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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] führenden Veranda, unter deren breiter Ueberdachung
man bequem der Sommerhitze Trotz bieten mag. Die
mit Holz bunt belegten Wände, die spitzigen Giebel, die
bunte Färbung des Ganzen, alles sieht leicht, lustig und
kühl aus und mahnt an den Süden. Nichts erinnert an
die Winterkälte, nichts redet von Winterstürmen, von
Schnee und Eis einer nördlichen Landschaft: alles ist
luftig, duftig, graziös. Auch die zu dem Wohnhause
gehörigen Schuppen, Ställe, Wirthschaftslokale sind in
demselben Geschmacke erbaut; dazwischen sieht man die
schönsten Bosquets, seltene Bäume, Blumen, Treib-
häuser: hart am See ein Badehaus, daneben eine kleine
Bucht als Hafen eingerichtet, in dem einige Boote vor
Anker liegen. Jn einem luftigen Vogelhause spazieren
Calecuttische Hühner neben einem weißen Pfau, der sein
zartes, schneeiges Gefieder mit reizender Würde präsen-
tirt; in einem kleinen Gehege lustwandeln Rehe, ein
prachtvoller Newfoundländer ruht stolz vor seiner im Schwei-
zer Styl erbauten Hütte. Aber noch ist man nicht fertig.
Durch ein zweites Thor tritt man in die Besitzung eines
andern Gruber, der durch einen längern Aufenthalt in
Manchester, durch seine Verbindung mit dem Hause Schunk
und Souchay, dem Geschmack seiner Vorfahren ungetreu
geworden ist und sich ein Landhaus errichtet hat, das der
stolzeste Peer Englands mit Befriedigung sein Eigenthum
nennen würde. Diese Besitzung führt den Namen: "Der
Lindenhof." Die Villa ist ganz aus grauem Sandstein
erbaut, mit großen Spiegelfenstern versehen, und bietet
das Bild einer Wohnung, die von der äußern Welt ab-
schließen und den Bewohner in seinen Mauern gegen jede
Unbill der Witterung schützend bergen will. Die Aus-
sicht, die man von der Terrasse des Hauses genießt, ist
wundervoll. Man sieht bereits auf den See herab, so
hoch ist es gelegen und gewinnt dadurch an Fernsicht.
Links am Ufer liegt das freundliche Lindau, rechts hat
man Friedrichshafen und weithin Constanz, gegenüber die
Tiroler Berge mit ihren warmen Färbungen, und da-
hinter den Säntis mit seinen Vrüdern. Ein Weinberg
zieht sich bis an das Ufer des Sees hinab. Der schönste
Blumenflor schmückte die Terrasse. Die Gänge sind mit
Kies überfahren und alles ist so sorgfältig und sauber
gehalten, als ob hier kein Wachsthum, kein Auf= oder
Verblühen statt finde, als ob kein menschlicher Fuß hier
wandelte. Nur großer Reichthum konnte diese Besitzung
schaffen, und ein noch größerer wird erfordert, sie zu er-
halten. Jndessen bewohnt der Eigenthümer nur einen
ganz kleinen Theil des Jahres diesen Ort; das Genießen
des Besitzes genügt ihm nicht, er will mit dem, was ihm
zu Theil geworden, noch mehr erwerben. Darum zieht
es ihn nach Genua, wo er ein großes Speditionsgeschäft
mit englischen Waaren betreibt, und das Haus Gruber,
Schunk und Souchay in eigener Person vertritt.

Lindau genießt noch immer eines bedeutenden Wohl-
standes. Wohl war es, seit es eine Reichsstadt zu seyn
aufgehört, in seinen Mauern stiller geworden; es herrschte
[Spaltenumbruch] wenig Verkehr und wenige Fremde führte ihr Weg da-
hin, dennoch fand sich die Armuth immer noch nicht ein.
Die kleinen Häuser sind alle so sauber weiß getüncht,
grüne Jalousien schützen die Fenster, Blumen sind an
allen Ecken und Enden ausgestellt, ein kleiner Erker, ir-
gend ein Fleckchen zu einer Art Balkon eingerichtet, dient
zum Aufenthalt in der freien Luft. An diesen Vorrich-
tungen erkennt man den Süden. Hier wird das Haus
mit seinem Comfort zur Nebensache, Elend und Armuth,
ein Kind oder einen alten Mann, die bittend die Hand
ausstrecken, erblickt man nirgends. Lindau ist ein Eldo-
rado, sofern jeder hier noch seinen Platz findet, wo er
ruhen und sein Stück Brod in Frieden essen mag.

Ein Strom von Fremden besucht jetzt die Jnsel,
seit die Eisenbahn von Augsburg gerade dahin führt und
zum Weiterreisen nach der Schweiz den bequemsten Weg
bietet. -- Der bayerische Hof ist täglich mit Gästen ange-
füllt, aber auch täglich wieder eben so schnell verlassen.
Ein paar Stunden der schönen Aussicht gewidmet, und
man eilt weiter. Zu einem längeren Sommeraufenthalt
dürfte man allerdings auch nur dann diese Jnsel wählen,
wenn ein Brustleiden eine feuchte, warme Luft erfordert.
Ein Leberkranker möchte hier noch kränker werden und
ein Gesunder dürfte bald die erschlaffende Einwirkung
dieser wasserwarmen Luft fühlen. Ein Uebelstand bei
Sommerhitze ist auch der Mangel schattiger Promenaden.
Die Jnsel enthält nur die Stadt. Wer lustwandeln will,
muß das feste Land gewinnen und die ganze lange Brücke
passiren. Dem ist nicht abzuhelfen. Wer am Festland
wohnt, entbehrt wieder das rege Leben, das die Schiff-
fahrt bietet, und der Fremde, der für seinen Unterhalt
auf ein Hotel angewiesen ist, darf sich ohnehin nicht so
weit vom einzigen guten Gasthof entfernen. Dieser Gast-
hof ist aber auch wirklich vortrefflich in jeder Beziehung.
Er ist mit der Eisenbahn entstanden, denn erst diese rief
das Bedürfniß hervor. Früher reichte "die Krone" hin,
ein altes Gemäuer mit einigen kleinen Stuben, die eine
Aussicht auf den See bieten. Wer aber diese erhalten
kann, wird sich dort sehr behaglich fühlen und im An-
schauen der Berge und des Wechselspiels ihrer Färbungen
gerne ein paar Tage hinbringen. Zwölf Dampfschiffe
kreuzen täglich hin und her über den See. Die Zahl der
Passagiere ist indessen nur unbedeutend, es sey denn in
Fällen wie das Sängerfest in St. Gallen, wo das Ver-
deck allerdings gefüllt war. Sonst muß die Fracht die
Kosten der Fahrt bezahlen. Es herrscht ein sehr reger
Handel am Bodensee.

Für die Ueberfahrt von Lindau nach Rorschach be-
zahlt man 48 Kreuzer. Jn einer Stunde legt man die
Strecke zurück und steht nun auf Schweizer Boden. Der
Unterschied liegt anfangs nur in der Jdee, bald aber be-
merkt man ihn wirklich. Der gemüthliche Bayer ist ein
ganz anderes Wesen, als der verschlagene Republikaner.
Beide repräsentiren selten, was der Engländer mit dem
Worte Gentleman bezeichnet. Nicht oft sieht man hier
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] führenden Veranda, unter deren breiter Ueberdachung
man bequem der Sommerhitze Trotz bieten mag. Die
mit Holz bunt belegten Wände, die spitzigen Giebel, die
bunte Färbung des Ganzen, alles sieht leicht, lustig und
kühl aus und mahnt an den Süden. Nichts erinnert an
die Winterkälte, nichts redet von Winterstürmen, von
Schnee und Eis einer nördlichen Landschaft: alles ist
luftig, duftig, graziös. Auch die zu dem Wohnhause
gehörigen Schuppen, Ställe, Wirthschaftslokale sind in
demselben Geschmacke erbaut; dazwischen sieht man die
schönsten Bosquets, seltene Bäume, Blumen, Treib-
häuser: hart am See ein Badehaus, daneben eine kleine
Bucht als Hafen eingerichtet, in dem einige Boote vor
Anker liegen. Jn einem luftigen Vogelhause spazieren
Calecuttische Hühner neben einem weißen Pfau, der sein
zartes, schneeiges Gefieder mit reizender Würde präsen-
tirt; in einem kleinen Gehege lustwandeln Rehe, ein
prachtvoller Newfoundländer ruht stolz vor seiner im Schwei-
zer Styl erbauten Hütte. Aber noch ist man nicht fertig.
Durch ein zweites Thor tritt man in die Besitzung eines
andern Gruber, der durch einen längern Aufenthalt in
Manchester, durch seine Verbindung mit dem Hause Schunk
und Souchay, dem Geschmack seiner Vorfahren ungetreu
geworden ist und sich ein Landhaus errichtet hat, das der
stolzeste Peer Englands mit Befriedigung sein Eigenthum
nennen würde. Diese Besitzung führt den Namen: „Der
Lindenhof.“ Die Villa ist ganz aus grauem Sandstein
erbaut, mit großen Spiegelfenstern versehen, und bietet
das Bild einer Wohnung, die von der äußern Welt ab-
schließen und den Bewohner in seinen Mauern gegen jede
Unbill der Witterung schützend bergen will. Die Aus-
sicht, die man von der Terrasse des Hauses genießt, ist
wundervoll. Man sieht bereits auf den See herab, so
hoch ist es gelegen und gewinnt dadurch an Fernsicht.
Links am Ufer liegt das freundliche Lindau, rechts hat
man Friedrichshafen und weithin Constanz, gegenüber die
Tiroler Berge mit ihren warmen Färbungen, und da-
hinter den Säntis mit seinen Vrüdern. Ein Weinberg
zieht sich bis an das Ufer des Sees hinab. Der schönste
Blumenflor schmückte die Terrasse. Die Gänge sind mit
Kies überfahren und alles ist so sorgfältig und sauber
gehalten, als ob hier kein Wachsthum, kein Auf= oder
Verblühen statt finde, als ob kein menschlicher Fuß hier
wandelte. Nur großer Reichthum konnte diese Besitzung
schaffen, und ein noch größerer wird erfordert, sie zu er-
halten. Jndessen bewohnt der Eigenthümer nur einen
ganz kleinen Theil des Jahres diesen Ort; das Genießen
des Besitzes genügt ihm nicht, er will mit dem, was ihm
zu Theil geworden, noch mehr erwerben. Darum zieht
es ihn nach Genua, wo er ein großes Speditionsgeschäft
mit englischen Waaren betreibt, und das Haus Gruber,
Schunk und Souchay in eigener Person vertritt.

Lindau genießt noch immer eines bedeutenden Wohl-
standes. Wohl war es, seit es eine Reichsstadt zu seyn
aufgehört, in seinen Mauern stiller geworden; es herrschte
[Spaltenumbruch] wenig Verkehr und wenige Fremde führte ihr Weg da-
hin, dennoch fand sich die Armuth immer noch nicht ein.
Die kleinen Häuser sind alle so sauber weiß getüncht,
grüne Jalousien schützen die Fenster, Blumen sind an
allen Ecken und Enden ausgestellt, ein kleiner Erker, ir-
gend ein Fleckchen zu einer Art Balkon eingerichtet, dient
zum Aufenthalt in der freien Luft. An diesen Vorrich-
tungen erkennt man den Süden. Hier wird das Haus
mit seinem Comfort zur Nebensache, Elend und Armuth,
ein Kind oder einen alten Mann, die bittend die Hand
ausstrecken, erblickt man nirgends. Lindau ist ein Eldo-
rado, sofern jeder hier noch seinen Platz findet, wo er
ruhen und sein Stück Brod in Frieden essen mag.

Ein Strom von Fremden besucht jetzt die Jnsel,
seit die Eisenbahn von Augsburg gerade dahin führt und
zum Weiterreisen nach der Schweiz den bequemsten Weg
bietet. — Der bayerische Hof ist täglich mit Gästen ange-
füllt, aber auch täglich wieder eben so schnell verlassen.
Ein paar Stunden der schönen Aussicht gewidmet, und
man eilt weiter. Zu einem längeren Sommeraufenthalt
dürfte man allerdings auch nur dann diese Jnsel wählen,
wenn ein Brustleiden eine feuchte, warme Luft erfordert.
Ein Leberkranker möchte hier noch kränker werden und
ein Gesunder dürfte bald die erschlaffende Einwirkung
dieser wasserwarmen Luft fühlen. Ein Uebelstand bei
Sommerhitze ist auch der Mangel schattiger Promenaden.
Die Jnsel enthält nur die Stadt. Wer lustwandeln will,
muß das feste Land gewinnen und die ganze lange Brücke
passiren. Dem ist nicht abzuhelfen. Wer am Festland
wohnt, entbehrt wieder das rege Leben, das die Schiff-
fahrt bietet, und der Fremde, der für seinen Unterhalt
auf ein Hotel angewiesen ist, darf sich ohnehin nicht so
weit vom einzigen guten Gasthof entfernen. Dieser Gast-
hof ist aber auch wirklich vortrefflich in jeder Beziehung.
Er ist mit der Eisenbahn entstanden, denn erst diese rief
das Bedürfniß hervor. Früher reichte „die Krone“ hin,
ein altes Gemäuer mit einigen kleinen Stuben, die eine
Aussicht auf den See bieten. Wer aber diese erhalten
kann, wird sich dort sehr behaglich fühlen und im An-
schauen der Berge und des Wechselspiels ihrer Färbungen
gerne ein paar Tage hinbringen. Zwölf Dampfschiffe
kreuzen täglich hin und her über den See. Die Zahl der
Passagiere ist indessen nur unbedeutend, es sey denn in
Fällen wie das Sängerfest in St. Gallen, wo das Ver-
deck allerdings gefüllt war. Sonst muß die Fracht die
Kosten der Fahrt bezahlen. Es herrscht ein sehr reger
Handel am Bodensee.

Für die Ueberfahrt von Lindau nach Rorschach be-
zahlt man 48 Kreuzer. Jn einer Stunde legt man die
Strecke zurück und steht nun auf Schweizer Boden. Der
Unterschied liegt anfangs nur in der Jdee, bald aber be-
merkt man ihn wirklich. Der gemüthliche Bayer ist ein
ganz anderes Wesen, als der verschlagene Republikaner.
Beide repräsentiren selten, was der Engländer mit dem
Worte Gentleman bezeichnet. Nicht oft sieht man hier
[Ende Spaltensatz]

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Lindau ist ein Eldo- rado, sofern jeder hier noch seinen Platz findet, wo er ruhen und sein Stück Brod in Frieden essen mag. Ein Strom von Fremden besucht jetzt die Jnsel, seit die Eisenbahn von Augsburg gerade dahin führt und zum Weiterreisen nach der Schweiz den bequemsten Weg bietet. — Der bayerische Hof ist täglich mit Gästen ange- füllt, aber auch täglich wieder eben so schnell verlassen. Ein paar Stunden der schönen Aussicht gewidmet, und man eilt weiter. Zu einem längeren Sommeraufenthalt dürfte man allerdings auch nur dann diese Jnsel wählen, wenn ein Brustleiden eine feuchte, warme Luft erfordert. Ein Leberkranker möchte hier noch kränker werden und ein Gesunder dürfte bald die erschlaffende Einwirkung dieser wasserwarmen Luft fühlen. Ein Uebelstand bei Sommerhitze ist auch der Mangel schattiger Promenaden. Die Jnsel enthält nur die Stadt. Wer lustwandeln will, muß das feste Land gewinnen und die ganze lange Brücke passiren. Dem ist nicht abzuhelfen. Wer am Festland wohnt, entbehrt wieder das rege Leben, das die Schiff- fahrt bietet, und der Fremde, der für seinen Unterhalt auf ein Hotel angewiesen ist, darf sich ohnehin nicht so weit vom einzigen guten Gasthof entfernen. Dieser Gast- hof ist aber auch wirklich vortrefflich in jeder Beziehung. Er ist mit der Eisenbahn entstanden, denn erst diese rief das Bedürfniß hervor. Früher reichte „die Krone“ hin, ein altes Gemäuer mit einigen kleinen Stuben, die eine Aussicht auf den See bieten. Wer aber diese erhalten kann, wird sich dort sehr behaglich fühlen und im An- schauen der Berge und des Wechselspiels ihrer Färbungen gerne ein paar Tage hinbringen. Zwölf Dampfschiffe kreuzen täglich hin und her über den See. Die Zahl der Passagiere ist indessen nur unbedeutend, es sey denn in Fällen wie das Sängerfest in St. Gallen, wo das Ver- deck allerdings gefüllt war. Sonst muß die Fracht die Kosten der Fahrt bezahlen. Es herrscht ein sehr reger Handel am Bodensee. Für die Ueberfahrt von Lindau nach Rorschach be- zahlt man 48 Kreuzer. Jn einer Stunde legt man die Strecke zurück und steht nun auf Schweizer Boden. Der Unterschied liegt anfangs nur in der Jdee, bald aber be- merkt man ihn wirklich. Der gemüthliche Bayer ist ein ganz anderes Wesen, als der verschlagene Republikaner. Beide repräsentiren selten, was der Engländer mit dem Worte Gentleman bezeichnet. Nicht oft sieht man hier

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 815. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/23>, abgerufen am 03.12.2024.