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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856.

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[Beginn Spaltensatz] besondere Consequenzen nach sich ziehe, die mich in
keiner Weise vor einer künftigen Beleidigung sicher ge-
stellt hätten; ich nicht, weil meine Stellung ihm zu
viele Vortheile über mich bot, als daß ich ihm hätte
willfahren können. Bei einem andern Mann wäre ich
weniger zurückhaltend gewesen, es hätte sich schon nicht
mit der Aufrichtigkeit meiner Gefühle vertragen; aber
selbst der Genius Byrons vermochte es nicht über mich,
ihm in dieser Beziehung entgegen zu kommen. Er war
eines Tags in Genua so ärgerlich, mich nicht aus mei-
ner Förmlichkeit heraus necken zu können, daß er einen
Brief an mich mit "theurer Lord Hunt" anfing. Dieser
Einfall machte mich herzlich lachen, was ich ihm sagte;
und der unzweideutige Geschmack, den ich an seinem
Scherz fand, besänftigte ihn so, daß ich nichts mehr
über diese Sache zu hören bekam."

Diese Stelle wurde hier in ihrer ganzen Aus-
ührlichkeit gegeben, weil sie von besonderem Gewicht
seyn dürfte für die sich uns da und dort aufdringende
Frage, ob Hunt nicht zuviel, ob er nicht falsch gesehen
habe, ob er nicht Thatsachen, die sich widersprechen,
zu einem vorausgesetzten Resultat combinire, so daß
also seine Beweisführung auf einer petitio principii be-
ruhte und sich im Cirkel drehte. Er und Shelley waren
von der Ueberzeugung eingenommen, daß bei Byron
Alles vom "Krebs der Aristokratie" angefressen sey;
Hunt stand überdieß in Beziehung auf diesen Punkt
unter dem unmittelbaren Einfluß seines nachtheiligen
Verhältnisses. Drückt sich, müssen wir fragen, nicht
hier besonders die Entrüstung eines Mannes aus, der
sich schlecht behandelt glaubt? war nicht der Lord in
seinen Bemühungen, ein vertrauliches Verhältniß zu
seinem bürgerlichen Mitarbeiter herbeizuführen, aufrich-
tig und dagegen der Plebejer eifersüchtig und argwöh-
nisch in allem, wovon er irgend eine Beeinträchtigung
seiner Unabhängigkeit und vermeintlichen Gleichberech-
tigung fürchten zu müssen glaubte? Allerdings mag
sein Bericht in etwas von diesem Argwohn seine Fär-
bung erhalten haben, ohne allen Zweifel aber hat er
Recht in dem, was er im Allgemeinen von Byrons
Denkungsweise in dieser Beziehung sagt, daß er stolz
war auf seinen Rang, zu Zeiten so eifersüchtig auf
seinen Titel, als ob er sich denselben angemaßt hätte.
"Daneben aber war er ein Mann der Literatur und ver-
langte als solcher auf's lebhafteste nach dem Beifall der
Männer vom Fach. Er wollte die Vorrechte seines
Rangs genießen und zu gleicher Zeit über die Vorur-
theile desselben erhaben scheinen. Jn diesem, wie in
manchem andern Stück, war niemand mehr geeignet,
ihm zu behagen, als Thomas Moore, der mit dem glän-
zendsten Talent für die Gesellschaft den Ruf der Un-
[Spaltenumbruch] abhängigkeit und freisinniger Ansichten verband und bei-
des, Rang und Talent, um ihrer selbst willen zu be-
wundern wußte." -- "Bewunderung unter allen Um-
ständen war Byrons eigentliches Motto. Hielt er euch
für Bewunderer von Titeln, so war er erfreut darüber,
daß ihr diese Huldigung den übrigen noch hinzufügtet,
ohne es genauer zu untersuchen; wo nicht, so war er
ängstlich bemüht, daß man die Wichtigkeit, die er dieser
Sache beilegte, nicht merken solle."

Als einzelne Belege für seine Behauptung führt
Hunt mehrere ergötzliche Züge an; z. B. ein Apotheker
in Jtalien habe ihm einmal ein Packet Medikamente
geschickt mit der Adresse: Mons. Byron; dieser komische
Mißgriff habe seinen Unwillen in so hohem Grad er-
regt, daß er das Packet zurückschickte und dem Apo-
theker sagen ließ, er solle mehr Lebensart lernen. --
Seine Vorliebe für die Amerikaner beruhte nach Hunts
Meinung zum großen Theil auf einer Voraussetzung
in dieser Richtung. Er schloß, daß, weil sie keine Titel
haben, ihr Gefühl für dieselben um so lebhafter seyn
werde. Jm übrigen waren sie gar kein Volk nach sei-
nem Geschmack; er hielt sie für schlau in Geldsachen,
aber für gemein und für "eigensinnige Hunde," mit
denen sonst nichts anzufangen sey. All ihr Patriotis-
mus war in seinen Augen nichts als störriger Ei-
gensinn."

Hier ist der Ort, einen weiteren Gegenstand zur
Sprache zu bringen, der mit Vornehmheit und Adel-
stolz genau zusammenhängt, die Frage nämlich nach
Byrons politischen Ansichten, ob er wirklich ein " Libe-
raler," ein aufrichtiger Freund der Freiheit gewesen.
Daß Hunt dieselbe zu verneinen geneigt ist, geht schon
aus dem über den Erfolg ihres gemeinschaftlichen Jour-
nals, über die Ursache seines Mißlingens gesagten hervor.
Die allgemeine Meinung ist die entgegengesezte und sie
kann sich auf den Enthusiasmus nicht nur, den er in
seinen Gedichten ausspricht, sondern auf eine viel un-
zweideutigere Probe, auf seinen Tod berufen. Wenn
irgendwo, sollte man also denken, sey hier Byrons
Aufrichtigkeit und ernstliche Theilnahme über jeden
Zweifel erhaben. Hören wir nun, was Hunt für seine
Ansicht anzuführen hat.

Einer jener obligaten Bewunderer Byrons, der
Verfasser von life and times, fährt, nachdem er die
Stanzen des Childe Harold über Griechenland citirt
hat, weiter fort: "Es predigte dieser Apostel der
Freiheit
den Griechen achtzehn Stanzen hindurch, und
man sollte denken, daß sein Predigen nicht umsonst
war." -- "Unglücklicher Lord Byron!" bemerkt hiezu
Hunt; "er hätte sich gewiß für die Ehre, ein Apostel
zu seyn, bedankt, hätte er gewußt, daß er auch ein
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] besondere Consequenzen nach sich ziehe, die mich in
keiner Weise vor einer künftigen Beleidigung sicher ge-
stellt hätten; ich nicht, weil meine Stellung ihm zu
viele Vortheile über mich bot, als daß ich ihm hätte
willfahren können. Bei einem andern Mann wäre ich
weniger zurückhaltend gewesen, es hätte sich schon nicht
mit der Aufrichtigkeit meiner Gefühle vertragen; aber
selbst der Genius Byrons vermochte es nicht über mich,
ihm in dieser Beziehung entgegen zu kommen. Er war
eines Tags in Genua so ärgerlich, mich nicht aus mei-
ner Förmlichkeit heraus necken zu können, daß er einen
Brief an mich mit „theurer Lord Hunt“ anfing. Dieser
Einfall machte mich herzlich lachen, was ich ihm sagte;
und der unzweideutige Geschmack, den ich an seinem
Scherz fand, besänftigte ihn so, daß ich nichts mehr
über diese Sache zu hören bekam.“

Diese Stelle wurde hier in ihrer ganzen Aus-
ührlichkeit gegeben, weil sie von besonderem Gewicht
seyn dürfte für die sich uns da und dort aufdringende
Frage, ob Hunt nicht zuviel, ob er nicht falsch gesehen
habe, ob er nicht Thatsachen, die sich widersprechen,
zu einem vorausgesetzten Resultat combinire, so daß
also seine Beweisführung auf einer petitio principii be-
ruhte und sich im Cirkel drehte. Er und Shelley waren
von der Ueberzeugung eingenommen, daß bei Byron
Alles vom „Krebs der Aristokratie“ angefressen sey;
Hunt stand überdieß in Beziehung auf diesen Punkt
unter dem unmittelbaren Einfluß seines nachtheiligen
Verhältnisses. Drückt sich, müssen wir fragen, nicht
hier besonders die Entrüstung eines Mannes aus, der
sich schlecht behandelt glaubt? war nicht der Lord in
seinen Bemühungen, ein vertrauliches Verhältniß zu
seinem bürgerlichen Mitarbeiter herbeizuführen, aufrich-
tig und dagegen der Plebejer eifersüchtig und argwöh-
nisch in allem, wovon er irgend eine Beeinträchtigung
seiner Unabhängigkeit und vermeintlichen Gleichberech-
tigung fürchten zu müssen glaubte? Allerdings mag
sein Bericht in etwas von diesem Argwohn seine Fär-
bung erhalten haben, ohne allen Zweifel aber hat er
Recht in dem, was er im Allgemeinen von Byrons
Denkungsweise in dieser Beziehung sagt, daß er stolz
war auf seinen Rang, zu Zeiten so eifersüchtig auf
seinen Titel, als ob er sich denselben angemaßt hätte.
„Daneben aber war er ein Mann der Literatur und ver-
langte als solcher auf's lebhafteste nach dem Beifall der
Männer vom Fach. Er wollte die Vorrechte seines
Rangs genießen und zu gleicher Zeit über die Vorur-
theile desselben erhaben scheinen. Jn diesem, wie in
manchem andern Stück, war niemand mehr geeignet,
ihm zu behagen, als Thomas Moore, der mit dem glän-
zendsten Talent für die Gesellschaft den Ruf der Un-
[Spaltenumbruch] abhängigkeit und freisinniger Ansichten verband und bei-
des, Rang und Talent, um ihrer selbst willen zu be-
wundern wußte.“ — „Bewunderung unter allen Um-
ständen war Byrons eigentliches Motto. Hielt er euch
für Bewunderer von Titeln, so war er erfreut darüber,
daß ihr diese Huldigung den übrigen noch hinzufügtet,
ohne es genauer zu untersuchen; wo nicht, so war er
ängstlich bemüht, daß man die Wichtigkeit, die er dieser
Sache beilegte, nicht merken solle.“

Als einzelne Belege für seine Behauptung führt
Hunt mehrere ergötzliche Züge an; z. B. ein Apotheker
in Jtalien habe ihm einmal ein Packet Medikamente
geschickt mit der Adresse: Mons. Byron; dieser komische
Mißgriff habe seinen Unwillen in so hohem Grad er-
regt, daß er das Packet zurückschickte und dem Apo-
theker sagen ließ, er solle mehr Lebensart lernen. —
Seine Vorliebe für die Amerikaner beruhte nach Hunts
Meinung zum großen Theil auf einer Voraussetzung
in dieser Richtung. Er schloß, daß, weil sie keine Titel
haben, ihr Gefühl für dieselben um so lebhafter seyn
werde. Jm übrigen waren sie gar kein Volk nach sei-
nem Geschmack; er hielt sie für schlau in Geldsachen,
aber für gemein und für „eigensinnige Hunde,“ mit
denen sonst nichts anzufangen sey. All ihr Patriotis-
mus war in seinen Augen nichts als störriger Ei-
gensinn.“

Hier ist der Ort, einen weiteren Gegenstand zur
Sprache zu bringen, der mit Vornehmheit und Adel-
stolz genau zusammenhängt, die Frage nämlich nach
Byrons politischen Ansichten, ob er wirklich ein „ Libe-
raler,“ ein aufrichtiger Freund der Freiheit gewesen.
Daß Hunt dieselbe zu verneinen geneigt ist, geht schon
aus dem über den Erfolg ihres gemeinschaftlichen Jour-
nals, über die Ursache seines Mißlingens gesagten hervor.
Die allgemeine Meinung ist die entgegengesezte und sie
kann sich auf den Enthusiasmus nicht nur, den er in
seinen Gedichten ausspricht, sondern auf eine viel un-
zweideutigere Probe, auf seinen Tod berufen. Wenn
irgendwo, sollte man also denken, sey hier Byrons
Aufrichtigkeit und ernstliche Theilnahme über jeden
Zweifel erhaben. Hören wir nun, was Hunt für seine
Ansicht anzuführen hat.

Einer jener obligaten Bewunderer Byrons, der
Verfasser von life and times, fährt, nachdem er die
Stanzen des Childe Harold über Griechenland citirt
hat, weiter fort: „Es predigte dieser Apostel der
Freiheit
den Griechen achtzehn Stanzen hindurch, und
man sollte denken, daß sein Predigen nicht umsonst
war.“ — „Unglücklicher Lord Byron!“ bemerkt hiezu
Hunt; „er hätte sich gewiß für die Ehre, ein Apostel
zu seyn, bedankt, hätte er gewußt, daß er auch ein
[Ende Spaltensatz]

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Byron; dieser komische Mißgriff habe seinen Unwillen in so hohem Grad er- regt, daß er das Packet zurückschickte und dem Apo- theker sagen ließ, er solle mehr Lebensart lernen. — Seine Vorliebe für die Amerikaner beruhte nach Hunts Meinung zum großen Theil auf einer Voraussetzung in dieser Richtung. Er schloß, daß, weil sie keine Titel haben, ihr Gefühl für dieselben um so lebhafter seyn werde. Jm übrigen waren sie gar kein Volk nach sei- nem Geschmack; er hielt sie für schlau in Geldsachen, aber für gemein und für „eigensinnige Hunde,“ mit denen sonst nichts anzufangen sey. All ihr Patriotis- mus war in seinen Augen nichts als störriger Ei- gensinn.“ Hier ist der Ort, einen weiteren Gegenstand zur Sprache zu bringen, der mit Vornehmheit und Adel- stolz genau zusammenhängt, die Frage nämlich nach Byrons politischen Ansichten, ob er wirklich ein „ Libe- raler,“ ein aufrichtiger Freund der Freiheit gewesen. Daß Hunt dieselbe zu verneinen geneigt ist, geht schon aus dem über den Erfolg ihres gemeinschaftlichen Jour- nals, über die Ursache seines Mißlingens gesagten hervor. Die allgemeine Meinung ist die entgegengesezte und sie kann sich auf den Enthusiasmus nicht nur, den er in seinen Gedichten ausspricht, sondern auf eine viel un- zweideutigere Probe, auf seinen Tod berufen. Wenn irgendwo, sollte man also denken, sey hier Byrons Aufrichtigkeit und ernstliche Theilnahme über jeden Zweifel erhaben. Hören wir nun, was Hunt für seine Ansicht anzuführen hat. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt06_1856/14>, abgerufen am 21.11.2024.