Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marburger Zeitung. Nr. 103, Marburg, 28.08.1906.

Bild:
erste Seite
Marburger Zeitung.



[Spaltenumbruch]

Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zustellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Postversendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur schriftlichen Abbestellung.


[Spaltenumbruch]

Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11--12 Uhr vorm. und von 5--6 Uhr nachm. Postgasse 4.

Die Verwaltung befindet sich: Postgasse 4. (Telephon-Nr. 24.)


[Spaltenumbruch]

Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und kostet die fünfmalgespaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einschaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer kostet 10 Heller.




Nr. 103 Dienstag, 28. August 1906 45. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Rom und die Ehe.

Über dieses Thema hielt Adv.-Kand. Dr. Hein-
rich Götzl--Aussig auf der Hauptversammlung des
"Deutsch-evangelischen Bundes für die Ostmark" in
Reichenberg nachstehenden Vortrag:

Der Fundamentartikel der katholischen Lehre,
der die Ansicht von der Unlösbarkeit der Ehe
begründet, ist: "die Ehe, ein Sakrament".
Diese Lehre ist historisch unbegründet, da es eine
formelle Eheschließung, wie sie das Concilium Tri-
dentinum (1545--1563) schuf, niemals gab, ins-
besondere in der ersten Zeit nach Christus das
Sakrament, wie es das Tridentinum formulierte,
gar nicht existierte, auch späterhin die nicht in der
Kirche geschlossenen Ehen für vollgiltig (wenn auch
strafbar) angesehen wurden und von der Sakraments-
qualität und Unlöslichkeit niemals die Rede war.
Erst seit dem Tridentinum ist das, was eigentlich
nur im Kampfe gegen das Ketzertum begründet
wurde, auch theoretisch zu einer Lehre ausgebaut
worden, welche heute unter dem Bilde der geheimnis-
vollen Vereinigung Christi mit der Kirche (welch'
frivoler Vergleich!) die unauflösliche Verbindung
zweier Menschenkinder als Symbol und förmliches
Palladium des Katholizismus in Anspruch nimmt.
(Siehe großer Katechismus 1900; noch 1897 findet
sich der Vergleich mit Christus und der Kirche nicht.)

Darum nützt es nichts, auf Mangel der
historischen und logischen Begründung hinzuweisen.
Die katholische Kirche kann von diesem Standpunkte
nicht zurück, weil sie sich zu stark exponiert hat und
ein Zurückweichen auch nur einen Schritt weit,
einer Niederlage gleich wäre. Darum auch mächtige
Protestationen, Kinderunterschriften, Entstellungen
des Bonifaziusblattes, als bedeute die Eherechts-
reform die Einführung der freien Liebe. Darum predigte
der Fürsterzbischof von Wien Kardinal Gruscha förmlich
den Kreuzzug gegen die Ehereform. Vom katholischen
[Spaltenumbruch] Standpunkte aus braucht man sich über die
Konsequenzen des Prinzips keine Skrupeln zu
machen, ja man darf solche Konsequenzen gar nicht
in Betracht ziehen, wenn dadurch das Machtgebiet
eine Beschränkung erleiden könnte. Daher ist es
ganz gleichgiltig, daß die Sakramentslehre auf das
Sakrament der Ehe gar nicht paßt, weil bei diesem
Empfänger und Spender des Sakraments in den
nämlichen Personen zusammenfallen. (Da nämlich
das Sakrament durch die Willenseinigung zustande
kommt, so sind die Nupturienten, die die Willens-
einigung zustandebringen, zugleich die, die sich selbst
das Sakrament spenden. Diese schöne theoretische
Konstruktion ist wohl dem Gedankengange der Braut-
leute fremd. Ich glaube nicht, daß diese im Mo-
mente der Trauung den Willen und die Fassung
haben, sich ein Sakrament zu spenden.) Daher unter-
liegt es keinem Anstande, eine geschlossene, noch nicht
vollzogene Ehe (matrimonium ratum, nondum con-
summatum), wenn also der Trauungsakt vor sich
gegangen, der Beischlaf jedoch noch nicht gepflogen
wurde, als mit päpstlicher Dispens löslich zu er-
klären. Man übersieht gerne die mächtige Inkonse-
quenz, die darin liegt, daß man zunächst das Sakra-
ment als durch erfolgte Willenserklärung empfangen
annimmt, dann aber das rein fleischliche Moment
des Beischlafes, nicht die Sakramentsqualität der
Ehe, in der Frage der Lösbarkeit entscheiden läßt.
(Solcher Widersprüche gibt es mehrere.)

Gleichwohl hat das allg. bürgerliche Gesetzbuch
für Österreich die katholische Ehelehre fast ganz
rezipiert und im § 111 in dem Satze niedergelegt:
"Ehen, bei deren Schließung auch nur ein Teil
der katholischen Religion angehörte, seien nur
durch den Tod eines Eheteils löslich." Also
zum Beispiel:

1. Ein Protestant heiratet eine Katholikin vor
dem prot. Pfarrer. Er läßt sich dann scheiden,
gleichwohl kann er eine neue giltige Ehe nicht
eingehen.


[Spaltenumbruch]

2. Ein österr. Staatsbürger (Katholik) schließt
mit einer Katholikin im Inlande nach kath. Ritus
eine Ehe. Sodann tritt er zum Protestantismus über,
läßt sich scheiden, geht nach Ungarn, erwirbt dort
die Staatsbürgerschaft, und heiratet vollkommen
legal zum zweiten Male (sogenannte siebenbürgische
Ehe; ähnlich Fall Moritsch). Die zweite Ehe
ist ungiltig.

3. Ein Katholik heiratet in Österreich eine
Protestantin vor dem altkatholifchen Pfarrer, läßt
sich scheiden, tritt sodann zum Protestantismus über
und schließt in irgend einem Staat eine Ehe. Die
Ehe ist vor dem österr. Forum ungiltig. (Das sind
einige drastische Fälle, sie ließen sich um vieles
vermehren.)

Ist die schöne Theorie solcher praktischer
Schwierigkeiten wert? Und dann die Mischehen.
Sie sind auch heute noch sündhaft und wenn auch
in diesem Punkte die freiheitliche Gesetzgebung von
1874 die sogenannten Reserve über Kindererziehung
für unwirksam erklärte, bei jeder Mischehe wird der
Revers gefordert und unterschrieben.

Wenn nicht, wird die Trauung verweigert.
Nun, wenn die Braut altkatholisch ist, wird wohl
der Mann kaum jemals so borniert sein, auf einer
katholischen Trauung zu bestehen, und man wird
den Revers vermeiden. Aber wenn die Braut katho-
lisch ist! Da kann es sehr leicht sein und passiert
alle Tage, daß die Braut oder die Eltern derselben
katholische Trauung verlangen. Der Mann entweder
notgedrungen (Vermögen, Stand usw. der Schwieger-
eltern), oder um des lieben Friedens willen, willigt
ein. Die Brautleute unterschreiben einen Revers,
den sie meistens von vorneherein gar nicht halten
wollen. Ist das Glaubens- und Gewissensfreiheit,
die jedem Staatsbürger staatsgrundgesetzlich garan-
tiert ist? Was nützen Gesetze, wenn sie infolge der
wirklichen Verhältnisse notwendigerweise unwirksam
werden müssen? Und ist es etwa ausgeschlossen, daß
eine Frau vielleicht durch ihre Verwandschaft oder




[Spaltenumbruch]
Esther Holm.
Roman aus der nordischen Heide.

11)



(Nachdruck verboten.)

"Nicht wahr", begann sie ein wenig schüchtern,
doch mit der Sicherheit der jungen Dame aus der
Hauptstadt, "Sie sind Thomas Holm, der Dichter
der "Frühlieder?"

Thomas Holm verbeugte sich angenehm über-
rascht; es schmeichelte ihm jedoch, von dem bild-
schönen Mädchen erkannt zu sein, und voll
Bewunderung haftete sein Blick auf ihrem blumen-
zarten Antlitz.

"Hatten meine kleinen Gedichte das Glück,
Ihnen zu gefallen, Fräulein von Senden?"

"O, sehr, sehr; Alle in meinem Kreise
schwärmten dafür."

Hier wurde die Unterhaltung durch das Ein-
mischen des Pastors Karlsen unterbrochen -- Genia
aber blieb froh bewegt. Die persönliche Bekannt-
schaft mit Thomas Holm hatte ihr nicht, wie es
so oft geschieht, den Nimbus, mit dem sie ihn um-
geben, geraubt -- jünger hatte sie ihn sich vorge-
stellt: aber ein Dichter trug ja im Grunde den
ewigen Frühling in der Seele und wurde innerlich
niemals alt. --

Mit der harmlosen Rosa Holm hingegen ge-
schah ihr etwas Eigentümliches, das Genia sich
selbst nicht zu erklären wußte. Der erste Blick auf
das anmutige kindliche Gesicht hatte genügt, ihr
heimlich Abneigung einzuflößen. Obgleich Rosa
[Spaltenumbruch] liebenswürdig wie immer lächelte, traf es sie aus
den blauen Augen wie ein feindlicher Strahl, der
natürlich nur in ihrer Einbildung bestand, denn
Rosa fand Genia entzückend. -- --

Etwa zwanzig Minuten mochten vergangen sein,
auf dem Wasser lagen schon die Schatten der be-
ginnenden Dämmerung, als der Fischerkahn sich
wieder dem Lande näherte, ein wrackes Boot im
Schlepptau. Gleich darauf legte er an der Landungs-
brücke an. Alles drängte herbei, und in ihrer wort-
kargen Weise erteilten die Männer den neugierigen
Fragenden Auskunft. Es bedurfte jedoch dessen kaum,
man konnte sich jetzt an die Geretteten selbst wenden.
Sie bestanden aus vier Personen, einem Schiffs-
jungen, zwei Matrosen und einem jugendlichen
Mann, der seiner Kleidung nach zu schließen den
höheren Ständen angehörte. Er, sowie der Schiffs-
junge lagen bewußtlos, aus den regungslosen
Körpern schien das Leben vollständig gewichen.
Von den beiden Matrosen, die abgemagert, aus
stieren Augen blickten, und deren schlotternde Er-
scheinung Zeugnis von den ausgestandenen furcht-
baren Strapazen gab, war nur noch einer imstande,
einen einigermaßen verständlichen Bericht zu geben.
Sie gehörten zu dem Dampfer "Hansa", der, von
Porto Cabello in Venezuela nach Hamburg be-
stimmt, unweit des Kanals aufgefahren und ge-
strandet sei. Er, die drei Gefährten und noch zwei
andere hätten sich in das Boot gerettet, diese beiden
aber seien während der drei Täge und Nächte, die
sie auf der Nordsee getrieben, dem Elend erlegen
und von den Kameraden ins Wasser gesenkt worden.
Eine Sturzwelle habe das Steuer gebrochen und
[Spaltenumbruch] den Mast weggerissen. Der Junge lebe noch, er
sei nur ohnmächtig, den jungen Herrn hingegen,
einen Passagier der ersten Klasse, hielt er für tot.
Dennoch hätten sie angesichts des Landes, von dem
sie bis zuletzt auf Rettung hofften, sich nicht ent-
schließen können, ihn ins Wasser zu werfen -- er
solle sein ehrliches Begräbnis haben. Das sei ein
so guter Mensch. Das bischen Proviant und die
drei Flaschen Kognak, die er in der Eile von dem
sinkenden Dampfer noch hat mitnehmen können,
habe er ihnen fast ganz überlassen.

Und dann war es erschütternd zu sehen, wie
dieser abgezehrte, taumelnde Mensch, der nur noch,
mitleidig von den Umstehenden gestützt, sich aufrecht
zu erhalten vermochte, doch noch den Versuch unter-
nahm, Anweisungen zu erteilen, daß man den
Passagier nicht rauh angreife und Belebungsversuche
anstelle. Man könne immerhin nicht wissen, ob er
wirklich tot sei.

Es bedurfte dessen nicht. Während die Schiffs-
mannschaft unter Doktor Pohl's Leitung nach dem
Gasthofe des Dorfes befördert wurde, wo sofort
das Notwendige für sie geschah, hatte Thomas Holm,
einer Regung seines warmen, menschenfreundlichen
Herzens nachgehend, bestimmt, daß man den jungen
Herrn, in dem Esther nach kurzer Prüfung in der
Tat noch eine leise Spur von Leben bemerkte, nach
Sigurdshof schaffte. Von dieser schlanken Gestalt
in hellgrauem Anzug, ebenso von dem fremdartig
brünetten Antlitz des hilflos weit nach hinten ge-
sunkenen Hauptes mit seinem dunklen Bärtchen und
schwarzem, leicht gekräuselten Haar ging etwas aus,
das Thomas Holm fesselte.     (Fortsetzung folgt.)


Marburger Zeitung.



[Spaltenumbruch]

Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


[Spaltenumbruch]

Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.)


[Spaltenumbruch]

Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmalgeſpaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einſchaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.




Nr. 103 Dienstag, 28. Auguſt 1906 45. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Rom und die Ehe.

Über dieſes Thema hielt Adv.-Kand. Dr. Hein-
rich Götzl—Auſſig auf der Hauptverſammlung des
„Deutſch-evangeliſchen Bundes für die Oſtmark“ in
Reichenberg nachſtehenden Vortrag:

Der Fundamentartikel der katholiſchen Lehre,
der die Anſicht von der Unlösbarkeit der Ehe
begründet, iſt: „die Ehe, ein Sakrament“.
Dieſe Lehre iſt hiſtoriſch unbegründet, da es eine
formelle Eheſchließung, wie ſie das Concilium Tri-
dentinum (1545—1563) ſchuf, niemals gab, ins-
beſondere in der erſten Zeit nach Chriſtus das
Sakrament, wie es das Tridentinum formulierte,
gar nicht exiſtierte, auch ſpäterhin die nicht in der
Kirche geſchloſſenen Ehen für vollgiltig (wenn auch
ſtrafbar) angeſehen wurden und von der Sakraments-
qualität und Unlöslichkeit niemals die Rede war.
Erſt ſeit dem Tridentinum iſt das, was eigentlich
nur im Kampfe gegen das Ketzertum begründet
wurde, auch theoretiſch zu einer Lehre ausgebaut
worden, welche heute unter dem Bilde der geheimnis-
vollen Vereinigung Chriſti mit der Kirche (welch’
frivoler Vergleich!) die unauflösliche Verbindung
zweier Menſchenkinder als Symbol und förmliches
Palladium des Katholizismus in Anſpruch nimmt.
(Siehe großer Katechismus 1900; noch 1897 findet
ſich der Vergleich mit Chriſtus und der Kirche nicht.)

Darum nützt es nichts, auf Mangel der
hiſtoriſchen und logiſchen Begründung hinzuweiſen.
Die katholiſche Kirche kann von dieſem Standpunkte
nicht zurück, weil ſie ſich zu ſtark exponiert hat und
ein Zurückweichen auch nur einen Schritt weit,
einer Niederlage gleich wäre. Darum auch mächtige
Proteſtationen, Kinderunterſchriften, Entſtellungen
des Bonifaziusblattes, als bedeute die Eherechts-
reform die Einführung der freien Liebe. Darum predigte
der Fürſterzbiſchof von Wien Kardinal Gruſcha förmlich
den Kreuzzug gegen die Ehereform. Vom katholiſchen
[Spaltenumbruch] Standpunkte aus braucht man ſich über die
Konſequenzen des Prinzips keine Skrupeln zu
machen, ja man darf ſolche Konſequenzen gar nicht
in Betracht ziehen, wenn dadurch das Machtgebiet
eine Beſchränkung erleiden könnte. Daher iſt es
ganz gleichgiltig, daß die Sakramentslehre auf das
Sakrament der Ehe gar nicht paßt, weil bei dieſem
Empfänger und Spender des Sakraments in den
nämlichen Perſonen zuſammenfallen. (Da nämlich
das Sakrament durch die Willenseinigung zuſtande
kommt, ſo ſind die Nupturienten, die die Willens-
einigung zuſtandebringen, zugleich die, die ſich ſelbſt
das Sakrament ſpenden. Dieſe ſchöne theoretiſche
Konſtruktion iſt wohl dem Gedankengange der Braut-
leute fremd. Ich glaube nicht, daß dieſe im Mo-
mente der Trauung den Willen und die Faſſung
haben, ſich ein Sakrament zu ſpenden.) Daher unter-
liegt es keinem Anſtande, eine geſchloſſene, noch nicht
vollzogene Ehe (matrimonium ratum, nondum con-
ſummatum), wenn alſo der Trauungsakt vor ſich
gegangen, der Beiſchlaf jedoch noch nicht gepflogen
wurde, als mit päpſtlicher Dispens löslich zu er-
klären. Man überſieht gerne die mächtige Inkonſe-
quenz, die darin liegt, daß man zunächſt das Sakra-
ment als durch erfolgte Willenserklärung empfangen
annimmt, dann aber das rein fleiſchliche Moment
des Beiſchlafes, nicht die Sakramentsqualität der
Ehe, in der Frage der Lösbarkeit entſcheiden läßt.
(Solcher Widerſprüche gibt es mehrere.)

Gleichwohl hat das allg. bürgerliche Geſetzbuch
für Öſterreich die katholiſche Ehelehre faſt ganz
rezipiert und im § 111 in dem Satze niedergelegt:
„Ehen, bei deren Schließung auch nur ein Teil
der katholiſchen Religion angehörte, ſeien nur
durch den Tod eines Eheteils löslich.“ Alſo
zum Beiſpiel:

1. Ein Proteſtant heiratet eine Katholikin vor
dem prot. Pfarrer. Er läßt ſich dann ſcheiden,
gleichwohl kann er eine neue giltige Ehe nicht
eingehen.


[Spaltenumbruch]

2. Ein öſterr. Staatsbürger (Katholik) ſchließt
mit einer Katholikin im Inlande nach kath. Ritus
eine Ehe. Sodann tritt er zum Proteſtantismus über,
läßt ſich ſcheiden, geht nach Ungarn, erwirbt dort
die Staatsbürgerſchaft, und heiratet vollkommen
legal zum zweiten Male (ſogenannte ſiebenbürgiſche
Ehe; ähnlich Fall Moritſch). Die zweite Ehe
iſt ungiltig.

3. Ein Katholik heiratet in Öſterreich eine
Proteſtantin vor dem altkatholifchen Pfarrer, läßt
ſich ſcheiden, tritt ſodann zum Proteſtantismus über
und ſchließt in irgend einem Staat eine Ehe. Die
Ehe iſt vor dem öſterr. Forum ungiltig. (Das ſind
einige draſtiſche Fälle, ſie ließen ſich um vieles
vermehren.)

Iſt die ſchöne Theorie ſolcher praktiſcher
Schwierigkeiten wert? Und dann die Miſchehen.
Sie ſind auch heute noch ſündhaft und wenn auch
in dieſem Punkte die freiheitliche Geſetzgebung von
1874 die ſogenannten Reſerve über Kindererziehung
für unwirkſam erklärte, bei jeder Miſchehe wird der
Revers gefordert und unterſchrieben.

Wenn nicht, wird die Trauung verweigert.
Nun, wenn die Braut altkatholiſch iſt, wird wohl
der Mann kaum jemals ſo borniert ſein, auf einer
katholiſchen Trauung zu beſtehen, und man wird
den Revers vermeiden. Aber wenn die Braut katho-
liſch iſt! Da kann es ſehr leicht ſein und paſſiert
alle Tage, daß die Braut oder die Eltern derſelben
katholiſche Trauung verlangen. Der Mann entweder
notgedrungen (Vermögen, Stand uſw. der Schwieger-
eltern), oder um des lieben Friedens willen, willigt
ein. Die Brautleute unterſchreiben einen Revers,
den ſie meiſtens von vorneherein gar nicht halten
wollen. Iſt das Glaubens- und Gewiſſensfreiheit,
die jedem Staatsbürger ſtaatsgrundgeſetzlich garan-
tiert iſt? Was nützen Geſetze, wenn ſie infolge der
wirklichen Verhältniſſe notwendigerweiſe unwirkſam
werden müſſen? Und iſt es etwa ausgeſchloſſen, daß
eine Frau vielleicht durch ihre Verwandſchaft oder




[Spaltenumbruch]
Eſther Holm.
Roman aus der nordiſchen Heide.

11)



(Nachdruck verboten.)

„Nicht wahr“, begann ſie ein wenig ſchüchtern,
doch mit der Sicherheit der jungen Dame aus der
Hauptſtadt, „Sie ſind Thomas Holm, der Dichter
der „Frühlieder?“

Thomas Holm verbeugte ſich angenehm über-
raſcht; es ſchmeichelte ihm jedoch, von dem bild-
ſchönen Mädchen erkannt zu ſein, und voll
Bewunderung haftete ſein Blick auf ihrem blumen-
zarten Antlitz.

„Hatten meine kleinen Gedichte das Glück,
Ihnen zu gefallen, Fräulein von Senden?“

„O, ſehr, ſehr; Alle in meinem Kreiſe
ſchwärmten dafür.“

Hier wurde die Unterhaltung durch das Ein-
miſchen des Paſtors Karlſen unterbrochen — Genia
aber blieb froh bewegt. Die perſönliche Bekannt-
ſchaft mit Thomas Holm hatte ihr nicht, wie es
ſo oft geſchieht, den Nimbus, mit dem ſie ihn um-
geben, geraubt — jünger hatte ſie ihn ſich vorge-
ſtellt: aber ein Dichter trug ja im Grunde den
ewigen Frühling in der Seele und wurde innerlich
niemals alt. —

Mit der harmloſen Roſa Holm hingegen ge-
ſchah ihr etwas Eigentümliches, das Genia ſich
ſelbſt nicht zu erklären wußte. Der erſte Blick auf
das anmutige kindliche Geſicht hatte genügt, ihr
heimlich Abneigung einzuflößen. Obgleich Roſa
[Spaltenumbruch] liebenswürdig wie immer lächelte, traf es ſie aus
den blauen Augen wie ein feindlicher Strahl, der
natürlich nur in ihrer Einbildung beſtand, denn
Roſa fand Genia entzückend. — —

Etwa zwanzig Minuten mochten vergangen ſein,
auf dem Waſſer lagen ſchon die Schatten der be-
ginnenden Dämmerung, als der Fiſcherkahn ſich
wieder dem Lande näherte, ein wrackes Boot im
Schlepptau. Gleich darauf legte er an der Landungs-
brücke an. Alles drängte herbei, und in ihrer wort-
kargen Weiſe erteilten die Männer den neugierigen
Fragenden Auskunft. Es bedurfte jedoch deſſen kaum,
man konnte ſich jetzt an die Geretteten ſelbſt wenden.
Sie beſtanden aus vier Perſonen, einem Schiffs-
jungen, zwei Matroſen und einem jugendlichen
Mann, der ſeiner Kleidung nach zu ſchließen den
höheren Ständen angehörte. Er, ſowie der Schiffs-
junge lagen bewußtlos, aus den regungsloſen
Körpern ſchien das Leben vollſtändig gewichen.
Von den beiden Matroſen, die abgemagert, aus
ſtieren Augen blickten, und deren ſchlotternde Er-
ſcheinung Zeugnis von den ausgeſtandenen furcht-
baren Strapazen gab, war nur noch einer imſtande,
einen einigermaßen verſtändlichen Bericht zu geben.
Sie gehörten zu dem Dampfer „Hanſa“, der, von
Porto Cabello in Venezuela nach Hamburg be-
ſtimmt, unweit des Kanals aufgefahren und ge-
ſtrandet ſei. Er, die drei Gefährten und noch zwei
andere hätten ſich in das Boot gerettet, dieſe beiden
aber ſeien während der drei Täge und Nächte, die
ſie auf der Nordſee getrieben, dem Elend erlegen
und von den Kameraden ins Waſſer geſenkt worden.
Eine Sturzwelle habe das Steuer gebrochen und
[Spaltenumbruch] den Maſt weggeriſſen. Der Junge lebe noch, er
ſei nur ohnmächtig, den jungen Herrn hingegen,
einen Paſſagier der erſten Klaſſe, hielt er für tot.
Dennoch hätten ſie angeſichts des Landes, von dem
ſie bis zuletzt auf Rettung hofften, ſich nicht ent-
ſchließen können, ihn ins Waſſer zu werfen — er
ſolle ſein ehrliches Begräbnis haben. Das ſei ein
ſo guter Menſch. Das bischen Proviant und die
drei Flaſchen Kognak, die er in der Eile von dem
ſinkenden Dampfer noch hat mitnehmen können,
habe er ihnen faſt ganz überlaſſen.

Und dann war es erſchütternd zu ſehen, wie
dieſer abgezehrte, taumelnde Menſch, der nur noch,
mitleidig von den Umſtehenden geſtützt, ſich aufrecht
zu erhalten vermochte, doch noch den Verſuch unter-
nahm, Anweiſungen zu erteilen, daß man den
Paſſagier nicht rauh angreife und Belebungsverſuche
anſtelle. Man könne immerhin nicht wiſſen, ob er
wirklich tot ſei.

Es bedurfte deſſen nicht. Während die Schiffs-
mannſchaft unter Doktor Pohl’s Leitung nach dem
Gaſthofe des Dorfes befördert wurde, wo ſofort
das Notwendige für ſie geſchah, hatte Thomas Holm,
einer Regung ſeines warmen, menſchenfreundlichen
Herzens nachgehend, beſtimmt, daß man den jungen
Herrn, in dem Eſther nach kurzer Prüfung in der
Tat noch eine leiſe Spur von Leben bemerkte, nach
Sigurdshof ſchaffte. Von dieſer ſchlanken Geſtalt
in hellgrauem Anzug, ebenſo von dem fremdartig
brünetten Antlitz des hilflos weit nach hinten ge-
ſunkenen Hauptes mit ſeinem dunklen Bärtchen und
ſchwarzem, leicht gekräuſelten Haar ging etwas aus,
das Thomas Holm feſſelte.     (Fortſetzung folgt.)


<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0001" n="[1]"/>
      <titlePage xml:id="title1" type="heading" next="#title2">
        <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Marburger Zeitung.</hi> </titlePart>
      </titlePage><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <cb/>
      <div type="jExpedition">
        <p>Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:<lb/>
Ganzjährig 12 <hi rendition="#aq">K,</hi> halbjährig 6 <hi rendition="#aq">K,</hi> vierteljährig 3 <hi rendition="#aq">K,</hi> monat-<lb/>
lich 1 <hi rendition="#aq">K.</hi> Bei Zu&#x017F;tellung ins Haus monatlich 20 <hi rendition="#aq">h</hi> mehr.</p><lb/>
        <p>Mit Po&#x017F;tver&#x017F;endung:<lb/>
Ganzjährig 14 <hi rendition="#aq">K,</hi> halbjährig 7 <hi rendition="#aq">K,</hi> vierteljährig 3 <hi rendition="#aq">K 50 h.</hi><lb/>
Das Abonnement dauert bis zur &#x017F;chriftlichen Abbe&#x017F;tellung.</p><lb/>
        <cb/>
        <p> <hi rendition="#b">Er&#x017F;cheint jeden Dienstag, Donnerstag und<lb/>
Samstag abends.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#b">Sprech&#x017F;tunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von<lb/>
11&#x2014;12 Uhr vorm. und von 5&#x2014;6 Uhr nachm. Po&#x017F;tga&#x017F;&#x017F;e 4.</hi> </p><lb/>
        <p>Die Verwaltung befindet &#x017F;ich: Po&#x017F;tga&#x017F;&#x017F;e 4. (Telephon-Nr. 24.)</p><lb/>
        <cb/>
        <p><hi rendition="#g">Anzeigen</hi> werden im Verlage des Blattes und von<lb/>
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen<lb/>
und ko&#x017F;tet die fünfmalge&#x017F;paltene Kleinzeile 12 <hi rendition="#aq">h.</hi> </p><lb/>
        <p>Schluß für Ein&#x017F;chaltungen:<lb/>
Dienstag, Donnerstag, Samstag <hi rendition="#b">10 Uhr vormittags.</hi> </p><lb/>
        <p>Die Einzelnummer ko&#x017F;tet 10 Heller.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <titlePage xml:id="title2" prev="#title1" type="heading">
        <docImprint>
          <docDate> <hi rendition="#b">Nr. 103 Dienstag, 28. Augu&#x017F;t 1906 45. Jahrgang.</hi> </docDate>
        </docImprint><lb/>
      </titlePage>
    </front>
    <body>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <cb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div xml:id="rom1" next="#rom2" type="jArticle" n="2">
          <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">Rom und die Ehe.</hi> </hi> </head><lb/>
          <p>Über die&#x017F;es Thema hielt Adv.-Kand. Dr. Hein-<lb/>
rich <hi rendition="#g">Götzl</hi>&#x2014;Au&#x017F;&#x017F;ig auf der Hauptver&#x017F;ammlung des<lb/>
&#x201E;Deut&#x017F;ch-evangeli&#x017F;chen Bundes für die O&#x017F;tmark&#x201C; in<lb/>
Reichenberg nach&#x017F;tehenden Vortrag:</p><lb/>
          <p>Der Fundamentartikel der katholi&#x017F;chen Lehre,<lb/>
der die An&#x017F;icht von der Unlösbarkeit der Ehe<lb/>
begründet, i&#x017F;t: &#x201E;die Ehe, <hi rendition="#g">ein Sakrament</hi>&#x201C;.<lb/>
Die&#x017F;e Lehre i&#x017F;t hi&#x017F;tori&#x017F;ch unbegründet, da es eine<lb/>
formelle Ehe&#x017F;chließung, wie &#x017F;ie das Concilium Tri-<lb/>
dentinum (1545&#x2014;1563) &#x017F;chuf, niemals gab, ins-<lb/>
be&#x017F;ondere in der er&#x017F;ten Zeit nach Chri&#x017F;tus das<lb/>
Sakrament, wie es das Tridentinum formulierte,<lb/>
gar nicht exi&#x017F;tierte, auch &#x017F;päterhin die nicht in der<lb/>
Kirche ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Ehen für vollgiltig (wenn auch<lb/>
&#x017F;trafbar) ange&#x017F;ehen wurden und von der Sakraments-<lb/>
qualität und Unlöslichkeit niemals die Rede war.<lb/>
Er&#x017F;t &#x017F;eit dem Tridentinum i&#x017F;t das, was eigentlich<lb/>
nur im Kampfe gegen das Ketzertum begründet<lb/>
wurde, auch theoreti&#x017F;ch zu einer Lehre ausgebaut<lb/>
worden, welche heute unter dem Bilde der geheimnis-<lb/>
vollen Vereinigung Chri&#x017F;ti mit der Kirche (welch&#x2019;<lb/>
frivoler Vergleich!) die unauflösliche Verbindung<lb/>
zweier Men&#x017F;chenkinder als Symbol und förmliches<lb/>
Palladium des Katholizismus in An&#x017F;pruch nimmt.<lb/>
(Siehe großer Katechismus 1900; noch 1897 findet<lb/>
&#x017F;ich der Vergleich mit Chri&#x017F;tus und der Kirche nicht.)</p><lb/>
          <p>Darum nützt es nichts, auf Mangel der<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;chen und logi&#x017F;chen Begründung hinzuwei&#x017F;en.<lb/>
Die katholi&#x017F;che Kirche kann von die&#x017F;em Standpunkte<lb/>
nicht zurück, weil &#x017F;ie &#x017F;ich zu &#x017F;tark exponiert hat und<lb/>
ein Zurückweichen auch nur einen Schritt weit,<lb/>
einer Niederlage gleich wäre. Darum auch mächtige<lb/>
Prote&#x017F;tationen, Kinderunter&#x017F;chriften, Ent&#x017F;tellungen<lb/>
des Bonifaziusblattes, als bedeute die Eherechts-<lb/>
reform die Einführung der freien Liebe. Darum predigte<lb/>
der Für&#x017F;terzbi&#x017F;chof von Wien Kardinal Gru&#x017F;cha förmlich<lb/>
den Kreuzzug gegen die Ehereform. Vom katholi&#x017F;chen<lb/><cb/>
Standpunkte aus braucht man &#x017F;ich über die<lb/>
Kon&#x017F;equenzen des Prinzips keine Skrupeln zu<lb/>
machen, ja man darf &#x017F;olche Kon&#x017F;equenzen gar nicht<lb/>
in Betracht ziehen, wenn dadurch das Machtgebiet<lb/>
eine Be&#x017F;chränkung erleiden könnte. Daher i&#x017F;t es<lb/>
ganz gleichgiltig, daß die Sakramentslehre auf das<lb/>
Sakrament der Ehe gar nicht paßt, weil bei die&#x017F;em<lb/>
Empfänger und Spender des Sakraments in den<lb/>
nämlichen Per&#x017F;onen zu&#x017F;ammenfallen. (Da nämlich<lb/>
das Sakrament durch die Willenseinigung zu&#x017F;tande<lb/>
kommt, &#x017F;o &#x017F;ind die Nupturienten, die die Willens-<lb/>
einigung zu&#x017F;tandebringen, zugleich die, die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
das Sakrament &#x017F;penden. Die&#x017F;e &#x017F;chöne theoreti&#x017F;che<lb/>
Kon&#x017F;truktion i&#x017F;t wohl dem Gedankengange der Braut-<lb/>
leute fremd. Ich glaube nicht, daß die&#x017F;e im Mo-<lb/>
mente der Trauung den Willen und die Fa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
haben, &#x017F;ich ein Sakrament zu &#x017F;penden.) Daher unter-<lb/>
liegt es keinem An&#x017F;tande, eine ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene, noch nicht<lb/>
vollzogene Ehe (matrimonium ratum, nondum con-<lb/>
&#x017F;ummatum), wenn al&#x017F;o der Trauungsakt vor &#x017F;ich<lb/>
gegangen, der Bei&#x017F;chlaf jedoch noch nicht gepflogen<lb/>
wurde, als mit päp&#x017F;tlicher Dispens löslich zu er-<lb/>
klären. Man über&#x017F;ieht gerne die mächtige Inkon&#x017F;e-<lb/>
quenz, die darin liegt, daß man zunäch&#x017F;t das Sakra-<lb/>
ment als durch erfolgte Willenserklärung empfangen<lb/>
annimmt, dann aber das rein flei&#x017F;chliche Moment<lb/>
des Bei&#x017F;chlafes, nicht die Sakramentsqualität der<lb/>
Ehe, in der Frage der Lösbarkeit ent&#x017F;cheiden läßt.<lb/>
(Solcher Wider&#x017F;prüche gibt es mehrere.)</p><lb/>
          <p>Gleichwohl hat das allg. bürgerliche Ge&#x017F;etzbuch<lb/>
für Ö&#x017F;terreich die katholi&#x017F;che Ehelehre fa&#x017F;t ganz<lb/>
rezipiert und im § 111 in dem Satze niedergelegt:<lb/>
&#x201E;Ehen, bei deren Schließung auch nur ein Teil<lb/>
der katholi&#x017F;chen Religion angehörte, &#x017F;eien nur<lb/>
durch den Tod eines Eheteils löslich.&#x201C; Al&#x017F;o<lb/>
zum Bei&#x017F;piel:</p><lb/>
          <p>1. Ein Prote&#x017F;tant heiratet eine Katholikin vor<lb/>
dem prot. Pfarrer. Er läßt &#x017F;ich dann &#x017F;cheiden,<lb/>
gleichwohl kann er eine neue giltige Ehe nicht<lb/>
eingehen.</p><lb/>
          <cb/>
          <p>2. Ein ö&#x017F;terr. Staatsbürger (Katholik) &#x017F;chließt<lb/>
mit einer Katholikin im Inlande nach kath. Ritus<lb/>
eine Ehe. Sodann tritt er zum Prote&#x017F;tantismus über,<lb/>
läßt &#x017F;ich &#x017F;cheiden, geht nach Ungarn, erwirbt dort<lb/>
die Staatsbürger&#x017F;chaft, und heiratet vollkommen<lb/>
legal zum zweiten Male (&#x017F;ogenannte &#x017F;iebenbürgi&#x017F;che<lb/>
Ehe; ähnlich Fall Morit&#x017F;ch). Die zweite Ehe<lb/>
i&#x017F;t ungiltig.</p><lb/>
          <p>3. Ein Katholik heiratet in Ö&#x017F;terreich eine<lb/>
Prote&#x017F;tantin vor dem altkatholifchen Pfarrer, läßt<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;cheiden, tritt &#x017F;odann zum Prote&#x017F;tantismus über<lb/>
und &#x017F;chließt in irgend einem Staat eine Ehe. Die<lb/>
Ehe i&#x017F;t vor dem ö&#x017F;terr. Forum ungiltig. (Das &#x017F;ind<lb/>
einige dra&#x017F;ti&#x017F;che Fälle, &#x017F;ie ließen &#x017F;ich um vieles<lb/>
vermehren.)</p><lb/>
          <p>I&#x017F;t die &#x017F;chöne Theorie &#x017F;olcher prakti&#x017F;cher<lb/>
Schwierigkeiten wert? Und dann die Mi&#x017F;chehen.<lb/>
Sie &#x017F;ind auch heute noch &#x017F;ündhaft und wenn auch<lb/>
in die&#x017F;em Punkte die freiheitliche Ge&#x017F;etzgebung von<lb/>
1874 die &#x017F;ogenannten Re&#x017F;erve über Kindererziehung<lb/>
für unwirk&#x017F;am erklärte, bei jeder Mi&#x017F;chehe wird der<lb/>
Revers gefordert und unter&#x017F;chrieben.</p><lb/>
          <p>Wenn nicht, wird die Trauung verweigert.<lb/>
Nun, wenn die Braut altkatholi&#x017F;ch i&#x017F;t, wird wohl<lb/>
der Mann kaum jemals &#x017F;o borniert &#x017F;ein, auf einer<lb/>
katholi&#x017F;chen Trauung zu be&#x017F;tehen, und man wird<lb/>
den Revers vermeiden. Aber wenn die Braut katho-<lb/>
li&#x017F;ch i&#x017F;t! Da kann es &#x017F;ehr leicht &#x017F;ein und pa&#x017F;&#x017F;iert<lb/>
alle Tage, daß die Braut oder die Eltern der&#x017F;elben<lb/>
katholi&#x017F;che Trauung verlangen. Der Mann entweder<lb/>
notgedrungen (Vermögen, Stand u&#x017F;w. der Schwieger-<lb/>
eltern), oder um des lieben Friedens willen, willigt<lb/>
ein. Die Brautleute unter&#x017F;chreiben einen Revers,<lb/>
den &#x017F;ie mei&#x017F;tens von vorneherein gar nicht halten<lb/>
wollen. I&#x017F;t das Glaubens- und Gewi&#x017F;&#x017F;ensfreiheit,<lb/>
die jedem Staatsbürger &#x017F;taatsgrundge&#x017F;etzlich garan-<lb/>
tiert i&#x017F;t? Was nützen Ge&#x017F;etze, wenn &#x017F;ie infolge der<lb/>
wirklichen Verhältni&#x017F;&#x017F;e notwendigerwei&#x017F;e unwirk&#x017F;am<lb/>
werden mü&#x017F;&#x017F;en? Und i&#x017F;t es etwa ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
eine Frau vielleicht durch ihre Verwand&#x017F;chaft oder</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <cb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jFeuilleton" n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <head><hi rendition="#b">E&#x017F;ther Holm.</hi><lb/>
Roman aus der nordi&#x017F;chen Heide.</head><lb/>
          <byline>Von B. Riedel-Ahrens.</byline><lb/>
          <p>11) <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><hi rendition="#et">(Nachdruck verboten.)</hi> </p><lb/>
          <p>&#x201E;Nicht wahr&#x201C;, begann &#x017F;ie ein wenig &#x017F;chüchtern,<lb/>
doch mit der Sicherheit der jungen Dame aus der<lb/>
Haupt&#x017F;tadt, &#x201E;Sie &#x017F;ind Thomas Holm, der Dichter<lb/>
der &#x201E;Frühlieder?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Thomas Holm verbeugte &#x017F;ich angenehm über-<lb/>
ra&#x017F;cht; es &#x017F;chmeichelte ihm jedoch, von dem bild-<lb/>
&#x017F;chönen Mädchen erkannt zu &#x017F;ein, und voll<lb/>
Bewunderung haftete &#x017F;ein Blick auf ihrem blumen-<lb/>
zarten Antlitz.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Hatten meine kleinen Gedichte das Glück,<lb/>
Ihnen zu gefallen, Fräulein von Senden?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;O, &#x017F;ehr, &#x017F;ehr; Alle in meinem Krei&#x017F;e<lb/>
&#x017F;chwärmten dafür.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Hier wurde die Unterhaltung durch das Ein-<lb/>
mi&#x017F;chen des Pa&#x017F;tors Karl&#x017F;en unterbrochen &#x2014; Genia<lb/>
aber blieb froh bewegt. Die per&#x017F;önliche Bekannt-<lb/>
&#x017F;chaft mit Thomas Holm hatte ihr nicht, wie es<lb/>
&#x017F;o oft ge&#x017F;chieht, den Nimbus, mit dem &#x017F;ie ihn um-<lb/>
geben, geraubt &#x2014; jünger hatte &#x017F;ie ihn &#x017F;ich vorge-<lb/>
&#x017F;tellt: aber ein Dichter trug ja im Grunde den<lb/>
ewigen Frühling in der Seele und wurde innerlich<lb/>
niemals alt. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Mit der harmlo&#x017F;en Ro&#x017F;a Holm hingegen ge-<lb/>
&#x017F;chah ihr etwas Eigentümliches, das Genia &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t nicht zu erklären wußte. Der er&#x017F;te Blick auf<lb/>
das anmutige kindliche Ge&#x017F;icht hatte genügt, ihr<lb/>
heimlich Abneigung einzuflößen. Obgleich Ro&#x017F;a<lb/><cb/>
liebenswürdig wie immer lächelte, traf es &#x017F;ie aus<lb/>
den blauen Augen wie ein feindlicher Strahl, der<lb/>
natürlich nur in ihrer Einbildung be&#x017F;tand, denn<lb/>
Ro&#x017F;a fand Genia entzückend. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Etwa zwanzig Minuten mochten vergangen &#x017F;ein,<lb/>
auf dem Wa&#x017F;&#x017F;er lagen &#x017F;chon die Schatten der be-<lb/>
ginnenden Dämmerung, als der Fi&#x017F;cherkahn &#x017F;ich<lb/>
wieder dem Lande näherte, ein wrackes Boot im<lb/>
Schlepptau. Gleich darauf legte er an der Landungs-<lb/>
brücke an. Alles drängte herbei, und in ihrer wort-<lb/>
kargen Wei&#x017F;e erteilten die Männer den neugierigen<lb/>
Fragenden Auskunft. Es bedurfte jedoch de&#x017F;&#x017F;en kaum,<lb/>
man konnte &#x017F;ich jetzt an die Geretteten &#x017F;elb&#x017F;t wenden.<lb/>
Sie be&#x017F;tanden aus vier Per&#x017F;onen, einem Schiffs-<lb/>
jungen, zwei Matro&#x017F;en und einem jugendlichen<lb/>
Mann, der &#x017F;einer Kleidung nach zu &#x017F;chließen den<lb/>
höheren Ständen angehörte. Er, &#x017F;owie der Schiffs-<lb/>
junge lagen bewußtlos, aus den regungslo&#x017F;en<lb/>
Körpern &#x017F;chien das Leben voll&#x017F;tändig gewichen.<lb/>
Von den beiden Matro&#x017F;en, die abgemagert, aus<lb/>
&#x017F;tieren Augen blickten, und deren &#x017F;chlotternde Er-<lb/>
&#x017F;cheinung Zeugnis von den ausge&#x017F;tandenen furcht-<lb/>
baren Strapazen gab, war nur noch einer im&#x017F;tande,<lb/>
einen einigermaßen ver&#x017F;tändlichen Bericht zu geben.<lb/>
Sie gehörten zu dem Dampfer &#x201E;Han&#x017F;a&#x201C;, der, von<lb/>
Porto Cabello in Venezuela nach Hamburg be-<lb/>
&#x017F;timmt, unweit des Kanals aufgefahren und ge-<lb/>
&#x017F;trandet &#x017F;ei. Er, die drei Gefährten und noch zwei<lb/>
andere hätten &#x017F;ich in das Boot gerettet, die&#x017F;e beiden<lb/>
aber &#x017F;eien während der drei Täge und Nächte, die<lb/>
&#x017F;ie auf der Nord&#x017F;ee getrieben, dem Elend erlegen<lb/>
und von den Kameraden ins Wa&#x017F;&#x017F;er ge&#x017F;enkt worden.<lb/>
Eine Sturzwelle habe das Steuer gebrochen und<lb/><cb/>
den Ma&#x017F;t weggeri&#x017F;&#x017F;en. Der Junge lebe noch, er<lb/>
&#x017F;ei nur ohnmächtig, den jungen Herrn hingegen,<lb/>
einen Pa&#x017F;&#x017F;agier der er&#x017F;ten Kla&#x017F;&#x017F;e, hielt er für tot.<lb/>
Dennoch hätten &#x017F;ie ange&#x017F;ichts des Landes, von dem<lb/>
&#x017F;ie bis zuletzt auf Rettung hofften, &#x017F;ich nicht ent-<lb/>
&#x017F;chließen können, ihn ins Wa&#x017F;&#x017F;er zu werfen &#x2014; er<lb/>
&#x017F;olle &#x017F;ein ehrliches Begräbnis haben. Das &#x017F;ei ein<lb/>
&#x017F;o guter Men&#x017F;ch. Das bischen Proviant und die<lb/>
drei Fla&#x017F;chen Kognak, die er in der Eile von dem<lb/>
&#x017F;inkenden Dampfer noch hat mitnehmen können,<lb/>
habe er ihnen fa&#x017F;t ganz überla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Und dann war es er&#x017F;chütternd zu &#x017F;ehen, wie<lb/>
die&#x017F;er abgezehrte, taumelnde Men&#x017F;ch, der nur noch,<lb/>
mitleidig von den Um&#x017F;tehenden ge&#x017F;tützt, &#x017F;ich aufrecht<lb/>
zu erhalten vermochte, doch noch den Ver&#x017F;uch unter-<lb/>
nahm, Anwei&#x017F;ungen zu erteilen, daß man den<lb/>
Pa&#x017F;&#x017F;agier nicht rauh angreife und Belebungsver&#x017F;uche<lb/>
an&#x017F;telle. Man könne immerhin nicht wi&#x017F;&#x017F;en, ob er<lb/>
wirklich tot &#x017F;ei.</p><lb/>
          <p>Es bedurfte de&#x017F;&#x017F;en nicht. Während die Schiffs-<lb/>
mann&#x017F;chaft unter Doktor Pohl&#x2019;s Leitung nach dem<lb/>
Ga&#x017F;thofe des Dorfes befördert wurde, wo &#x017F;ofort<lb/>
das Notwendige für &#x017F;ie ge&#x017F;chah, hatte Thomas Holm,<lb/>
einer Regung &#x017F;eines warmen, men&#x017F;chenfreundlichen<lb/>
Herzens nachgehend, be&#x017F;timmt, daß man den jungen<lb/>
Herrn, in dem E&#x017F;ther nach kurzer Prüfung in der<lb/>
Tat noch eine lei&#x017F;e Spur von Leben bemerkte, nach<lb/>
Sigurdshof &#x017F;chaffte. Von die&#x017F;er &#x017F;chlanken Ge&#x017F;talt<lb/>
in hellgrauem Anzug, eben&#x017F;o von dem fremdartig<lb/>
brünetten Antlitz des hilflos weit nach hinten ge-<lb/>
&#x017F;unkenen Hauptes mit &#x017F;einem dunklen Bärtchen und<lb/>
&#x017F;chwarzem, leicht gekräu&#x017F;elten Haar ging etwas aus,<lb/>
das Thomas Holm fe&#x017F;&#x017F;elte. <space dim="horizontal"/>                    <ref>(Fort&#x017F;etzung folgt.)</ref>                </p>
        </div>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.) Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen und koſtet die fünfmalgeſpaltene Kleinzeile 12 h. Schluß für Einſchaltungen: Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags. Die Einzelnummer koſtet 10 Heller. Nr. 103 Dienstag, 28. Auguſt 1906 45. Jahrgang. Rom und die Ehe. Über dieſes Thema hielt Adv.-Kand. Dr. Hein- rich Götzl—Auſſig auf der Hauptverſammlung des „Deutſch-evangeliſchen Bundes für die Oſtmark“ in Reichenberg nachſtehenden Vortrag: Der Fundamentartikel der katholiſchen Lehre, der die Anſicht von der Unlösbarkeit der Ehe begründet, iſt: „die Ehe, ein Sakrament“. Dieſe Lehre iſt hiſtoriſch unbegründet, da es eine formelle Eheſchließung, wie ſie das Concilium Tri- dentinum (1545—1563) ſchuf, niemals gab, ins- beſondere in der erſten Zeit nach Chriſtus das Sakrament, wie es das Tridentinum formulierte, gar nicht exiſtierte, auch ſpäterhin die nicht in der Kirche geſchloſſenen Ehen für vollgiltig (wenn auch ſtrafbar) angeſehen wurden und von der Sakraments- qualität und Unlöslichkeit niemals die Rede war. Erſt ſeit dem Tridentinum iſt das, was eigentlich nur im Kampfe gegen das Ketzertum begründet wurde, auch theoretiſch zu einer Lehre ausgebaut worden, welche heute unter dem Bilde der geheimnis- vollen Vereinigung Chriſti mit der Kirche (welch’ frivoler Vergleich!) die unauflösliche Verbindung zweier Menſchenkinder als Symbol und förmliches Palladium des Katholizismus in Anſpruch nimmt. (Siehe großer Katechismus 1900; noch 1897 findet ſich der Vergleich mit Chriſtus und der Kirche nicht.) Darum nützt es nichts, auf Mangel der hiſtoriſchen und logiſchen Begründung hinzuweiſen. Die katholiſche Kirche kann von dieſem Standpunkte nicht zurück, weil ſie ſich zu ſtark exponiert hat und ein Zurückweichen auch nur einen Schritt weit, einer Niederlage gleich wäre. Darum auch mächtige Proteſtationen, Kinderunterſchriften, Entſtellungen des Bonifaziusblattes, als bedeute die Eherechts- reform die Einführung der freien Liebe. Darum predigte der Fürſterzbiſchof von Wien Kardinal Gruſcha förmlich den Kreuzzug gegen die Ehereform. Vom katholiſchen Standpunkte aus braucht man ſich über die Konſequenzen des Prinzips keine Skrupeln zu machen, ja man darf ſolche Konſequenzen gar nicht in Betracht ziehen, wenn dadurch das Machtgebiet eine Beſchränkung erleiden könnte. Daher iſt es ganz gleichgiltig, daß die Sakramentslehre auf das Sakrament der Ehe gar nicht paßt, weil bei dieſem Empfänger und Spender des Sakraments in den nämlichen Perſonen zuſammenfallen. (Da nämlich das Sakrament durch die Willenseinigung zuſtande kommt, ſo ſind die Nupturienten, die die Willens- einigung zuſtandebringen, zugleich die, die ſich ſelbſt das Sakrament ſpenden. Dieſe ſchöne theoretiſche Konſtruktion iſt wohl dem Gedankengange der Braut- leute fremd. Ich glaube nicht, daß dieſe im Mo- mente der Trauung den Willen und die Faſſung haben, ſich ein Sakrament zu ſpenden.) Daher unter- liegt es keinem Anſtande, eine geſchloſſene, noch nicht vollzogene Ehe (matrimonium ratum, nondum con- ſummatum), wenn alſo der Trauungsakt vor ſich gegangen, der Beiſchlaf jedoch noch nicht gepflogen wurde, als mit päpſtlicher Dispens löslich zu er- klären. Man überſieht gerne die mächtige Inkonſe- quenz, die darin liegt, daß man zunächſt das Sakra- ment als durch erfolgte Willenserklärung empfangen annimmt, dann aber das rein fleiſchliche Moment des Beiſchlafes, nicht die Sakramentsqualität der Ehe, in der Frage der Lösbarkeit entſcheiden läßt. (Solcher Widerſprüche gibt es mehrere.) Gleichwohl hat das allg. bürgerliche Geſetzbuch für Öſterreich die katholiſche Ehelehre faſt ganz rezipiert und im § 111 in dem Satze niedergelegt: „Ehen, bei deren Schließung auch nur ein Teil der katholiſchen Religion angehörte, ſeien nur durch den Tod eines Eheteils löslich.“ Alſo zum Beiſpiel: 1. Ein Proteſtant heiratet eine Katholikin vor dem prot. Pfarrer. Er läßt ſich dann ſcheiden, gleichwohl kann er eine neue giltige Ehe nicht eingehen. 2. Ein öſterr. Staatsbürger (Katholik) ſchließt mit einer Katholikin im Inlande nach kath. Ritus eine Ehe. Sodann tritt er zum Proteſtantismus über, läßt ſich ſcheiden, geht nach Ungarn, erwirbt dort die Staatsbürgerſchaft, und heiratet vollkommen legal zum zweiten Male (ſogenannte ſiebenbürgiſche Ehe; ähnlich Fall Moritſch). Die zweite Ehe iſt ungiltig. 3. Ein Katholik heiratet in Öſterreich eine Proteſtantin vor dem altkatholifchen Pfarrer, läßt ſich ſcheiden, tritt ſodann zum Proteſtantismus über und ſchließt in irgend einem Staat eine Ehe. Die Ehe iſt vor dem öſterr. Forum ungiltig. (Das ſind einige draſtiſche Fälle, ſie ließen ſich um vieles vermehren.) Iſt die ſchöne Theorie ſolcher praktiſcher Schwierigkeiten wert? Und dann die Miſchehen. Sie ſind auch heute noch ſündhaft und wenn auch in dieſem Punkte die freiheitliche Geſetzgebung von 1874 die ſogenannten Reſerve über Kindererziehung für unwirkſam erklärte, bei jeder Miſchehe wird der Revers gefordert und unterſchrieben. Wenn nicht, wird die Trauung verweigert. Nun, wenn die Braut altkatholiſch iſt, wird wohl der Mann kaum jemals ſo borniert ſein, auf einer katholiſchen Trauung zu beſtehen, und man wird den Revers vermeiden. Aber wenn die Braut katho- liſch iſt! Da kann es ſehr leicht ſein und paſſiert alle Tage, daß die Braut oder die Eltern derſelben katholiſche Trauung verlangen. Der Mann entweder notgedrungen (Vermögen, Stand uſw. der Schwieger- eltern), oder um des lieben Friedens willen, willigt ein. Die Brautleute unterſchreiben einen Revers, den ſie meiſtens von vorneherein gar nicht halten wollen. Iſt das Glaubens- und Gewiſſensfreiheit, die jedem Staatsbürger ſtaatsgrundgeſetzlich garan- tiert iſt? Was nützen Geſetze, wenn ſie infolge der wirklichen Verhältniſſe notwendigerweiſe unwirkſam werden müſſen? Und iſt es etwa ausgeſchloſſen, daß eine Frau vielleicht durch ihre Verwandſchaft oder Eſther Holm. Roman aus der nordiſchen Heide. Von B. Riedel-Ahrens. 11) (Nachdruck verboten.) „Nicht wahr“, begann ſie ein wenig ſchüchtern, doch mit der Sicherheit der jungen Dame aus der Hauptſtadt, „Sie ſind Thomas Holm, der Dichter der „Frühlieder?“ Thomas Holm verbeugte ſich angenehm über- raſcht; es ſchmeichelte ihm jedoch, von dem bild- ſchönen Mädchen erkannt zu ſein, und voll Bewunderung haftete ſein Blick auf ihrem blumen- zarten Antlitz. „Hatten meine kleinen Gedichte das Glück, Ihnen zu gefallen, Fräulein von Senden?“ „O, ſehr, ſehr; Alle in meinem Kreiſe ſchwärmten dafür.“ Hier wurde die Unterhaltung durch das Ein- miſchen des Paſtors Karlſen unterbrochen — Genia aber blieb froh bewegt. Die perſönliche Bekannt- ſchaft mit Thomas Holm hatte ihr nicht, wie es ſo oft geſchieht, den Nimbus, mit dem ſie ihn um- geben, geraubt — jünger hatte ſie ihn ſich vorge- ſtellt: aber ein Dichter trug ja im Grunde den ewigen Frühling in der Seele und wurde innerlich niemals alt. — Mit der harmloſen Roſa Holm hingegen ge- ſchah ihr etwas Eigentümliches, das Genia ſich ſelbſt nicht zu erklären wußte. Der erſte Blick auf das anmutige kindliche Geſicht hatte genügt, ihr heimlich Abneigung einzuflößen. Obgleich Roſa liebenswürdig wie immer lächelte, traf es ſie aus den blauen Augen wie ein feindlicher Strahl, der natürlich nur in ihrer Einbildung beſtand, denn Roſa fand Genia entzückend. — — Etwa zwanzig Minuten mochten vergangen ſein, auf dem Waſſer lagen ſchon die Schatten der be- ginnenden Dämmerung, als der Fiſcherkahn ſich wieder dem Lande näherte, ein wrackes Boot im Schlepptau. Gleich darauf legte er an der Landungs- brücke an. Alles drängte herbei, und in ihrer wort- kargen Weiſe erteilten die Männer den neugierigen Fragenden Auskunft. Es bedurfte jedoch deſſen kaum, man konnte ſich jetzt an die Geretteten ſelbſt wenden. Sie beſtanden aus vier Perſonen, einem Schiffs- jungen, zwei Matroſen und einem jugendlichen Mann, der ſeiner Kleidung nach zu ſchließen den höheren Ständen angehörte. Er, ſowie der Schiffs- junge lagen bewußtlos, aus den regungsloſen Körpern ſchien das Leben vollſtändig gewichen. Von den beiden Matroſen, die abgemagert, aus ſtieren Augen blickten, und deren ſchlotternde Er- ſcheinung Zeugnis von den ausgeſtandenen furcht- baren Strapazen gab, war nur noch einer imſtande, einen einigermaßen verſtändlichen Bericht zu geben. Sie gehörten zu dem Dampfer „Hanſa“, der, von Porto Cabello in Venezuela nach Hamburg be- ſtimmt, unweit des Kanals aufgefahren und ge- ſtrandet ſei. Er, die drei Gefährten und noch zwei andere hätten ſich in das Boot gerettet, dieſe beiden aber ſeien während der drei Täge und Nächte, die ſie auf der Nordſee getrieben, dem Elend erlegen und von den Kameraden ins Waſſer geſenkt worden. Eine Sturzwelle habe das Steuer gebrochen und den Maſt weggeriſſen. Der Junge lebe noch, er ſei nur ohnmächtig, den jungen Herrn hingegen, einen Paſſagier der erſten Klaſſe, hielt er für tot. Dennoch hätten ſie angeſichts des Landes, von dem ſie bis zuletzt auf Rettung hofften, ſich nicht ent- ſchließen können, ihn ins Waſſer zu werfen — er ſolle ſein ehrliches Begräbnis haben. Das ſei ein ſo guter Menſch. Das bischen Proviant und die drei Flaſchen Kognak, die er in der Eile von dem ſinkenden Dampfer noch hat mitnehmen können, habe er ihnen faſt ganz überlaſſen. Und dann war es erſchütternd zu ſehen, wie dieſer abgezehrte, taumelnde Menſch, der nur noch, mitleidig von den Umſtehenden geſtützt, ſich aufrecht zu erhalten vermochte, doch noch den Verſuch unter- nahm, Anweiſungen zu erteilen, daß man den Paſſagier nicht rauh angreife und Belebungsverſuche anſtelle. Man könne immerhin nicht wiſſen, ob er wirklich tot ſei. Es bedurfte deſſen nicht. Während die Schiffs- mannſchaft unter Doktor Pohl’s Leitung nach dem Gaſthofe des Dorfes befördert wurde, wo ſofort das Notwendige für ſie geſchah, hatte Thomas Holm, einer Regung ſeines warmen, menſchenfreundlichen Herzens nachgehend, beſtimmt, daß man den jungen Herrn, in dem Eſther nach kurzer Prüfung in der Tat noch eine leiſe Spur von Leben bemerkte, nach Sigurdshof ſchaffte. Von dieſer ſchlanken Geſtalt in hellgrauem Anzug, ebenſo von dem fremdartig brünetten Antlitz des hilflos weit nach hinten ge- ſunkenen Hauptes mit ſeinem dunklen Bärtchen und ſchwarzem, leicht gekräuſelten Haar ging etwas aus, das Thomas Holm feſſelte. (Fortſetzung folgt.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: keine Angabe; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger103_1906
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger103_1906/1
Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 103, Marburg, 28.08.1906, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger103_1906/1>, abgerufen am 21.11.2024.