Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] Wiese hinaus und sagte: "Schau dich da um, du kannst
nicht sagen, daß es wüst hier ist."

Der Blick hatte wirklich eine weite schöne Aussicht
gegen Nord und Nordwest, und obwohl die vielen und
mitunter düsteren Wälder der Landschaft großen Ernst
verliehen, so war doch der Eindruck im Ganzen ein
erhebender.

Die Weringerin legte sich die Schürze um das
Kinn und blickte lange schweigend drein, dann sagte sie:
"Viel Wald, viel Wald, und überall kein Wasser."
Das war richtig; denn die Waldbäche gingen weit und
breit versteckt in den Thaltiefen vorüber, Teiche waren
nirgends zu sehen.

"Was ist denn das?" fragte die Weringerin hier-
auf und zeigte auf ein hübsches Landschlößchen, das
sich im Abendscheine freundlich ausnahm. -- Jhr Mann
nannte den Besitzer, einen alten Baron, der sich mit
geheimen Künsten abgeben sollte. "Jst's nicht, als ob
Husaren aus und ein ritten?" bemerkte die Weringerin;
sie meinte die Alleebäume, die aus verschiedenen Rich-
tungen ihre Linien nach dem Schlößchen zogen. "Alter,"
fügte sie dann hinzu, indem sie unter eine Baumgruppe
trat: "Da muß ich ein Bänkl haben. Da will ich
weilig sitzen und umschauen. Dorthin liegt die erste
Heimath, und das bleibt die Heimath." -- Jetzt ging
die Sonne unter und die Weringerin sagte heimkeh-
rend: "Ja, der Himmelvater ist überall, die Sonne
geht auch da schön unter!" Der Anfang zur Einge-
wöhnung war hiemit gemacht.

Jn der Wirthschaft wurde nun auch nichts mehr
versäumt oder gering geachtet. Die Weringerin hatte
ihr Leben lang sich hager und steif gearbeitet, sie konnte
nicht in halber Unthätigkeit verharren. Es ist ein sehr
bezeichnender Zug in der menschlichen Natur, daß uns
alles um so theurer wird, je mehr von unserer Arbeit
dabei ist. So gewann auch die Weringerin ihre neue
Wirthschaft erst recht lieb, als die Spuren und Vor-
theile ihrer Thätigkeit sichtbar wurden. Auch der We-
ringer war mit Ernst bei allem. Eine große Freude
machte er seinem Weibe, indem er das Wasser des
Röhrbrunnens und einiger Quellen ableitete und nicht
weit vom Hause einen kleinen Teich bilden ließ. Das
gab doch einigermaßen den Anblick von lebendigem
Wasser. Sonst war der Weringer aber nicht gesonnen,
in seiner Wirthschaft Neuerungen einzuführen. Der
Pfeil des Hasses gegen alles Neue saß zu tief in seiner
Brust. Er war froh, in eine Welt des festen Behar-
rens, des stetigen ruhigen Kreisgangs des Lebens ge-
rettet zu seyn.

Ein wahrer Triumph war es ihm, in seiner neuen
Umgebung überall das Echo seiner Gefinnungen zu ver-
[Spaltenumbruch] nehmen. Er merkte freilich noch nicht, daß die Bauern,
welche ihn zunächst umgeben, als Besitzer kleiner Wirth-
schaften ihm oft nur angenehm zu Gehör reden wollten;
denn er nahm sich wie ein Fürst aus unter ihnen, und
der Reichthum that auch hier wie überall seine Wirkung.

Der bedeutendste Hofbesitzer des Ortes nach dem
Weringer war der Meinhard. Das war ein ernster,
einfacher und kluger Mann. Er war in frühern Jah-
ren als Soldat in der Welt herumgekommen, lobte sich
zwar auch das Alte, sagte aber doch nicht mehr, als
was er selbst für wahr hielt. Trotzdem schloß sich der
Weringer bald an ihn am meisten an; denn als ein
Mann, der so sehr an Verkehr mit Menschen gewohnt
war, mußte er doch jemand haben, der ihm etwas
mehr war als ein gefälliges Echo.

Eines Sonntag Morgens stand Urban, der Ober-
knecht, vor dem Weringerhofe und starrte vor sich hin.
Er war im vollen Sonntagsstaat und hatte die weichen
Stiefelröhren über die Hälfte der Schenkel gezogen.
Auf einmal sagte eine Stimme neben ihm: "Was losest
du?" -- Urban rieb sich verlegen hinter'm Ohr und
sagte nichts. Der Weringer aber fuhr fort: "Du sinnst
nach heim."

Nach einigem Husten erwiederte der Urban: "Mein
Kropftauber ist davon; es wär' mir recht, ich könnt'
ihn holen." -- Der Weringer sah verdrießlich aus und
bemerkte nach einer Pause: "Hol' ihn; sieh' auch deine
Alten wieder; sey aber zur rechten Zeit wieder da."

Urban nahm sich in Acht, keine zu freudige Be-
wegung zu machen, und ging, sich wieder hinter'm Ohr
reibend, langsam nach dem Hause; er bog eben um
Ecke, als er seinen Meister noch einmal rufen hörte:
"Urban!" -- Die Stimme klang ernst. -- Urban blieb
stehen ohne zu zucken. -- "Wenn du sonst gesehen und
gefragt wirst," sagte der Weringer, mit gesenkten Au-
genbraunen an ihm vorübergehend, "so weißt du, was
dein Amt ist: es ist gut hier, man ist wohl zu-
frieden, Alles ist recht so.
"

Urban verstand den Wink und gab dies zu erken-
nen; als er durch die Hausflur nach der Bodentreppe
schritt, um seine Jacke zu holen, begegnete er dem
Bärbl. -- "Jch geh'!" sagte er schnell und blickte sich
um, ob niemand um die Wege sey. Bärbl erröthete;
sie hatte das Tischtuch in der Hand, um die Brodsamen
unter die Hühner zu streuen. Eine Erwiederung auf
jene Worte fand sie nicht, aber ihre Schritte wurden
froh und fliegend, das Tischtuch flatterte weit zur Thüre
hinaus und Hühner, Enten, Tauben und Sperlinge
kamen eilig heran, die Beute zu theilen.

"Was sag' ich ihm?" fragte Urban, schon auf der
Treppe stehend. -- "Ei -- grüßen kannst und sagen
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Wiese hinaus und sagte: „Schau dich da um, du kannst
nicht sagen, daß es wüst hier ist.“

Der Blick hatte wirklich eine weite schöne Aussicht
gegen Nord und Nordwest, und obwohl die vielen und
mitunter düsteren Wälder der Landschaft großen Ernst
verliehen, so war doch der Eindruck im Ganzen ein
erhebender.

Die Weringerin legte sich die Schürze um das
Kinn und blickte lange schweigend drein, dann sagte sie:
„Viel Wald, viel Wald, und überall kein Wasser.“
Das war richtig; denn die Waldbäche gingen weit und
breit versteckt in den Thaltiefen vorüber, Teiche waren
nirgends zu sehen.

„Was ist denn das?“ fragte die Weringerin hier-
auf und zeigte auf ein hübsches Landschlößchen, das
sich im Abendscheine freundlich ausnahm. — Jhr Mann
nannte den Besitzer, einen alten Baron, der sich mit
geheimen Künsten abgeben sollte. „Jst's nicht, als ob
Husaren aus und ein ritten?“ bemerkte die Weringerin;
sie meinte die Alleebäume, die aus verschiedenen Rich-
tungen ihre Linien nach dem Schlößchen zogen. „Alter,“
fügte sie dann hinzu, indem sie unter eine Baumgruppe
trat: „Da muß ich ein Bänkl haben. Da will ich
weilig sitzen und umschauen. Dorthin liegt die erste
Heimath, und das bleibt die Heimath.“ — Jetzt ging
die Sonne unter und die Weringerin sagte heimkeh-
rend: „Ja, der Himmelvater ist überall, die Sonne
geht auch da schön unter!“ Der Anfang zur Einge-
wöhnung war hiemit gemacht.

Jn der Wirthschaft wurde nun auch nichts mehr
versäumt oder gering geachtet. Die Weringerin hatte
ihr Leben lang sich hager und steif gearbeitet, sie konnte
nicht in halber Unthätigkeit verharren. Es ist ein sehr
bezeichnender Zug in der menschlichen Natur, daß uns
alles um so theurer wird, je mehr von unserer Arbeit
dabei ist. So gewann auch die Weringerin ihre neue
Wirthschaft erst recht lieb, als die Spuren und Vor-
theile ihrer Thätigkeit sichtbar wurden. Auch der We-
ringer war mit Ernst bei allem. Eine große Freude
machte er seinem Weibe, indem er das Wasser des
Röhrbrunnens und einiger Quellen ableitete und nicht
weit vom Hause einen kleinen Teich bilden ließ. Das
gab doch einigermaßen den Anblick von lebendigem
Wasser. Sonst war der Weringer aber nicht gesonnen,
in seiner Wirthschaft Neuerungen einzuführen. Der
Pfeil des Hasses gegen alles Neue saß zu tief in seiner
Brust. Er war froh, in eine Welt des festen Behar-
rens, des stetigen ruhigen Kreisgangs des Lebens ge-
rettet zu seyn.

Ein wahrer Triumph war es ihm, in seiner neuen
Umgebung überall das Echo seiner Gefinnungen zu ver-
[Spaltenumbruch] nehmen. Er merkte freilich noch nicht, daß die Bauern,
welche ihn zunächst umgeben, als Besitzer kleiner Wirth-
schaften ihm oft nur angenehm zu Gehör reden wollten;
denn er nahm sich wie ein Fürst aus unter ihnen, und
der Reichthum that auch hier wie überall seine Wirkung.

Der bedeutendste Hofbesitzer des Ortes nach dem
Weringer war der Meinhard. Das war ein ernster,
einfacher und kluger Mann. Er war in frühern Jah-
ren als Soldat in der Welt herumgekommen, lobte sich
zwar auch das Alte, sagte aber doch nicht mehr, als
was er selbst für wahr hielt. Trotzdem schloß sich der
Weringer bald an ihn am meisten an; denn als ein
Mann, der so sehr an Verkehr mit Menschen gewohnt
war, mußte er doch jemand haben, der ihm etwas
mehr war als ein gefälliges Echo.

Eines Sonntag Morgens stand Urban, der Ober-
knecht, vor dem Weringerhofe und starrte vor sich hin.
Er war im vollen Sonntagsstaat und hatte die weichen
Stiefelröhren über die Hälfte der Schenkel gezogen.
Auf einmal sagte eine Stimme neben ihm: „Was losest
du?“ — Urban rieb sich verlegen hinter'm Ohr und
sagte nichts. Der Weringer aber fuhr fort: „Du sinnst
nach heim.“

Nach einigem Husten erwiederte der Urban: „Mein
Kropftauber ist davon; es wär' mir recht, ich könnt'
ihn holen.“ — Der Weringer sah verdrießlich aus und
bemerkte nach einer Pause: „Hol' ihn; sieh' auch deine
Alten wieder; sey aber zur rechten Zeit wieder da.“

Urban nahm sich in Acht, keine zu freudige Be-
wegung zu machen, und ging, sich wieder hinter'm Ohr
reibend, langsam nach dem Hause; er bog eben um
Ecke, als er seinen Meister noch einmal rufen hörte:
„Urban!“ — Die Stimme klang ernst. — Urban blieb
stehen ohne zu zucken. — „Wenn du sonst gesehen und
gefragt wirst,“ sagte der Weringer, mit gesenkten Au-
genbraunen an ihm vorübergehend, „so weißt du, was
dein Amt ist: es ist gut hier, man ist wohl zu-
frieden, Alles ist recht so.

Urban verstand den Wink und gab dies zu erken-
nen; als er durch die Hausflur nach der Bodentreppe
schritt, um seine Jacke zu holen, begegnete er dem
Bärbl. — „Jch geh'!“ sagte er schnell und blickte sich
um, ob niemand um die Wege sey. Bärbl erröthete;
sie hatte das Tischtuch in der Hand, um die Brodsamen
unter die Hühner zu streuen. Eine Erwiederung auf
jene Worte fand sie nicht, aber ihre Schritte wurden
froh und fliegend, das Tischtuch flatterte weit zur Thüre
hinaus und Hühner, Enten, Tauben und Sperlinge
kamen eilig heran, die Beute zu theilen.

„Was sag' ich ihm?“ fragte Urban, schon auf der
Treppe stehend. — „Ei — grüßen kannst und sagen
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0005" n="797"/><fw type="pageNum" place="top">797</fw><cb type="start"/>
Wiese hinaus und sagte: &#x201E;Schau dich da um, du kannst<lb/>
nicht sagen, daß es wüst hier ist.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Blick hatte wirklich eine weite schöne Aussicht<lb/>
gegen Nord und Nordwest, und obwohl die vielen und<lb/>
mitunter düsteren Wälder der Landschaft großen Ernst<lb/>
verliehen, so war doch der Eindruck im Ganzen ein<lb/>
erhebender.</p><lb/>
        <p>Die Weringerin legte sich die Schürze um das<lb/>
Kinn und blickte lange schweigend drein, dann sagte sie:<lb/>
&#x201E;Viel Wald, viel Wald, und überall kein Wasser.&#x201C;<lb/>
Das war richtig; denn die Waldbäche gingen weit und<lb/>
breit versteckt in den Thaltiefen vorüber, Teiche waren<lb/>
nirgends zu sehen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was ist denn das?&#x201C; fragte die Weringerin hier-<lb/>
auf und zeigte auf ein hübsches Landschlößchen, das<lb/>
sich im Abendscheine freundlich ausnahm. &#x2014; Jhr Mann<lb/>
nannte den Besitzer, einen alten Baron, der sich mit<lb/>
geheimen Künsten abgeben sollte. &#x201E;Jst's nicht, als ob<lb/>
Husaren aus und ein ritten?&#x201C; bemerkte die Weringerin;<lb/>
sie meinte die Alleebäume, die aus verschiedenen Rich-<lb/>
tungen ihre Linien nach dem Schlößchen zogen. &#x201E;Alter,&#x201C;<lb/>
fügte sie dann hinzu, indem sie unter eine Baumgruppe<lb/>
trat: &#x201E;Da muß ich ein Bänkl haben. Da will ich<lb/>
weilig sitzen und umschauen. Dorthin liegt die erste<lb/>
Heimath, und das bleibt die Heimath.&#x201C; &#x2014; Jetzt ging<lb/>
die Sonne unter und die Weringerin sagte heimkeh-<lb/>
rend: &#x201E;Ja, der Himmelvater ist überall, die Sonne<lb/>
geht auch da schön unter!&#x201C; Der Anfang zur Einge-<lb/>
wöhnung war hiemit gemacht.</p><lb/>
        <p>Jn der Wirthschaft wurde nun auch nichts mehr<lb/>
versäumt oder gering geachtet. Die Weringerin hatte<lb/>
ihr Leben lang sich hager und steif gearbeitet, sie konnte<lb/>
nicht in halber Unthätigkeit verharren. Es ist ein sehr<lb/>
bezeichnender Zug in der menschlichen Natur, daß uns<lb/>
alles um so theurer wird, je mehr von unserer Arbeit<lb/>
dabei ist. So gewann auch die Weringerin ihre neue<lb/>
Wirthschaft erst recht lieb, als die Spuren und Vor-<lb/>
theile ihrer Thätigkeit sichtbar wurden. Auch der We-<lb/>
ringer war mit Ernst bei allem. Eine große Freude<lb/>
machte er seinem Weibe, indem er das Wasser des<lb/>
Röhrbrunnens und einiger Quellen ableitete und nicht<lb/>
weit vom Hause einen kleinen Teich bilden ließ. Das<lb/>
gab doch einigermaßen den Anblick von lebendigem<lb/>
Wasser. Sonst war der Weringer aber nicht gesonnen,<lb/>
in seiner Wirthschaft Neuerungen einzuführen. Der<lb/>
Pfeil des Hasses gegen alles Neue saß zu tief in seiner<lb/>
Brust. Er war froh, in eine Welt des festen Behar-<lb/>
rens, des stetigen ruhigen Kreisgangs des Lebens ge-<lb/>
rettet zu seyn.</p><lb/>
        <p>Ein wahrer Triumph war es ihm, in seiner neuen<lb/>
Umgebung überall das Echo seiner Gefinnungen zu ver-<lb/><cb n="2"/>
nehmen. Er merkte freilich noch nicht, daß die Bauern,<lb/>
welche ihn zunächst umgeben, als Besitzer kleiner Wirth-<lb/>
schaften ihm oft nur angenehm zu Gehör reden wollten;<lb/>
denn er nahm sich wie ein Fürst aus unter ihnen, und<lb/>
der Reichthum that auch hier wie überall seine Wirkung.</p><lb/>
        <p>Der bedeutendste Hofbesitzer des Ortes nach dem<lb/>
Weringer war der Meinhard. Das war ein ernster,<lb/>
einfacher und kluger Mann. Er war in frühern Jah-<lb/>
ren als Soldat in der Welt herumgekommen, lobte sich<lb/>
zwar auch das Alte, sagte aber doch nicht mehr, als<lb/>
was er selbst für wahr hielt. Trotzdem schloß sich der<lb/>
Weringer bald an ihn am meisten an; denn als ein<lb/>
Mann, der so sehr an Verkehr mit Menschen gewohnt<lb/>
war, mußte er doch jemand haben, der ihm etwas<lb/>
mehr war als ein gefälliges Echo.</p><lb/>
        <p>Eines Sonntag Morgens stand Urban, der Ober-<lb/>
knecht, vor dem Weringerhofe und starrte vor sich hin.<lb/>
Er war im vollen Sonntagsstaat und hatte die weichen<lb/>
Stiefelröhren über die Hälfte der Schenkel gezogen.<lb/>
Auf einmal sagte eine Stimme neben ihm: &#x201E;Was losest<lb/>
du?&#x201C; &#x2014; Urban rieb sich verlegen hinter'm Ohr und<lb/>
sagte nichts. Der Weringer aber fuhr fort: &#x201E;Du sinnst<lb/>
nach heim.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nach einigem Husten erwiederte der Urban: &#x201E;Mein<lb/>
Kropftauber ist davon; es wär' mir recht, ich könnt'<lb/>
ihn holen.&#x201C; &#x2014; Der Weringer sah verdrießlich aus und<lb/>
bemerkte nach einer Pause: &#x201E;Hol' ihn; sieh' auch deine<lb/>
Alten wieder; sey aber zur rechten Zeit wieder da.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Urban nahm sich in Acht, keine zu freudige Be-<lb/>
wegung zu machen, und ging, sich wieder hinter'm Ohr<lb/>
reibend, langsam nach dem Hause; er bog eben um<lb/>
Ecke, als er seinen Meister noch einmal rufen hörte:<lb/>
&#x201E;Urban!&#x201C; &#x2014; Die Stimme klang ernst. &#x2014; Urban blieb<lb/>
stehen ohne zu zucken. &#x2014; &#x201E;Wenn du sonst gesehen und<lb/>
gefragt wirst,&#x201C; sagte der Weringer, mit gesenkten Au-<lb/>
genbraunen an ihm vorübergehend, &#x201E;so weißt du, was<lb/>
dein Amt ist: <hi rendition="#g">es ist gut hier, man ist wohl zu-<lb/>
frieden, Alles ist recht so.</hi> &#x201C;</p><lb/>
        <p>Urban verstand den Wink und gab dies zu erken-<lb/>
nen; als er durch die Hausflur nach der Bodentreppe<lb/>
schritt, um seine Jacke zu holen, begegnete er dem<lb/>
Bärbl. &#x2014; &#x201E;Jch geh'!&#x201C; sagte er schnell und blickte sich<lb/>
um, ob niemand um die Wege sey. Bärbl erröthete;<lb/>
sie hatte das Tischtuch in der Hand, um die Brodsamen<lb/>
unter die Hühner zu streuen. Eine Erwiederung auf<lb/>
jene Worte fand sie nicht, aber ihre Schritte wurden<lb/>
froh und fliegend, das Tischtuch flatterte weit zur Thüre<lb/>
hinaus und Hühner, Enten, Tauben und Sperlinge<lb/>
kamen eilig heran, die Beute zu theilen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was sag' ich ihm?&#x201C; fragte Urban, schon auf der<lb/>
Treppe stehend. &#x2014; &#x201E;Ei &#x2014; grüßen kannst und sagen<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[797/0005] 797 Wiese hinaus und sagte: „Schau dich da um, du kannst nicht sagen, daß es wüst hier ist.“ Der Blick hatte wirklich eine weite schöne Aussicht gegen Nord und Nordwest, und obwohl die vielen und mitunter düsteren Wälder der Landschaft großen Ernst verliehen, so war doch der Eindruck im Ganzen ein erhebender. Die Weringerin legte sich die Schürze um das Kinn und blickte lange schweigend drein, dann sagte sie: „Viel Wald, viel Wald, und überall kein Wasser.“ Das war richtig; denn die Waldbäche gingen weit und breit versteckt in den Thaltiefen vorüber, Teiche waren nirgends zu sehen. „Was ist denn das?“ fragte die Weringerin hier- auf und zeigte auf ein hübsches Landschlößchen, das sich im Abendscheine freundlich ausnahm. — Jhr Mann nannte den Besitzer, einen alten Baron, der sich mit geheimen Künsten abgeben sollte. „Jst's nicht, als ob Husaren aus und ein ritten?“ bemerkte die Weringerin; sie meinte die Alleebäume, die aus verschiedenen Rich- tungen ihre Linien nach dem Schlößchen zogen. „Alter,“ fügte sie dann hinzu, indem sie unter eine Baumgruppe trat: „Da muß ich ein Bänkl haben. Da will ich weilig sitzen und umschauen. Dorthin liegt die erste Heimath, und das bleibt die Heimath.“ — Jetzt ging die Sonne unter und die Weringerin sagte heimkeh- rend: „Ja, der Himmelvater ist überall, die Sonne geht auch da schön unter!“ Der Anfang zur Einge- wöhnung war hiemit gemacht. Jn der Wirthschaft wurde nun auch nichts mehr versäumt oder gering geachtet. Die Weringerin hatte ihr Leben lang sich hager und steif gearbeitet, sie konnte nicht in halber Unthätigkeit verharren. Es ist ein sehr bezeichnender Zug in der menschlichen Natur, daß uns alles um so theurer wird, je mehr von unserer Arbeit dabei ist. So gewann auch die Weringerin ihre neue Wirthschaft erst recht lieb, als die Spuren und Vor- theile ihrer Thätigkeit sichtbar wurden. Auch der We- ringer war mit Ernst bei allem. Eine große Freude machte er seinem Weibe, indem er das Wasser des Röhrbrunnens und einiger Quellen ableitete und nicht weit vom Hause einen kleinen Teich bilden ließ. Das gab doch einigermaßen den Anblick von lebendigem Wasser. Sonst war der Weringer aber nicht gesonnen, in seiner Wirthschaft Neuerungen einzuführen. Der Pfeil des Hasses gegen alles Neue saß zu tief in seiner Brust. Er war froh, in eine Welt des festen Behar- rens, des stetigen ruhigen Kreisgangs des Lebens ge- rettet zu seyn. Ein wahrer Triumph war es ihm, in seiner neuen Umgebung überall das Echo seiner Gefinnungen zu ver- nehmen. Er merkte freilich noch nicht, daß die Bauern, welche ihn zunächst umgeben, als Besitzer kleiner Wirth- schaften ihm oft nur angenehm zu Gehör reden wollten; denn er nahm sich wie ein Fürst aus unter ihnen, und der Reichthum that auch hier wie überall seine Wirkung. Der bedeutendste Hofbesitzer des Ortes nach dem Weringer war der Meinhard. Das war ein ernster, einfacher und kluger Mann. Er war in frühern Jah- ren als Soldat in der Welt herumgekommen, lobte sich zwar auch das Alte, sagte aber doch nicht mehr, als was er selbst für wahr hielt. Trotzdem schloß sich der Weringer bald an ihn am meisten an; denn als ein Mann, der so sehr an Verkehr mit Menschen gewohnt war, mußte er doch jemand haben, der ihm etwas mehr war als ein gefälliges Echo. Eines Sonntag Morgens stand Urban, der Ober- knecht, vor dem Weringerhofe und starrte vor sich hin. Er war im vollen Sonntagsstaat und hatte die weichen Stiefelröhren über die Hälfte der Schenkel gezogen. Auf einmal sagte eine Stimme neben ihm: „Was losest du?“ — Urban rieb sich verlegen hinter'm Ohr und sagte nichts. Der Weringer aber fuhr fort: „Du sinnst nach heim.“ Nach einigem Husten erwiederte der Urban: „Mein Kropftauber ist davon; es wär' mir recht, ich könnt' ihn holen.“ — Der Weringer sah verdrießlich aus und bemerkte nach einer Pause: „Hol' ihn; sieh' auch deine Alten wieder; sey aber zur rechten Zeit wieder da.“ Urban nahm sich in Acht, keine zu freudige Be- wegung zu machen, und ging, sich wieder hinter'm Ohr reibend, langsam nach dem Hause; er bog eben um Ecke, als er seinen Meister noch einmal rufen hörte: „Urban!“ — Die Stimme klang ernst. — Urban blieb stehen ohne zu zucken. — „Wenn du sonst gesehen und gefragt wirst,“ sagte der Weringer, mit gesenkten Au- genbraunen an ihm vorübergehend, „so weißt du, was dein Amt ist: es ist gut hier, man ist wohl zu- frieden, Alles ist recht so. “ Urban verstand den Wink und gab dies zu erken- nen; als er durch die Hausflur nach der Bodentreppe schritt, um seine Jacke zu holen, begegnete er dem Bärbl. — „Jch geh'!“ sagte er schnell und blickte sich um, ob niemand um die Wege sey. Bärbl erröthete; sie hatte das Tischtuch in der Hand, um die Brodsamen unter die Hühner zu streuen. Eine Erwiederung auf jene Worte fand sie nicht, aber ihre Schritte wurden froh und fliegend, das Tischtuch flatterte weit zur Thüre hinaus und Hühner, Enten, Tauben und Sperlinge kamen eilig heran, die Beute zu theilen. „Was sag' ich ihm?“ fragte Urban, schon auf der Treppe stehend. — „Ei — grüßen kannst und sagen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/5
Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 797. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/5>, abgerufen am 03.12.2024.