Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.[Beginn Spaltensatz]
vorher, nur der Weg zugleich schlüpfrig und dunkel; Unser Mahl war mehr als frugal. Der hellröth- Der Westabhang des Berges von Casoli, den wir Jn diesem Jahre sah es traurig aus um das Lab- [Beginn Spaltensatz]
vorher, nur der Weg zugleich schlüpfrig und dunkel; Unser Mahl war mehr als frugal. Der hellröth- Der Westabhang des Berges von Casoli, den wir Jn diesem Jahre sah es traurig aus um das Lab- <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0011" n="731"/><fw type="pageNum" place="top">731</fw><cb type="start"/> vorher, nur der Weg zugleich schlüpfrig und dunkel;<lb/> denn von Straßen im eigentlichen Sinne ist hier keine<lb/> Rede. Enge Durchgänge zwischen den dicht aneinander<lb/> gedrängten Häusern, zuweilen von Weinlaub überdacht,<lb/> eine Pergola bildend, zuweilen, wie in dem Sabiner-<lb/> städtchen Olevano, durch den Felsen und die Häuser<lb/> wie wahre Tunnel ( aber ohne Gasbeleuchtung! ) ge-<lb/> brochen, vertreten ihre Stelle. Von Hitze und An-<lb/> strengung, von Hunger und Durst erschöpft, suchten<lb/> wir vergebens nach einer Osteria, ja lange Zeit nach<lb/> einer menschlichen Seele. Endlich trafen wir auf ein<lb/> paar alte Weiber, die uns mittheilten, daß eine Schenke<lb/> schon seit längerer Zeit nicht mehr bestehe, daß wir<lb/> aber in einem bezeichneten nahen Hause wohl Etwas<lb/> zu essen und zu trinken bekommen würden. Allein das<lb/> Haus war durch einen davor gelegten Balken verschlossen;<lb/> vergebens war Klopfen und Rufen, vergebens, nach-<lb/> dem wir mit Gewalt eingebrochen, unser Suchen<lb/> nach den Bewohnern. Nach einer abermaligen Con-<lb/> sultation mit unsern beiden Gönnerinnen versprach uns<lb/> die eine Wein, die andere Brod zu liefern, und wäh-<lb/> rend die letztere es zu holen ging, führte uns jene durch<lb/> allerhand seltsame Winkel zu ihrem Häuschen. Aber<lb/> in dem einzigen Zimmer desselben war nicht zu bleiben.<lb/> Dunst, Schmutz, Hitze und Ungeziefer trieben uns<lb/> rascher hinaus, als wir hineingekommen waren. So<lb/> wurden denn die drei gichtbrüchigen Stühle, mit schmie-<lb/> rigem Strohgeflecht überzogen, auf den kleinen Hof ge-<lb/> bracht, wo uns zwei zum Sitzen, der dritte zum Tische<lb/> dienen sollten. Es war eine seltsame Scene: Ruinen<lb/> umgaben fast von allen Seiten den düstern schmutzigen<lb/> Hof, mit üppigen Nesseln und Hollunder überwuchert,<lb/> zwischen denen sich die verwilderten Ranken des Wein-<lb/> stocks durch die leeren Fensterhöhlen drängten. Casoli,<lb/> so erzählte uns der inzwischen herbeigekommene Mann<lb/> unserer Wirthin, sey in alten Zeiten ein großer Ort<lb/> gewesen; aber vor zwei Jahrhunderten habe die Pest<lb/> ihn entvölkert, und seit jener Zeit stehe der größere<lb/> Theil seiner Häuser leer und falle in Trümmer.</p><lb/> <p>Unser Mahl war mehr als frugal. Der hellröth-<lb/> liche Wein, ein Produkt der kranken Trauben des letzten<lb/> Jahrgangs, gab an Säure dem Jenenser Landwein<lb/> nichts nach, und war dabei so schmutzig, daß wir ihn<lb/> erst durch unsere Taschentücher laufen lassen mußten,<lb/> um ihn genießbar zu machen. Selbst das Wasser muß-<lb/> ten wir erst durch eine ähnliche Operation von seinen<lb/> Bewohnern, die nichts weniger als nur Jnfusorien<lb/> waren, scheiden. Das Brod von Maismehl war grob<lb/> und hart wie Stein, der angepriesene Schafkäse durch-<lb/> aus ungenießbar. Dafür aber hatten wir ein großes<lb/> Publikum. Nach und nach hatte sich die Nachricht ver-<lb/><cb n="2"/> breitet, zwei Forestieri seyen angekommen, eine hier<lb/> vermuthlich unerhörte Thatsache, und ein großer Theil<lb/> der Dorfbewohner hatte den Hof und seine Zugänge<lb/> besetzt, um uns mit dem Ausdruck der unverkennbarsten<lb/> Neugier und Verwunderung anzustarren. Nach und<lb/> nach gelang es uns, sie durch Fragen und Austheilung<lb/> der Reste unseres Mahles gesprächig zu machen, namentlich<lb/> ein gar hübsches, blondes Bauernmädchen, mit blauen<lb/> Augen und von schlankem, hohem Wuchs, die von ih-<lb/> ren Freundinnnen nicht sehr zart mit ihrem Sposo, dem<lb/> Sohne unserer Wirthin, geneckt, bis über die Augen<lb/> erröthete und endlich, die Schürze vor das Gesicht ge-<lb/> drückt, schreiend entfloh. Der Sposo aber folgte ihr<lb/> und brachte sie zu allgemeinem Jubel halb mit Güte,<lb/> halb mit Gewalt als Gefangene zurück. Als wir end-<lb/> lich Abschied nahmen, gab uns die halbe Dorfschaft das<lb/> Geleit bis zum Ort hinaus, uns alles mögliche Gute<lb/> auf den Weg wünschend. Die schöne Barbara reichte<lb/> uns die Hand zum Abschied und fügte ihrem <hi rendition="#aq">buon<lb/> viaggio, Signori</hi>, noch die Bitte hinzu, sie doch ja nicht<lb/> für frech zu halten, weil wir sie in dem Hause ihres<lb/> Bräutigams gefunden hätten; seine Mutter sey ihre<lb/> Comare, ihre Pathin.</p><lb/> <p>Der Westabhang des Berges von Casoli, den wir<lb/> jetzt hinabstiegen, ist mit Weinpflanzungen bedeckt. Der<lb/> Wein ist hier im Gebirge, wo die Rauhheit des Klimas<lb/> den Oelbaum nicht mehr fortkommen läßt, und die<lb/> Configuration des Bodens den Getreidebau nicht ge-<lb/> stattet, neben Kastanien und eßbaren Schwämmen der<lb/> einzige Reichthum der Bewohner. Jn günstigen Jahren<lb/> verkaufen sie einen Theil an die Bewohner der Ebene;<lb/> denn der <hi rendition="#aq">vino di collina</hi> gilt überall für besser als<lb/> der <hi rendition="#aq">vino di pianura</hi>. Für sie selbst aber ist er nicht<lb/> nur eine Erquickung ( von Branntwein und Bier ist hier<lb/> keine Rede ) , sondern auch ein Nahrungsmittel. Es<lb/> ist unglaublich, wie viel „Körper“ gewöhnlich dieser<lb/> toscanische Landwein besitzt, und so wollen ihn die Ein-<lb/> geborenen; den abgeklärten oder nach französischer und<lb/> deutscher Art bereiteten mögen sie nicht leiden. Man<lb/> muß den Wein nicht nur trinken, sondern auch essen<lb/> können, sagen sie. Ein Zusatz von <hi rendition="#aq">vino cotto</hi> ( gekoch-<lb/> tem Wein ) aus Corsica vermehrt diese Eigenschaft: er<lb/> macht ihn süßer, dicker und schwärzer.</p><lb/> <p>Jn diesem Jahre sah es traurig aus um das Lab-<lb/> sal der Bewohner von Casoli. So weit unsere Blicke<lb/> reichten, ließen die Stöcke die wie mit Rostflecken be-<lb/> deckten Blätter hängen, während die Beeren selbst, mit<lb/> dem grauen Schimmel des verderblichen Oidiums über-<lb/> zogen, in halber Größe aufplatzten und vertrockneten.<lb/> Auf der ganzen weiteren Reise trafen wir überall auf<lb/> dieselbe Erscheinung. Wer weiß, welchen Einfluß die<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [731/0011]
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vorher, nur der Weg zugleich schlüpfrig und dunkel;
denn von Straßen im eigentlichen Sinne ist hier keine
Rede. Enge Durchgänge zwischen den dicht aneinander
gedrängten Häusern, zuweilen von Weinlaub überdacht,
eine Pergola bildend, zuweilen, wie in dem Sabiner-
städtchen Olevano, durch den Felsen und die Häuser
wie wahre Tunnel ( aber ohne Gasbeleuchtung! ) ge-
brochen, vertreten ihre Stelle. Von Hitze und An-
strengung, von Hunger und Durst erschöpft, suchten
wir vergebens nach einer Osteria, ja lange Zeit nach
einer menschlichen Seele. Endlich trafen wir auf ein
paar alte Weiber, die uns mittheilten, daß eine Schenke
schon seit längerer Zeit nicht mehr bestehe, daß wir
aber in einem bezeichneten nahen Hause wohl Etwas
zu essen und zu trinken bekommen würden. Allein das
Haus war durch einen davor gelegten Balken verschlossen;
vergebens war Klopfen und Rufen, vergebens, nach-
dem wir mit Gewalt eingebrochen, unser Suchen
nach den Bewohnern. Nach einer abermaligen Con-
sultation mit unsern beiden Gönnerinnen versprach uns
die eine Wein, die andere Brod zu liefern, und wäh-
rend die letztere es zu holen ging, führte uns jene durch
allerhand seltsame Winkel zu ihrem Häuschen. Aber
in dem einzigen Zimmer desselben war nicht zu bleiben.
Dunst, Schmutz, Hitze und Ungeziefer trieben uns
rascher hinaus, als wir hineingekommen waren. So
wurden denn die drei gichtbrüchigen Stühle, mit schmie-
rigem Strohgeflecht überzogen, auf den kleinen Hof ge-
bracht, wo uns zwei zum Sitzen, der dritte zum Tische
dienen sollten. Es war eine seltsame Scene: Ruinen
umgaben fast von allen Seiten den düstern schmutzigen
Hof, mit üppigen Nesseln und Hollunder überwuchert,
zwischen denen sich die verwilderten Ranken des Wein-
stocks durch die leeren Fensterhöhlen drängten. Casoli,
so erzählte uns der inzwischen herbeigekommene Mann
unserer Wirthin, sey in alten Zeiten ein großer Ort
gewesen; aber vor zwei Jahrhunderten habe die Pest
ihn entvölkert, und seit jener Zeit stehe der größere
Theil seiner Häuser leer und falle in Trümmer.
Unser Mahl war mehr als frugal. Der hellröth-
liche Wein, ein Produkt der kranken Trauben des letzten
Jahrgangs, gab an Säure dem Jenenser Landwein
nichts nach, und war dabei so schmutzig, daß wir ihn
erst durch unsere Taschentücher laufen lassen mußten,
um ihn genießbar zu machen. Selbst das Wasser muß-
ten wir erst durch eine ähnliche Operation von seinen
Bewohnern, die nichts weniger als nur Jnfusorien
waren, scheiden. Das Brod von Maismehl war grob
und hart wie Stein, der angepriesene Schafkäse durch-
aus ungenießbar. Dafür aber hatten wir ein großes
Publikum. Nach und nach hatte sich die Nachricht ver-
breitet, zwei Forestieri seyen angekommen, eine hier
vermuthlich unerhörte Thatsache, und ein großer Theil
der Dorfbewohner hatte den Hof und seine Zugänge
besetzt, um uns mit dem Ausdruck der unverkennbarsten
Neugier und Verwunderung anzustarren. Nach und
nach gelang es uns, sie durch Fragen und Austheilung
der Reste unseres Mahles gesprächig zu machen, namentlich
ein gar hübsches, blondes Bauernmädchen, mit blauen
Augen und von schlankem, hohem Wuchs, die von ih-
ren Freundinnnen nicht sehr zart mit ihrem Sposo, dem
Sohne unserer Wirthin, geneckt, bis über die Augen
erröthete und endlich, die Schürze vor das Gesicht ge-
drückt, schreiend entfloh. Der Sposo aber folgte ihr
und brachte sie zu allgemeinem Jubel halb mit Güte,
halb mit Gewalt als Gefangene zurück. Als wir end-
lich Abschied nahmen, gab uns die halbe Dorfschaft das
Geleit bis zum Ort hinaus, uns alles mögliche Gute
auf den Weg wünschend. Die schöne Barbara reichte
uns die Hand zum Abschied und fügte ihrem buon
viaggio, Signori, noch die Bitte hinzu, sie doch ja nicht
für frech zu halten, weil wir sie in dem Hause ihres
Bräutigams gefunden hätten; seine Mutter sey ihre
Comare, ihre Pathin.
Der Westabhang des Berges von Casoli, den wir
jetzt hinabstiegen, ist mit Weinpflanzungen bedeckt. Der
Wein ist hier im Gebirge, wo die Rauhheit des Klimas
den Oelbaum nicht mehr fortkommen läßt, und die
Configuration des Bodens den Getreidebau nicht ge-
stattet, neben Kastanien und eßbaren Schwämmen der
einzige Reichthum der Bewohner. Jn günstigen Jahren
verkaufen sie einen Theil an die Bewohner der Ebene;
denn der vino di collina gilt überall für besser als
der vino di pianura. Für sie selbst aber ist er nicht
nur eine Erquickung ( von Branntwein und Bier ist hier
keine Rede ) , sondern auch ein Nahrungsmittel. Es
ist unglaublich, wie viel „Körper“ gewöhnlich dieser
toscanische Landwein besitzt, und so wollen ihn die Ein-
geborenen; den abgeklärten oder nach französischer und
deutscher Art bereiteten mögen sie nicht leiden. Man
muß den Wein nicht nur trinken, sondern auch essen
können, sagen sie. Ein Zusatz von vino cotto ( gekoch-
tem Wein ) aus Corsica vermehrt diese Eigenschaft: er
macht ihn süßer, dicker und schwärzer.
Jn diesem Jahre sah es traurig aus um das Lab-
sal der Bewohner von Casoli. So weit unsere Blicke
reichten, ließen die Stöcke die wie mit Rostflecken be-
deckten Blätter hängen, während die Beeren selbst, mit
dem grauen Schimmel des verderblichen Oidiums über-
zogen, in halber Größe aufplatzten und vertrockneten.
Auf der ganzen weiteren Reise trafen wir überall auf
dieselbe Erscheinung. Wer weiß, welchen Einfluß die
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung
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