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Mainzer Journal. Nr. 255. Mainz, 26. Oktober 1849.

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Mainzer Journal.


Nro 255. Freitag, den 26. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.

Wien 21. October. Unsere Stadt bietet fast das Bild eines
kriegerischen Lagers, so viele Soldaten kommen und gehen, und
die Vorstädte sind mit zahlreichen Einquartierungen belastet. Kein
Tag vergeht, wo nicht 2 -- 3 Bataillone anlangen, 2 -- 3 Tage
hier Rast halten und dann größtentheils nach Böhmen abmar-
schiren. Sie kommen nicht nur aus Ungarn, sondern auch aus
Jtalien. Die Gesammtarmee Oesterreichs beträgt gegenwärtig
beinahe 600,000 Mann und mehr als 60,000 Honveds werden
noch eingereiht. Jn dieser Stärke verbleibt das Heer wohlge-
rüstet und vorbereitet für die nächste Zukunft.

Der Herzog von Nemours befindet sich gegenwärtig in Wien
und gibt hinsichtlich der etwaigen Zwecke seines Besuches den
verschiedenen außenstehenden Politikern "Etwas zu rathen auf."
Jst es blos das Schicksal der weitläufigen ehemaligen Kohary-
schen 1) Besitzungen in Ungarn, das ihn herführt; oder handelt
es sich um eine schließliche Restauration auch des alten Legitimi-
tätsprincips in unserer an Rehabilitationen so reichen Zeit?
Diese Frage läßt sich natürlicherweise ohne thatsächliche Anhalts-
punkte nicht entscheiden und die letzten Plane der Bourbons und
Orleans in Beziehung auf ihre "angestammten" Rechte sind fürs
erste trotz aller Gerüchte, die von Zeit zu Zeit darüber in Umlauf
gesetzt werden, noch unentschleiert. Welche Richtung dieselben
aber auch immer haben mögen, die eine Politik hat Ludwig
Bonaparte wenigstens durchzuführen verstanden, durch seine Con-
nivenz gegen die Continentalmächte sich in den fraglichen Cabineten
persönliche Sympathien zu erwerben, welche einem Familien-
arrangement große Schwierigkeiten in den Weg legen dürften,
und die er sicher nicht in der orientalischen Frage aufs Spiel
setzen wird. Jst schon jede " entente cordiale " zwischen England
und Frankreich nur der Göthe'sche "schöne Schein" in der Poli-
tik, "hinter welcher Maske beide so aufrichtig seyn können wie sie
wollen," so ist auf der anderen Seite die alte Spitze, welche zu
Paris sich traditionell seit Richelieu's Zeiten gegen den Osten
wandte, allmälig stumpf geworden und wird durch eine zuneh-
mende Consolidation der italiänischen Verhältnisse täglich mehr
an Schärfe verlieren. Dazu gewinnt der alte Gedanke des repu-
blikanischen Frankreichs, den Napoleon in der Continental-
sperre
gewaltig zu realisiren suchte, nach und nach wieder Boden
auf dem ganzen Festlande, das da beginnt endlich einmal seine
rein dynastischen Jnteressen den ökonomischen nachzusetzen; der
jetzige Aufenthalt der Familie Orleans jenseits des Canales aber
und jene legitimistische Ovation Heinrichs V. zu Bellegravesquare,
sammt den daraus leicht herzuleitenden Liaisons mit dem Cabinete
von St. James, werden in einem solchen Falle gewiß nicht ver-
fehlen, beide Kronprätendenten in die Lage jener von Großbri-
tannien überall mit großer Umsicht angesammelten Mittel zu
bringen, die es im Falle des Kampfes gegen alle einzelnen Länder
des Continentes wie Brander losläßt. Der zündende Brander
vernichtet sich aber stets selbst zuerst!

Berlin 23. October. Die "Constitutionelle Zeitung," das
Organ von Milde, Beckerath, Hansemann, Camp-
hausen
u. s. w., überhaupt der liberalen preußischen Bour-
geoisie, bemerkt heute: Der Bruch zwischen Hannover und Sach-
sen einer Seits, und Preußen und den treu am Bündnisse vom
26. Mai d. J. haltenden übrigen deutschen Staaten ist vollstän-
dig. Bereits ist Herr v. Wangenheim, der bisherige Bevollmäch-
tigte Hannovers, und Herr v. Zeschau, der bisherige Bevollmäch-
tigte Sachsens bei dem Verwaltungsrathe des engeren Bundes,
[Spaltenumbruch] von Berlin abgereist. Wir freuen uns dabei um so mehr der
Kunde, daß die königl. Staatsregierung fest entschlossen ist, auf
dem von ihr betretenen Wege in der deutschen Sache mit Energie
vorzuschreiten. Der Entschluß, den Reichstag in Bälde einzube-
rufen ( wie es heißt bereits zum 15. Januar ) , soll in den nächsten
Tagen schon den Kammern mitgetheilt werden. Eine Repräsen-
tation von mehr als 22 Millionen Deutschen mit Staatenhaus
und Volkshaus und Executivgewalt, tagend und berathend im
Einvernehmen mit den Regierungen, sind eine moralische Macht,
deren Anziehungskraft, früh oder spät, unwiderstehlich wirken
muß. Nur -- ist zur Erreichung dieses von allen Patrioten leb-
haft gehegten Wunsches unerläßlich, daß die an der Spitze des
engeren Bundes stehende Regierung auch in ihrer inneren
Politik einen aufrichtig constitutionellen Gang
einhalte,
und dem gesammten Deutschland nicht das be-
trübende Schauspiel gebe, wie die ersten, funda-
mentalsten Sätze des Verfassungslebens von ihr
und ihren Freunden,
in der Constitution des Vaterlandes
selbst, aufgegeben oder doch bestritten werden. --
Delicater und zahmer kann man sich wirklich nicht aussprechen!

Die ministerielle "Deutsche Reform" und die "Neue preußische
Zeitung" schweigen. Dagegen ist die "Deutsche Zeitung" in einen
gelinden Wahnsinn hineingerathen und läßt sich folgendermaßen
vernehmen: "Da haben wir die Lösung des Räthsels von der ge-
heimnißvollen Wiener Ministerconferenz. Die Zusammenkunft bei
Herrn v. Schwarzenberg ist eine verhältnißmäßig kurze gewesen.
Allein sie hat hingereicht, neue Karlsbader Beschlüsse ( ! )
zu fassen, das Ergebniß derselben liegt in dürren Ausdrücken vor
uns, und zu ihrer Vollstreckung steht ein österreichisches Heer hinter
dem böhmischen Grenzgebirge. Die Const. Corresp. verweist den
sächsisch=hannoverischen Abfall vor das Bundesschiedsgericht in
Erfurt und die preußische Regierung will auf die mitgetheilte Er-
klärung damit antworten, daß sie die Wahlen zum Reichstage aus-
schreibt. Mit der letztgenannten Maßregel stimmen wir von Her-
zen überein. Was aber das Bundesschiedsgericht in Erfurt an-
langt, so gäbe es einen anderen Ausweg, wenn die deutschen
Kammern
die Lage des Vaterlandes und ihre Pflicht zu wür-
digen wissen. Ein Dreikönigs bündniß ist der Vertrag vom
26. Mai nicht mehr, seit zwei Könige ihren Rückzug davon ange-
treten haben. Aber der mächtigste der Contrahenten ist treu geblie-
ben, der Vertrag könnte ein Dreißig=Völker=Bündniß werden und
er verlöre dadurch wahrhaftig nicht an seiner Bedeutung. Wenn
also die Kammern in Dresden und Hannover ihre Aufgabe zu
erkennen vermögen, so werden sie ihre Ministerien nöthigen, dem
deutschen Volke im Winter 1849 zu erfüllen, was sie ihm im
Frühlinge desselben Jahres feierlich versprochen haben. Jn den
Ständesälen von Hannover und Dresden, nicht in Erfurt, wäre
Gericht zu halten über das Verfahren der beiden königlichen Re-
gierungen. Es kommt nur darauf an, ob die Vertreter des Vol-
kes von Sachsen und Hannover ebenso freisinnig, ebenso patrio-
tisch seyn wollen, als die Abgesandten von mehr als zwanzig
deutschen Fürsten und Regierungen." Wahrhaftig, eine unglück-
lichere Speculation ist noch nicht ersonnen worden als dieses
Dreißig=Völker=Bündniß der "Deutschen Zeitung!"

Aus Münster 23. October bringt das "Frankfurter Jour-
nal " den folgenden Artikel, den blos wir seiner Niederträch-
tigkeit wegen
hier wiedergeben: Was ich Jhnen in einem
meiner letzten Briefe über Aufstachelung der Gemüther hier zu
Lande von Seiten der katholischen Geistlichkeit schrieb, bestätigt
sich immer mehr. Bereits werden die Kanzeln dazu benützt, um
für die angebliche Freiheit der Kirche zu wirken, wobei es an
Ausfällen gegen die Regierung nicht fehlt. Noch hervortretender
als dies ist aber der Umstand, daß der hiesige Bischof bei der
Akademie einen erledigten Lehrstuhl der Theologie ganz eigen-
mächtig besetzt hat und der Regierung gegenüber, welche natürlich
Einsprache dagegen gethan, beharrlich als auf einer Sache besteht,
wozu er angeblich volles Recht habe. Die Radicalen klatschen
[Ende Spaltensatz]

1) Die letzte Erbin dieser Güter, Antoinette, Gemahlin des Her-
zogs Ferdinand von Sachsen=Koburg=Gotha, ist die Mutter der Herzogin
von Nemours. Ludwig Philipp vermählte nämlich nicht nur seine
Tochter Clementine an den reichen Prinzen August von Koburg=Gotha,
den Sohn jener ungarischen Prinzessin, sondern auch sein eigener Sohn
der Herzog von Nemours mußte dessen Schwester heimführen, wie der
Herzog von Montpensier die Schwester der Königin Jsabella mit ihren
28 Millionen Franken.
Mainzer Journal.


Nro 255. Freitag, den 26. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.

Wien 21. October. Unsere Stadt bietet fast das Bild eines
kriegerischen Lagers, so viele Soldaten kommen und gehen, und
die Vorstädte sind mit zahlreichen Einquartierungen belastet. Kein
Tag vergeht, wo nicht 2 — 3 Bataillone anlangen, 2 — 3 Tage
hier Rast halten und dann größtentheils nach Böhmen abmar-
schiren. Sie kommen nicht nur aus Ungarn, sondern auch aus
Jtalien. Die Gesammtarmee Oesterreichs beträgt gegenwärtig
beinahe 600,000 Mann und mehr als 60,000 Honveds werden
noch eingereiht. Jn dieser Stärke verbleibt das Heer wohlge-
rüstet und vorbereitet für die nächste Zukunft.

Der Herzog von Nemours befindet sich gegenwärtig in Wien
und gibt hinsichtlich der etwaigen Zwecke seines Besuches den
verschiedenen außenstehenden Politikern „Etwas zu rathen auf.“
Jst es blos das Schicksal der weitläufigen ehemaligen Kohary-
schen 1) Besitzungen in Ungarn, das ihn herführt; oder handelt
es sich um eine schließliche Restauration auch des alten Legitimi-
tätsprincips in unserer an Rehabilitationen so reichen Zeit?
Diese Frage läßt sich natürlicherweise ohne thatsächliche Anhalts-
punkte nicht entscheiden und die letzten Plane der Bourbons und
Orleans in Beziehung auf ihre „angestammten“ Rechte sind fürs
erste trotz aller Gerüchte, die von Zeit zu Zeit darüber in Umlauf
gesetzt werden, noch unentschleiert. Welche Richtung dieselben
aber auch immer haben mögen, die eine Politik hat Ludwig
Bonaparte wenigstens durchzuführen verstanden, durch seine Con-
nivenz gegen die Continentalmächte sich in den fraglichen Cabineten
persönliche Sympathien zu erwerben, welche einem Familien-
arrangement große Schwierigkeiten in den Weg legen dürften,
und die er sicher nicht in der orientalischen Frage aufs Spiel
setzen wird. Jst schon jede « entente cordiale » zwischen England
und Frankreich nur der Göthe'sche „schöne Schein“ in der Poli-
tik, „hinter welcher Maske beide so aufrichtig seyn können wie sie
wollen,“ so ist auf der anderen Seite die alte Spitze, welche zu
Paris sich traditionell seit Richelieu's Zeiten gegen den Osten
wandte, allmälig stumpf geworden und wird durch eine zuneh-
mende Consolidation der italiänischen Verhältnisse täglich mehr
an Schärfe verlieren. Dazu gewinnt der alte Gedanke des repu-
blikanischen Frankreichs, den Napoleon in der Continental-
sperre
gewaltig zu realisiren suchte, nach und nach wieder Boden
auf dem ganzen Festlande, das da beginnt endlich einmal seine
rein dynastischen Jnteressen den ökonomischen nachzusetzen; der
jetzige Aufenthalt der Familie Orleans jenseits des Canales aber
und jene legitimistische Ovation Heinrichs V. zu Bellegravesquare,
sammt den daraus leicht herzuleitenden Liaisons mit dem Cabinete
von St. James, werden in einem solchen Falle gewiß nicht ver-
fehlen, beide Kronprätendenten in die Lage jener von Großbri-
tannien überall mit großer Umsicht angesammelten Mittel zu
bringen, die es im Falle des Kampfes gegen alle einzelnen Länder
des Continentes wie Brander losläßt. Der zündende Brander
vernichtet sich aber stets selbst zuerst!

Berlin 23. October. Die „Constitutionelle Zeitung,“ das
Organ von Milde, Beckerath, Hansemann, Camp-
hausen
u. s. w., überhaupt der liberalen preußischen Bour-
geoisie, bemerkt heute: Der Bruch zwischen Hannover und Sach-
sen einer Seits, und Preußen und den treu am Bündnisse vom
26. Mai d. J. haltenden übrigen deutschen Staaten ist vollstän-
dig. Bereits ist Herr v. Wangenheim, der bisherige Bevollmäch-
tigte Hannovers, und Herr v. Zeschau, der bisherige Bevollmäch-
tigte Sachsens bei dem Verwaltungsrathe des engeren Bundes,
[Spaltenumbruch] von Berlin abgereist. Wir freuen uns dabei um so mehr der
Kunde, daß die königl. Staatsregierung fest entschlossen ist, auf
dem von ihr betretenen Wege in der deutschen Sache mit Energie
vorzuschreiten. Der Entschluß, den Reichstag in Bälde einzube-
rufen ( wie es heißt bereits zum 15. Januar ) , soll in den nächsten
Tagen schon den Kammern mitgetheilt werden. Eine Repräsen-
tation von mehr als 22 Millionen Deutschen mit Staatenhaus
und Volkshaus und Executivgewalt, tagend und berathend im
Einvernehmen mit den Regierungen, sind eine moralische Macht,
deren Anziehungskraft, früh oder spät, unwiderstehlich wirken
muß. Nur — ist zur Erreichung dieses von allen Patrioten leb-
haft gehegten Wunsches unerläßlich, daß die an der Spitze des
engeren Bundes stehende Regierung auch in ihrer inneren
Politik einen aufrichtig constitutionellen Gang
einhalte,
und dem gesammten Deutschland nicht das be-
trübende Schauspiel gebe, wie die ersten, funda-
mentalsten Sätze des Verfassungslebens von ihr
und ihren Freunden,
in der Constitution des Vaterlandes
selbst, aufgegeben oder doch bestritten werden.
Delicater und zahmer kann man sich wirklich nicht aussprechen!

Die ministerielle „Deutsche Reform“ und die „Neue preußische
Zeitung“ schweigen. Dagegen ist die „Deutsche Zeitung“ in einen
gelinden Wahnsinn hineingerathen und läßt sich folgendermaßen
vernehmen: „Da haben wir die Lösung des Räthsels von der ge-
heimnißvollen Wiener Ministerconferenz. Die Zusammenkunft bei
Herrn v. Schwarzenberg ist eine verhältnißmäßig kurze gewesen.
Allein sie hat hingereicht, neue Karlsbader Beschlüsse ( ! )
zu fassen, das Ergebniß derselben liegt in dürren Ausdrücken vor
uns, und zu ihrer Vollstreckung steht ein österreichisches Heer hinter
dem böhmischen Grenzgebirge. Die Const. Corresp. verweist den
sächsisch=hannoverischen Abfall vor das Bundesschiedsgericht in
Erfurt und die preußische Regierung will auf die mitgetheilte Er-
klärung damit antworten, daß sie die Wahlen zum Reichstage aus-
schreibt. Mit der letztgenannten Maßregel stimmen wir von Her-
zen überein. Was aber das Bundesschiedsgericht in Erfurt an-
langt, so gäbe es einen anderen Ausweg, wenn die deutschen
Kammern
die Lage des Vaterlandes und ihre Pflicht zu wür-
digen wissen. Ein Dreikönigs bündniß ist der Vertrag vom
26. Mai nicht mehr, seit zwei Könige ihren Rückzug davon ange-
treten haben. Aber der mächtigste der Contrahenten ist treu geblie-
ben, der Vertrag könnte ein Dreißig=Völker=Bündniß werden und
er verlöre dadurch wahrhaftig nicht an seiner Bedeutung. Wenn
also die Kammern in Dresden und Hannover ihre Aufgabe zu
erkennen vermögen, so werden sie ihre Ministerien nöthigen, dem
deutschen Volke im Winter 1849 zu erfüllen, was sie ihm im
Frühlinge desselben Jahres feierlich versprochen haben. Jn den
Ständesälen von Hannover und Dresden, nicht in Erfurt, wäre
Gericht zu halten über das Verfahren der beiden königlichen Re-
gierungen. Es kommt nur darauf an, ob die Vertreter des Vol-
kes von Sachsen und Hannover ebenso freisinnig, ebenso patrio-
tisch seyn wollen, als die Abgesandten von mehr als zwanzig
deutschen Fürsten und Regierungen.“ Wahrhaftig, eine unglück-
lichere Speculation ist noch nicht ersonnen worden als dieses
Dreißig=Völker=Bündniß der „Deutschen Zeitung!“

Aus Münster 23. October bringt das „Frankfurter Jour-
nal “ den folgenden Artikel, den blos wir seiner Niederträch-
tigkeit wegen
hier wiedergeben: Was ich Jhnen in einem
meiner letzten Briefe über Aufstachelung der Gemüther hier zu
Lande von Seiten der katholischen Geistlichkeit schrieb, bestätigt
sich immer mehr. Bereits werden die Kanzeln dazu benützt, um
für die angebliche Freiheit der Kirche zu wirken, wobei es an
Ausfällen gegen die Regierung nicht fehlt. Noch hervortretender
als dies ist aber der Umstand, daß der hiesige Bischof bei der
Akademie einen erledigten Lehrstuhl der Theologie ganz eigen-
mächtig besetzt hat und der Regierung gegenüber, welche natürlich
Einsprache dagegen gethan, beharrlich als auf einer Sache besteht,
wozu er angeblich volles Recht habe. Die Radicalen klatschen
[Ende Spaltensatz]

1) Die letzte Erbin dieser Güter, Antoinette, Gemahlin des Her-
zogs Ferdinand von Sachsen=Koburg=Gotha, ist die Mutter der Herzogin
von Nemours. Ludwig Philipp vermählte nämlich nicht nur seine
Tochter Clementine an den reichen Prinzen August von Koburg=Gotha,
den Sohn jener ungarischen Prinzessin, sondern auch sein eigener Sohn
der Herzog von Nemours mußte dessen Schwester heimführen, wie der
Herzog von Montpensier die Schwester der Königin Jsabella mit ihren
28 Millionen Franken.
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[0001] Mainzer Journal. Nro 255. Freitag, den 26. October. 1849. Deutschland. Wien 21. October. Unsere Stadt bietet fast das Bild eines kriegerischen Lagers, so viele Soldaten kommen und gehen, und die Vorstädte sind mit zahlreichen Einquartierungen belastet. Kein Tag vergeht, wo nicht 2 — 3 Bataillone anlangen, 2 — 3 Tage hier Rast halten und dann größtentheils nach Böhmen abmar- schiren. Sie kommen nicht nur aus Ungarn, sondern auch aus Jtalien. Die Gesammtarmee Oesterreichs beträgt gegenwärtig beinahe 600,000 Mann und mehr als 60,000 Honveds werden noch eingereiht. Jn dieser Stärke verbleibt das Heer wohlge- rüstet und vorbereitet für die nächste Zukunft. Der Herzog von Nemours befindet sich gegenwärtig in Wien und gibt hinsichtlich der etwaigen Zwecke seines Besuches den verschiedenen außenstehenden Politikern „Etwas zu rathen auf.“ Jst es blos das Schicksal der weitläufigen ehemaligen Kohary- schen 1) Besitzungen in Ungarn, das ihn herführt; oder handelt es sich um eine schließliche Restauration auch des alten Legitimi- tätsprincips in unserer an Rehabilitationen so reichen Zeit? Diese Frage läßt sich natürlicherweise ohne thatsächliche Anhalts- punkte nicht entscheiden und die letzten Plane der Bourbons und Orleans in Beziehung auf ihre „angestammten“ Rechte sind fürs erste trotz aller Gerüchte, die von Zeit zu Zeit darüber in Umlauf gesetzt werden, noch unentschleiert. Welche Richtung dieselben aber auch immer haben mögen, die eine Politik hat Ludwig Bonaparte wenigstens durchzuführen verstanden, durch seine Con- nivenz gegen die Continentalmächte sich in den fraglichen Cabineten persönliche Sympathien zu erwerben, welche einem Familien- arrangement große Schwierigkeiten in den Weg legen dürften, und die er sicher nicht in der orientalischen Frage aufs Spiel setzen wird. Jst schon jede « entente cordiale » zwischen England und Frankreich nur der Göthe'sche „schöne Schein“ in der Poli- tik, „hinter welcher Maske beide so aufrichtig seyn können wie sie wollen,“ so ist auf der anderen Seite die alte Spitze, welche zu Paris sich traditionell seit Richelieu's Zeiten gegen den Osten wandte, allmälig stumpf geworden und wird durch eine zuneh- mende Consolidation der italiänischen Verhältnisse täglich mehr an Schärfe verlieren. Dazu gewinnt der alte Gedanke des repu- blikanischen Frankreichs, den Napoleon in der Continental- sperre gewaltig zu realisiren suchte, nach und nach wieder Boden auf dem ganzen Festlande, das da beginnt endlich einmal seine rein dynastischen Jnteressen den ökonomischen nachzusetzen; der jetzige Aufenthalt der Familie Orleans jenseits des Canales aber und jene legitimistische Ovation Heinrichs V. zu Bellegravesquare, sammt den daraus leicht herzuleitenden Liaisons mit dem Cabinete von St. James, werden in einem solchen Falle gewiß nicht ver- fehlen, beide Kronprätendenten in die Lage jener von Großbri- tannien überall mit großer Umsicht angesammelten Mittel zu bringen, die es im Falle des Kampfes gegen alle einzelnen Länder des Continentes wie Brander losläßt. Der zündende Brander vernichtet sich aber stets selbst zuerst! Berlin 23. October. Die „Constitutionelle Zeitung,“ das Organ von Milde, Beckerath, Hansemann, Camp- hausen u. s. w., überhaupt der liberalen preußischen Bour- geoisie, bemerkt heute: Der Bruch zwischen Hannover und Sach- sen einer Seits, und Preußen und den treu am Bündnisse vom 26. Mai d. J. haltenden übrigen deutschen Staaten ist vollstän- dig. Bereits ist Herr v. Wangenheim, der bisherige Bevollmäch- tigte Hannovers, und Herr v. Zeschau, der bisherige Bevollmäch- tigte Sachsens bei dem Verwaltungsrathe des engeren Bundes, von Berlin abgereist. Wir freuen uns dabei um so mehr der Kunde, daß die königl. Staatsregierung fest entschlossen ist, auf dem von ihr betretenen Wege in der deutschen Sache mit Energie vorzuschreiten. Der Entschluß, den Reichstag in Bälde einzube- rufen ( wie es heißt bereits zum 15. Januar ) , soll in den nächsten Tagen schon den Kammern mitgetheilt werden. Eine Repräsen- tation von mehr als 22 Millionen Deutschen mit Staatenhaus und Volkshaus und Executivgewalt, tagend und berathend im Einvernehmen mit den Regierungen, sind eine moralische Macht, deren Anziehungskraft, früh oder spät, unwiderstehlich wirken muß. Nur — ist zur Erreichung dieses von allen Patrioten leb- haft gehegten Wunsches unerläßlich, daß die an der Spitze des engeren Bundes stehende Regierung auch in ihrer inneren Politik einen aufrichtig constitutionellen Gang einhalte, und dem gesammten Deutschland nicht das be- trübende Schauspiel gebe, wie die ersten, funda- mentalsten Sätze des Verfassungslebens von ihr und ihren Freunden, in der Constitution des Vaterlandes selbst, aufgegeben oder doch bestritten werden. — Delicater und zahmer kann man sich wirklich nicht aussprechen! Die ministerielle „Deutsche Reform“ und die „Neue preußische Zeitung“ schweigen. Dagegen ist die „Deutsche Zeitung“ in einen gelinden Wahnsinn hineingerathen und läßt sich folgendermaßen vernehmen: „Da haben wir die Lösung des Räthsels von der ge- heimnißvollen Wiener Ministerconferenz. Die Zusammenkunft bei Herrn v. Schwarzenberg ist eine verhältnißmäßig kurze gewesen. Allein sie hat hingereicht, neue Karlsbader Beschlüsse ( ! ) zu fassen, das Ergebniß derselben liegt in dürren Ausdrücken vor uns, und zu ihrer Vollstreckung steht ein österreichisches Heer hinter dem böhmischen Grenzgebirge. Die Const. Corresp. verweist den sächsisch=hannoverischen Abfall vor das Bundesschiedsgericht in Erfurt und die preußische Regierung will auf die mitgetheilte Er- klärung damit antworten, daß sie die Wahlen zum Reichstage aus- schreibt. Mit der letztgenannten Maßregel stimmen wir von Her- zen überein. Was aber das Bundesschiedsgericht in Erfurt an- langt, so gäbe es einen anderen Ausweg, wenn die deutschen Kammern die Lage des Vaterlandes und ihre Pflicht zu wür- digen wissen. Ein Dreikönigs bündniß ist der Vertrag vom 26. Mai nicht mehr, seit zwei Könige ihren Rückzug davon ange- treten haben. Aber der mächtigste der Contrahenten ist treu geblie- ben, der Vertrag könnte ein Dreißig=Völker=Bündniß werden und er verlöre dadurch wahrhaftig nicht an seiner Bedeutung. Wenn also die Kammern in Dresden und Hannover ihre Aufgabe zu erkennen vermögen, so werden sie ihre Ministerien nöthigen, dem deutschen Volke im Winter 1849 zu erfüllen, was sie ihm im Frühlinge desselben Jahres feierlich versprochen haben. Jn den Ständesälen von Hannover und Dresden, nicht in Erfurt, wäre Gericht zu halten über das Verfahren der beiden königlichen Re- gierungen. Es kommt nur darauf an, ob die Vertreter des Vol- kes von Sachsen und Hannover ebenso freisinnig, ebenso patrio- tisch seyn wollen, als die Abgesandten von mehr als zwanzig deutschen Fürsten und Regierungen.“ Wahrhaftig, eine unglück- lichere Speculation ist noch nicht ersonnen worden als dieses Dreißig=Völker=Bündniß der „Deutschen Zeitung!“ Aus Münster 23. October bringt das „Frankfurter Jour- nal “ den folgenden Artikel, den blos wir seiner Niederträch- tigkeit wegen hier wiedergeben: Was ich Jhnen in einem meiner letzten Briefe über Aufstachelung der Gemüther hier zu Lande von Seiten der katholischen Geistlichkeit schrieb, bestätigt sich immer mehr. Bereits werden die Kanzeln dazu benützt, um für die angebliche Freiheit der Kirche zu wirken, wobei es an Ausfällen gegen die Regierung nicht fehlt. Noch hervortretender als dies ist aber der Umstand, daß der hiesige Bischof bei der Akademie einen erledigten Lehrstuhl der Theologie ganz eigen- mächtig besetzt hat und der Regierung gegenüber, welche natürlich Einsprache dagegen gethan, beharrlich als auf einer Sache besteht, wozu er angeblich volles Recht habe. Die Radicalen klatschen 1) Die letzte Erbin dieser Güter, Antoinette, Gemahlin des Her- zogs Ferdinand von Sachsen=Koburg=Gotha, ist die Mutter der Herzogin von Nemours. Ludwig Philipp vermählte nämlich nicht nur seine Tochter Clementine an den reichen Prinzen August von Koburg=Gotha, den Sohn jener ungarischen Prinzessin, sondern auch sein eigener Sohn der Herzog von Nemours mußte dessen Schwester heimführen, wie der Herzog von Montpensier die Schwester der Königin Jsabella mit ihren 28 Millionen Franken.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 255. Mainz, 26. Oktober 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal255_1849/1>, abgerufen am 21.11.2024.