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Marburger Zeitung. Nr. 74, Marburg, 20.06.1907.

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Nr. 74 Donnerstag, 20. Juni 1907 46. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Die Thronrede.


Gestern vormittags wurde in der Hofburg zu
Wien vor den erschienenen Mitgliedern beider
Häuser des Reichsrates die Thronrede verlesen, mit
welcher das neue Parlament eröffnet wird. Nicht
alle, die gerufen waren, erschienen hiezu; von
deutscher Seite blieben die Alldeutschen ferne, von
tschechischer Seite die Tschechischradikalen und
die tschechischen Sozialdemokraten, während die
deutschen Sozialdemokraten -- gekommen waren.
Es stellte die Thronrede ein dickes Buch dar;
länger als je zuvor waren ihre Ausführungen, die
nun als Regierungsprogramm zu gelten haben und
eine Fülle von Vorsätzen in sich schließen, die sofort
auf die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung schließen läßt
und augenscheinlich vor allem auf den "guten
Eindruck" berechnet ist. Deutlich aber sieht man,
wie die Regierung des Herrn v. Beck ihr Haupt-
angenmerk darauf legte, diesen "guten Eindruck" vor
allem bei den Nichtdeutschen und bei den Klerikalen
aller Völkerschaften zu erwecken, die denn auch mit
ihrem Beifalle nicht kargten, als verschiedene Stellen
der Thronrede ihr ganz besonderes Entzücken er-
regten; auch der Sozialdemokraten gedachte man,
weil diese eine sehr starke Gruppe bilden und auch
sie spendeten dem neuesten schwarzgelben Programme
einen Beifall, der gar nicht mehr an die revolu-
tionäre Grundgewalt vergangener Tage erinnerte.
Und nur die deutschen Fähnleins warteten still und
ruhig auf eine Wendung, auf ein Stichwort, das
auch ihnen eine besondere Gelegenheit zum Beifall
[Spaltenumbruch] geben würde. Und da sie offenbar nichts fanden,
warteten sie bis zum Schlusse, bis die Thronrede
vom Kaiser selber sprach, von seiner Absicht, das
Erbe der Geschichte wie bisher zu verwalten, --
da erst fanden die deutschen Fähnlein die Sprache
wieder und nun wetteiferten sie mit allen anderen
in den Ausdrücken der Freude und des Beifalles.

Und nun betrachten wir uns den Standpunkt
der Regierung, der in der Thronrede zum Ausdruck
kommt, etwas näher. Von der Wahlreform er-
wartet die Thronrede eine "Zusammenfassung und
Steigerung der politischen Kräfte des -- Staates;
zugleich aber erwartet sie auch vom -- Herren-
hause,
daß es "wie bisher, so auch in Zukunft
eine Stätte gereifter Einsicht bleiben
wird." Unschwer wird man da einen Widerspruch
herausklingen hören, der jedem politisch Verständigen
zum Greifen nahe liegt. Und unmittelbar daran
schließt sich die Ankündigung der Regierung, sie
werde mit Anträgen auf Abänderung der
Geschäftsordnung
vor das Haus treten. Wer
da weiß, daß die deutsche Notwehr gegen Badeni
im Parlamente zum guten Teile auch mit Hilfe
der Geschäftsordnung geführt wurde, mag sich seinen
Teil über jene Gründe denken, welche die Regierung
im Einverständnisse mit der slawischen Mehrheit
dazu bewegen, die Geschäftsordnung abzuändern.
Und weiters heißt es, es soll die "Umgestaltung
der Nationalkräfte in Staatskräfte als Ziel
im Auge behalten" werden. Das gilt natürlich nur
dem deutschen Michl, der sich der geringsten
nationalen Lebensäußerung enthalten soll; von den
meisten seiner "auchnationalen" Vertreter weiß man
[Spaltenumbruch] es ja ohnehin, daß sie sich immer und allzugerne
als "Staatskräfte" gebrauchen lassen, während die
Nationalkräfte der Slawen dieweil ihre nationalen
Kraft verstärken. Gelingt es aber der Regierung, die
letzte deutsche Nationalkraft in eine "Staatskraft"
umzuwandeln, dann freilich wäre auch jener
nationale Parlamentsfriede erreicht, den die
Regierung in der Thronrede wünscht; er wäre aber
ein Friede, von dem Marquis Posa im "Don
Carlos" spricht ... Auch über die Volksschule
enthält die Thronrede einen Passus; ihr Ziel soll
die "sittlich-religiöse" bleiben. Die Klerikalen,
welche diese Kundgebung mit lebhaften Beifalle be-
grüßten, werden bereits genau wissen, wie die
Regierung sich dieses "Ziel" der Volksschule vorstellt.

Von ganz besonderem Interesse ist auch jene
Stelle der Thronrede, welche von unserem Ver-
hältnisse zu Ungarn
spricht. Die Thronrede
sagt, daß das Band, welches beide Staaten ver-
binde, unversehrt erhalten werden müsse und
daß "auch in wirtschaftlicher Beziehung.
eine Lockerung vermieden werden müsse, die
sich etwa in Zukunft für die pragmatische Gemein-
samkeit
als bedenklich erweisen könnte." Da-
mit ist die Haltung der Regierung zur ungarischen
Frage, gegenwärtig der brennendsten, genau charak-
terisiert und alle jene deutschfreiheitlichen Abgeordneten,
welche als Kandidaten für die wirtschaftliche Trennung
von Ungarn eintraten, befinden sich nun mit Rück-
sicht auf ihre deutschen Parteiminister gewiß in der pein-
lichsten Lage. Da Ungarn sich die Gemeinsamkeit teuer
bezahlen lassen wird, kündigt die Thronrede bereits die
Erschließung neuer Steuerquellen an ...




[Spaltenumbruch]
Im Leid vereint.

3)



(Nachdruck verboten.)

"Diese Stunde der Nacht hat mir einen Ein-
blick in Dein Inneres geöffnet. Ich weiß jetzt,
warum das Geschäft Dich ganz in Anspruch nahm
und warum Du keine Zeit für mich übrig hattest.
Du hast lange, bittere Jahre hindurch gekämpft, um
Dein Haus vor dem Untergang und deine Familie
vor der Not zu retten und, der Gedanke, daß der
kostspielige Aufwand, den ich getrieben, das luxuriöse
Wohlleben, das ich geführt, zu dem Unglück bei-
getragen, das über Dich gekommen ist, dieser Ge-
danke bringt mich zur Verzweiflung".

"Wenn dieser Gedanke Dich quält", erwiderte
er, "so kannst Du Dich beruhigen. Bei der Führung
eines Geschäftes, wie es das meinige war, haben
Auslagen, wie die von Dir angeführten, wenig
oder nichts zu bedeuten".

"Aber Du hast mich ohne Mitgift geheiratet.
Das beweist doch --"

"Was beweist es", unterbrach er sie. Ich
durfte ja annehmen, daß Du auf die Mitgift ver-
zichtest".

"Nein, Ferdinand. Aus einem Briefe meines
Vaters geht hervor, daß Du auf die Mitgift ver-
zichtest."

"Ich war damals noch in besseren Verhält-
nissen", murmelte er vor sich hin.

"Und so habe ich erst jetzt erfahren müssen,
daß Du ein armes Mädchen, das Dir nichts in die
[Spaltenumbruch] Ehe mitbrachte, aus --" Das Wort wollte ihr
nicht über die Lippen. "Ja, ich weiß selbst nicht,
aus welchem Grunde, geheiratet hast".

"Ach! Dachtest Du früher, ich hätte Dich
einzig um Deiner Mitgift willen zur Frau ge-
nommen?"

"Nein. Aber ich glaubte, unsere Ehe sei eine
derjenigen, wie sie in dieser Welt üblich sind, in
der die Söhne reicher Häuser die Töchter aus
reichen Häusern heiraten, weil es, nun -- weil es
einmal Sitte ist, daß man in einem gewissen Alter
an die Ehe denkt".

Er sah vor sich hin und um seinen Mund
spielte für einen Augenblick ein Lächeln der Bitter-
keit. Dann nahmen seine Züge wieder den Ausdruck
ruhigen Ernstes an.

"Lassen wir die Vergangenheit", sagte er dann.
"Wir sind beide darauf angewiesen, nur an die
Zukunft zu denken. Unsere Lebenswege haben sich
getrennt -- wozu jetzt der Zeit gedenken, da sie
sich begegneten?"

"Aber diese Papiere sind es ja, die mich an
die Zeit erinnern!" rief sie lebhaft aus. In welchem
Lichte erscheint mir jetzt mein Vater -- er, den ich
für den Besten und Edelsten der Menschen hielt!
Er versprach Dir, was er nicht halten konnte, er
versprach vielleicht im vollen Bewußtsein dessen, --
o, es ist entsetzlich! Und muß ich mich nicht selbst
anklagen, daß ich dich so verkannt habe? Ferdinand,
kannst Du mir verzeihen?"

Ihr Busen wogte heftig und Tränen schim-
merten in ihren Augen. Sie hatte sich erhoben und
[Spaltenumbruch] eine entgegenkommende Bewegung gemacht, aber er
verharrte in seiner unbeweglichen Ruhe und nahm
die Hand nicht an, die sie ihm entgegenstreckte.

"Lassen wir das!" sagte er. "Ersparen wir
uns eine derartige Szene. Wir müssen uns trennen,
das ist klar; je leichter der Abschied uns wird,
desto besser".

Sie aber war wieder auf den Stuhl am
Fenster zurückgesunken. "Und warum müssen wir
uns trennen?" fragte sie.

Er war bisher ihren Blicken ausgewichen,
jetzt richtete er seine Augen fester auf sie und das
Lächeln der Bitterkeit erschien wieder auf seinen
Lippen. "Du fragst noch?" sagte er. "Nach allem,
was zwischen uns vorgefallen ist, nach dem Ge-
ständnis, das Du mir vor einigen Minuten gemacht
hast --"

"Ich log", hauchte sie leise mit gesenktem
Blicke vor sich hin.

"Wie? Du logst?"

"Ja, es war nicht die Wahrheit, die Du von
mir hörtest. Ich liebe diesen Mann nicht".

"Du liebst ihn nicht? Und was konnte Dich
bewegen, mir diese Unwahrheit zu sagen?"

"Ich weiß es selbst nicht, was mich dazu
trieb. Es mag kindischer Trotz gewesen sein. Ich
glaubte Du wärest gekommen, mir eine Szene
zu machen und -- ich haßte Dich in diesem Augen-
blicke. Ich wollte Dir zeigen, daß ich keine Furcht
vor Dir hatte".

"Und warum sollte ich Dir jetzt mehr Glauben
schenken, als vor einer Stunde, da ich jenes Ge-
ständnis vor Dir hörte?"     Forts. folgt.


Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
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Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.)


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allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einſchaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.




Nr. 74 Donnerstag, 20. Juni 1907 46. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Die Thronrede.


Geſtern vormittags wurde in der Hofburg zu
Wien vor den erſchienenen Mitgliedern beider
Häuſer des Reichsrates die Thronrede verleſen, mit
welcher das neue Parlament eröffnet wird. Nicht
alle, die gerufen waren, erſchienen hiezu; von
deutſcher Seite blieben die Alldeutſchen ferne, von
tſchechiſcher Seite die Tſchechiſchradikalen und
die tſchechiſchen Sozialdemokraten, während die
deutſchen Sozialdemokraten — gekommen waren.
Es ſtellte die Thronrede ein dickes Buch dar;
länger als je zuvor waren ihre Ausführungen, die
nun als Regierungsprogramm zu gelten haben und
eine Fülle von Vorſätzen in ſich ſchließen, die ſofort
auf die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung ſchließen läßt
und augenſcheinlich vor allem auf den „guten
Eindruck“ berechnet iſt. Deutlich aber ſieht man,
wie die Regierung des Herrn v. Beck ihr Haupt-
angenmerk darauf legte, dieſen „guten Eindruck“ vor
allem bei den Nichtdeutſchen und bei den Klerikalen
aller Völkerſchaften zu erwecken, die denn auch mit
ihrem Beifalle nicht kargten, als verſchiedene Stellen
der Thronrede ihr ganz beſonderes Entzücken er-
regten; auch der Sozialdemokraten gedachte man,
weil dieſe eine ſehr ſtarke Gruppe bilden und auch
ſie ſpendeten dem neueſten ſchwarzgelben Programme
einen Beifall, der gar nicht mehr an die revolu-
tionäre Grundgewalt vergangener Tage erinnerte.
Und nur die deutſchen Fähnleins warteten ſtill und
ruhig auf eine Wendung, auf ein Stichwort, das
auch ihnen eine beſondere Gelegenheit zum Beifall
[Spaltenumbruch] geben würde. Und da ſie offenbar nichts fanden,
warteten ſie bis zum Schluſſe, bis die Thronrede
vom Kaiſer ſelber ſprach, von ſeiner Abſicht, das
Erbe der Geſchichte wie bisher zu verwalten, —
da erſt fanden die deutſchen Fähnlein die Sprache
wieder und nun wetteiferten ſie mit allen anderen
in den Ausdrücken der Freude und des Beifalles.

Und nun betrachten wir uns den Standpunkt
der Regierung, der in der Thronrede zum Ausdruck
kommt, etwas näher. Von der Wahlreform er-
wartet die Thronrede eine „Zuſammenfaſſung und
Steigerung der politiſchen Kräfte des — Staates;
zugleich aber erwartet ſie auch vom — Herren-
hauſe,
daß es „wie bisher, ſo auch in Zukunft
eine Stätte gereifter Einſicht bleiben
wird.“ Unſchwer wird man da einen Widerſpruch
herausklingen hören, der jedem politiſch Verſtändigen
zum Greifen nahe liegt. Und unmittelbar daran
ſchließt ſich die Ankündigung der Regierung, ſie
werde mit Anträgen auf Abänderung der
Geſchäftsordnung
vor das Haus treten. Wer
da weiß, daß die deutſche Notwehr gegen Badeni
im Parlamente zum guten Teile auch mit Hilfe
der Geſchäftsordnung geführt wurde, mag ſich ſeinen
Teil über jene Gründe denken, welche die Regierung
im Einverſtändniſſe mit der ſlawiſchen Mehrheit
dazu bewegen, die Geſchäftsordnung abzuändern.
Und weiters heißt es, es ſoll die „Umgeſtaltung
der Nationalkräfte in Staatskräfte als Ziel
im Auge behalten“ werden. Das gilt natürlich nur
dem deutſchen Michl, der ſich der geringſten
nationalen Lebensäußerung enthalten ſoll; von den
meiſten ſeiner „auchnationalen“ Vertreter weiß man
[Spaltenumbruch] es ja ohnehin, daß ſie ſich immer und allzugerne
als „Staatskräfte“ gebrauchen laſſen, während die
Nationalkräfte der Slawen dieweil ihre nationalen
Kraft verſtärken. Gelingt es aber der Regierung, die
letzte deutſche Nationalkraft in eine „Staatskraft“
umzuwandeln, dann freilich wäre auch jener
nationale Parlamentsfriede erreicht, den die
Regierung in der Thronrede wünſcht; er wäre aber
ein Friede, von dem Marquis Poſa im „Don
Carlos“ ſpricht ... Auch über die Volksſchule
enthält die Thronrede einen Paſſus; ihr Ziel ſoll
die „ſittlich-religiöſe“ bleiben. Die Klerikalen,
welche dieſe Kundgebung mit lebhaften Beifalle be-
grüßten, werden bereits genau wiſſen, wie die
Regierung ſich dieſes „Ziel“ der Volksſchule vorſtellt.

Von ganz beſonderem Intereſſe iſt auch jene
Stelle der Thronrede, welche von unſerem Ver-
hältniſſe zu Ungarn
ſpricht. Die Thronrede
ſagt, daß das Band, welches beide Staaten ver-
binde, unverſehrt erhalten werden müſſe und
daß „auch in wirtſchaftlicher Beziehung.
eine Lockerung vermieden werden müſſe, die
ſich etwa in Zukunft für die pragmatiſche Gemein-
ſamkeit
als bedenklich erweiſen könnte.“ Da-
mit iſt die Haltung der Regierung zur ungariſchen
Frage, gegenwärtig der brennendſten, genau charak-
teriſiert und alle jene deutſchfreiheitlichen Abgeordneten,
welche als Kandidaten für die wirtſchaftliche Trennung
von Ungarn eintraten, befinden ſich nun mit Rück-
ſicht auf ihre deutſchen Parteiminiſter gewiß in der pein-
lichſten Lage. Da Ungarn ſich die Gemeinſamkeit teuer
bezahlen laſſen wird, kündigt die Thronrede bereits die
Erſchließung neuer Steuerquellen an ...




[Spaltenumbruch]
Im Leid vereint.

3)



(Nachdruck verboten.)

„Dieſe Stunde der Nacht hat mir einen Ein-
blick in Dein Inneres geöffnet. Ich weiß jetzt,
warum das Geſchäft Dich ganz in Anſpruch nahm
und warum Du keine Zeit für mich übrig hatteſt.
Du haſt lange, bittere Jahre hindurch gekämpft, um
Dein Haus vor dem Untergang und deine Familie
vor der Not zu retten und, der Gedanke, daß der
koſtſpielige Aufwand, den ich getrieben, das luxuriöſe
Wohlleben, das ich geführt, zu dem Unglück bei-
getragen, das über Dich gekommen iſt, dieſer Ge-
danke bringt mich zur Verzweiflung“.

„Wenn dieſer Gedanke Dich quält“, erwiderte
er, „ſo kannſt Du Dich beruhigen. Bei der Führung
eines Geſchäftes, wie es das meinige war, haben
Auslagen, wie die von Dir angeführten, wenig
oder nichts zu bedeuten“.

„Aber Du haſt mich ohne Mitgift geheiratet.
Das beweiſt doch —“

„Was beweiſt es“, unterbrach er ſie. Ich
durfte ja annehmen, daß Du auf die Mitgift ver-
zichteſt“.

„Nein, Ferdinand. Aus einem Briefe meines
Vaters geht hervor, daß Du auf die Mitgift ver-
zichteſt.“

„Ich war damals noch in beſſeren Verhält-
niſſen“, murmelte er vor ſich hin.

„Und ſo habe ich erſt jetzt erfahren müſſen,
daß Du ein armes Mädchen, das Dir nichts in die
[Spaltenumbruch] Ehe mitbrachte, aus —“ Das Wort wollte ihr
nicht über die Lippen. „Ja, ich weiß ſelbſt nicht,
aus welchem Grunde, geheiratet haſt“.

„Ach! Dachteſt Du früher, ich hätte Dich
einzig um Deiner Mitgift willen zur Frau ge-
nommen?“

„Nein. Aber ich glaubte, unſere Ehe ſei eine
derjenigen, wie ſie in dieſer Welt üblich ſind, in
der die Söhne reicher Häuſer die Töchter aus
reichen Häuſern heiraten, weil es, nun — weil es
einmal Sitte iſt, daß man in einem gewiſſen Alter
an die Ehe denkt“.

Er ſah vor ſich hin und um ſeinen Mund
ſpielte für einen Augenblick ein Lächeln der Bitter-
keit. Dann nahmen ſeine Züge wieder den Ausdruck
ruhigen Ernſtes an.

„Laſſen wir die Vergangenheit“, ſagte er dann.
„Wir ſind beide darauf angewieſen, nur an die
Zukunft zu denken. Unſere Lebenswege haben ſich
getrennt — wozu jetzt der Zeit gedenken, da ſie
ſich begegneten?“

„Aber dieſe Papiere ſind es ja, die mich an
die Zeit erinnern!“ rief ſie lebhaft aus. In welchem
Lichte erſcheint mir jetzt mein Vater — er, den ich
für den Beſten und Edelſten der Menſchen hielt!
Er verſprach Dir, was er nicht halten konnte, er
verſprach vielleicht im vollen Bewußtſein deſſen, —
o, es iſt entſetzlich! Und muß ich mich nicht ſelbſt
anklagen, daß ich dich ſo verkannt habe? Ferdinand,
kannſt Du mir verzeihen?“

Ihr Buſen wogte heftig und Tränen ſchim-
merten in ihren Augen. Sie hatte ſich erhoben und
[Spaltenumbruch] eine entgegenkommende Bewegung gemacht, aber er
verharrte in ſeiner unbeweglichen Ruhe und nahm
die Hand nicht an, die ſie ihm entgegenſtreckte.

„Laſſen wir das!“ ſagte er. „Erſparen wir
uns eine derartige Szene. Wir müſſen uns trennen,
das iſt klar; je leichter der Abſchied uns wird,
deſto beſſer“.

Sie aber war wieder auf den Stuhl am
Fenſter zurückgeſunken. „Und warum müſſen wir
uns trennen?“ fragte ſie.

Er war bisher ihren Blicken ausgewichen,
jetzt richtete er ſeine Augen feſter auf ſie und das
Lächeln der Bitterkeit erſchien wieder auf ſeinen
Lippen. „Du fragſt noch?“ ſagte er. „Nach allem,
was zwiſchen uns vorgefallen iſt, nach dem Ge-
ſtändnis, das Du mir vor einigen Minuten gemacht
haſt —“

„Ich log“, hauchte ſie leiſe mit geſenktem
Blicke vor ſich hin.

„Wie? Du logſt?“

„Ja, es war nicht die Wahrheit, die Du von
mir hörteſt. Ich liebe dieſen Mann nicht“.

„Du liebſt ihn nicht? Und was konnte Dich
bewegen, mir dieſe Unwahrheit zu ſagen?“

„Ich weiß es ſelbſt nicht, was mich dazu
trieb. Es mag kindiſcher Trotz geweſen ſein. Ich
glaubte Du wäreſt gekommen, mir eine Szene
zu machen und — ich haßte Dich in dieſem Augen-
blicke. Ich wollte Dir zeigen, daß ich keine Furcht
vor Dir hatte“.

„Und warum ſollte ich Dir jetzt mehr Glauben
ſchenken, als vor einer Stunde, da ich jenes Ge-
ſtändnis vor Dir hörte?“     Fortſ. folgt.


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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.) Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h. Schluß für Einſchaltungen: Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags. Die Einzelnummer koſtet 10 Heller. Nr. 74 Donnerstag, 20. Juni 1907 46. Jahrgang. Die Thronrede. Marburg, 20. Juni. Geſtern vormittags wurde in der Hofburg zu Wien vor den erſchienenen Mitgliedern beider Häuſer des Reichsrates die Thronrede verleſen, mit welcher das neue Parlament eröffnet wird. Nicht alle, die gerufen waren, erſchienen hiezu; von deutſcher Seite blieben die Alldeutſchen ferne, von tſchechiſcher Seite die Tſchechiſchradikalen und die tſchechiſchen Sozialdemokraten, während die deutſchen Sozialdemokraten — gekommen waren. Es ſtellte die Thronrede ein dickes Buch dar; länger als je zuvor waren ihre Ausführungen, die nun als Regierungsprogramm zu gelten haben und eine Fülle von Vorſätzen in ſich ſchließen, die ſofort auf die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung ſchließen läßt und augenſcheinlich vor allem auf den „guten Eindruck“ berechnet iſt. Deutlich aber ſieht man, wie die Regierung des Herrn v. Beck ihr Haupt- angenmerk darauf legte, dieſen „guten Eindruck“ vor allem bei den Nichtdeutſchen und bei den Klerikalen aller Völkerſchaften zu erwecken, die denn auch mit ihrem Beifalle nicht kargten, als verſchiedene Stellen der Thronrede ihr ganz beſonderes Entzücken er- regten; auch der Sozialdemokraten gedachte man, weil dieſe eine ſehr ſtarke Gruppe bilden und auch ſie ſpendeten dem neueſten ſchwarzgelben Programme einen Beifall, der gar nicht mehr an die revolu- tionäre Grundgewalt vergangener Tage erinnerte. Und nur die deutſchen Fähnleins warteten ſtill und ruhig auf eine Wendung, auf ein Stichwort, das auch ihnen eine beſondere Gelegenheit zum Beifall geben würde. Und da ſie offenbar nichts fanden, warteten ſie bis zum Schluſſe, bis die Thronrede vom Kaiſer ſelber ſprach, von ſeiner Abſicht, das Erbe der Geſchichte wie bisher zu verwalten, — da erſt fanden die deutſchen Fähnlein die Sprache wieder und nun wetteiferten ſie mit allen anderen in den Ausdrücken der Freude und des Beifalles. Und nun betrachten wir uns den Standpunkt der Regierung, der in der Thronrede zum Ausdruck kommt, etwas näher. Von der Wahlreform er- wartet die Thronrede eine „Zuſammenfaſſung und Steigerung der politiſchen Kräfte des — Staates; zugleich aber erwartet ſie auch vom — Herren- hauſe, daß es „wie bisher, ſo auch in Zukunft eine Stätte gereifter Einſicht bleiben wird.“ Unſchwer wird man da einen Widerſpruch herausklingen hören, der jedem politiſch Verſtändigen zum Greifen nahe liegt. Und unmittelbar daran ſchließt ſich die Ankündigung der Regierung, ſie werde mit Anträgen auf Abänderung der Geſchäftsordnung vor das Haus treten. Wer da weiß, daß die deutſche Notwehr gegen Badeni im Parlamente zum guten Teile auch mit Hilfe der Geſchäftsordnung geführt wurde, mag ſich ſeinen Teil über jene Gründe denken, welche die Regierung im Einverſtändniſſe mit der ſlawiſchen Mehrheit dazu bewegen, die Geſchäftsordnung abzuändern. Und weiters heißt es, es ſoll die „Umgeſtaltung der Nationalkräfte in Staatskräfte als Ziel im Auge behalten“ werden. Das gilt natürlich nur dem deutſchen Michl, der ſich der geringſten nationalen Lebensäußerung enthalten ſoll; von den meiſten ſeiner „auchnationalen“ Vertreter weiß man es ja ohnehin, daß ſie ſich immer und allzugerne als „Staatskräfte“ gebrauchen laſſen, während die Nationalkräfte der Slawen dieweil ihre nationalen Kraft verſtärken. Gelingt es aber der Regierung, die letzte deutſche Nationalkraft in eine „Staatskraft“ umzuwandeln, dann freilich wäre auch jener nationale Parlamentsfriede erreicht, den die Regierung in der Thronrede wünſcht; er wäre aber ein Friede, von dem Marquis Poſa im „Don Carlos“ ſpricht ... Auch über die Volksſchule enthält die Thronrede einen Paſſus; ihr Ziel ſoll die „ſittlich-religiöſe“ bleiben. Die Klerikalen, welche dieſe Kundgebung mit lebhaften Beifalle be- grüßten, werden bereits genau wiſſen, wie die Regierung ſich dieſes „Ziel“ der Volksſchule vorſtellt. Von ganz beſonderem Intereſſe iſt auch jene Stelle der Thronrede, welche von unſerem Ver- hältniſſe zu Ungarn ſpricht. Die Thronrede ſagt, daß das Band, welches beide Staaten ver- binde, unverſehrt erhalten werden müſſe und daß „auch in wirtſchaftlicher Beziehung. eine Lockerung vermieden werden müſſe, die ſich etwa in Zukunft für die pragmatiſche Gemein- ſamkeit als bedenklich erweiſen könnte.“ Da- mit iſt die Haltung der Regierung zur ungariſchen Frage, gegenwärtig der brennendſten, genau charak- teriſiert und alle jene deutſchfreiheitlichen Abgeordneten, welche als Kandidaten für die wirtſchaftliche Trennung von Ungarn eintraten, befinden ſich nun mit Rück- ſicht auf ihre deutſchen Parteiminiſter gewiß in der pein- lichſten Lage. Da Ungarn ſich die Gemeinſamkeit teuer bezahlen laſſen wird, kündigt die Thronrede bereits die Erſchließung neuer Steuerquellen an ... N. J. Im Leid vereint. Erzählung von Willibald v. Reuß. 3) (Nachdruck verboten.) „Dieſe Stunde der Nacht hat mir einen Ein- blick in Dein Inneres geöffnet. Ich weiß jetzt, warum das Geſchäft Dich ganz in Anſpruch nahm und warum Du keine Zeit für mich übrig hatteſt. Du haſt lange, bittere Jahre hindurch gekämpft, um Dein Haus vor dem Untergang und deine Familie vor der Not zu retten und, der Gedanke, daß der koſtſpielige Aufwand, den ich getrieben, das luxuriöſe Wohlleben, das ich geführt, zu dem Unglück bei- getragen, das über Dich gekommen iſt, dieſer Ge- danke bringt mich zur Verzweiflung“. „Wenn dieſer Gedanke Dich quält“, erwiderte er, „ſo kannſt Du Dich beruhigen. Bei der Führung eines Geſchäftes, wie es das meinige war, haben Auslagen, wie die von Dir angeführten, wenig oder nichts zu bedeuten“. „Aber Du haſt mich ohne Mitgift geheiratet. Das beweiſt doch —“ „Was beweiſt es“, unterbrach er ſie. Ich durfte ja annehmen, daß Du auf die Mitgift ver- zichteſt“. „Nein, Ferdinand. Aus einem Briefe meines Vaters geht hervor, daß Du auf die Mitgift ver- zichteſt.“ „Ich war damals noch in beſſeren Verhält- niſſen“, murmelte er vor ſich hin. „Und ſo habe ich erſt jetzt erfahren müſſen, daß Du ein armes Mädchen, das Dir nichts in die Ehe mitbrachte, aus —“ Das Wort wollte ihr nicht über die Lippen. „Ja, ich weiß ſelbſt nicht, aus welchem Grunde, geheiratet haſt“. „Ach! Dachteſt Du früher, ich hätte Dich einzig um Deiner Mitgift willen zur Frau ge- nommen?“ „Nein. Aber ich glaubte, unſere Ehe ſei eine derjenigen, wie ſie in dieſer Welt üblich ſind, in der die Söhne reicher Häuſer die Töchter aus reichen Häuſern heiraten, weil es, nun — weil es einmal Sitte iſt, daß man in einem gewiſſen Alter an die Ehe denkt“. Er ſah vor ſich hin und um ſeinen Mund ſpielte für einen Augenblick ein Lächeln der Bitter- keit. Dann nahmen ſeine Züge wieder den Ausdruck ruhigen Ernſtes an. „Laſſen wir die Vergangenheit“, ſagte er dann. „Wir ſind beide darauf angewieſen, nur an die Zukunft zu denken. Unſere Lebenswege haben ſich getrennt — wozu jetzt der Zeit gedenken, da ſie ſich begegneten?“ „Aber dieſe Papiere ſind es ja, die mich an die Zeit erinnern!“ rief ſie lebhaft aus. In welchem Lichte erſcheint mir jetzt mein Vater — er, den ich für den Beſten und Edelſten der Menſchen hielt! Er verſprach Dir, was er nicht halten konnte, er verſprach vielleicht im vollen Bewußtſein deſſen, — o, es iſt entſetzlich! Und muß ich mich nicht ſelbſt anklagen, daß ich dich ſo verkannt habe? Ferdinand, kannſt Du mir verzeihen?“ Ihr Buſen wogte heftig und Tränen ſchim- merten in ihren Augen. Sie hatte ſich erhoben und eine entgegenkommende Bewegung gemacht, aber er verharrte in ſeiner unbeweglichen Ruhe und nahm die Hand nicht an, die ſie ihm entgegenſtreckte. „Laſſen wir das!“ ſagte er. „Erſparen wir uns eine derartige Szene. Wir müſſen uns trennen, das iſt klar; je leichter der Abſchied uns wird, deſto beſſer“. Sie aber war wieder auf den Stuhl am Fenſter zurückgeſunken. „Und warum müſſen wir uns trennen?“ fragte ſie. Er war bisher ihren Blicken ausgewichen, jetzt richtete er ſeine Augen feſter auf ſie und das Lächeln der Bitterkeit erſchien wieder auf ſeinen Lippen. „Du fragſt noch?“ ſagte er. „Nach allem, was zwiſchen uns vorgefallen iſt, nach dem Ge- ſtändnis, das Du mir vor einigen Minuten gemacht haſt —“ „Ich log“, hauchte ſie leiſe mit geſenktem Blicke vor ſich hin. „Wie? Du logſt?“ „Ja, es war nicht die Wahrheit, die Du von mir hörteſt. Ich liebe dieſen Mann nicht“. „Du liebſt ihn nicht? Und was konnte Dich bewegen, mir dieſe Unwahrheit zu ſagen?“ „Ich weiß es ſelbſt nicht, was mich dazu trieb. Es mag kindiſcher Trotz geweſen ſein. Ich glaubte Du wäreſt gekommen, mir eine Szene zu machen und — ich haßte Dich in dieſem Augen- blicke. Ich wollte Dir zeigen, daß ich keine Furcht vor Dir hatte“. „Und warum ſollte ich Dir jetzt mehr Glauben ſchenken, als vor einer Stunde, da ich jenes Ge- ſtändnis vor Dir hörte?“ Fortſ. folgt.

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 74, Marburg, 20.06.1907, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger74_1907/1>, abgerufen am 21.11.2024.