Marburger Zeitung. Nr. 53, Marburg, 15.05.1900.Marburger Zeitung Nr. 53, 15. Mai 1900 [Spaltenumbruch] höherer Stelle ein Erlass an die Gendarmerie er- -- Die für Montag im Saale des Gasthofes -- In der gestrigen Sitzung der öster- Ausland. -- Aus Korea gelangt nach Yokohama die Nach- -- Ueber die Ursachen der spanischen -- Der Petersburger Reichsrath hat am -- Die Lage in Kamerun ist nach Tagesneuigkeiten. (Die Vorgänge an der Wiener Universität.) Der Universitätsrector Wilhelm (Bezirksrichter als Verleumder.) Gegen (Der sparsame Moltke.) Gelegentlich (Im Wahnsinne.) In Castigliari hat ein (Die eigene Mutter ermordet.) Die (Ein merkwürdiger Zufall bei einer Schulrevision) ereignete sich, wie man dem [Spaltenumbruch] "Was steht ihr da herum? Ist auch so heiß "Muss ein Doctor bescheinigen. Die Schwachen Der Polizist richtete sich, nachdem er die "Geht auseinander, sage ich. Ist doch nicht Aber der Escortesoldat stand auf der Seite, "Die es angeht, die kümmern sich nicht darum, "Sträfling ist Sträfling, aber doch immer "Legt ihm den Kopf höher und gebt ihm "Sind schon nach Wasser gegangen", ant- "Was ist da für ein Auflauf?" ertönte plötz- Als er aber dicht herantrat und den sterben- "Wie ist das gekommen?" Der Polizist erzählte, dass der Zug marschiert "Also was? Muss aufs Revierbureau. "Ein Hausknecht ist hingelaufen", sagte der Der Landendiener begann etwas von der Hitze "Ist das Deine Sache? Ah? Geh deiner Wege", "Man muss ihm Wasser zu trinken geben", Der Nevieraufseher sah auch Nechljudow strenge "Gieß es über den Kopf!" commandierte der Die Augen des Sträflings öffneten sich weiter, "Wer ist denn das? Nimm den!" wandte sich "Vesetzt", sagte der Kutscher finster, ohne die "Es ist mein Kutscher", sagte Nechljudow, "Nun, was wartet ihr noch?" schrie der Re- Der Polizist, der Hausknecht und der Soldat "Leg ihn hin! commandierte der Revierbeamte. "Nicht nöthig, Euer Wohlgeboren, ich bringe (Schluss folgt.) Marburger Zeitung Nr. 53, 15. Mai 1900 [Spaltenumbruch] höherer Stelle ein Erlaſs an die Gendarmerie er- — Die für Montag im Saale des Gaſthofes — In der geſtrigen Sitzung der öſter- Ausland. — Aus Korea gelangt nach Yokohama die Nach- — Ueber die Urſachen der ſpaniſchen — Der Petersburger Reichsrath hat am — Die Lage in Kamerun iſt nach Tagesneuigkeiten. (Die Vorgänge an der Wiener Univerſität.) Der Univerſitätsrector Wilhelm (Bezirksrichter als Verleumder.) Gegen (Der ſparſame Moltke.) Gelegentlich (Im Wahnſinne.) In Caſtigliari hat ein (Die eigene Mutter ermordet.) Die (Ein merkwürdiger Zufall bei einer Schulreviſion) ereignete ſich, wie man dem [Spaltenumbruch] „Was ſteht ihr da herum? Iſt auch ſo heiß „Muſs ein Doctor beſcheinigen. Die Schwachen Der Poliziſt richtete ſich, nachdem er die „Geht auseinander, ſage ich. Iſt doch nicht Aber der Escorteſoldat ſtand auf der Seite, „Die es angeht, die kümmern ſich nicht darum, „Sträfling iſt Sträfling, aber doch immer „Legt ihm den Kopf höher und gebt ihm „Sind ſchon nach Waſſer gegangen“, ant- „Was iſt da für ein Auflauf?“ ertönte plötz- Als er aber dicht herantrat und den ſterben- „Wie iſt das gekommen?“ Der Poliziſt erzählte, daſs der Zug marſchiert „Alſo was? Muſs aufs Revierbureau. „Ein Hausknecht iſt hingelaufen“, ſagte der Der Landendiener begann etwas von der Hitze „Iſt das Deine Sache? Ah? Geh deiner Wege“, „Man muſs ihm Waſſer zu trinken geben“, Der Nevieraufſeher ſah auch Nechljudow ſtrenge „Gieß es über den Kopf!“ commandierte der Die Augen des Sträflings öffneten ſich weiter, „Wer iſt denn das? Nimm den!“ wandte ſich „Veſetzt“, ſagte der Kutſcher finſter, ohne die „Es iſt mein Kutſcher“, ſagte Nechljudow, „Nun, was wartet ihr noch?“ ſchrie der Re- Der Poliziſt, der Hausknecht und der Soldat „Leg ihn hin! commandierte der Revierbeamte. „Nicht nöthig, Euer Wohlgeboren, ich bringe (Schluſs folgt.) <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header">Marburger Zeitung Nr. 53, 15. Mai 1900</fw><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div xml:id="inland1_2" prev="#inland1_1" type="jArticle" n="3"> <p>höherer Stelle ein Erlaſs an die Gendarmerie er-<lb/> gangen ſei, <hi rendition="#g">bei Bezirksgerichtsverhandlungen<lb/> in allen Fällen nur in deutſcher Sprache<lb/> auszuſagen.</hi> </p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>— Die für Montag im Saale des Gaſthofes<lb/> Poſch in <hi rendition="#g">Hörbing</hi> anberaumte <hi rendition="#g">Verſammlung,</hi><lb/> in der Pfarrer Dr. <hi rendition="#g">Schmidt</hi> aus <hi rendition="#g">Bielitz</hi> einen<lb/> Vortrag über das Thema „Was hat das deutſche<lb/> Volk der Reformation zu verdanken?“ halten ſollte,<lb/> wurde von der Behörde <hi rendition="#g">unterſagt.</hi> Die be-<lb/> züglichen Maueranſchläge wurden von der Gendar-<lb/> merie unter Aſſiſtenz der Gemeindewache entfernt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>— In der geſtrigen Sitzung der <hi rendition="#g">öſter-<lb/> reichiſchen Quotendeputation</hi> erklärten<lb/> die Abgeordneten Kaiſer, Povſe und Forſcht, daſs<lb/> ſie für die neue Quote, die ungerecht ſei, <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/> ſtimmen könnten, da die Beſtimmung der Quote<lb/> nach der Bevölkerungszahl mit 35 : 65 hätte feſt-<lb/> geſetzt werden müſſen. Bei der Abſtimmung wurde<lb/> mit 8 gegen 8 Stimmen der Vorſchlag auf Feſt-<lb/> ſetzung der bisherigen Quote von 34·4 : 65 6 auf<lb/> die Dauer von <hi rendition="#g">neuneinhalb Jahren ange-<lb/> nommen.</hi> Dr. <hi rendition="#g">Menger</hi> beantragte eine Reſolution,<lb/> damit eine gerechte Grundlage für die Beſtimmung<lb/> der Quote gewonnen werde. — Dieſe Reſolution<lb/> die den Weg aller derartiger Reſolutionen gehen<lb/> wird, iſt ſelbſtverſtändlich ein Schlag ins Waſſer,<lb/> wir möchten wetten, daſs Dr. Menger ſelbſt an<lb/> einen Erfolg hievon nicht glaubt. 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Während die Steuern ſteigen und<lb/> die Landwirtſchaft darniederliegt, führt in Madrid<lb/> ein Heer goldgeſtickter Generale und Admirale, die<lb/> nie ein Bataillon oder ein Schiff geſehen haben,<lb/> und eine Schar unbeſchäftigter Beamten ein Faulenzer-<lb/> leben, und die Volksſchullehrer ſind neben ihrem<lb/> mikroſkopiſchen Gehalt auf den Straßenbettel an-<lb/> gewieſen. Daneben laſtet die Herrſchaft der <hi rendition="#g">Mönche<lb/><cb/> und Pfaffen</hi> wie eine alles erdrückende Schutt-<lb/> lawine auf dem unglücklichen Lande.“</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>— Der Petersburger Reichsrath hat am<lb/> Montag die Berathungen über die ihm zugegangene<lb/> Geſetzvorlage behufs <hi rendition="#g">Aufhebung der Depor-<lb/> tation nach Sibirien</hi> eröffnet. Dieſe wichtige<lb/> Reform iſt auf die Initiative des gegenwärtigen<lb/> Czaren zurückzuführen, der während ſeiner Reiſe<lb/> durch Sibirien Gelegenheit hatte, die Schreckniſſe<lb/> der Deportation kennen zu lernen. Der Juſtizminiſter<lb/> Murawiew hat dann in verhältnismäßig kurzer Zeit<lb/> in Sibirien die liberale Juſtizordnung Alexanders <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/> eingeführt und den Plan zur Abſchaffung der<lb/> Deportation nach Sibirien ausgearbeitet. Der neue<lb/> Plan ſtrebt in ſeinen Hauptzügen die völlige Auf-<lb/> hebung der Deportation und deren Erſetzung durch<lb/> Strafanſtalten an. Zu dieſem Zwecke ſollen neue<lb/> Strafanſtalten in Petersburg, Pſkow. Smolensk,<lb/> Charkow, Kiew, Wilna, Simbirsk, Saratow und<lb/> Twer eröffnet werden. Um aber auch das Recht<lb/> der Dorfgemeinden zur Verſchickung ihrer Ange-<lb/> hörigen zu beſchränken, fordert das neue Project<lb/> von den Gemeinden die Erhaltung ſolcher Depor-<lb/> tierter, welche bis jetzt der Regierung zukam. Wie<lb/> groß die Zahl der Verſchickten nach Sibirien ſein<lb/> muſs, erhellt daraus, daſs mit Ende des abge-<lb/> laufenen Jahres in den Gouvernements Irkutsk<lb/> und Jeniſſeisk allein 100.000 Verſchickte ſich be-<lb/> fanden. An der Genehmigung des Planes durch<lb/> den Petersburger Reichsrath iſt kaum zu zweifeln.<lb/> Man faſst die Frage aber ganz falſch auf, wenn<lb/> man ihr eine humanitäre Bedeutung beilegt. Sie<lb/> iſt lediglich wirtſchaftlich und ſoll Sibirien von<lb/> einer Landplage befreien.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>— <hi rendition="#g">Die Lage in Kamerun</hi> iſt nach<lb/> privaten Mittheilungen von dort weit bedrohlicher,<lb/> als dies in den officiöſen Nachrichten hierüber zu-<lb/> gegeben wird. Die Erhebung der Eingeborenen im<lb/> Norden Kameruns gegen die deutſche Herrſchaft ſoll<lb/> ſogar auf bislang ganz friedfertige und harmloſe<lb/> Stämme übergeſprungen ſein, ſo daſs es vielleicht<lb/> außerordentlicher Anſtrengungen von deutſcher Seite<lb/> bedürfen wird, den Aufſtand niederzuwerfen.</p> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jVarious" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Tagesneuigkeiten.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#g">(Die Vorgänge an der Wiener<lb/> Univerſität.)</hi> </head> <p>Der Univerſitätsrector Wilhelm<lb/><hi rendition="#g">Neumann legte ſeine Würde</hi> infolge der<lb/> in den letzten Tagen ſtattgehabten Tamulte auf der<lb/> Univerſität <hi rendition="#g">nieder.</hi> Mit der Führung des Rectorates<lb/> wurde Prorector <hi rendition="#g">Wieſer</hi> betraut. Die officiöſe<lb/> „Wiener Abendpoſt“ bezeichnet als Demiſſionsgrund<lb/> des Rectors Neumann, daſs dieſer die Ueberzeugung<lb/> gewann, der Senat ſtimme nicht in allen Punkten<lb/> mit der vom Rector veranlaſsten Durchführung ſeiner<lb/> Beſchlüſſe überein. Selbſtverſtändlich wird der künftige<lb/> Leiter der Rectoratsgeſchäfte die der ernſten Situation<lb/> angemeſſenen Beſchlüſſe des akademiſchen Senates<lb/> ſtricte ausführen, welcher in Uebereinſtimmung mit<lb/><cb/> den Univerſitätsprofeſſoren an der Anſchauung feſthält,<lb/> daſs die Erhaltung der freien Verfaſſung auch mit<lb/> der Erhaltung der Univerſität und der akademiſchen<lb/> Behörden ſtehe und falle.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head><hi rendition="#g">(Bezirksrichter</hi> als <hi rendition="#g">Verleumder.)</hi> </head> <p>Gegen<lb/> den Bürgermeiſter von Frohnleiten und deſſen<lb/> Schwiegerſohn, einem Volksſchullehrer im Orte, liefen<lb/> ſeit einiger Zeit bei Behörden anonyme Anzeigen<lb/> verleumderiſchen Inhaltes ein. Als Schreiber dieſer<lb/> anonymen Briefe wurde ſchließlich der Bezirksrichter<lb/> von Frohnleiten, Landesgerichtsrath <hi rendition="#g">Miſchitz</hi> er-<lb/> mittelt, gegen welchen nun der Bürgermeiſter und der<lb/> Lehrer einen Ehrenbeleidigungsproceſs führen. Miſchitz<lb/> leugnet; es liegen aber die Gutachten hervorragender<lb/> Wiener Sachverſtändiger vor, die auf das Beſtimmteſte<lb/> deſſen Schrift erkennen. Die Verhandlung findet am<lb/> 17. l. M. ſtatt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#g">(Der ſparſame Moltke.)</hi> </head> <p>Gelegentlich<lb/> ſeiner letzten Anweſenheit in Berlin im Auguſt 1889<lb/> ernannte Kaiſer Franz Joſef bei der Verabſchiedung<lb/> auf dem Bahnhofe den hochbetagten Feldmarſchall<lb/> Moltke zum Oberſtinhaber eines öſterreichiſchen<lb/> Infanterie-Regiments. Moltke war damals bereits<lb/> recht ſchwerhörig und hatte den Kaiſer nicht ver-<lb/> ſtanden. Er wandte ſich fragend an ſeinen Adjutanten,<lb/> was der Kaiſer gemeint habe. Auf die Antwort,<lb/> er habe ihm ein Regiment verliehen, erwiderte der<lb/> Feldmarſchall: „Die Uniform laſſ’ ich mir nicht<lb/> mehr machen.“ Er hat eine ſolche denn auch nicht<lb/> mehr gebraucht.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#g">(Im Wahnſinne.)</hi> </head> <p>In Caſtigliari hat ein<lb/> Bauer in einem Anfalle von Geiſtesſtörung <hi rendition="#g">neun</hi><lb/> ſeiner Angehörigen getödtet und mehrere verletzt,<lb/> dann das Vieh erſchlagen und den Stall in Brand<lb/> geſteckt. Er wurde verhaftet.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#g">(Die eigene Mutter ermordet.)</hi> </head> <p>Die<lb/> 78jährige Witwe Frau Alexander Papp in Beretty<hi rendition="#aq">ó</hi>-<lb/> Ujfalu übertrug ihre Beſitzung auf ihren Sohn<lb/> Johann und ſeine Frau, geborene Rebekka Valogh,<lb/> bedang ſich aber freien Unterhalt bis an ihr Lebens-<lb/> ende. Der Sohn hatte ſich von ſeiner Mutter<lb/> 100 fl. ausgeliehen, und da er die Summe nicht<lb/> zurückzahlen konnte, klagte ihn die Mutter. Haſs<lb/> und Rachegefühle weckten nun in den Eheleuten<lb/> den Plan, die Mutter aus dem Wege zu ſchaffen<lb/> und ſie thaten dies, indem ſie die Greiſin auf-<lb/> knüpften. Sie verſuchten dies ſo zu inſcenteren,<lb/> daſs die That als Selbſtmord erſcheinen ſollte,<lb/> doch wurden ſie durch ihren eigenen achtjährigen<lb/> Sohn verrathen, der zu den Nachbarn lief und<lb/> erzählte: „Die Eltern haben die Großmutter auf-<lb/> gehängt.“ Das verbrecheriſche Ehepaar wurde ver-<lb/> haftet.</p> </div><lb/> <div xml:id="schulrevision1" next="#schulrevision2" type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#g">(Ein merkwürdiger Zufall bei einer<lb/> Schulreviſion)</hi> </head> <p>ereignete ſich, wie man dem<lb/> „Karlsbader Badeblatt“ ſchreibt, in dem zum Kreiſe<lb/> Schlochau gehörigen Dorfe B. Der Herr Schulrath<lb/> und der Herr Kreisſchulinſpector waren erſchienen,<lb/> um genannte Schule einer Reviſion zu unterziehen.<lb/> Doch wer beſchreibt ihr Erſtaunen, als ſie dieſelbe</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="verbannten2" prev="#verbannten1" type="jArticle" n="2"> <p>„Was ſteht ihr da herum? Iſt auch ſo heiß<lb/> genug. Das ſteht uns nur im Wege.“</p><lb/> <p>„Muſs ein Doctor beſcheinigen. Die Schwachen<lb/> läſst man doch zurück. Sonſt kommt kaum einer<lb/> lebend an“, ſagte der Ladendiener, der augenſchein-<lb/> lich mit ſeiner Kenntnis deſſen prahlte, was in der<lb/> Ordnung war.</p><lb/> <p>Der Poliziſt richtete ſich, nachdem er die<lb/> Hemdenſchnüre aufgelöst, in die Höhe und ſchaute<lb/> um ſich.</p><lb/> <p>„Geht auseinander, ſage ich. Iſt doch nicht<lb/> eure Sache! Was ſteht ihr da zuſammen?“ ſagte<lb/> er und wandte ſich, Beifall ſuchend, an Nechljudow,<lb/> und da er in ſeinen Augen keinem Beifall begegnete,<lb/> ſchaute er den Escorteſoldaten an.</p><lb/> <p>Aber der Escorteſoldat ſtand auf der Seite,<lb/> betrachtete ſeinen abgelaufenen Abſatz und war ganz<lb/> gleichgiltig gegen die Verlegenheit des Poliziſten.</p><lb/> <p>„Die es angeht, die kümmern ſich nicht darum,<lb/> Iſt denn das in der Ordnung, die Menſchen zutode<lb/> zu quälen?“</p><lb/> <p>„Sträfling iſt Sträfling, aber doch immer<lb/> ein Menſch!“ hieß es in der Menge.</p><lb/> <p>„Legt ihm den Kopf höher und gebt ihm<lb/> Waſſer“, ſagte Nechljudow.</p><lb/> <p>„Sind ſchon nach Waſſer gegangen“, ant-<lb/> wortete der Poliziſt, faſste den Sträfling unter<lb/> der Achſel und zog den Rumpf mit Mühe etwas<lb/> höher.</p><lb/> <p>„Was iſt da für ein Auflauf?“ ertönte plötz-<lb/> lich eine beſtimmte Befehlshaberſtimme, und zu dem<lb/> Menſchenhaufen um den Arreſtanten trat mit<lb/> ſchnellen Schritten ein Revieraufſeher in ungewöhn-<lb/><cb/> lich ſauberem und glänzendem Kittel und noch glän-<lb/> zenderen hohen Stiefeln. „Auseinander gehen! Hier<lb/> iſt nichts zu ſtehen!“ ſchrie er den Haufen an, da<lb/> er noch nicht ſah, warum die Menge zuſammenge-<lb/> laufen war.</p><lb/> <p>Als er aber dicht herantrat und den ſterben-<lb/> den Arreſtanten erblickte, machte er mit dem Kopf<lb/> ein Zeichen der Beſtätigung, als ob er eben<lb/> dasſelbe erwartet hätte und wandte ſich an den<lb/> Poliziſten.</p><lb/> <p>„Wie iſt das gekommen?“</p><lb/> <p>Der Poliziſt erzählte, daſs der Zug marſchiert<lb/> ſei und der Sträfling umgefallen wäre; der Escorte-<lb/> oſſicier hätte dann befohlen, ihn zurückzulaſſen.</p><lb/> <p>„Alſo was? Muſs aufs Revierbureau.<lb/> Droſchke!“</p><lb/> <p>„Ein Hausknecht iſt hingelaufen“, ſagte der<lb/> Poliziſt und legte die Hand an den Mützenſchirm.</p><lb/> <p>Der Landendiener begann etwas von der Hitze<lb/> zu reden ...</p><lb/> <p>„Iſt das Deine Sache? Ah? Geh deiner Wege“,<lb/> ſagte der Revieraufſeher und ſah ihn ſo ſtrenge an,<lb/> daſs der Ladendiener verſtummte.</p><lb/> <p>„Man muſs ihm Waſſer zu trinken geben“,<lb/> ſagte Nechljudow.</p><lb/> <p>Der Nevieraufſeher ſah auch Nechljudow ſtrenge<lb/> an, ſagte aber nichts. Als aber der Hausknecht in<lb/> einem Kruge Waſſer brachte, befahl er dem Poliziſten,<lb/> es dem Sträfling anzubieten. Der Poliziſt hob den<lb/> herabgeſunkenen Kopf in die Höhe und verſuchte, das<lb/> Waſſer in den Mund zu gießeu, aber der Sträfling<lb/> nahm es nicht; das Waſſer floß heraus über den<lb/><cb/> Bart, benäſste die Jacke auf der Bruſt und das<lb/> ſtaubige Hemd aus Hanfleinwand.</p><lb/> <p>„Gieß es über den Kopf!“ commandierte der<lb/> Revieraufſeher, und der Poliziſt nahm die Pfann-<lb/> kuchenmütze ab und goß das Waſſer über die röth-<lb/> lichen krauſen Haare und den bloßen Schädel.</p><lb/> <p>Die Augen des Sträflings öffneten ſich weiter,<lb/> gleichſam in Schreck, aber ſeine Lage änderte ſich<lb/> nicht. Ueber ſein Geſicht floſſen Schmutzbäche von<lb/> Staub, aber der Mund ſchluchzte ebenſo gleichmäßig<lb/> und der ganze Körper zitterte.</p><lb/> <p>„Wer iſt denn das? Nimm den!“ wandte ſich<lb/> der Revieraufſeher an den Poliziſten und deutete<lb/> auf Nechljudows Droſchkenkutſcher. „Komm her!<lb/> He, Du!“</p><lb/> <p>„Veſetzt“, ſagte der Kutſcher finſter, ohne die<lb/> Augen aufzuheben.</p><lb/> <p>„Es iſt mein Kutſcher“, ſagte Nechljudow,<lb/> „aber nehmen Sie ihn. Ich bezahle“, ſagte er, ſich<lb/> an den Kutſcher wendend.</p><lb/> <p>„Nun, was wartet ihr noch?“ ſchrie der Re-<lb/> vieraufſeher. „Angefaſst!“</p><lb/> <p>Der Poliziſt, der Hausknecht und der Soldat<lb/> hoben den Sterbenden auf, trugen ihn zur Droſchke<lb/> und ſetzten ihn auf den Sitzplatz. Aber er konnte<lb/> ſich nicht ſelbſt halten: ſein Kopf ſank zurück und<lb/> der ganze Körper rutſchte vom Sitz.</p><lb/> <p>„Leg ihn hin! commandierte der Revierbeamte.</p><lb/> <p>„Nicht nöthig, Euer Wohlgeboren, ich bringe<lb/> ihn auch ſo hin“, ſagte der Poliziſt, ſetzte ſich feſt<lb/> neben dem Sterbenden auf den Sitz und umfieng ihn<lb/> mit ſeinem ſtarken rechten Arm unter der Achſel.</p><lb/> <p> <ref> <hi rendition="#c">(Schluſs folgt.)</hi> </ref> </p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [2/0002]
Marburger Zeitung Nr. 53, 15. Mai 1900
höherer Stelle ein Erlaſs an die Gendarmerie er-
gangen ſei, bei Bezirksgerichtsverhandlungen
in allen Fällen nur in deutſcher Sprache
auszuſagen.
— Die für Montag im Saale des Gaſthofes
Poſch in Hörbing anberaumte Verſammlung,
in der Pfarrer Dr. Schmidt aus Bielitz einen
Vortrag über das Thema „Was hat das deutſche
Volk der Reformation zu verdanken?“ halten ſollte,
wurde von der Behörde unterſagt. Die be-
züglichen Maueranſchläge wurden von der Gendar-
merie unter Aſſiſtenz der Gemeindewache entfernt.
— In der geſtrigen Sitzung der öſter-
reichiſchen Quotendeputation erklärten
die Abgeordneten Kaiſer, Povſe und Forſcht, daſs
ſie für die neue Quote, die ungerecht ſei, nicht
ſtimmen könnten, da die Beſtimmung der Quote
nach der Bevölkerungszahl mit 35 : 65 hätte feſt-
geſetzt werden müſſen. Bei der Abſtimmung wurde
mit 8 gegen 8 Stimmen der Vorſchlag auf Feſt-
ſetzung der bisherigen Quote von 34·4 : 65 6 auf
die Dauer von neuneinhalb Jahren ange-
nommen. Dr. Menger beantragte eine Reſolution,
damit eine gerechte Grundlage für die Beſtimmung
der Quote gewonnen werde. — Dieſe Reſolution
die den Weg aller derartiger Reſolutionen gehen
wird, iſt ſelbſtverſtändlich ein Schlag ins Waſſer,
wir möchten wetten, daſs Dr. Menger ſelbſt an
einen Erfolg hievon nicht glaubt. Die Hauptſache
iſt: „Schwab“ kann wieder 9½ Jahre feſt blechen.
Ausland.
— Aus Korea gelangt nach Yokohama die Nach-
richt von einem neuen ausgedehnten Landankaufe
von ruſſiſcher Seite. Es ſoll ſich um einen
Landſtrich bei Port-Tſchinnan an der Weſtküſte
Koreas handeln.
— Ueber die Urſachen der ſpaniſchen
Unruhen wird den „L. N. N.“ geſchrieben: „Die
klaffende Differenz zwiſchen den Ausgaben und den
Einnahmen des Staates entſteht dadurch, daſs ein
Heer von Schmarotzern und Inhabern von
Sinecuren vom Marke des Landes zehrt und daſs
die corrupte Beamtenſchaft von allen
Summen, die der Staatscaſſe zufließen oder von
ihr ausgezahlt werden, in aufſteigender und ab-
ſteigender Linie jeder nach ſeinem Theile ſeinen
Tribut und Zoll zu Gunſten ſeiner Privatcaſſe er-
hebt. Der Kampf gegen dieſes Treiben iſt infolge
der Vetternwirtſchaft, die keinen Mitſchuldigen der
ſtrafenden Gerechtigkeit ausliefert, von vorneherein
ausſichtslos. Während die Steuern ſteigen und
die Landwirtſchaft darniederliegt, führt in Madrid
ein Heer goldgeſtickter Generale und Admirale, die
nie ein Bataillon oder ein Schiff geſehen haben,
und eine Schar unbeſchäftigter Beamten ein Faulenzer-
leben, und die Volksſchullehrer ſind neben ihrem
mikroſkopiſchen Gehalt auf den Straßenbettel an-
gewieſen. Daneben laſtet die Herrſchaft der Mönche
und Pfaffen wie eine alles erdrückende Schutt-
lawine auf dem unglücklichen Lande.“
— Der Petersburger Reichsrath hat am
Montag die Berathungen über die ihm zugegangene
Geſetzvorlage behufs Aufhebung der Depor-
tation nach Sibirien eröffnet. Dieſe wichtige
Reform iſt auf die Initiative des gegenwärtigen
Czaren zurückzuführen, der während ſeiner Reiſe
durch Sibirien Gelegenheit hatte, die Schreckniſſe
der Deportation kennen zu lernen. Der Juſtizminiſter
Murawiew hat dann in verhältnismäßig kurzer Zeit
in Sibirien die liberale Juſtizordnung Alexanders II.
eingeführt und den Plan zur Abſchaffung der
Deportation nach Sibirien ausgearbeitet. Der neue
Plan ſtrebt in ſeinen Hauptzügen die völlige Auf-
hebung der Deportation und deren Erſetzung durch
Strafanſtalten an. Zu dieſem Zwecke ſollen neue
Strafanſtalten in Petersburg, Pſkow. Smolensk,
Charkow, Kiew, Wilna, Simbirsk, Saratow und
Twer eröffnet werden. Um aber auch das Recht
der Dorfgemeinden zur Verſchickung ihrer Ange-
hörigen zu beſchränken, fordert das neue Project
von den Gemeinden die Erhaltung ſolcher Depor-
tierter, welche bis jetzt der Regierung zukam. Wie
groß die Zahl der Verſchickten nach Sibirien ſein
muſs, erhellt daraus, daſs mit Ende des abge-
laufenen Jahres in den Gouvernements Irkutsk
und Jeniſſeisk allein 100.000 Verſchickte ſich be-
fanden. An der Genehmigung des Planes durch
den Petersburger Reichsrath iſt kaum zu zweifeln.
Man faſst die Frage aber ganz falſch auf, wenn
man ihr eine humanitäre Bedeutung beilegt. Sie
iſt lediglich wirtſchaftlich und ſoll Sibirien von
einer Landplage befreien.
— Die Lage in Kamerun iſt nach
privaten Mittheilungen von dort weit bedrohlicher,
als dies in den officiöſen Nachrichten hierüber zu-
gegeben wird. Die Erhebung der Eingeborenen im
Norden Kameruns gegen die deutſche Herrſchaft ſoll
ſogar auf bislang ganz friedfertige und harmloſe
Stämme übergeſprungen ſein, ſo daſs es vielleicht
außerordentlicher Anſtrengungen von deutſcher Seite
bedürfen wird, den Aufſtand niederzuwerfen.
Tagesneuigkeiten.
(Die Vorgänge an der Wiener
Univerſität.) Der Univerſitätsrector Wilhelm
Neumann legte ſeine Würde infolge der
in den letzten Tagen ſtattgehabten Tamulte auf der
Univerſität nieder. Mit der Führung des Rectorates
wurde Prorector Wieſer betraut. Die officiöſe
„Wiener Abendpoſt“ bezeichnet als Demiſſionsgrund
des Rectors Neumann, daſs dieſer die Ueberzeugung
gewann, der Senat ſtimme nicht in allen Punkten
mit der vom Rector veranlaſsten Durchführung ſeiner
Beſchlüſſe überein. Selbſtverſtändlich wird der künftige
Leiter der Rectoratsgeſchäfte die der ernſten Situation
angemeſſenen Beſchlüſſe des akademiſchen Senates
ſtricte ausführen, welcher in Uebereinſtimmung mit
den Univerſitätsprofeſſoren an der Anſchauung feſthält,
daſs die Erhaltung der freien Verfaſſung auch mit
der Erhaltung der Univerſität und der akademiſchen
Behörden ſtehe und falle.
(Bezirksrichter als Verleumder.) Gegen
den Bürgermeiſter von Frohnleiten und deſſen
Schwiegerſohn, einem Volksſchullehrer im Orte, liefen
ſeit einiger Zeit bei Behörden anonyme Anzeigen
verleumderiſchen Inhaltes ein. Als Schreiber dieſer
anonymen Briefe wurde ſchließlich der Bezirksrichter
von Frohnleiten, Landesgerichtsrath Miſchitz er-
mittelt, gegen welchen nun der Bürgermeiſter und der
Lehrer einen Ehrenbeleidigungsproceſs führen. Miſchitz
leugnet; es liegen aber die Gutachten hervorragender
Wiener Sachverſtändiger vor, die auf das Beſtimmteſte
deſſen Schrift erkennen. Die Verhandlung findet am
17. l. M. ſtatt.
(Der ſparſame Moltke.) Gelegentlich
ſeiner letzten Anweſenheit in Berlin im Auguſt 1889
ernannte Kaiſer Franz Joſef bei der Verabſchiedung
auf dem Bahnhofe den hochbetagten Feldmarſchall
Moltke zum Oberſtinhaber eines öſterreichiſchen
Infanterie-Regiments. Moltke war damals bereits
recht ſchwerhörig und hatte den Kaiſer nicht ver-
ſtanden. Er wandte ſich fragend an ſeinen Adjutanten,
was der Kaiſer gemeint habe. Auf die Antwort,
er habe ihm ein Regiment verliehen, erwiderte der
Feldmarſchall: „Die Uniform laſſ’ ich mir nicht
mehr machen.“ Er hat eine ſolche denn auch nicht
mehr gebraucht.
(Im Wahnſinne.) In Caſtigliari hat ein
Bauer in einem Anfalle von Geiſtesſtörung neun
ſeiner Angehörigen getödtet und mehrere verletzt,
dann das Vieh erſchlagen und den Stall in Brand
geſteckt. Er wurde verhaftet.
(Die eigene Mutter ermordet.) Die
78jährige Witwe Frau Alexander Papp in Berettyó-
Ujfalu übertrug ihre Beſitzung auf ihren Sohn
Johann und ſeine Frau, geborene Rebekka Valogh,
bedang ſich aber freien Unterhalt bis an ihr Lebens-
ende. Der Sohn hatte ſich von ſeiner Mutter
100 fl. ausgeliehen, und da er die Summe nicht
zurückzahlen konnte, klagte ihn die Mutter. Haſs
und Rachegefühle weckten nun in den Eheleuten
den Plan, die Mutter aus dem Wege zu ſchaffen
und ſie thaten dies, indem ſie die Greiſin auf-
knüpften. Sie verſuchten dies ſo zu inſcenteren,
daſs die That als Selbſtmord erſcheinen ſollte,
doch wurden ſie durch ihren eigenen achtjährigen
Sohn verrathen, der zu den Nachbarn lief und
erzählte: „Die Eltern haben die Großmutter auf-
gehängt.“ Das verbrecheriſche Ehepaar wurde ver-
haftet.
(Ein merkwürdiger Zufall bei einer
Schulreviſion) ereignete ſich, wie man dem
„Karlsbader Badeblatt“ ſchreibt, in dem zum Kreiſe
Schlochau gehörigen Dorfe B. Der Herr Schulrath
und der Herr Kreisſchulinſpector waren erſchienen,
um genannte Schule einer Reviſion zu unterziehen.
Doch wer beſchreibt ihr Erſtaunen, als ſie dieſelbe
„Was ſteht ihr da herum? Iſt auch ſo heiß
genug. Das ſteht uns nur im Wege.“
„Muſs ein Doctor beſcheinigen. Die Schwachen
läſst man doch zurück. Sonſt kommt kaum einer
lebend an“, ſagte der Ladendiener, der augenſchein-
lich mit ſeiner Kenntnis deſſen prahlte, was in der
Ordnung war.
Der Poliziſt richtete ſich, nachdem er die
Hemdenſchnüre aufgelöst, in die Höhe und ſchaute
um ſich.
„Geht auseinander, ſage ich. Iſt doch nicht
eure Sache! Was ſteht ihr da zuſammen?“ ſagte
er und wandte ſich, Beifall ſuchend, an Nechljudow,
und da er in ſeinen Augen keinem Beifall begegnete,
ſchaute er den Escorteſoldaten an.
Aber der Escorteſoldat ſtand auf der Seite,
betrachtete ſeinen abgelaufenen Abſatz und war ganz
gleichgiltig gegen die Verlegenheit des Poliziſten.
„Die es angeht, die kümmern ſich nicht darum,
Iſt denn das in der Ordnung, die Menſchen zutode
zu quälen?“
„Sträfling iſt Sträfling, aber doch immer
ein Menſch!“ hieß es in der Menge.
„Legt ihm den Kopf höher und gebt ihm
Waſſer“, ſagte Nechljudow.
„Sind ſchon nach Waſſer gegangen“, ant-
wortete der Poliziſt, faſste den Sträfling unter
der Achſel und zog den Rumpf mit Mühe etwas
höher.
„Was iſt da für ein Auflauf?“ ertönte plötz-
lich eine beſtimmte Befehlshaberſtimme, und zu dem
Menſchenhaufen um den Arreſtanten trat mit
ſchnellen Schritten ein Revieraufſeher in ungewöhn-
lich ſauberem und glänzendem Kittel und noch glän-
zenderen hohen Stiefeln. „Auseinander gehen! Hier
iſt nichts zu ſtehen!“ ſchrie er den Haufen an, da
er noch nicht ſah, warum die Menge zuſammenge-
laufen war.
Als er aber dicht herantrat und den ſterben-
den Arreſtanten erblickte, machte er mit dem Kopf
ein Zeichen der Beſtätigung, als ob er eben
dasſelbe erwartet hätte und wandte ſich an den
Poliziſten.
„Wie iſt das gekommen?“
Der Poliziſt erzählte, daſs der Zug marſchiert
ſei und der Sträfling umgefallen wäre; der Escorte-
oſſicier hätte dann befohlen, ihn zurückzulaſſen.
„Alſo was? Muſs aufs Revierbureau.
Droſchke!“
„Ein Hausknecht iſt hingelaufen“, ſagte der
Poliziſt und legte die Hand an den Mützenſchirm.
Der Landendiener begann etwas von der Hitze
zu reden ...
„Iſt das Deine Sache? Ah? Geh deiner Wege“,
ſagte der Revieraufſeher und ſah ihn ſo ſtrenge an,
daſs der Ladendiener verſtummte.
„Man muſs ihm Waſſer zu trinken geben“,
ſagte Nechljudow.
Der Nevieraufſeher ſah auch Nechljudow ſtrenge
an, ſagte aber nichts. Als aber der Hausknecht in
einem Kruge Waſſer brachte, befahl er dem Poliziſten,
es dem Sträfling anzubieten. Der Poliziſt hob den
herabgeſunkenen Kopf in die Höhe und verſuchte, das
Waſſer in den Mund zu gießeu, aber der Sträfling
nahm es nicht; das Waſſer floß heraus über den
Bart, benäſste die Jacke auf der Bruſt und das
ſtaubige Hemd aus Hanfleinwand.
„Gieß es über den Kopf!“ commandierte der
Revieraufſeher, und der Poliziſt nahm die Pfann-
kuchenmütze ab und goß das Waſſer über die röth-
lichen krauſen Haare und den bloßen Schädel.
Die Augen des Sträflings öffneten ſich weiter,
gleichſam in Schreck, aber ſeine Lage änderte ſich
nicht. Ueber ſein Geſicht floſſen Schmutzbäche von
Staub, aber der Mund ſchluchzte ebenſo gleichmäßig
und der ganze Körper zitterte.
„Wer iſt denn das? Nimm den!“ wandte ſich
der Revieraufſeher an den Poliziſten und deutete
auf Nechljudows Droſchkenkutſcher. „Komm her!
He, Du!“
„Veſetzt“, ſagte der Kutſcher finſter, ohne die
Augen aufzuheben.
„Es iſt mein Kutſcher“, ſagte Nechljudow,
„aber nehmen Sie ihn. Ich bezahle“, ſagte er, ſich
an den Kutſcher wendend.
„Nun, was wartet ihr noch?“ ſchrie der Re-
vieraufſeher. „Angefaſst!“
Der Poliziſt, der Hausknecht und der Soldat
hoben den Sterbenden auf, trugen ihn zur Droſchke
und ſetzten ihn auf den Sitzplatz. Aber er konnte
ſich nicht ſelbſt halten: ſein Kopf ſank zurück und
der ganze Körper rutſchte vom Sitz.
„Leg ihn hin! commandierte der Revierbeamte.
„Nicht nöthig, Euer Wohlgeboren, ich bringe
ihn auch ſo hin“, ſagte der Poliziſt, ſetzte ſich feſt
neben dem Sterbenden auf den Sitz und umfieng ihn
mit ſeinem ſtarken rechten Arm unter der Achſel.
(Schluſs folgt.)
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