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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Hügeln und gewaltig hoch aufschießenden Bäumen einge-
faßt. Doch liegen in seinem Schooße nur kleine Fi-
scherbarken vor Anker; größeren Schiffen ist er unnah-
bar, denn an seinem Eingange beginnt jener grauen-
volle Kranz von Klippen und Riffen, der sich um die
Pointe du Raz bis an den Eingang der Bay von
Douarnenez hinschlingt.

Jn Audierne beginnt das Ende der Welt, auf
seinem Marktplatze verscheidet die civilisirte Landstraße;
seine Häuser sind die letzten, die an die behagliche
Wohnlichkeit unseres gebildeten Welttheiles erinnern.
Nur wenige Schritte hinter Audierne und wir waren
in der Wüste, in einem pfadlosen Lande, wo so zu
sagen, Alles aufhört, in einem Erdwinkel, den sich die
Alten von cymerischer Nacht bedeckt gedacht hätten.
Ein kleiner Teich am Wege, düster und von Schilf
eingefaßt, paßte zu der ganzen Landschaft. Jn seiner
Mitte, an einen Pfahl gebunden, stand ein unglück-
seliges altes Pferd, welches Blutegelfischerei trieb und
Fischer, Lockspeise und Angel zugleich seyn mußte. Denn
es wird nur hingestellt, auf daß sich die Blutsauger an
seine Beine hängen. Ob dieses arme Pferd, das sein
Leben lang treulich gearbeitet hatte, nicht dasselbe Recht
gehabt hätte, wie das persische der Sage, die Glocke
der Klage zu ziehen?

Ueber den Sumpf hin flog der schöne bunte Vogel
Pecheur Martin, dessen Bekanntschaft ich schon in den
Sümpfen Languedocs gemacht hatte. Es ist das derselbe
Vogel, der unter dem Namen Camao das ganze Mittel-
alter hindurch in Spanien eine große Rolle gespielt. Jn
jedem Hause, besonders in adeligen Häusern, wurde ein
Camao mit Sorgfalt gehegt und gepflegt; denn er
war ein Ehrenwächter des Hauses. So lange er sich
wohl befand und im Käfig lustig hin und her sprang,
wußte der Ehemann, daß auf seiner Ehre kein Flecken
haftete; kränkelte er aber, oder starb er sogar, dann
wußte man, daß die Ehre des Hauses dahin war, und
mancher Eheherr wurde a la Don Gutiere der Arzt
seiner Ehre. Von einem solchen Ereigniß und dem
Namen dieses ehrebeschützenden Vogels soll der Fami-
liennamen Camoens hergeleitet seyn.

Durch die Wüstenei des Plateaus, zwischen rohen
Steinmauern, welche kümmerliches Erdreich zusammen-
halten, und Saat und Scholle gegen den Nordwind
schützen sollen, weiter wandernd, kamen wir nach Plo-
goff, das östlichste und letzte Dorf dieser Gegend, das
Dorf der Harone. Denn hier wohnen die Fischer,
welche schon zu Cäsars Zeiten, und der Sage nach
manchmal auch jetzt noch, des Nachts von abgeschie-
denen Seelen geweckt werden, und diese auf ihren Käh-
nen auf die Todteninseln bringen müssen. Ein Schiff,
[Spaltenumbruch] das in Stein gehauen sich über dem Portale der Kirche
befindet, deutet noch heute auf die psychopompeische
Beschäftigung der Männer von Plogoff. Ehemals wa-
ren sie dieser Beschäftigung halber steuerfrei; auch
brauchten sie ihre eigenen Kähne nicht zu verwenden,
denn am Ufer des Meeres angelangt, fanden sie daselbst
dunkle Schiffe, die offenbar von Passagieren schon über-
füllt waren; denn das Wasser stieg ihnen bis an den
Rand und man hörte überall ein lebhaftes Geflüster;
doch waren die Passagiere selbst unsichtbar. Der Fischer
setzte sich schweigend an's Ruder und machte in nicht
mehr als einer Stunde eine ungeheure Reise, von der er
selbst im schlechtesten Wetter glücklich zurückkehrte. Die
Leute von Plogoff und der ganzen Halbinsel glauben
noch heute mit Procopius, daß das Land der Seligen
oder das Elysium der Druiden im Westen ihrer Küste,
im Schooß des Oceans, liege. Es ist ihnen leicht,
ihre alten, von den Druiden ererbten Traditionen mit
ihrem christlichen Glauben zu versöhnen und zu vermi-
schen; denn nach jenem, wie nach diesem, hat die
Seele drei Kreise zu durchlaufen: den Kreis der
Schmerzen, den Kreis der Reinigung und den Kreis
der unendlichen Seligkeit. Die bretonischen Barden
fügen manche Einzelnheiten hinzu; so den See der
Todesangst, und den See der Gebeine, die Thäler des
Blutes und das ungeheure Meer, das in den unend-
lichen Abgrund mündet. Die christlichen Barden haben
den Bretonen herrliche Beschreibungen des Paradieses,
des Fegefeuers und der Hölle gegeben. Der Leser er-
laube uns, die etwas langen, aber nicht zu langen
Gesänge nach der Sammlung des Herrn Villemarqu e
hier mitzutheilen. *

Das Paradies.
Gott! wie wird groß und rein
Das Glück der Seelen seyn,
Wenn sie bei Jesu sind,
Der jede liebt als wie sein Kind.
Mir scheint die Weile klein
Und leicht jedwede Pein,
Bedenklich Tag und Nacht
Des Paradieses Lust und Pracht.
Wenn ich den Himmel blau,
Die wahre Heimath, schau'
Möcht ich dahin, dahin,
Wie eine weiße Taube zieh'n.
[Ende Spaltensatz]
* Aus der vom Verfasser und Ludwig Pfau veran-
stalteten Sammlung bretonischer Volkslieder.

[Beginn Spaltensatz] Hügeln und gewaltig hoch aufschießenden Bäumen einge-
faßt. Doch liegen in seinem Schooße nur kleine Fi-
scherbarken vor Anker; größeren Schiffen ist er unnah-
bar, denn an seinem Eingange beginnt jener grauen-
volle Kranz von Klippen und Riffen, der sich um die
Pointe du Raz bis an den Eingang der Bay von
Douarnenez hinschlingt.

Jn Audierne beginnt das Ende der Welt, auf
seinem Marktplatze verscheidet die civilisirte Landstraße;
seine Häuser sind die letzten, die an die behagliche
Wohnlichkeit unseres gebildeten Welttheiles erinnern.
Nur wenige Schritte hinter Audierne und wir waren
in der Wüste, in einem pfadlosen Lande, wo so zu
sagen, Alles aufhört, in einem Erdwinkel, den sich die
Alten von cymerischer Nacht bedeckt gedacht hätten.
Ein kleiner Teich am Wege, düster und von Schilf
eingefaßt, paßte zu der ganzen Landschaft. Jn seiner
Mitte, an einen Pfahl gebunden, stand ein unglück-
seliges altes Pferd, welches Blutegelfischerei trieb und
Fischer, Lockspeise und Angel zugleich seyn mußte. Denn
es wird nur hingestellt, auf daß sich die Blutsauger an
seine Beine hängen. Ob dieses arme Pferd, das sein
Leben lang treulich gearbeitet hatte, nicht dasselbe Recht
gehabt hätte, wie das persische der Sage, die Glocke
der Klage zu ziehen?

Ueber den Sumpf hin flog der schöne bunte Vogel
Pecheur Martin, dessen Bekanntschaft ich schon in den
Sümpfen Languedocs gemacht hatte. Es ist das derselbe
Vogel, der unter dem Namen Camao das ganze Mittel-
alter hindurch in Spanien eine große Rolle gespielt. Jn
jedem Hause, besonders in adeligen Häusern, wurde ein
Camao mit Sorgfalt gehegt und gepflegt; denn er
war ein Ehrenwächter des Hauses. So lange er sich
wohl befand und im Käfig lustig hin und her sprang,
wußte der Ehemann, daß auf seiner Ehre kein Flecken
haftete; kränkelte er aber, oder starb er sogar, dann
wußte man, daß die Ehre des Hauses dahin war, und
mancher Eheherr wurde à la Don Gutière der Arzt
seiner Ehre. Von einem solchen Ereigniß und dem
Namen dieses ehrebeschützenden Vogels soll der Fami-
liennamen Camoens hergeleitet seyn.

Durch die Wüstenei des Plateaus, zwischen rohen
Steinmauern, welche kümmerliches Erdreich zusammen-
halten, und Saat und Scholle gegen den Nordwind
schützen sollen, weiter wandernd, kamen wir nach Plo-
goff, das östlichste und letzte Dorf dieser Gegend, das
Dorf der Harone. Denn hier wohnen die Fischer,
welche schon zu Cäsars Zeiten, und der Sage nach
manchmal auch jetzt noch, des Nachts von abgeschie-
denen Seelen geweckt werden, und diese auf ihren Käh-
nen auf die Todteninseln bringen müssen. Ein Schiff,
[Spaltenumbruch] das in Stein gehauen sich über dem Portale der Kirche
befindet, deutet noch heute auf die psychopompeische
Beschäftigung der Männer von Plogoff. Ehemals wa-
ren sie dieser Beschäftigung halber steuerfrei; auch
brauchten sie ihre eigenen Kähne nicht zu verwenden,
denn am Ufer des Meeres angelangt, fanden sie daselbst
dunkle Schiffe, die offenbar von Passagieren schon über-
füllt waren; denn das Wasser stieg ihnen bis an den
Rand und man hörte überall ein lebhaftes Geflüster;
doch waren die Passagiere selbst unsichtbar. Der Fischer
setzte sich schweigend an's Ruder und machte in nicht
mehr als einer Stunde eine ungeheure Reise, von der er
selbst im schlechtesten Wetter glücklich zurückkehrte. Die
Leute von Plogoff und der ganzen Halbinsel glauben
noch heute mit Procopius, daß das Land der Seligen
oder das Elysium der Druiden im Westen ihrer Küste,
im Schooß des Oceans, liege. Es ist ihnen leicht,
ihre alten, von den Druiden ererbten Traditionen mit
ihrem christlichen Glauben zu versöhnen und zu vermi-
schen; denn nach jenem, wie nach diesem, hat die
Seele drei Kreise zu durchlaufen: den Kreis der
Schmerzen, den Kreis der Reinigung und den Kreis
der unendlichen Seligkeit. Die bretonischen Barden
fügen manche Einzelnheiten hinzu; so den See der
Todesangst, und den See der Gebeine, die Thäler des
Blutes und das ungeheure Meer, das in den unend-
lichen Abgrund mündet. Die christlichen Barden haben
den Bretonen herrliche Beschreibungen des Paradieses,
des Fegefeuers und der Hölle gegeben. Der Leser er-
laube uns, die etwas langen, aber nicht zu langen
Gesänge nach der Sammlung des Herrn Villemarqu é
hier mitzutheilen. *

Das Paradies.
Gott! wie wird groß und rein
Das Glück der Seelen seyn,
Wenn sie bei Jesu sind,
Der jede liebt als wie sein Kind.
Mir scheint die Weile klein
Und leicht jedwede Pein,
Bedenklich Tag und Nacht
Des Paradieses Lust und Pracht.
Wenn ich den Himmel blau,
Die wahre Heimath, schau'
Möcht ich dahin, dahin,
Wie eine weiße Taube zieh'n.
[Ende Spaltensatz]
* Aus der vom Verfasser und Ludwig Pfau veran-
stalteten Sammlung bretonischer Volkslieder.
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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 805. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/13>, abgerufen am 21.11.2024.