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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Unionsbewohner, das gebildetste Volk der Erde seyen. Eben
waren in Cincinnati zur Wahl des Unionspräsidenten und
Vicepräsidenten die Abgeordneten aus allen Unionstheilen
versammelt, während zu derselben Zeit auch die deutschen
Sängervereine, welche im vorigen Jahre Newyork zum
Sammelplatz erkoren hatten, dort zusammen kamen. Jch
copire wortgetreu, was ein deutsches Blatt in Baltimore
bei dieser Gelegenheit sagt. Es heißt: "Die Stadt ist
voller Staub, Delegaten und Whiskey, der Catawba-
Champagner findet unbeschreiblichen Zuspruch; die Stadt
ist von mehr als 20,000 Fremden angefüllt; Dampfboote
sind in Gasthäuser verwandelt worden; so berichtet der
Telegraph, und die Cincinnati=Blätter fügen hinzu, wie
beim Concil von Constanz, sey eine Masse eleganter Dir-
nen im Gefolge der Drahtzieher, * Aemterjäger, Zun-
gendrescher und Fußballspieler ** in Cincinnati eingezogen.
Vorgestern wurde die erste Sitzung mit einem Kanonen-
schuß eröffnet, und bald darauf entstand unter der Anfüh-
rung eines Exgouverneurs von Missouri eine heillose Prü-
gelei inmitten des Sitzungssaales. Kaum war dieselbe
vorbei, als ein gewisser Black von Pennsylvanien, um,
wie er sagte, die Gesundheit seines Staates in Bezug auf
die Emancipation der Frauen zu beweisen, den Antrag
stellte, den "Ladies" die erste Reihe der Sitze einzuräumen,
worauf Mr. Pettit von Jndiana erwiederte, er sey so
galant wie jedermann, und er werde sich freuen, mit die-
sen Damen an geeignetem Ort und zu geeigneten Zwecken
zusammen zu treffen, aber hier könne man sie nicht brau-
chen." -- Ein anderes Blatt drückt sich noch viel derber
aus, citirt den Spruch, "wo das Aaas ist sammeln sich
die Raben," und behauptet, es wimmle von Taschendie-
ben und Spielern. -- Sind das nicht grobe Carricaturen,
aus dem Gesichtspunkte sittlich=humaner Bildung?

Es gehört Resignation dazu, unter solchen Zuständen
zu leben, und wenn uns die Poesie verläßt, dürfen wir
uns nicht wundern. Dem angloamerikanischen Dichter
James Percival hat es auch nicht länger gefallen in dieser
Welt; er starb zu Hazel Green im Staate Wisconsin am
2. Mai d. J., 62 Jahre alt, als angestellter Staats-
geolog. Seit 1843 schon gab er keine Poesien mehr her-
aus, doch dichtete er noch bisweilen, und zwar besitzen wir
von ihm aus seiner letzten Lebenszeit insbesondere zwei
deutsche Gedichte: "Der deutsche Patriot," und einen
Gruß an deutsche Einwanderer: "Willkommen, Emigrant,
an uns'rer Küste." Percival gehörte zu den hier vereinzelt
dastehenden ächten Männern der Wissenschaft. Er kannte
die Dollarschnapperei gar nicht, obgleich ein geborener
Yankee. Jhm waren alle germanischen Dialekte bekannt
und das Deutsche las er sehr fertig, sprach es aber nicht.
[Spaltenumbruch] Kein anderer amerikanischer Dichter besaß so viel Ursprüng-
lichkeit und Energie der Einbildungskraft, und keiner war
reicher an Formen, und nur der Mangel an kunstgerechter
Sorgfalt macht, daß er nicht an der Spitze steht. So
schlicht wie er sich persönlich gab, war er auch als Dichter,
sein Gold, seine Perlen und Diamanten der Poesie mit
kindlicher Unbefangenheit anspruchslos wegwerfend, ohne
an sonderliche Politur, künstliche Fassung und Feilung
zu denken. Percival hätte 1795 in Deutschland anstatt
in Connecticut geboren werden sollen, er würde dann
sicher auch nicht unverheirathet gestorben seyn, während
es hier zu Lande auffallend gewesen wäre, wenn ein Mann,
der so gar nichts auf's Aeußere hielt, eine entsprechende
Lebensgefährtin gefunden hätte. Alle näheren Bekannten
des Dichters, deren Zahl nicht sehr groß ist, erklären ihn
nicht für eine seltene Erscheinung, sondern für einzig;
denn er besaß rein gar keine Yankee=Smartneß, sondern
war eine rein germanische Natur.

Einmal auf dem literarischen Gebiet, will ich nicht
unterlassen, auf eine neue Erscheinung hinzuweisen, die
für manche Leser von Jnteresse seyn dürfte. Es sind dieß
die eben erschienenen "Amerikanisch=deutschen Jahrbücher
für Freimaurer, herausgegeben von Br. E. Röhr." Ganz
abgesehen vom Jnhalt, der innerhalb einer gewissen Grenze
des Logenwesens gehalten ist, und daher auch nur in die-
sem Bereiche ansprechen kann, * gewinnt diese Erschei-
nung allgemeines Jnteresse durch die Möglichkeit ihres
Daseyns. Jch bin fest überzeugt, daß ein solches Unter-
nehmen unter den Deutschamerikanern noch vor etwa fünf
Jahren rein unmöglich gewesen wäre, und somit kann es
als Zeichen von Regsamkeit im Allgemeinen gelten, wie
denn auch wirklich, zumal in der Hauptsache, im Schul-
und Erziehungswesen, unter den Deutschamerikanern sich
mehr geistiges Leben bemerklich macht. Einem Herrn
Walchner ist es kürzlich endlich gelungen, die Schulvor-
stände des zehnten Wahldistrikts von Newyork zu bewegen,
die deutsche Sprache als Lehrgegenstand in den öffentlichen
Schulen einzuführen. Walchner gehört selbst der jüngeren
Emigration an und er hat sich seit einer Reihe von Jah-
ren dem mühseligen Unterrichtsfache mit Eifer gewidmet,
er hat sich dabei das Englische vollkommen angeeignet, und
dadurch Redefertigkeit genug erlangt, um der Yankeeträg-
heit gehörig die Spitze bieten zu können. Jhm ist ge-
lungen, woran seither alle Versuche scheiterten. Jm Yankee-
wesen liegt eine Neigung zum Schlendrian, gepaart mit
der Sucht alles zu beherrschen, was sich beherrschen läßt;
aber so wie sie auf energischen Widerstand stoßen, der mit
besonnener Beharrlichkeit auftritt, werden sie nachgiebig.
Wir Deutschen verfahren meist umgekehrt, scheinbar nach-
gebend uns beugend, entwickeln wir oft eine sehr zähe,
[Ende Spaltensatz]

* Wirepuller, der Mann, der im Marionettentheater die
Drähte regiert.
** Jnsgesammt Spitznamen der Personen, welche Politik
treiben.
* So viel ich hörte, wird eine Anzahl Exemplare nach
Deutschland, und zwar an Robert Friese in Leipzig gesendet
werden.

[Beginn Spaltensatz] Unionsbewohner, das gebildetste Volk der Erde seyen. Eben
waren in Cincinnati zur Wahl des Unionspräsidenten und
Vicepräsidenten die Abgeordneten aus allen Unionstheilen
versammelt, während zu derselben Zeit auch die deutschen
Sängervereine, welche im vorigen Jahre Newyork zum
Sammelplatz erkoren hatten, dort zusammen kamen. Jch
copire wortgetreu, was ein deutsches Blatt in Baltimore
bei dieser Gelegenheit sagt. Es heißt: „Die Stadt ist
voller Staub, Delegaten und Whiskey, der Catawba-
Champagner findet unbeschreiblichen Zuspruch; die Stadt
ist von mehr als 20,000 Fremden angefüllt; Dampfboote
sind in Gasthäuser verwandelt worden; so berichtet der
Telegraph, und die Cincinnati=Blätter fügen hinzu, wie
beim Concil von Constanz, sey eine Masse eleganter Dir-
nen im Gefolge der Drahtzieher, * Aemterjäger, Zun-
gendrescher und Fußballspieler ** in Cincinnati eingezogen.
Vorgestern wurde die erste Sitzung mit einem Kanonen-
schuß eröffnet, und bald darauf entstand unter der Anfüh-
rung eines Exgouverneurs von Missouri eine heillose Prü-
gelei inmitten des Sitzungssaales. Kaum war dieselbe
vorbei, als ein gewisser Black von Pennsylvanien, um,
wie er sagte, die Gesundheit seines Staates in Bezug auf
die Emancipation der Frauen zu beweisen, den Antrag
stellte, den „Ladies“ die erste Reihe der Sitze einzuräumen,
worauf Mr. Pettit von Jndiana erwiederte, er sey so
galant wie jedermann, und er werde sich freuen, mit die-
sen Damen an geeignetem Ort und zu geeigneten Zwecken
zusammen zu treffen, aber hier könne man sie nicht brau-
chen.“ — Ein anderes Blatt drückt sich noch viel derber
aus, citirt den Spruch, „wo das Aaas ist sammeln sich
die Raben,“ und behauptet, es wimmle von Taschendie-
ben und Spielern. — Sind das nicht grobe Carricaturen,
aus dem Gesichtspunkte sittlich=humaner Bildung?

Es gehört Resignation dazu, unter solchen Zuständen
zu leben, und wenn uns die Poesie verläßt, dürfen wir
uns nicht wundern. Dem angloamerikanischen Dichter
James Percival hat es auch nicht länger gefallen in dieser
Welt; er starb zu Hazel Green im Staate Wisconsin am
2. Mai d. J., 62 Jahre alt, als angestellter Staats-
geolog. Seit 1843 schon gab er keine Poesien mehr her-
aus, doch dichtete er noch bisweilen, und zwar besitzen wir
von ihm aus seiner letzten Lebenszeit insbesondere zwei
deutsche Gedichte: „Der deutsche Patriot,“ und einen
Gruß an deutsche Einwanderer: „Willkommen, Emigrant,
an uns'rer Küste.“ Percival gehörte zu den hier vereinzelt
dastehenden ächten Männern der Wissenschaft. Er kannte
die Dollarschnapperei gar nicht, obgleich ein geborener
Yankee. Jhm waren alle germanischen Dialekte bekannt
und das Deutsche las er sehr fertig, sprach es aber nicht.
[Spaltenumbruch] Kein anderer amerikanischer Dichter besaß so viel Ursprüng-
lichkeit und Energie der Einbildungskraft, und keiner war
reicher an Formen, und nur der Mangel an kunstgerechter
Sorgfalt macht, daß er nicht an der Spitze steht. So
schlicht wie er sich persönlich gab, war er auch als Dichter,
sein Gold, seine Perlen und Diamanten der Poesie mit
kindlicher Unbefangenheit anspruchslos wegwerfend, ohne
an sonderliche Politur, künstliche Fassung und Feilung
zu denken. Percival hätte 1795 in Deutschland anstatt
in Connecticut geboren werden sollen, er würde dann
sicher auch nicht unverheirathet gestorben seyn, während
es hier zu Lande auffallend gewesen wäre, wenn ein Mann,
der so gar nichts auf's Aeußere hielt, eine entsprechende
Lebensgefährtin gefunden hätte. Alle näheren Bekannten
des Dichters, deren Zahl nicht sehr groß ist, erklären ihn
nicht für eine seltene Erscheinung, sondern für einzig;
denn er besaß rein gar keine Yankee=Smartneß, sondern
war eine rein germanische Natur.

Einmal auf dem literarischen Gebiet, will ich nicht
unterlassen, auf eine neue Erscheinung hinzuweisen, die
für manche Leser von Jnteresse seyn dürfte. Es sind dieß
die eben erschienenen „Amerikanisch=deutschen Jahrbücher
für Freimaurer, herausgegeben von Br. E. Röhr.“ Ganz
abgesehen vom Jnhalt, der innerhalb einer gewissen Grenze
des Logenwesens gehalten ist, und daher auch nur in die-
sem Bereiche ansprechen kann, * gewinnt diese Erschei-
nung allgemeines Jnteresse durch die Möglichkeit ihres
Daseyns. Jch bin fest überzeugt, daß ein solches Unter-
nehmen unter den Deutschamerikanern noch vor etwa fünf
Jahren rein unmöglich gewesen wäre, und somit kann es
als Zeichen von Regsamkeit im Allgemeinen gelten, wie
denn auch wirklich, zumal in der Hauptsache, im Schul-
und Erziehungswesen, unter den Deutschamerikanern sich
mehr geistiges Leben bemerklich macht. Einem Herrn
Walchner ist es kürzlich endlich gelungen, die Schulvor-
stände des zehnten Wahldistrikts von Newyork zu bewegen,
die deutsche Sprache als Lehrgegenstand in den öffentlichen
Schulen einzuführen. Walchner gehört selbst der jüngeren
Emigration an und er hat sich seit einer Reihe von Jah-
ren dem mühseligen Unterrichtsfache mit Eifer gewidmet,
er hat sich dabei das Englische vollkommen angeeignet, und
dadurch Redefertigkeit genug erlangt, um der Yankeeträg-
heit gehörig die Spitze bieten zu können. Jhm ist ge-
lungen, woran seither alle Versuche scheiterten. Jm Yankee-
wesen liegt eine Neigung zum Schlendrian, gepaart mit
der Sucht alles zu beherrschen, was sich beherrschen läßt;
aber so wie sie auf energischen Widerstand stoßen, der mit
besonnener Beharrlichkeit auftritt, werden sie nachgiebig.
Wir Deutschen verfahren meist umgekehrt, scheinbar nach-
gebend uns beugend, entwickeln wir oft eine sehr zähe,
[Ende Spaltensatz]

* Wirepuller, der Mann, der im Marionettentheater die
Drähte regiert.
** Jnsgesammt Spitznamen der Personen, welche Politik
treiben.
* So viel ich hörte, wird eine Anzahl Exemplare nach
Deutschland, und zwar an Robert Friese in Leipzig gesendet
werden.
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[739/0019] 739 Unionsbewohner, das gebildetste Volk der Erde seyen. Eben waren in Cincinnati zur Wahl des Unionspräsidenten und Vicepräsidenten die Abgeordneten aus allen Unionstheilen versammelt, während zu derselben Zeit auch die deutschen Sängervereine, welche im vorigen Jahre Newyork zum Sammelplatz erkoren hatten, dort zusammen kamen. Jch copire wortgetreu, was ein deutsches Blatt in Baltimore bei dieser Gelegenheit sagt. Es heißt: „Die Stadt ist voller Staub, Delegaten und Whiskey, der Catawba- Champagner findet unbeschreiblichen Zuspruch; die Stadt ist von mehr als 20,000 Fremden angefüllt; Dampfboote sind in Gasthäuser verwandelt worden; so berichtet der Telegraph, und die Cincinnati=Blätter fügen hinzu, wie beim Concil von Constanz, sey eine Masse eleganter Dir- nen im Gefolge der Drahtzieher, * Aemterjäger, Zun- gendrescher und Fußballspieler ** in Cincinnati eingezogen. 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Kein anderer amerikanischer Dichter besaß so viel Ursprüng- lichkeit und Energie der Einbildungskraft, und keiner war reicher an Formen, und nur der Mangel an kunstgerechter Sorgfalt macht, daß er nicht an der Spitze steht. So schlicht wie er sich persönlich gab, war er auch als Dichter, sein Gold, seine Perlen und Diamanten der Poesie mit kindlicher Unbefangenheit anspruchslos wegwerfend, ohne an sonderliche Politur, künstliche Fassung und Feilung zu denken. Percival hätte 1795 in Deutschland anstatt in Connecticut geboren werden sollen, er würde dann sicher auch nicht unverheirathet gestorben seyn, während es hier zu Lande auffallend gewesen wäre, wenn ein Mann, der so gar nichts auf's Aeußere hielt, eine entsprechende Lebensgefährtin gefunden hätte. Alle näheren Bekannten des Dichters, deren Zahl nicht sehr groß ist, erklären ihn nicht für eine seltene Erscheinung, sondern für einzig; denn er besaß rein gar keine Yankee=Smartneß, sondern war eine rein germanische Natur. 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Einem Herrn Walchner ist es kürzlich endlich gelungen, die Schulvor- stände des zehnten Wahldistrikts von Newyork zu bewegen, die deutsche Sprache als Lehrgegenstand in den öffentlichen Schulen einzuführen. Walchner gehört selbst der jüngeren Emigration an und er hat sich seit einer Reihe von Jah- ren dem mühseligen Unterrichtsfache mit Eifer gewidmet, er hat sich dabei das Englische vollkommen angeeignet, und dadurch Redefertigkeit genug erlangt, um der Yankeeträg- heit gehörig die Spitze bieten zu können. Jhm ist ge- lungen, woran seither alle Versuche scheiterten. Jm Yankee- wesen liegt eine Neigung zum Schlendrian, gepaart mit der Sucht alles zu beherrschen, was sich beherrschen läßt; aber so wie sie auf energischen Widerstand stoßen, der mit besonnener Beharrlichkeit auftritt, werden sie nachgiebig. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856, S. 739. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt31_1856/19>, abgerufen am 21.11.2024.