Marburger Zeitung. Nr. 3, Marburg, 05.01.1915.Marburger Zeitung. Tagblatt. [Spaltenumbruch] Der Preis des Blattes beträgt: Mit Postversendung wie bisher: [Spaltenumbruch] Erscheint täglich um 5 Uhr abends. [Spaltenumbruch] Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von Nr. 3 Dienstag, 5. Jänner 1915 54. Jahrgang Die Kämpfe in Russischpolen. [Spaltenumbruch] Marburger Feldtransport-Abenteuer. Wie ein Liebesgabentransport für unser FHR. 3 zur Front gebracht wurde. (Fortfetzung.) Warten, warten! Am Bahnhofe stand ich in meiner Marburger Da Oberleutnant Bernhard beim Weggange Bei untersteirischen Landsleuten. Auf einmal werde ich von einem am Bahn- Von diesem erfuhr ich, daß er die Suppe vom Diese Mehlspeise besteht aus einer Scheibe In der liebenswürdigen Gesellschaft des Herrn [Spaltenumbruch] Ein guter Zufall. Hier zeigte es sich, daß unser Hergott einen Eine schwierige Suche. Er lud mich sofort auf sein Auto und wir [Spaltenumbruch] Täuschender Schein. 3 Und dieser Blondkopf, der sich nun drüben Sobald es ihm nur irgend möglich sein würde, "Ein prächtiger Mensch", sagte Roland, als Agnes hörte mit roten Wangen hin. Auch ihr gefiel Erwin, wie ihr kaum zuvor Daß er doch sein Wort hielte und zu ihnen Aber nun trat Johann Grundmüller, der Ein- Derweil fuhr Erwin auf dem herrschaftlichen Da tauchte in einiger Entfernung ein Mann Der ihnen Entgegenschreitende mußte ebenso "Nanu, hat denn der Herr von Waldwiese "Nee, dat is jo uns' jang Herr", antwortete Ein Monokle ins Auge klemmend, trat der Marburger Zeitung. Tagblatt. [Spaltenumbruch] Der Preis des Blattes beträgt: Mit Poſtverſendung wie bisher: [Spaltenumbruch] Erſcheint täglich um 5 Uhr abends. [Spaltenumbruch] Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von Nr. 3 Dienstag, 5. Jänner 1915 54. Jahrgang Die Kämpfe in Russischpolen. [Spaltenumbruch] Marburger Feldtransport-Abenteuer. Wie ein Liebesgabentransport für unſer FHR. 3 zur Front gebracht wurde. (Fortfetzung.) Warten, warten! Am Bahnhofe ſtand ich in meiner Marburger Da Oberleutnant Bernhard beim Weggange Bei unterſteiriſchen Landsleuten. Auf einmal werde ich von einem am Bahn- Von dieſem erfuhr ich, daß er die Suppe vom Dieſe Mehlſpeiſe beſteht aus einer Scheibe In der liebenswürdigen Geſellſchaft des Herrn [Spaltenumbruch] Ein guter Zufall. Hier zeigte es ſich, daß unſer Hergott einen Eine ſchwierige Suche. Er lud mich ſofort auf ſein Auto und wir [Spaltenumbruch] Täuſchender Schein. 3 Und dieſer Blondkopf, der ſich nun drüben Sobald es ihm nur irgend möglich ſein würde, „Ein prächtiger Menſch“, ſagte Roland, als Agnes hörte mit roten Wangen hin. Auch ihr gefiel Erwin, wie ihr kaum zuvor Daß er doch ſein Wort hielte und zu ihnen Aber nun trat Johann Grundmüller, der Ein- Derweil fuhr Erwin auf dem herrſchaftlichen Da tauchte in einiger Entfernung ein Mann Der ihnen Entgegenſchreitende mußte ebenſo „Nanu, hat denn der Herr von Waldwieſe „Nee, dat iſ jo unſ’ jang Herr“, antwortete Ein Monokle ins Auge klemmend, trat der <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="[1]"/> <front> <titlePage xml:id="tp1a" type="heading" next="#tp1b"> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Marburger Zeitung.</hi> </titlePart><lb/> <titlePart type="sub"> <hi rendition="#b">Tagblatt.</hi> </titlePart> </titlePage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jExpedition" n="1"><lb/> <p>Der Preis des Blattes beträgt:<lb/> Für Marburg monatlich 1 <hi rendition="#aq">K 50 h.</hi> Bei Zuſtellung ins Haus<lb/> monatlich 40 <hi rendition="#aq">h</hi> mehr.</p><lb/> <p>Mit Poſtverſendung wie bisher:<lb/> Ganzjährig 14 <hi rendition="#aq">K,</hi> halbjährig 7 <hi rendition="#aq">K,</hi> vierteljährig 3 <hi rendition="#aq">K 50 h.</hi><lb/> Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.</p><lb/> <cb/> <p><hi rendition="#b">Erſcheint täglich um 5 Uhr abends.<lb/> Sprechſtunden</hi> des Schriftleiters an allen Wochentagen von<lb/><hi rendition="#b">11—12</hi> Uhr und von <hi rendition="#b">5—6</hi> Uhr Edmund Schmidgaſſe 4.<lb/> Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)</p><lb/> <cb/> <p><hi rendition="#g">Anzeigen</hi> werden im Verlage des Blattes und von<lb/> allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen<lb/> und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 <hi rendition="#aq">h.</hi><lb/> Die Einzelnummer koſtet <hi rendition="#b">10</hi> Heller.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <titlePage xml:id="tp1b" prev="#tp1a" type="heading"> <docImprint> <docDate> <hi rendition="#b">Nr. 3 Dienstag, 5. Jänner 1915 54. Jahrgang</hi> </docDate> </docImprint> </titlePage><lb/> </front> <body> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="1"> <p> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">Die Kämpfe in Russischpolen.<lb/> Zu Weihnachten von unſeren Truppen 12.000 Gefangene gemacht. Die deutſchen<lb/> Angriffe östlich der Bzura und Rawka machen Fortschritte. Aufstand in Albanien.</hi> </hi> </p><lb/> <cb/> </div> <div type="jPoliticalNews" n="1"><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Marburger Feldtransport-Abenteuer.<lb/> Wie ein Liebesgabentransport für unſer FHR. 3<lb/> zur Front gebracht wurde.</hi><lb/> <ref>(Fortfetzung.)</ref> </head><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Warten, warten!</hi> </hi> </head><lb/> <p>Am Bahnhofe ſtand ich in meiner Marburger<lb/> Bürgergardeuniform, für alle ein Rätſel, niemand<lb/> wußte, zu welchem Truppenkörper ich wohl gehören<lb/> könnte, und pendelte mit meiner Mannſchaft mit<lb/> knurrenden Magen vor unſeren Waggons hin und<lb/> her, dieſelben gegen jeden Verſuch, ſie zu entladen<lb/> oder weiter zu verſchieben, mit meiner offenen<lb/> Order verteidigend.</p><lb/> <p>Da Oberleutnant Bernhard beim Weggange<lb/> meinte, in längſtens einer <hi rendition="#g">Stunde</hi> rückzukehren,<lb/> wo wir dann gemeinſam für uns und unſere<lb/> Mannfchaft nach etwas Eßbarem Umſchau halten<lb/> ſollten, ſo wartete ich dieſe Zeit ab, jedoch ver-<lb/> gebens. Der Abend brach herein, Freund Bernhard<lb/> kam nicht, Mannſchaft und ich nagten an den reſt-<lb/> lichen Kommißbrotteilen.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Bei unterſteiriſchen Landsleuten.</hi> </hi> </head><lb/> <p>Auf einmal werde ich von einem am Bahn-<lb/> ſteiggeländer lehnenden Unteroffizier, der dort eine<lb/> Suppe löffelte, mit Namen angerufen und gab er<lb/> ſich mir als den Sohn eines ſeinerzeitigen <hi rendition="#g">Cillier</hi><lb/> Klienten zu erkennen. Er hatte eine leichte Schuß-<lb/> verletzung und wartete auf die Abfahrt des Zuges.</p><lb/> <p>Von dieſem erfuhr ich, daß er die Suppe vom<lb/><cb/> liebenswürdigen Bahnhofkommandanten, wie er<lb/> ſagte, ebenfalls einem Steirer, erhalten habe. Wie<lb/> ich hörte, daß ein Steirer Kommandant ſei, ging<lb/> ich auf die Suche und fand zu meiner Freude in<lb/> der Perſon des Kommandanten Herrn Major <hi rendition="#g">Rulec</hi><lb/> aus Marburg, der mich anfangs nicht erkannte,<lb/> da er ſich nicht vorſtellen konnte, woher ich nach<lb/> B. gekommen ſei. Als ich mich bei ihm, einem<lb/> Naturdrange folgend, nach etwas Eßbarem erkundigte,<lb/> rief er ſeine Ordonanz und dieſe ſervierte mir<lb/> tadellos eine Suppe, ein Stück Braten mit Gemüſe<lb/> und man höre und ſtaune, die Feldmehlſpeiſe; das<lb/> Rezept derſelben kann ich allen verehrten Haus-<lb/> frauen, die verwöhnte Gatten haben, wärmſtens<lb/> empfehlen.</p><lb/> <p>Dieſe Mehlſpeiſe beſteht aus einer Scheibe<lb/> dünnen Kommißbrotes, darauf Sirup uud Zucker<lb/> und das Ganze am Feuer geröſtet. Das Rezept<lb/> zum Genuſſe dieſer Speiſe iſt auch höchſt einfach:<lb/> drei Tage nichts eſſen, wie Schokolade.</p><lb/> <p>In der liebenswürdigen Geſellſchaft des Herrn<lb/> Kommandanten bei einem Glaſe Rotwein verging<lb/> mir im Handumdrehen eine halbe Stunde. Durch<lb/> ſeine Liebenswürdigkeit erhielt ich auch Menage<lb/> für die Mannſchaft. Nach dieſem opulenten Mahle<lb/> begann ich wieder meinen Patrouillengang vor den<lb/> Waggons. Da ich ſah, daß ein Weiterkommen an<lb/> dieſem Tage unmöglich war, erwirkte ich für die<lb/> Mannſchaft Quartier in einem leeren Waggon,<lb/> nicht wiſſend, wo Bernhard und ich die Nacht zu-<lb/> bringen werden.</p><lb/> <cb/> </div> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Ein guter Zufall.</hi> </hi> </head><lb/> <p>Hier zeigte es ſich, daß unſer Hergott einen<lb/> Steirer beſtimmt nicht verläßt. Als ich dieſe Frage<lb/> im Kopfe erörternd am Bahnhof patrouillierte,<lb/> ſtürzte plötzlich der Kanonier <hi rendition="#g">Pfeifer</hi> (Sohn des<lb/> bekannten Maſchinenfabrikanten in <hi rendition="#g">Kötſch</hi>) auf<lb/> mich zu und ſagte mir freudeſtrahlend, er habe<lb/> ſoeben Herrn von <hi rendition="#g">Kramer</hi> d. J. aus Marburg<lb/> mit einem Auto geſehen. Dies hören, vor den<lb/> Bahnhof eilen, war eins, Dort fand ich wohl ein<lb/> Auto, jedoch keinen Herrn von Kramer. Ich wankte<lb/> und wich nicht, bis ich mich plötzlich umſchlungen<lb/> fühlte und Herrn Ernſt von Kramer ebenfalls freudig<lb/> überraſcht in meinen Armen hielt. Das gab ein<lb/> Fragen hin und her. Herr von Kramer nahm ſich<lb/> meiner in einer Weiſe an, die ich ihm zeitlebens<lb/> nicht vergeſſen werde.</p> </div><lb/> <div xml:id="a1a" next="#a1b" n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Eine ſchwierige Suche.</hi> </hi> </head><lb/> <p>Er lud mich ſofort auf ſein Auto und wir<lb/> fuhren auf die Suche nach Bernhard. Zuerſt in<lb/> das Etappenkommando; dortſelbſt wurde ich auf<lb/> das liebenswürdigſte von einem Herrn General<lb/> empfangen, welcher ſelbſt mit mir auf die Suche<lb/> nach Bernhard in den weitläufigen Räumen ging.<lb/> Dank ſeiner Zuvorkommenheit erfuhr ich, daß dieſer<lb/> im operierenden Armeeoberkommando ſich befinde.<lb/> Raſch mit dem Auto nach und wiederholte ſich<lb/> dort dasſelbe Spiel. Von Kanzlei zu Kanzlei<lb/> folgten wir der Spur Bernhards und wollten ſchon<lb/> unverrichteter Dinge abziehen, als er uns zu ebener<lb/> Erde aus einem Korridor mit dem Stoßſeufzer,</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> </div> </div> </div> <div xml:id="f1a" next="#f1b" type="jFeuilleton" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Täuſchender Schein.</hi> </head><lb/> <byline>Original-Roman von Ludwig <hi rendition="#g">Blümcke.</hi> </byline><lb/> <p>3</p><lb/> <p>Und dieſer Blondkopf, der ſich nun drüben<lb/> ſcheu zurückzog, würde ihm noch viel zu ſchaffen<lb/> machen in ſeinem Herzen, das ſpürte er, das fühlte<lb/> er an dem ungewöhnlichen Klopfen da drinnen in<lb/> der Bruſt. Wie gern wäre er jetzt noch auf ein<lb/> Weilchen bei Rolands geblieben, die ihn recht<lb/> herzlich einluden, wenigſtens eine Taſſe Kaffee mit<lb/> ihnen zu trinken. Aber das ging nicht, denn der<lb/> Heinrichswalder Wagen, der ihn vor drei Stunden<lb/> hatte von der Station abholen ſollen, hielt nun<lb/> ſchon eine geraume Weile auf dem Hof und er-<lb/> wartete ihn. Ein mürriſcher, angetrunkener Kutſcher<lb/> ſchaute recht offenſichtlich auf ſeine Uhr und ſchüt-<lb/> telte den roten Kopf dazu.</p><lb/> <p>Sobald es ihm nur irgend möglich ſein würde,<lb/> wollte er wieder kommen, das verſprach er feierlich<lb/> beim Abſchied.</p><lb/> <p>„Ein prächtiger Menſch“, ſagte Roland, als<lb/> er nun allein mit ſeiner Tochter am Kaffeetiſch<lb/> ſaß. „Er hat ſo etwas in ſeinem Weſen, das mir<lb/> ganz ausnehmend gefällt. Scheint auch ſehr be-<lb/> ſcheiden zu ſein. Schade, ſchade, daß er den bunten<lb/> Rock hat ausziehen müſſen. Ich glaube, Vermögen<lb/> beſitzt er nicht mehr.</p><lb/> <p>Agnes hörte mit roten Wangen hin.</p><lb/> <p>Auch ihr gefiel Erwin, wie ihr kaum zuvor<lb/><cb/> ein junger Herr geſallen. Sie wußte, was niemand<lb/> ſonſt ahnte: Wie hochherzig er an Heinz gehandelt.</p><lb/> <p>Daß er doch ſein Wort hielte und zu ihnen<lb/> käme!</p><lb/> <p>Aber nun trat Johann Grundmüller, der Ein-<lb/> ſiedler vom Katzenberg, mit ſeiner Not und Be-<lb/> drägnis in den Vordergrund. Wie man ihm helfen<lb/> kännte, die Frage beſchäftigte Vater und Tochter<lb/> vor allem. Stand der Alte auch nicht im beſten<lb/> Ruf, weil in ſeiner bewegten Vergangenheit ſo<lb/> manches recht dunkel war, ſo befand ſich der Ein-<lb/> ſiedler, der ſeinem harten Boden nur mühſam das<lb/> tägliche Brot abzuringen vermochte, doch in Ver-<lb/> legenheit, wo er drei Kühe und alle die Schweine<lb/> außer dem Stall eingebüßt hatte, und darum mußte<lb/> man ihm als Nachbar helfen, mochte er es ver-<lb/> dienen oder nicht. So dachte der jederzeit hilfs-<lb/> bereite Beſitzer von Waldwieſe wenigſtens. Agnes<lb/> mit ihrem weichen Kindergemüt ſtimmte ihm voll-<lb/> kommen bei, weil ſie ſtets ein Herz und eine Seele<lb/> mit dem Vater zu ſein pflegte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Derweil fuhr Erwin auf dem herrſchaftlichen<lb/> Wagen — es war keineswegs einer der beſten —<lb/> durch ein Stück herrlichen Laubwaldes, in dem viel<lb/> hundert gefiederte Sänger nach dem glücklich über-<lb/> ſtandenen Unwetter mit hellen Kehlen den Schöpfer<lb/> prieſen, der ihr Neſt und ihre Brut vor Schaden<lb/> bewahrt hatte. Das naſſe Laub glänzte im hellen<lb/> Sonnenſchein, die langſam hinabrollenden Tropfen<lb/> ſchillerten wie bunte Perlen und ein köſtlicher wür-<lb/><cb/> ziger Duft wehte erquickend über das üppige Farn-<lb/> kraut, das ſich zu beiden Seiten der Straße aus-<lb/> breitete.</p><lb/> <p>Da tauchte in einiger Entfernung ein Mann<lb/> mit einem Gewehr über der Schulter auf, den<lb/> der junge Volontär auf den erſten Blick für den<lb/> biederen Roiand hielt, in deſſen gaſtlichem Hauſe<lb/> er ſoeben geweilt.</p><lb/> <p>Der ihnen Entgegenſchreitende mußte ebenſo<lb/> groß ſein, trug ebenfalls einen Federhut und einen<lb/> grünlichen Umhang und beſaß ſogar denſelben<lb/> mächtigen Schnauzbart.</p><lb/> <p>„Nanu, hat denn der Herr von Waldwieſe<lb/> einen Doppelgänger?“ fragte Erwin überraſcht den<lb/> Kutſcher.</p><lb/> <p>„Nee, dat iſ jo unſ’ jang Herr“, antwortete<lb/> dieſer grinſend in ſeinem breiten Plattdeutſch,<lb/> Haltung annehmend und die Zügel ſtraffer faſſend.<lb/> Nun ſah man auch, daß der Schnurrbart nicht<lb/> grau, ſondern blond und daß das Geſicht dieſes<lb/> Rieſen dem des andern durchaus nicht ähnlich<lb/> war.</p><lb/> <p>Ein Monokle ins Auge klemmend, trat der<lb/> junge Schloßherr Udo von Schultental an die Seite,<lb/> gab dem Kutſcher ein Zeichen zum Halten, lüſtete<lb/> auf des Volontärverwalters achtungsvollen Gruß<lb/> nur ſo nach gnädiger Herren-Manier herablaſſend<lb/> ein wenig ſeinen grünen Federhut, zog dann ſeine<lb/> goldene Uhr mit der ſchweren Kette und ſchaute<lb/> auf das Zifferblatt, als müßte er es ſich erſt ganz<lb/> genau anſehen, ehe er klug daraus wurde.</p> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
Marburger Zeitung.
Tagblatt.
Der Preis des Blattes beträgt:
Für Marburg monatlich 1 K 50 h. Bei Zuſtellung ins Haus
monatlich 40 h mehr.
Mit Poſtverſendung wie bisher:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.
Erſcheint täglich um 5 Uhr abends.
Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr und von 5—6 Uhr Edmund Schmidgaſſe 4.
Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)
Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.
Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.
Nr. 3 Dienstag, 5. Jänner 1915 54. Jahrgang
Die Kämpfe in Russischpolen.
Zu Weihnachten von unſeren Truppen 12.000 Gefangene gemacht. Die deutſchen
Angriffe östlich der Bzura und Rawka machen Fortschritte. Aufstand in Albanien.
Marburger Feldtransport-Abenteuer.
Wie ein Liebesgabentransport für unſer FHR. 3
zur Front gebracht wurde.
(Fortfetzung.)
Warten, warten!
Am Bahnhofe ſtand ich in meiner Marburger
Bürgergardeuniform, für alle ein Rätſel, niemand
wußte, zu welchem Truppenkörper ich wohl gehören
könnte, und pendelte mit meiner Mannſchaft mit
knurrenden Magen vor unſeren Waggons hin und
her, dieſelben gegen jeden Verſuch, ſie zu entladen
oder weiter zu verſchieben, mit meiner offenen
Order verteidigend.
Da Oberleutnant Bernhard beim Weggange
meinte, in längſtens einer Stunde rückzukehren,
wo wir dann gemeinſam für uns und unſere
Mannfchaft nach etwas Eßbarem Umſchau halten
ſollten, ſo wartete ich dieſe Zeit ab, jedoch ver-
gebens. Der Abend brach herein, Freund Bernhard
kam nicht, Mannſchaft und ich nagten an den reſt-
lichen Kommißbrotteilen.
Bei unterſteiriſchen Landsleuten.
Auf einmal werde ich von einem am Bahn-
ſteiggeländer lehnenden Unteroffizier, der dort eine
Suppe löffelte, mit Namen angerufen und gab er
ſich mir als den Sohn eines ſeinerzeitigen Cillier
Klienten zu erkennen. Er hatte eine leichte Schuß-
verletzung und wartete auf die Abfahrt des Zuges.
Von dieſem erfuhr ich, daß er die Suppe vom
liebenswürdigen Bahnhofkommandanten, wie er
ſagte, ebenfalls einem Steirer, erhalten habe. Wie
ich hörte, daß ein Steirer Kommandant ſei, ging
ich auf die Suche und fand zu meiner Freude in
der Perſon des Kommandanten Herrn Major Rulec
aus Marburg, der mich anfangs nicht erkannte,
da er ſich nicht vorſtellen konnte, woher ich nach
B. gekommen ſei. Als ich mich bei ihm, einem
Naturdrange folgend, nach etwas Eßbarem erkundigte,
rief er ſeine Ordonanz und dieſe ſervierte mir
tadellos eine Suppe, ein Stück Braten mit Gemüſe
und man höre und ſtaune, die Feldmehlſpeiſe; das
Rezept derſelben kann ich allen verehrten Haus-
frauen, die verwöhnte Gatten haben, wärmſtens
empfehlen.
Dieſe Mehlſpeiſe beſteht aus einer Scheibe
dünnen Kommißbrotes, darauf Sirup uud Zucker
und das Ganze am Feuer geröſtet. Das Rezept
zum Genuſſe dieſer Speiſe iſt auch höchſt einfach:
drei Tage nichts eſſen, wie Schokolade.
In der liebenswürdigen Geſellſchaft des Herrn
Kommandanten bei einem Glaſe Rotwein verging
mir im Handumdrehen eine halbe Stunde. Durch
ſeine Liebenswürdigkeit erhielt ich auch Menage
für die Mannſchaft. Nach dieſem opulenten Mahle
begann ich wieder meinen Patrouillengang vor den
Waggons. Da ich ſah, daß ein Weiterkommen an
dieſem Tage unmöglich war, erwirkte ich für die
Mannſchaft Quartier in einem leeren Waggon,
nicht wiſſend, wo Bernhard und ich die Nacht zu-
bringen werden.
Ein guter Zufall.
Hier zeigte es ſich, daß unſer Hergott einen
Steirer beſtimmt nicht verläßt. Als ich dieſe Frage
im Kopfe erörternd am Bahnhof patrouillierte,
ſtürzte plötzlich der Kanonier Pfeifer (Sohn des
bekannten Maſchinenfabrikanten in Kötſch) auf
mich zu und ſagte mir freudeſtrahlend, er habe
ſoeben Herrn von Kramer d. J. aus Marburg
mit einem Auto geſehen. Dies hören, vor den
Bahnhof eilen, war eins, Dort fand ich wohl ein
Auto, jedoch keinen Herrn von Kramer. Ich wankte
und wich nicht, bis ich mich plötzlich umſchlungen
fühlte und Herrn Ernſt von Kramer ebenfalls freudig
überraſcht in meinen Armen hielt. Das gab ein
Fragen hin und her. Herr von Kramer nahm ſich
meiner in einer Weiſe an, die ich ihm zeitlebens
nicht vergeſſen werde.
Eine ſchwierige Suche.
Er lud mich ſofort auf ſein Auto und wir
fuhren auf die Suche nach Bernhard. Zuerſt in
das Etappenkommando; dortſelbſt wurde ich auf
das liebenswürdigſte von einem Herrn General
empfangen, welcher ſelbſt mit mir auf die Suche
nach Bernhard in den weitläufigen Räumen ging.
Dank ſeiner Zuvorkommenheit erfuhr ich, daß dieſer
im operierenden Armeeoberkommando ſich befinde.
Raſch mit dem Auto nach und wiederholte ſich
dort dasſelbe Spiel. Von Kanzlei zu Kanzlei
folgten wir der Spur Bernhards und wollten ſchon
unverrichteter Dinge abziehen, als er uns zu ebener
Erde aus einem Korridor mit dem Stoßſeufzer,
Täuſchender Schein.
Original-Roman von Ludwig Blümcke.
3
Und dieſer Blondkopf, der ſich nun drüben
ſcheu zurückzog, würde ihm noch viel zu ſchaffen
machen in ſeinem Herzen, das ſpürte er, das fühlte
er an dem ungewöhnlichen Klopfen da drinnen in
der Bruſt. Wie gern wäre er jetzt noch auf ein
Weilchen bei Rolands geblieben, die ihn recht
herzlich einluden, wenigſtens eine Taſſe Kaffee mit
ihnen zu trinken. Aber das ging nicht, denn der
Heinrichswalder Wagen, der ihn vor drei Stunden
hatte von der Station abholen ſollen, hielt nun
ſchon eine geraume Weile auf dem Hof und er-
wartete ihn. Ein mürriſcher, angetrunkener Kutſcher
ſchaute recht offenſichtlich auf ſeine Uhr und ſchüt-
telte den roten Kopf dazu.
Sobald es ihm nur irgend möglich ſein würde,
wollte er wieder kommen, das verſprach er feierlich
beim Abſchied.
„Ein prächtiger Menſch“, ſagte Roland, als
er nun allein mit ſeiner Tochter am Kaffeetiſch
ſaß. „Er hat ſo etwas in ſeinem Weſen, das mir
ganz ausnehmend gefällt. Scheint auch ſehr be-
ſcheiden zu ſein. Schade, ſchade, daß er den bunten
Rock hat ausziehen müſſen. Ich glaube, Vermögen
beſitzt er nicht mehr.
Agnes hörte mit roten Wangen hin.
Auch ihr gefiel Erwin, wie ihr kaum zuvor
ein junger Herr geſallen. Sie wußte, was niemand
ſonſt ahnte: Wie hochherzig er an Heinz gehandelt.
Daß er doch ſein Wort hielte und zu ihnen
käme!
Aber nun trat Johann Grundmüller, der Ein-
ſiedler vom Katzenberg, mit ſeiner Not und Be-
drägnis in den Vordergrund. Wie man ihm helfen
kännte, die Frage beſchäftigte Vater und Tochter
vor allem. Stand der Alte auch nicht im beſten
Ruf, weil in ſeiner bewegten Vergangenheit ſo
manches recht dunkel war, ſo befand ſich der Ein-
ſiedler, der ſeinem harten Boden nur mühſam das
tägliche Brot abzuringen vermochte, doch in Ver-
legenheit, wo er drei Kühe und alle die Schweine
außer dem Stall eingebüßt hatte, und darum mußte
man ihm als Nachbar helfen, mochte er es ver-
dienen oder nicht. So dachte der jederzeit hilfs-
bereite Beſitzer von Waldwieſe wenigſtens. Agnes
mit ihrem weichen Kindergemüt ſtimmte ihm voll-
kommen bei, weil ſie ſtets ein Herz und eine Seele
mit dem Vater zu ſein pflegte.
Derweil fuhr Erwin auf dem herrſchaftlichen
Wagen — es war keineswegs einer der beſten —
durch ein Stück herrlichen Laubwaldes, in dem viel
hundert gefiederte Sänger nach dem glücklich über-
ſtandenen Unwetter mit hellen Kehlen den Schöpfer
prieſen, der ihr Neſt und ihre Brut vor Schaden
bewahrt hatte. Das naſſe Laub glänzte im hellen
Sonnenſchein, die langſam hinabrollenden Tropfen
ſchillerten wie bunte Perlen und ein köſtlicher wür-
ziger Duft wehte erquickend über das üppige Farn-
kraut, das ſich zu beiden Seiten der Straße aus-
breitete.
Da tauchte in einiger Entfernung ein Mann
mit einem Gewehr über der Schulter auf, den
der junge Volontär auf den erſten Blick für den
biederen Roiand hielt, in deſſen gaſtlichem Hauſe
er ſoeben geweilt.
Der ihnen Entgegenſchreitende mußte ebenſo
groß ſein, trug ebenfalls einen Federhut und einen
grünlichen Umhang und beſaß ſogar denſelben
mächtigen Schnauzbart.
„Nanu, hat denn der Herr von Waldwieſe
einen Doppelgänger?“ fragte Erwin überraſcht den
Kutſcher.
„Nee, dat iſ jo unſ’ jang Herr“, antwortete
dieſer grinſend in ſeinem breiten Plattdeutſch,
Haltung annehmend und die Zügel ſtraffer faſſend.
Nun ſah man auch, daß der Schnurrbart nicht
grau, ſondern blond und daß das Geſicht dieſes
Rieſen dem des andern durchaus nicht ähnlich
war.
Ein Monokle ins Auge klemmend, trat der
junge Schloßherr Udo von Schultental an die Seite,
gab dem Kutſcher ein Zeichen zum Halten, lüſtete
auf des Volontärverwalters achtungsvollen Gruß
nur ſo nach gnädiger Herren-Manier herablaſſend
ein wenig ſeinen grünen Federhut, zog dann ſeine
goldene Uhr mit der ſchweren Kette und ſchaute
auf das Zifferblatt, als müßte er es ſich erſt ganz
genau anſehen, ehe er klug daraus wurde.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat).
(2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: keine Angabe; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |