Ersatz dafür habe man die Unterrichtsfreiheit und Zurück-<lb/>
nahme des in der ersten revolutionären Hitze erlassenen Gesetzes<lb/>
über den Primärunterricht in Aussicht gestellt. Der letzte Vor-<lb/>
wurf, welchen dieser Apostel des Socialismus dem Berge machte,<lb/>
war, daß er die bürgerliche und politische Emancipation der<lb/>
Frauen noch nicht proclamirt habe. Die ganze Rede war, wie<lb/>
Sie sich denken können, mit Lobsprüchen auf Raspail, Louis<lb/>
Blanc und Barb<hi rendition="#aq">è</hi>s reichlich gewürzt, und als die Sprache auf<lb/>
den Letztern kam, verdrehte er ganz andächtig die Augen und<lb/>
seufzte tief auf: &#x201E;Jch liebe ihn wie einen Vater!&#x201C; ( Beifall. ) </p><lb/>
          <p>Auch Mathien de la Drome war wieder da und der gute<lb/>
Mann scheint für die oratorischen Schlappen, die er in der Na-<lb/>
tionalversammlung erleidet, einen gewissen Trost in den Clubs<lb/>
suchen zu wollen, wo Ledru=Rollin die Rolle des Elephanten<lb/>
und er die des Kornaks spielt. Jch glaube indessen nicht, daß<lb/>
der Eifer des Herrn Mathieu dem Führer der äußersten Linken<lb/>
besonders gute Dienste leistet, die letzte Sitzung des Revolutions-<lb/>
clubs hat ihm wenigstens keine Lorberen gebracht. Der Redner<lb/>
hatte den unglücklichen Einfall, daß er Ledru=Rollin durch die<lb/>
Bemerkung rechtfertigen wollte, der letztere habe ja stets im Ein-<lb/>
klange mit Louis Blanc, Albert und Barb<hi rendition="#aq">è</hi>s gehandelt, worauf<lb/>
sogleich Tumult und heftiger Widerspruch erfolgte. Das Ein-<lb/>
kommen und den Mithzins suchte er dadurch zu vertheidigen, daß<lb/>
er sagte, wenn Landgüter und Häuser nichts mehr einbrächten,<lb/>
so werde ja kein Mensch mehr Ackerbau treiben oder ein Haus<lb/>
bauen. Neue Unterbrechung. Schreien und pfeifen. Eine Stimme:<lb/>
Man soll die Agiotage abschaffen! Eine andere Stimme: und die<lb/>
Dummheit! Herr Mathieu gerieth über diese üble Aufnahme sei-<lb/>
ner oratorischen Kunst in einige Verlegenheit und sah einen Au-<lb/>
genblick aus, als stünde er auf der Tribune der Nationalver-<lb/>
sammlung. Er hielt es darum, um es mit seinem Publicum<lb/>
nicht ganz zu verderben, für gerathen, wieder etwas einzulenken<lb/><cb n="2"/>
und hielt seinen &#x201E;Bürgern&#x201C;, um mich eines Ausdruckes des<lb/>
Marschalls Bugeaud zu bedienen, eine Handvoll Hafer vor.<lb/>
Meine Herren, schrie er, mißverstehen sie mich nicht, ich bin ja<lb/>
durchaus nicht für das persönliche Eigenthum, sondern für das<lb/>
gemeinschaftliche Eigenthum, so ohngefähr, wie es bei den Ei-<lb/>
senbahnen der Fall ist; ich bin für eine Umgestaltung des Eigen-<lb/>
thumes. ( Beifall. ) Was die Emancipation der Frauen betrifft,<lb/>
so war ich immer der Ansicht, daß wir nicht eher gute Republi-<lb/>
kaner seyn werden, als bis die Frauen gleiche bürgerliche und<lb/>
politische Rechte wie die Männer haben. ( Die anwesenden<lb/>
Frauen klatschen, die Männer lachen. ) Bei der nächsten Wahl<lb/>
werden die Bürger des Dromedepartements zuerst die Vorfrage<lb/>
zu entscheiden haben, ob sie dem Herrn Mathieu auch noch künf-<lb/>
tig 25 Francs täglich dafür zahlen wollen, daß er in den Pariser<lb/>
Clubs herumzieht und dort die Umgestaltung des Eigenthumes und<lb/>
die Emancipation der Frauen predigt. &#x2014; Der Bischof von Or-<lb/>
leans ist in Paris wieder angekommen und sitzt wie gewöhnlich<lb/>
auf der Bank Cavaignacs.</p><lb/>
          <p>Neben den ernsthaften Fragen der Präsidentenwahl und der<lb/>
auswärtigen Politik gibt es auch noch ein paar scherzhafte, welche<lb/>
die öffentliche Aufmerksamkeit bis zu einem gewissen Grade be-<lb/>
schäftigen. Jch meine den Hader, der zwischen den zwei socia-<lb/>
listischen Helden Felix Pyat und Proudhon ausgebrochen ist und<lb/>
wohl den Stoff zu einem komischen Heldengedichte abgeben könnte.<lb/>
Der Grund zum Kampfe, der freilich nicht so großartig ist, wie<lb/>
jener zwischen Achilleus und Agamemnon, soll in einer Adresse<lb/>
liegen, welche ein paar &#x201E;Wehrwölfe&#x201C; ( <hi rendition="#aq">voraces</hi> ) von Lyon neulich<lb/>
an Herrn Felix Pyat erlassen haben und worin dieser Volks-<lb/>
repräsentant mit Robespierre verglichen wurde. Da Proudhon<lb/>
über diesen colossalen Unsinn lachte, so forderte Pyat in derber<lb/>
Weise eine Erklärung darüber, erhielt aber statt dessen einen Faust-<lb/>
schlag, den er mit Ohrfeigen erwiderte. Nach vielen Schreibereien<lb/>
und Verhandlungen zwischen den Secundanten der beiden Par-<lb/>
teien sind die Herren gestern zuerst in den Wald von Boulogne<lb/>
und dann nach Saint=Ouen gezogen, wohin ihnen der Polizei-<lb/>
commissär der Nationalversammlung und seine Agenten nach-<lb/>
eilten, um sie abzufassen, resp. auseinander zu bringen. Es heißt<lb/>
nun, sie hätten sich gestern Abend geschlagen, Andere wollen wis-<lb/>
sen, sie würden sich erst heute Mittag an einem unbekannten Orte<lb/>
pauken. Das Gerücht scheint jedoch nicht gegründet und heute<lb/>
Morgen haben die Abgeordneten in den Clubs den beiden Par-<lb/>
teien die Weisung überbracht, sich nicht zu schlagen, womit wahr-<lb/>
scheinlich die zwei Kampfhähne einverstanden seyn werden.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><hi rendition="#sup">* * *</hi> Paris 2. December. Jn der heutigen Sitzung der Na-<lb/>
tionalversammlung zeigte der Vicepräsident Leon v. Malleville<lb/>
an, daß der Präsident <hi rendition="#g">Marrast</hi> vom <hi rendition="#g">päpstlichen Nuntius</hi><lb/>
das nachfolgende Danksagungsschreiben erhalten habe: &#x201E;Herr<lb/>
Präsident! Die hochherzigen und edlen Gefühle, welche die Na-<lb/>
tionalversammlung in ihrer heutigen Sitzung für die Person des<lb/>
heiligen Vaters in so glänzender Weise bethätigt hat, hoben mich<lb/>
tief gerührt. Jch kann es daher nicht unterlassen, die Versamm-<lb/>
lung durch Jhre Vermittelung der vollkommenen Dankbarkeit<lb/>
zu versichern, von der ich für die Regierung der Republik, so wie<lb/>
für die Vertreter Frankreichs durchdrungen bin, jener Nation, die<lb/>
nie ihre edlen Gefühle, ihre traditionelle Hingebung zu verleug-<lb/>
nen im Stande ist. Genehmigen Sie, Herr Präsident, meinen<lb/>
Dank und die Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung <choice><abbr>ec.</abbr></choice><lb/>
( gez. ) Der Erzbischof von Nicäa, apostolischer Nuntius.&#x201C; Auf<lb/>
dieses Schreiben erwiederte Marrast: &#x201E;Herr Nuntius: Jch wer-<lb/>
de mich beeilen, der Nationalversammlung das Schreiben, mit<lb/>
dessen Zusendung Sie mich beehrt, mitzutheilen. Die National-<lb/>
versammlung, das Organ der Volkssouveränetät, entsprach <hi rendition="#g">den<lb/>
Gefühlen der ganzen Nation,</hi> als sie ihre lebendige und<lb/>
tiefe Sympathie für den heiligen Vater kundgab. Die Republik,<lb/>
vor welcher die Traditionen der Vergangenheit liegen, wird stets<lb/>
denjenigen treu bleiben, in welchen sich Frankreich als gastliche<lb/>
Zufluchtsstätte und voll Verehrung und Hingebung für edle Tu-<lb/>
genden gezeigt hat. Der Beschluß der Nationalversammlung,<lb/>
welcher die von der Vollziehungsgewalt ergriffene Jnitiative bil-<lb/>
ligt, wird Jhnen die Gewißheit gegeben haben, Herr Nuutius,<lb/>
daß der erhabene Papst bei seinem Eintritte in das Gebiet unseres<lb/>
republikanischen <hi rendition="#g">und katholischen</hi> Frankreichs in vollem<lb/>
Maße die seiner hohen Stellung schuldige Achtung finden wird.<lb/>
Diese Aeußerungen des Herzens werden so aufrichtig seyn, wie Alles,<lb/>
was <hi rendition="#g">Glaube und Freiheit</hi> eingeben. Genehmigen Sie, Herr<lb/>
Nuntius, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.<lb/>
Der Präsident der Nationalversammlung. ( gez. ) A. Marrast.&#x201C;<lb/>
Nach Verlesung dieser Actenstücke ging die Kammer zur Berathung<lb/>
des Budgets des Finanzministeriums über. &#x2014; <hi rendition="#g">Neapel soll<lb/>
den Krieg an den Kirchenstaat und Toscana erklärt<lb/>
haben.</hi> </p>
        </div>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
    <back>
      <div type="imprint" n="1">
        <p>Redacteur: Franz Sausen. &#x2014; Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. &#x2014; Druck von Florian Kupferberg.</p>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[0004] sehr bedeutende Ausfälle stattfanden. Dies der Grund, wa- rum die bisherigen Abgaben sämmtlich forterhoben werden sollen und die neue außerordentliche Einkommensteuer noch dazu kommt. Jtalien. Die „Allgemeine Zeitung“ hat Briefe aus Rom vom 25. November Abends. Die römische Kammer bildete permanente Sectionen. Canino, der Napoleonide, der in Jtalien dasselbe Spiel zu beabsichtigen scheint, wie Ludwig Bonaparte in Frank- reich, drang auf augenblickliche Berufung der italienischen Con- stituante, wurde aber von dem Ministerium, in dem freilich sein Secretär Sterbini sitzt, wenigstens zum Scheine bekämpft. Diese nach Jtalien hinüber reichende Napoleonische Verzweigung dürfte Cavaignacs Jnterventionsbeschluß bestärkt haben. Der bayerische Gesandte begab sich von Rom nach Neapel. Die Ruhe war bis zum 25. Abends nicht gestört worden. Frankreich. M Paris 30. November. Wenn die Clubs für die von den Wühlern aufgeregten und verführten unwissenden Massen auch gefährlich sind, so haben sie andererseits wenigstens das Gute, daß die Jdeen sich offen in ihnen aussprechen, durch welche unsere Revolutionäre und Reformatoren die Societät umzugestalten ge- denken. Jch habe der letzten Sitzung des Revolutionsclubs beige- wohnt, bei welcher etwa 3000 Personen anwesend waren. Da kam zuerst ein Redner und erzählte die Mißhandlungen, die ihm in einem napoleonischen Club widerfahren seyen, die Zuhörer- schaft nahm indessen die Schilderung des unglücklichen Schlacht- opfers trotz aller angewandten Reizmittelchen sehr kühl auf. Mehr Beifall fand schon ein anderer Redner, der für die Candi- datur Raspails sprach und das von dem Berge zu Gunsten Ledru=Rollins erlassene Manifest bekämpfte. Die Vorwürfe, welche der socialistische Redner dem Berge machte, lassen sich etwa auf Folgendes reduciren. Der Berg hat nicht den Muth gehabt in der Nationalversammlung den Antrag zu stellen, daß das französische Volk zur Unterstützung der radicalen Jtaliener, der deutschen Demokraten und der Magyaren allen Tyrannen den Krieg erklären solle; er hat das Einkommen vom Vermögen und den Miethzins vom Eigenthume wie seither fortbestehen lassen, obgleich, wenn dem Eigenthume der Garaus gemacht werden soll, Zinsenzahlung und Miethzins abgeschafft werden müssen; auch das Budget des Cultus hat er nicht beseitigt, Gott, rief der Redner aus, ist ein Vernunftbegriff, den ich nicht kenne, und auch der Staat sollte dieses Wesen nicht kennen und in der Person seiner Diener es nicht bezahlen; Sie seyen, dieser „Bürger“ ist für unbeschränkte Cultusfreiheit! Mit einer Jncon- sequenz aber, die bei diesem Schlage Leute nur zu oft vorkommt, will er keine Unterrichtsfreiheit, um „die Rechte des Staates nicht zu schmälern.“ Jn dieser Beziehung bemerkte der Redner, er wisse aus ganz guter Quelle, daß die Regierung den Bischöfen geschrieben und ihnen Cavaignac als Präsidenten empfohlen habe, als Ersatz dafür habe man die Unterrichtsfreiheit und Zurück- nahme des in der ersten revolutionären Hitze erlassenen Gesetzes über den Primärunterricht in Aussicht gestellt. Der letzte Vor- wurf, welchen dieser Apostel des Socialismus dem Berge machte, war, daß er die bürgerliche und politische Emancipation der Frauen noch nicht proclamirt habe. Die ganze Rede war, wie Sie sich denken können, mit Lobsprüchen auf Raspail, Louis Blanc und Barbès reichlich gewürzt, und als die Sprache auf den Letztern kam, verdrehte er ganz andächtig die Augen und seufzte tief auf: „Jch liebe ihn wie einen Vater!“ ( Beifall. ) Auch Mathien de la Drome war wieder da und der gute Mann scheint für die oratorischen Schlappen, die er in der Na- tionalversammlung erleidet, einen gewissen Trost in den Clubs suchen zu wollen, wo Ledru=Rollin die Rolle des Elephanten und er die des Kornaks spielt. Jch glaube indessen nicht, daß der Eifer des Herrn Mathieu dem Führer der äußersten Linken besonders gute Dienste leistet, die letzte Sitzung des Revolutions- clubs hat ihm wenigstens keine Lorberen gebracht. Der Redner hatte den unglücklichen Einfall, daß er Ledru=Rollin durch die Bemerkung rechtfertigen wollte, der letztere habe ja stets im Ein- klange mit Louis Blanc, Albert und Barbès gehandelt, worauf sogleich Tumult und heftiger Widerspruch erfolgte. Das Ein- kommen und den Mithzins suchte er dadurch zu vertheidigen, daß er sagte, wenn Landgüter und Häuser nichts mehr einbrächten, so werde ja kein Mensch mehr Ackerbau treiben oder ein Haus bauen. Neue Unterbrechung. Schreien und pfeifen. Eine Stimme: Man soll die Agiotage abschaffen! Eine andere Stimme: und die Dummheit! Herr Mathieu gerieth über diese üble Aufnahme sei- ner oratorischen Kunst in einige Verlegenheit und sah einen Au- genblick aus, als stünde er auf der Tribune der Nationalver- sammlung. Er hielt es darum, um es mit seinem Publicum nicht ganz zu verderben, für gerathen, wieder etwas einzulenken und hielt seinen „Bürgern“, um mich eines Ausdruckes des Marschalls Bugeaud zu bedienen, eine Handvoll Hafer vor. Meine Herren, schrie er, mißverstehen sie mich nicht, ich bin ja durchaus nicht für das persönliche Eigenthum, sondern für das gemeinschaftliche Eigenthum, so ohngefähr, wie es bei den Ei- senbahnen der Fall ist; ich bin für eine Umgestaltung des Eigen- thumes. ( Beifall. ) Was die Emancipation der Frauen betrifft, so war ich immer der Ansicht, daß wir nicht eher gute Republi- kaner seyn werden, als bis die Frauen gleiche bürgerliche und politische Rechte wie die Männer haben. ( Die anwesenden Frauen klatschen, die Männer lachen. ) Bei der nächsten Wahl werden die Bürger des Dromedepartements zuerst die Vorfrage zu entscheiden haben, ob sie dem Herrn Mathieu auch noch künf- tig 25 Francs täglich dafür zahlen wollen, daß er in den Pariser Clubs herumzieht und dort die Umgestaltung des Eigenthumes und die Emancipation der Frauen predigt. — Der Bischof von Or- leans ist in Paris wieder angekommen und sitzt wie gewöhnlich auf der Bank Cavaignacs. Neben den ernsthaften Fragen der Präsidentenwahl und der auswärtigen Politik gibt es auch noch ein paar scherzhafte, welche die öffentliche Aufmerksamkeit bis zu einem gewissen Grade be- schäftigen. Jch meine den Hader, der zwischen den zwei socia- listischen Helden Felix Pyat und Proudhon ausgebrochen ist und wohl den Stoff zu einem komischen Heldengedichte abgeben könnte. Der Grund zum Kampfe, der freilich nicht so großartig ist, wie jener zwischen Achilleus und Agamemnon, soll in einer Adresse liegen, welche ein paar „Wehrwölfe“ ( voraces ) von Lyon neulich an Herrn Felix Pyat erlassen haben und worin dieser Volks- repräsentant mit Robespierre verglichen wurde. Da Proudhon über diesen colossalen Unsinn lachte, so forderte Pyat in derber Weise eine Erklärung darüber, erhielt aber statt dessen einen Faust- schlag, den er mit Ohrfeigen erwiderte. Nach vielen Schreibereien und Verhandlungen zwischen den Secundanten der beiden Par- teien sind die Herren gestern zuerst in den Wald von Boulogne und dann nach Saint=Ouen gezogen, wohin ihnen der Polizei- commissär der Nationalversammlung und seine Agenten nach- eilten, um sie abzufassen, resp. auseinander zu bringen. Es heißt nun, sie hätten sich gestern Abend geschlagen, Andere wollen wis- sen, sie würden sich erst heute Mittag an einem unbekannten Orte pauken. Das Gerücht scheint jedoch nicht gegründet und heute Morgen haben die Abgeordneten in den Clubs den beiden Par- teien die Weisung überbracht, sich nicht zu schlagen, womit wahr- scheinlich die zwei Kampfhähne einverstanden seyn werden. * * * Paris 2. December. Jn der heutigen Sitzung der Na- tionalversammlung zeigte der Vicepräsident Leon v. Malleville an, daß der Präsident Marrast vom päpstlichen Nuntius das nachfolgende Danksagungsschreiben erhalten habe: „Herr Präsident! Die hochherzigen und edlen Gefühle, welche die Na- tionalversammlung in ihrer heutigen Sitzung für die Person des heiligen Vaters in so glänzender Weise bethätigt hat, hoben mich tief gerührt. Jch kann es daher nicht unterlassen, die Versamm- lung durch Jhre Vermittelung der vollkommenen Dankbarkeit zu versichern, von der ich für die Regierung der Republik, so wie für die Vertreter Frankreichs durchdrungen bin, jener Nation, die nie ihre edlen Gefühle, ihre traditionelle Hingebung zu verleug- nen im Stande ist. Genehmigen Sie, Herr Präsident, meinen Dank und die Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung ( gez. ) Der Erzbischof von Nicäa, apostolischer Nuntius.“ Auf dieses Schreiben erwiederte Marrast: „Herr Nuntius: Jch wer- de mich beeilen, der Nationalversammlung das Schreiben, mit dessen Zusendung Sie mich beehrt, mitzutheilen. Die National- versammlung, das Organ der Volkssouveränetät, entsprach den Gefühlen der ganzen Nation, als sie ihre lebendige und tiefe Sympathie für den heiligen Vater kundgab. Die Republik, vor welcher die Traditionen der Vergangenheit liegen, wird stets denjenigen treu bleiben, in welchen sich Frankreich als gastliche Zufluchtsstätte und voll Verehrung und Hingebung für edle Tu- genden gezeigt hat. Der Beschluß der Nationalversammlung, welcher die von der Vollziehungsgewalt ergriffene Jnitiative bil- ligt, wird Jhnen die Gewißheit gegeben haben, Herr Nuutius, daß der erhabene Papst bei seinem Eintritte in das Gebiet unseres republikanischen und katholischen Frankreichs in vollem Maße die seiner hohen Stellung schuldige Achtung finden wird. Diese Aeußerungen des Herzens werden so aufrichtig seyn, wie Alles, was Glaube und Freiheit eingeben. Genehmigen Sie, Herr Nuntius, die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung. Der Präsident der Nationalversammlung. ( gez. ) A. Marrast.“ Nach Verlesung dieser Actenstücke ging die Kammer zur Berathung des Budgets des Finanzministeriums über. — Neapel soll den Krieg an den Kirchenstaat und Toscana erklärt haben. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal156_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal156_1848/4
Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 156. Mainz, 5. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal156_1848/4>, abgerufen am 03.12.2024.