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Mainzer Journal. Nr. 173. Mainz, 26. Dezember 1848.

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[Beginn Spaltensatz] folgendermaßen zusammengesetzt: Präsident und Minister des
Auswärtigen, Gioberti; Jnneres, Advocat Sineo; Krieg,
Sonnaz; Justiz, Advocat Ratazzi; Finanzen, Ricci; öffent-
licher Unterricht, Advocat Cardona; Ackerbau und Handel, Ad-
vocat
Buffa; öffentliche Arbeiten, Advocat Tecchio. Also ein
wahres Advocatenministerium! Das Programm des neuen Ca-
binets ist in der Deputirtenkammer verlesen und sehr günstig auf-
genommen worden. Jn diesem Actenstücke erklärt das Ministerium,
daß es für den Augenblick die Kriegsfrage nicht entscheiden könne;
es sey über die Hilfsmittel der Armee noch nicht hinlänglich un-
terrichtet; auch könne es nicht Verpflichtungen eingehen, die seine
freie Thätigkeit hinderten; allein es verspreche auf Ehre alles
Mögliche zu thun, um den Augenblick zu beschleunigen, wo die
Armee durch ihre Tüchtigkeit ihr Mißgeschick wieder gut machen
könne. Das Ministerium stellt sodann einige Betrachtungen an
über die englisch=französische Vermittelung und glaubt, daß es
passend wäre zuzusehen, welche Wendung die Unterhandlungen
nehmen werden, um so mehr, da eine andere Richtschnur die
vermittelnden Mächte vielleicht beleidigen könnte. Zuletzt erklärt
das Ministerium, daß es die Fahne der italiänischen Constituante
aufpflanze. [ Nous verrons! ]

Frankreich.

M Paris 21. December. Wir dürfen uns keinen Täu-
schungen hingeben: in Zeiten wie die unsrigen, wo der Geist
des Jndividualismus alle Ansichten zersplittert und alle Parteien
gesprengt hat, konnte man sich wohl über einen Namen verstän-
digen, dessen elastische Bedeutung für die ungleichartigsten Com-
binationen benutzt wurde; das Regieren aber mit all' den hetero-
genen Elementen, welche bei der Präsidentschaftsfrage sich die
Hand geboten, wird nicht so leicht seyn. Aus der Art und Weise,
wie Louis Bonaparte sein Ministerium gebildet hat, geht klar
hervor, daß das neue Staatsoberhaupt den entschiedenen Willen
hegt, alle Parteien zu versöhnen und alle wahrhaft nationalen
Kräfte im Jnteresse des gemeinsamen Vaterlandes zu vereinbaren.
Alle Nuancen sind in demselben repräsentirt, selbst die bedeutende
Fraction, welche den General Cavaignac unterstützt hat. Jndessen
thut sich schon der Zwiespalt auf und ein Blatt, welches aus-
schließlich den alten Bonapartismus repräsentirt, greift jeden
Tag das neue Cabinet mit wüthender Heftigkeit an. Es sind das
leere Phrasen, die einen gewaltigen Appetit weiter nichts ver-
hüllen als und es ist im Grunde nur ein Kampf um Aemter und
Aemtchen. Diese Stellenjägerei hat übrigens schon den " Natio-
nal " ruinirt, der eine ganz andere Bedeutung hatte, als das in
Rede stehende Blatt und sie wird in Frankreich alle Coterien
ruiniren.

Auch unter den Parteien, welche die Republik nur als That-
sache annehmen und denen der neue Präsident nichts weiter ist,
als ein Lückenbüßer, fängt die Unentschlossenheit, die Ungewißheit
und Uneinigkeit zu gähren an. Die Legitimisten z. B. haben zwar
einen gemeinschaftlichen Zweck im Auge, über die Wahl der
Mittel aber sind sie uneinig: die Abenteurer unter denselben fol-
gen blind der "Gazette de France," die ihren Roman schnell zu
Ende führen möchte, die Politiker dagegen holen ihre Parole bei
der "Union," welche die Ereignisse sich erst entwickeln lassen und
nach Umständen handeln will. Was die Republikaner vom Tage
vorher betrifft, so sind diese noch viel weiter von einer Verstän-
digung entfernt und da sie weniger Bildung besitzen, so schmähen
sie sich gegenseitig auf die gemeinste Weise. Schon vor der Wahl
war die rothe Minorität in zwei Heerlager, das eine für Raspail,
das andere für Ledru=Rollin zerfallen, die sich in den Clubs wü-
thend herumzerrten. Jetzt haben die beiden scharlachrothen Nu-
ancen, um über dem Spectakel ihre trostlose Niederlage in Ver-
gessenheit zu bringen, auf gemeinschaftliche Kosten mit dem " Na-
tional " angebunden, der sicher dem General Cavaignac mehr
geschadet als genützt hat, dem aber von dieser Seite her nie ver-
ziehen wird, daß er von den Alfanzereien der socialen Republik
sich fern gehalten hat.

Mitten unter dieser Verwirrung der Begriffe und bei all den
Kämpfen auf der Oberfläche besteht im Jnnern der Societät ein
tiefes Bedürfniß nach Ruhe, nach Frieden und Arbeit. Die
Societät ist wieder zum Bewußtseyn ihrer Kraft gelangt, denn
nicht nur die sechs Millionen Stimmen, welche Louis Bonaparte,
sondern auch die anderthalb Millionen welche General Ca-
vaignac erhalten, sind ein Zeugniß von ihrem Widerwillen
gegen die Doctrinen der Wühler und mit diesem conservativen
Jnstinete, mit dem Geheimnisse seiner Allmacht, welche die Ab-
stimmung ihm offenbart hat, wird Frankreich aus dem Chaos
wieder hervorgehen und neu gedeihen, -- wenn die Regierung
will. Daß die Regierung jetzt ohne alle Rücksicht gegen die anar-
chistischen Vereine einschreitet, welche unter dem Namen von
Clubs an dem allgemeinen Umsturze arbeiten, wird überall ent-
[Spaltenumbruch] schieden gebilligt und sie wird hierin von allen guten Bürgern
unterstützt. So hat der Eigenthümer des Saales Chabrol, in
welchem sich die Mitglieder des ehemaligen socialistischen Clubs
im Saale Bonne Nouvelle versammelten, diese Prediger des
Bürgerkrieges ausgetrieben und sie werden schwerlich eine
andere Höhle finden. Der Miether des Saales hatte sich näm-
lich in seinem Vertrage verpflichtet, den Raum, in welchem
seither die Raspailianer sich versammelt, nur zu einer Reitschule
zu benutzen, und der Eigenthümer hat ihm auf diese Clausel
hin verboten, das Local für einen andern Zweck abzugeben.
Die wenigen Arbeiter, welche der Sitzung des Clubs beiwoh-
nen wollten, mußten wieder umkehren, weil die Thüren auf
Befehl geschlossen waren, und einige von ihnen brummten in
den Bart: "Wenn wir das gewußt hätten, so hätten wir keine
drei Stunden Arbeit verloren." Man sieht aus diesem be-
merkenswerthen Geständnisse, was die patriotischen Reden
der Freunde des Volkes den arbeitenden Classen eintragen.

M Paris 22. December. Bei allen seitherigen Vorgängen
hat Louis Bonaparte, es läßt sich gar nicht in Abrede stellen, eine
große Mäßigung bewiesen und es gebührt ihm dafür alle Ehre.
Er hätte, wenn er gewollt hätte, der Republik und der Verfas-
sung nur unter dem Vorbehalte einer Appellation an das Volk
Treue zu schwören brauchen und das Volk hätte unter den gegen-
wärtigen Umständen unfehlbar für Wiederherstellung der erblichen
Regierungsgewalt gestimmt. Die Stimmung der Nationalgarde
und Besatzung hätte den Erfolg einer derartigen Demonstration
verbürgt und ich kann Sie aus eigener Erfahrung versichern, daß
die Pariser Bourgeoisie sehr ungehalten darüber ist, daß dieses
nicht geschah, denn die hiesige Bürgerschaft kann es nun einmal
durchaus nicht begreifen, daß sie keinen Kaiser oder König mehr
in den Tuilerien haben soll. Jn den Kaffeehäusern der Straße
St. Honor e und des Palais Royal sind in dieser Beziehung schon
die heftigsten Aeußerungen des Mißvergnügens gegen den Prinzen
laut geworden. Die Räthe des neuen Präsidenten waren
indessen der Ansicht, daß eine solche von überspannten Köpfen
projectirte Demonstration doch immer den Mißstand habe, daß
sie weiter nichts sey, als "ein Pariser Tag," obgleich in einem
ganz andern Sinne, als der 24. Februar war; das ganze Land
soll sich also erst erheben, die Petitionen sollen von allen Punkten
Frankreichs herkommen, und der Prinz ging offenbar von dieser
Erwartung aus, als er die Feinde der Republik und Constitution
für seine persönlichen Feinde erkärte, dabei aber sein Verdam-
mungsurtheil dennoch nur über "ungesetzliche Unternehmungen"
aussprach. Für die Nationalversammlung und die Republik ist
es eben nicht sehr schmeichelhaft, daß der Prinz sich so willig
zu seiner Jnstallation über Hals und Kopf hergab. Wie die Ter-
roristenpartei im Mai der Nationalversammlung drohte, sie wolle
sie ins Wasser werfen, weil sie zu reactionär sey, so steht die Bo-
napartistenpartei jetzt auf dem Punkte ihr den Abschied in Gna-
den zu geben, weil sie zu republikanisch ist. Bis zum Frühjahre
wird indessen der Prinz die Nationalversammlung wohl noch
dulden, weil er sich auf sie und Cavaignac stützen will, überhaupt
wird der Prinz den Uebergang von der Republik zur Monarchie
mit großer Vorsicht anbahnen müssen, wenn er nicht den beiden
gestürzten Dynastien Thür und Thor öffnen will. Alle Führer
der legitimistischen und orleanistischen Partei, Thiers, Mol e,
Guizot einerseits, Larochejacquelein und Berryer andererseits
sparen sich für bessere Zeiten auf, keiner von ihnen ist in das neue
Cabinet eingetreten. Uebrigens ist die legitimistische Partei selbst
gespalten, wie ich Jhnen schon gemeldet habe. Die "Gazette de
France" will eine Monarchie, die auf den Nationalwillen sich
stützt, die "Union" erklärt sich für die höhere Gewalt der Krone.

Jn Folge der Wahl des Präsidenten der Republik werden die
Pariser an Louis Bonaparte's Stelle sich einen neuen Deputirten
wählen müssen. Als Candidaten werden schon genannt: Emil
von Girardin, den namentlich die Legitimisten vorschieben und
den das Ministerium Odilon=Barrot schon abgewiesen hat, weil
seine Reformpläne zu kühn ausgefallen sind; General Montholon,
der Candidat des historischen und romantischen Napoleonismus:
Herr Delessert, der Candidat der Börse; Roger du Nord, der
Candidat des "National," und der Bürger Thor e, der Mann des
Socialismus. Zwei andere Repräsentanten des Seine=Departe-
ments, die jetzt noch in Vincennes ihr Domicil haben, Raspail und
Albert, und zwei Flüchtlinge, Caussidiere und Louis Blanc, wird
die Amnestie bis Frühjahr der Kammer zurückgeben. Jch
sage bis Frühjahr, denn wenn auch die Nationalversammlung
gesetzlich ihr Mandat noch verlängern kann, so ist sie doch mora-
lisch todt und zur Unthätigkeit verdammt und alle Zeichen weisen
darauf hin, daß sie unter dem Andrange der Sturmpetitionen aus
den Departements ihre Fortdauer selbst nur noch bis zum 31.
März aussprechen wird.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] folgendermaßen zusammengesetzt: Präsident und Minister des
Auswärtigen, Gioberti; Jnneres, Advocat Sineo; Krieg,
Sonnaz; Justiz, Advocat Ratazzi; Finanzen, Ricci; öffent-
licher Unterricht, Advocat Cardona; Ackerbau und Handel, Ad-
vocat
Buffa; öffentliche Arbeiten, Advocat Tecchio. Also ein
wahres Advocatenministerium! Das Programm des neuen Ca-
binets ist in der Deputirtenkammer verlesen und sehr günstig auf-
genommen worden. Jn diesem Actenstücke erklärt das Ministerium,
daß es für den Augenblick die Kriegsfrage nicht entscheiden könne;
es sey über die Hilfsmittel der Armee noch nicht hinlänglich un-
terrichtet; auch könne es nicht Verpflichtungen eingehen, die seine
freie Thätigkeit hinderten; allein es verspreche auf Ehre alles
Mögliche zu thun, um den Augenblick zu beschleunigen, wo die
Armee durch ihre Tüchtigkeit ihr Mißgeschick wieder gut machen
könne. Das Ministerium stellt sodann einige Betrachtungen an
über die englisch=französische Vermittelung und glaubt, daß es
passend wäre zuzusehen, welche Wendung die Unterhandlungen
nehmen werden, um so mehr, da eine andere Richtschnur die
vermittelnden Mächte vielleicht beleidigen könnte. Zuletzt erklärt
das Ministerium, daß es die Fahne der italiänischen Constituante
aufpflanze. [ Nous verrons! ]

Frankreich.

M Paris 21. December. Wir dürfen uns keinen Täu-
schungen hingeben: in Zeiten wie die unsrigen, wo der Geist
des Jndividualismus alle Ansichten zersplittert und alle Parteien
gesprengt hat, konnte man sich wohl über einen Namen verstän-
digen, dessen elastische Bedeutung für die ungleichartigsten Com-
binationen benutzt wurde; das Regieren aber mit all' den hetero-
genen Elementen, welche bei der Präsidentschaftsfrage sich die
Hand geboten, wird nicht so leicht seyn. Aus der Art und Weise,
wie Louis Bonaparte sein Ministerium gebildet hat, geht klar
hervor, daß das neue Staatsoberhaupt den entschiedenen Willen
hegt, alle Parteien zu versöhnen und alle wahrhaft nationalen
Kräfte im Jnteresse des gemeinsamen Vaterlandes zu vereinbaren.
Alle Nuancen sind in demselben repräsentirt, selbst die bedeutende
Fraction, welche den General Cavaignac unterstützt hat. Jndessen
thut sich schon der Zwiespalt auf und ein Blatt, welches aus-
schließlich den alten Bonapartismus repräsentirt, greift jeden
Tag das neue Cabinet mit wüthender Heftigkeit an. Es sind das
leere Phrasen, die einen gewaltigen Appetit weiter nichts ver-
hüllen als und es ist im Grunde nur ein Kampf um Aemter und
Aemtchen. Diese Stellenjägerei hat übrigens schon den „ Natio-
nal “ ruinirt, der eine ganz andere Bedeutung hatte, als das in
Rede stehende Blatt und sie wird in Frankreich alle Coterien
ruiniren.

Auch unter den Parteien, welche die Republik nur als That-
sache annehmen und denen der neue Präsident nichts weiter ist,
als ein Lückenbüßer, fängt die Unentschlossenheit, die Ungewißheit
und Uneinigkeit zu gähren an. Die Legitimisten z. B. haben zwar
einen gemeinschaftlichen Zweck im Auge, über die Wahl der
Mittel aber sind sie uneinig: die Abenteurer unter denselben fol-
gen blind der „Gazette de France,“ die ihren Roman schnell zu
Ende führen möchte, die Politiker dagegen holen ihre Parole bei
der „Union,“ welche die Ereignisse sich erst entwickeln lassen und
nach Umständen handeln will. Was die Republikaner vom Tage
vorher betrifft, so sind diese noch viel weiter von einer Verstän-
digung entfernt und da sie weniger Bildung besitzen, so schmähen
sie sich gegenseitig auf die gemeinste Weise. Schon vor der Wahl
war die rothe Minorität in zwei Heerlager, das eine für Raspail,
das andere für Ledru=Rollin zerfallen, die sich in den Clubs wü-
thend herumzerrten. Jetzt haben die beiden scharlachrothen Nu-
ancen, um über dem Spectakel ihre trostlose Niederlage in Ver-
gessenheit zu bringen, auf gemeinschaftliche Kosten mit dem „ Na-
tional “ angebunden, der sicher dem General Cavaignac mehr
geschadet als genützt hat, dem aber von dieser Seite her nie ver-
ziehen wird, daß er von den Alfanzereien der socialen Republik
sich fern gehalten hat.

Mitten unter dieser Verwirrung der Begriffe und bei all den
Kämpfen auf der Oberfläche besteht im Jnnern der Societät ein
tiefes Bedürfniß nach Ruhe, nach Frieden und Arbeit. Die
Societät ist wieder zum Bewußtseyn ihrer Kraft gelangt, denn
nicht nur die sechs Millionen Stimmen, welche Louis Bonaparte,
sondern auch die anderthalb Millionen welche General Ca-
vaignac erhalten, sind ein Zeugniß von ihrem Widerwillen
gegen die Doctrinen der Wühler und mit diesem conservativen
Jnstinete, mit dem Geheimnisse seiner Allmacht, welche die Ab-
stimmung ihm offenbart hat, wird Frankreich aus dem Chaos
wieder hervorgehen und neu gedeihen, — wenn die Regierung
will. Daß die Regierung jetzt ohne alle Rücksicht gegen die anar-
chistischen Vereine einschreitet, welche unter dem Namen von
Clubs an dem allgemeinen Umsturze arbeiten, wird überall ent-
[Spaltenumbruch] schieden gebilligt und sie wird hierin von allen guten Bürgern
unterstützt. So hat der Eigenthümer des Saales Chabrol, in
welchem sich die Mitglieder des ehemaligen socialistischen Clubs
im Saale Bonne Nouvelle versammelten, diese Prediger des
Bürgerkrieges ausgetrieben und sie werden schwerlich eine
andere Höhle finden. Der Miether des Saales hatte sich näm-
lich in seinem Vertrage verpflichtet, den Raum, in welchem
seither die Raspailianer sich versammelt, nur zu einer Reitschule
zu benutzen, und der Eigenthümer hat ihm auf diese Clausel
hin verboten, das Local für einen andern Zweck abzugeben.
Die wenigen Arbeiter, welche der Sitzung des Clubs beiwoh-
nen wollten, mußten wieder umkehren, weil die Thüren auf
Befehl geschlossen waren, und einige von ihnen brummten in
den Bart: „Wenn wir das gewußt hätten, so hätten wir keine
drei Stunden Arbeit verloren.“ Man sieht aus diesem be-
merkenswerthen Geständnisse, was die patriotischen Reden
der Freunde des Volkes den arbeitenden Classen eintragen.

M Paris 22. December. Bei allen seitherigen Vorgängen
hat Louis Bonaparte, es läßt sich gar nicht in Abrede stellen, eine
große Mäßigung bewiesen und es gebührt ihm dafür alle Ehre.
Er hätte, wenn er gewollt hätte, der Republik und der Verfas-
sung nur unter dem Vorbehalte einer Appellation an das Volk
Treue zu schwören brauchen und das Volk hätte unter den gegen-
wärtigen Umständen unfehlbar für Wiederherstellung der erblichen
Regierungsgewalt gestimmt. Die Stimmung der Nationalgarde
und Besatzung hätte den Erfolg einer derartigen Demonstration
verbürgt und ich kann Sie aus eigener Erfahrung versichern, daß
die Pariser Bourgeoisie sehr ungehalten darüber ist, daß dieses
nicht geschah, denn die hiesige Bürgerschaft kann es nun einmal
durchaus nicht begreifen, daß sie keinen Kaiser oder König mehr
in den Tuilerien haben soll. Jn den Kaffeehäusern der Straße
St. Honor é und des Palais Royal sind in dieser Beziehung schon
die heftigsten Aeußerungen des Mißvergnügens gegen den Prinzen
laut geworden. Die Räthe des neuen Präsidenten waren
indessen der Ansicht, daß eine solche von überspannten Köpfen
projectirte Demonstration doch immer den Mißstand habe, daß
sie weiter nichts sey, als „ein Pariser Tag,“ obgleich in einem
ganz andern Sinne, als der 24. Februar war; das ganze Land
soll sich also erst erheben, die Petitionen sollen von allen Punkten
Frankreichs herkommen, und der Prinz ging offenbar von dieser
Erwartung aus, als er die Feinde der Republik und Constitution
für seine persönlichen Feinde erkärte, dabei aber sein Verdam-
mungsurtheil dennoch nur über „ungesetzliche Unternehmungen“
aussprach. Für die Nationalversammlung und die Republik ist
es eben nicht sehr schmeichelhaft, daß der Prinz sich so willig
zu seiner Jnstallation über Hals und Kopf hergab. Wie die Ter-
roristenpartei im Mai der Nationalversammlung drohte, sie wolle
sie ins Wasser werfen, weil sie zu reactionär sey, so steht die Bo-
napartistenpartei jetzt auf dem Punkte ihr den Abschied in Gna-
den zu geben, weil sie zu republikanisch ist. Bis zum Frühjahre
wird indessen der Prinz die Nationalversammlung wohl noch
dulden, weil er sich auf sie und Cavaignac stützen will, überhaupt
wird der Prinz den Uebergang von der Republik zur Monarchie
mit großer Vorsicht anbahnen müssen, wenn er nicht den beiden
gestürzten Dynastien Thür und Thor öffnen will. Alle Führer
der legitimistischen und orleanistischen Partei, Thiers, Mol é,
Guizot einerseits, Larochejacquelein und Berryer andererseits
sparen sich für bessere Zeiten auf, keiner von ihnen ist in das neue
Cabinet eingetreten. Uebrigens ist die legitimistische Partei selbst
gespalten, wie ich Jhnen schon gemeldet habe. Die „Gazette de
France“ will eine Monarchie, die auf den Nationalwillen sich
stützt, die „Union“ erklärt sich für die höhere Gewalt der Krone.

Jn Folge der Wahl des Präsidenten der Republik werden die
Pariser an Louis Bonaparte's Stelle sich einen neuen Deputirten
wählen müssen. Als Candidaten werden schon genannt: Emil
von Girardin, den namentlich die Legitimisten vorschieben und
den das Ministerium Odilon=Barrot schon abgewiesen hat, weil
seine Reformpläne zu kühn ausgefallen sind; General Montholon,
der Candidat des historischen und romantischen Napoleonismus:
Herr Delessert, der Candidat der Börse; Roger du Nord, der
Candidat des „National,“ und der Bürger Thor é, der Mann des
Socialismus. Zwei andere Repräsentanten des Seine=Departe-
ments, die jetzt noch in Vincennes ihr Domicil haben, Raspail und
Albert, und zwei Flüchtlinge, Caussidière und Louis Blanc, wird
die Amnestie bis Frühjahr der Kammer zurückgeben. Jch
sage bis Frühjahr, denn wenn auch die Nationalversammlung
gesetzlich ihr Mandat noch verlängern kann, so ist sie doch mora-
lisch todt und zur Unthätigkeit verdammt und alle Zeichen weisen
darauf hin, daß sie unter dem Andrange der Sturmpetitionen aus
den Departements ihre Fortdauer selbst nur noch bis zum 31.
März aussprechen wird.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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[0004] folgendermaßen zusammengesetzt: Präsident und Minister des Auswärtigen, Gioberti; Jnneres, Advocat Sineo; Krieg, Sonnaz; Justiz, Advocat Ratazzi; Finanzen, Ricci; öffent- licher Unterricht, Advocat Cardona; Ackerbau und Handel, Ad- vocat Buffa; öffentliche Arbeiten, Advocat Tecchio. Also ein wahres Advocatenministerium! Das Programm des neuen Ca- binets ist in der Deputirtenkammer verlesen und sehr günstig auf- genommen worden. Jn diesem Actenstücke erklärt das Ministerium, daß es für den Augenblick die Kriegsfrage nicht entscheiden könne; es sey über die Hilfsmittel der Armee noch nicht hinlänglich un- terrichtet; auch könne es nicht Verpflichtungen eingehen, die seine freie Thätigkeit hinderten; allein es verspreche auf Ehre alles Mögliche zu thun, um den Augenblick zu beschleunigen, wo die Armee durch ihre Tüchtigkeit ihr Mißgeschick wieder gut machen könne. Das Ministerium stellt sodann einige Betrachtungen an über die englisch=französische Vermittelung und glaubt, daß es passend wäre zuzusehen, welche Wendung die Unterhandlungen nehmen werden, um so mehr, da eine andere Richtschnur die vermittelnden Mächte vielleicht beleidigen könnte. Zuletzt erklärt das Ministerium, daß es die Fahne der italiänischen Constituante aufpflanze. [ Nous verrons! ] Frankreich. M Paris 21. December. Wir dürfen uns keinen Täu- schungen hingeben: in Zeiten wie die unsrigen, wo der Geist des Jndividualismus alle Ansichten zersplittert und alle Parteien gesprengt hat, konnte man sich wohl über einen Namen verstän- digen, dessen elastische Bedeutung für die ungleichartigsten Com- binationen benutzt wurde; das Regieren aber mit all' den hetero- genen Elementen, welche bei der Präsidentschaftsfrage sich die Hand geboten, wird nicht so leicht seyn. Aus der Art und Weise, wie Louis Bonaparte sein Ministerium gebildet hat, geht klar hervor, daß das neue Staatsoberhaupt den entschiedenen Willen hegt, alle Parteien zu versöhnen und alle wahrhaft nationalen Kräfte im Jnteresse des gemeinsamen Vaterlandes zu vereinbaren. Alle Nuancen sind in demselben repräsentirt, selbst die bedeutende Fraction, welche den General Cavaignac unterstützt hat. Jndessen thut sich schon der Zwiespalt auf und ein Blatt, welches aus- schließlich den alten Bonapartismus repräsentirt, greift jeden Tag das neue Cabinet mit wüthender Heftigkeit an. Es sind das leere Phrasen, die einen gewaltigen Appetit weiter nichts ver- hüllen als und es ist im Grunde nur ein Kampf um Aemter und Aemtchen. Diese Stellenjägerei hat übrigens schon den „ Natio- nal “ ruinirt, der eine ganz andere Bedeutung hatte, als das in Rede stehende Blatt und sie wird in Frankreich alle Coterien ruiniren. Auch unter den Parteien, welche die Republik nur als That- sache annehmen und denen der neue Präsident nichts weiter ist, als ein Lückenbüßer, fängt die Unentschlossenheit, die Ungewißheit und Uneinigkeit zu gähren an. Die Legitimisten z. B. haben zwar einen gemeinschaftlichen Zweck im Auge, über die Wahl der Mittel aber sind sie uneinig: die Abenteurer unter denselben fol- gen blind der „Gazette de France,“ die ihren Roman schnell zu Ende führen möchte, die Politiker dagegen holen ihre Parole bei der „Union,“ welche die Ereignisse sich erst entwickeln lassen und nach Umständen handeln will. Was die Republikaner vom Tage vorher betrifft, so sind diese noch viel weiter von einer Verstän- digung entfernt und da sie weniger Bildung besitzen, so schmähen sie sich gegenseitig auf die gemeinste Weise. Schon vor der Wahl war die rothe Minorität in zwei Heerlager, das eine für Raspail, das andere für Ledru=Rollin zerfallen, die sich in den Clubs wü- thend herumzerrten. Jetzt haben die beiden scharlachrothen Nu- ancen, um über dem Spectakel ihre trostlose Niederlage in Ver- gessenheit zu bringen, auf gemeinschaftliche Kosten mit dem „ Na- tional “ angebunden, der sicher dem General Cavaignac mehr geschadet als genützt hat, dem aber von dieser Seite her nie ver- ziehen wird, daß er von den Alfanzereien der socialen Republik sich fern gehalten hat. Mitten unter dieser Verwirrung der Begriffe und bei all den Kämpfen auf der Oberfläche besteht im Jnnern der Societät ein tiefes Bedürfniß nach Ruhe, nach Frieden und Arbeit. Die Societät ist wieder zum Bewußtseyn ihrer Kraft gelangt, denn nicht nur die sechs Millionen Stimmen, welche Louis Bonaparte, sondern auch die anderthalb Millionen welche General Ca- vaignac erhalten, sind ein Zeugniß von ihrem Widerwillen gegen die Doctrinen der Wühler und mit diesem conservativen Jnstinete, mit dem Geheimnisse seiner Allmacht, welche die Ab- stimmung ihm offenbart hat, wird Frankreich aus dem Chaos wieder hervorgehen und neu gedeihen, — wenn die Regierung will. Daß die Regierung jetzt ohne alle Rücksicht gegen die anar- chistischen Vereine einschreitet, welche unter dem Namen von Clubs an dem allgemeinen Umsturze arbeiten, wird überall ent- schieden gebilligt und sie wird hierin von allen guten Bürgern unterstützt. So hat der Eigenthümer des Saales Chabrol, in welchem sich die Mitglieder des ehemaligen socialistischen Clubs im Saale Bonne Nouvelle versammelten, diese Prediger des Bürgerkrieges ausgetrieben und sie werden schwerlich eine andere Höhle finden. Der Miether des Saales hatte sich näm- lich in seinem Vertrage verpflichtet, den Raum, in welchem seither die Raspailianer sich versammelt, nur zu einer Reitschule zu benutzen, und der Eigenthümer hat ihm auf diese Clausel hin verboten, das Local für einen andern Zweck abzugeben. Die wenigen Arbeiter, welche der Sitzung des Clubs beiwoh- nen wollten, mußten wieder umkehren, weil die Thüren auf Befehl geschlossen waren, und einige von ihnen brummten in den Bart: „Wenn wir das gewußt hätten, so hätten wir keine drei Stunden Arbeit verloren.“ Man sieht aus diesem be- merkenswerthen Geständnisse, was die patriotischen Reden der Freunde des Volkes den arbeitenden Classen eintragen. M Paris 22. December. Bei allen seitherigen Vorgängen hat Louis Bonaparte, es läßt sich gar nicht in Abrede stellen, eine große Mäßigung bewiesen und es gebührt ihm dafür alle Ehre. Er hätte, wenn er gewollt hätte, der Republik und der Verfas- sung nur unter dem Vorbehalte einer Appellation an das Volk Treue zu schwören brauchen und das Volk hätte unter den gegen- wärtigen Umständen unfehlbar für Wiederherstellung der erblichen Regierungsgewalt gestimmt. Die Stimmung der Nationalgarde und Besatzung hätte den Erfolg einer derartigen Demonstration verbürgt und ich kann Sie aus eigener Erfahrung versichern, daß die Pariser Bourgeoisie sehr ungehalten darüber ist, daß dieses nicht geschah, denn die hiesige Bürgerschaft kann es nun einmal durchaus nicht begreifen, daß sie keinen Kaiser oder König mehr in den Tuilerien haben soll. Jn den Kaffeehäusern der Straße St. Honor é und des Palais Royal sind in dieser Beziehung schon die heftigsten Aeußerungen des Mißvergnügens gegen den Prinzen laut geworden. Die Räthe des neuen Präsidenten waren indessen der Ansicht, daß eine solche von überspannten Köpfen projectirte Demonstration doch immer den Mißstand habe, daß sie weiter nichts sey, als „ein Pariser Tag,“ obgleich in einem ganz andern Sinne, als der 24. Februar war; das ganze Land soll sich also erst erheben, die Petitionen sollen von allen Punkten Frankreichs herkommen, und der Prinz ging offenbar von dieser Erwartung aus, als er die Feinde der Republik und Constitution für seine persönlichen Feinde erkärte, dabei aber sein Verdam- mungsurtheil dennoch nur über „ungesetzliche Unternehmungen“ aussprach. Für die Nationalversammlung und die Republik ist es eben nicht sehr schmeichelhaft, daß der Prinz sich so willig zu seiner Jnstallation über Hals und Kopf hergab. Wie die Ter- roristenpartei im Mai der Nationalversammlung drohte, sie wolle sie ins Wasser werfen, weil sie zu reactionär sey, so steht die Bo- napartistenpartei jetzt auf dem Punkte ihr den Abschied in Gna- den zu geben, weil sie zu republikanisch ist. Bis zum Frühjahre wird indessen der Prinz die Nationalversammlung wohl noch dulden, weil er sich auf sie und Cavaignac stützen will, überhaupt wird der Prinz den Uebergang von der Republik zur Monarchie mit großer Vorsicht anbahnen müssen, wenn er nicht den beiden gestürzten Dynastien Thür und Thor öffnen will. Alle Führer der legitimistischen und orleanistischen Partei, Thiers, Mol é, Guizot einerseits, Larochejacquelein und Berryer andererseits sparen sich für bessere Zeiten auf, keiner von ihnen ist in das neue Cabinet eingetreten. Uebrigens ist die legitimistische Partei selbst gespalten, wie ich Jhnen schon gemeldet habe. Die „Gazette de France“ will eine Monarchie, die auf den Nationalwillen sich stützt, die „Union“ erklärt sich für die höhere Gewalt der Krone. Jn Folge der Wahl des Präsidenten der Republik werden die Pariser an Louis Bonaparte's Stelle sich einen neuen Deputirten wählen müssen. Als Candidaten werden schon genannt: Emil von Girardin, den namentlich die Legitimisten vorschieben und den das Ministerium Odilon=Barrot schon abgewiesen hat, weil seine Reformpläne zu kühn ausgefallen sind; General Montholon, der Candidat des historischen und romantischen Napoleonismus: Herr Delessert, der Candidat der Börse; Roger du Nord, der Candidat des „National,“ und der Bürger Thor é, der Mann des Socialismus. Zwei andere Repräsentanten des Seine=Departe- ments, die jetzt noch in Vincennes ihr Domicil haben, Raspail und Albert, und zwei Flüchtlinge, Caussidière und Louis Blanc, wird die Amnestie bis Frühjahr der Kammer zurückgeben. Jch sage bis Frühjahr, denn wenn auch die Nationalversammlung gesetzlich ihr Mandat noch verlängern kann, so ist sie doch mora- lisch todt und zur Unthätigkeit verdammt und alle Zeichen weisen darauf hin, daß sie unter dem Andrange der Sturmpetitionen aus den Departements ihre Fortdauer selbst nur noch bis zum 31. März aussprechen wird. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 173. Mainz, 26. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal173_1848/4>, abgerufen am 03.12.2024.