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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Stunden angelangt, im Posthofe wieder unterkriechen zu
können. Zu solchem Ungemach gesellte sich noch die
fabelhaft rauhe Witterung. Während man im Januar
und den ganzen übrigen Winter kaum in den Zimmern
Feuer zu machen brauchte und nicht selten noch Abends
um zehn Uhr in den lauen Lüften lustwandelte, pfiff
jetzt häufig eine schneidende Tramontana. Manche
Dame, die im Norden keinen Begriff von Frostbeulen
hatte, sah ihre Finger plötzlich damit bedeckt; ein Fak-
tum, das sich oft wiederholt im Lande, wo die Oran-
gen blühen. So viel zur Bekämpfung des deutschen
Aberglaubens an den italienischen Himmel.

Noch im Dunkel, bereits um sechs Uhr Morgens,
rasselten die Wagen am Palmsonntag nach St. Peter.
Als wir um acht Uhr hinfuhren, war die Tribüne
unter der Kuppel von Michel Angelo und Raphael bei-
nahe schon ganz voll von vorschriftsmäßig schwarz be-
schleierten Damen. Aus den welschen Flören schauen
hyperboräische Physiognomien. Jede äußert in ihrer
Art, den Schleier zu wählen und auf die Haare zu
stecken, ihre eigene Phantasie. Am glücklichsten mögen
sich romantische Köpfchen, wenn es deren überhaupt
noch gibt, unter diesen Wolken von Spitzen fühlen. Jst
ein solcher Schleier nicht schon eine ganze Novelle? --
Die Römerinnen lassen sich in dieser Woche gar nicht
sehen. Sie büßen ihre Sünden vom Carneval her,
gehen in alle Kirchen, die Füße der Pilger zu waschen.
Diese müssen, wenn sie für voll gelten sollen, wenig-
stens hundert Meilen weit herkommen und dürfen sich
während der ganzen Zeit der Wanderschaft nicht gewa-
schen haben.

Die Größe des Doms konnten wir nur daran er-
messen, daß er immer leer blieb, trotz allem Gewimmel
von Menschlein, die wie Käfer darin erschienen. Jetzt
zogen die Schweizer Regimenter ihre Linien; dann mar-
schirten die eigentlichen Trabanten auf in ihrer histori-
schen buntgestreiften Tracht mit Harnisch und Hellebarde,
die Bürgergarde unter ihren weißen Federbüschen; zu-
letzt die guardia nobile, lauter römischer Adel mit fun-
kelnden Helmen; " la corte papale," der Hofstaat, in
roth und weißen Farben; die jungen Geistlichen des
deutschen Seminars in rothen Gewändern; eine Fluth
von geistlichen und weltlichen Uniformen. Alles kreist
an uns vorbei um den Kranz von goldenen Ampeln,
den nie verlöschenden, welche um das Grab der Apostel
brennen unter dem riesigen Betthimmel mit den gewun-
denen Säulen vom Erz des Pantheons, um die traulichen
stillen Flämmchen, eine ganze Heerde, die uns immer
wie eingefangene Jrrlichter, bekehrte Jrrlichter gemah-
nen. Oben im Chor, an den Stufen des päpstlichen
Thrones, liegen zu beiden Seiten geschaart in garben-
[Spaltenumbruch] artigen Büscheln, ganz symbolisch anzuschauen, die zier-
lich, gleich feinen Strohbändern geflochtenen Palmblät-
ter in ihrer zarten Farbe.

Die purpurnen Tribünen zunächst dem Throne füllen
sich mit bebänderten und besternten Herrn. Voran unter
ihnen ein junger schlanker Prinz von Preußen, dem sich
ein anderer aus sächsischem Stamm, ein Prinz von
Meiningen zugesellt, fast als sollten, durch eine Laune
des Zufalls, nur protestantische Fürstenhäuser vertreten
seyn bei der katholischen Feier. Der päpstliche Kammer-
herr in spanischer Kleidung, mit weißer Halskrause und
goldener Kette, schwimmt wie ein Schiffer durch die Wo-
gen von schwarzem Damast und Moire und Sammet
und Spitzen der Damentribüne. Die tausend und aber
tausend Zuschauer in den nicht abgegrenzten Räumen
verschwinden beinahe in der Peterskirche, welche noch
nie voll war.

Jetzt bewegt sich drüben der rothe Vorhang im
Seitenschiff rechts, wo sich der Papst ankleidet in der
Kapelle. Er schwebt heraus unter dem Baldachin auf
seinem hohen Tragsitze, mit der silbernen Tiara, vor
ihm her eine endlose Procession von Priestern, Mön-
chen, Chorherrn, eine ganze Schaar von Mitren, nichts
als Bischofsgewänder. Auch die Kardinäle erschienen
heute violet wegen der Charwoche, nur daran kenntlich,
daß ein Geistlicher neben jedem das Mützchen trägt.
Die Gestalt Pius IX. hatte etwas Monumentales, wie
er, beständig die beiden Finger zum Segen erhoben, so
hingetragen ward durch diesen weißen Marmorberg,
dicht an uns vorbei. Das Historische im Moment er-
griff uns. Wie viele Päpste sind so schon durch diese
Hallen getragen worden! Wie viele werden noch durch-
getragen werden?

Als der heilige Vater seinen Thron jenseits des
Hochaltars erreicht hatte, begann die weit ausgespon-
nene und zuletzt ermüdende Ceremonie. Das Einwei-
hen, das Segnen, das Küssen der Palmstengel
nahm kein Ende, bis sie zuletzt an sämmtliche Kar-
dinäle und Prälaten, dann auch an die weltlichen
Fürsten Roms, an die Würdenträger, an die fremden
Diplomaten, vorzüglich auch an die französischen hohen
Offiziere vertheilt wurden. Die Katholiken unter den
Diplomaten küßten beim Empfang die Hand, die andern
neigten sich nur tief. Zu den Füßen des Throns ruh-
ten auch grüne Palmen, welche später ebenfalls ver-
theilt wurden an den niedern Klerus. Mehrere Orte
haben die Vergünstigung, die Palmen zu liefern, z. B.
Nizza, und besonders Genua, wo sich dieses Vorrecht
bei den Angehörigen eines Matrosen forterbt, der sich
bei der schwierigen Aufrichtung des Obelisken auf dem
Petersplatze bedeutendes Verdienst erworben. Nach dem
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Stunden angelangt, im Posthofe wieder unterkriechen zu
können. Zu solchem Ungemach gesellte sich noch die
fabelhaft rauhe Witterung. Während man im Januar
und den ganzen übrigen Winter kaum in den Zimmern
Feuer zu machen brauchte und nicht selten noch Abends
um zehn Uhr in den lauen Lüften lustwandelte, pfiff
jetzt häufig eine schneidende Tramontana. Manche
Dame, die im Norden keinen Begriff von Frostbeulen
hatte, sah ihre Finger plötzlich damit bedeckt; ein Fak-
tum, das sich oft wiederholt im Lande, wo die Oran-
gen blühen. So viel zur Bekämpfung des deutschen
Aberglaubens an den italienischen Himmel.

Noch im Dunkel, bereits um sechs Uhr Morgens,
rasselten die Wagen am Palmsonntag nach St. Peter.
Als wir um acht Uhr hinfuhren, war die Tribüne
unter der Kuppel von Michel Angelo und Raphael bei-
nahe schon ganz voll von vorschriftsmäßig schwarz be-
schleierten Damen. Aus den welschen Flören schauen
hyperboräische Physiognomien. Jede äußert in ihrer
Art, den Schleier zu wählen und auf die Haare zu
stecken, ihre eigene Phantasie. Am glücklichsten mögen
sich romantische Köpfchen, wenn es deren überhaupt
noch gibt, unter diesen Wolken von Spitzen fühlen. Jst
ein solcher Schleier nicht schon eine ganze Novelle? —
Die Römerinnen lassen sich in dieser Woche gar nicht
sehen. Sie büßen ihre Sünden vom Carneval her,
gehen in alle Kirchen, die Füße der Pilger zu waschen.
Diese müssen, wenn sie für voll gelten sollen, wenig-
stens hundert Meilen weit herkommen und dürfen sich
während der ganzen Zeit der Wanderschaft nicht gewa-
schen haben.

Die Größe des Doms konnten wir nur daran er-
messen, daß er immer leer blieb, trotz allem Gewimmel
von Menschlein, die wie Käfer darin erschienen. Jetzt
zogen die Schweizer Regimenter ihre Linien; dann mar-
schirten die eigentlichen Trabanten auf in ihrer histori-
schen buntgestreiften Tracht mit Harnisch und Hellebarde,
die Bürgergarde unter ihren weißen Federbüschen; zu-
letzt die guardia nobile, lauter römischer Adel mit fun-
kelnden Helmen; » la corte papale,« der Hofstaat, in
roth und weißen Farben; die jungen Geistlichen des
deutschen Seminars in rothen Gewändern; eine Fluth
von geistlichen und weltlichen Uniformen. Alles kreist
an uns vorbei um den Kranz von goldenen Ampeln,
den nie verlöschenden, welche um das Grab der Apostel
brennen unter dem riesigen Betthimmel mit den gewun-
denen Säulen vom Erz des Pantheons, um die traulichen
stillen Flämmchen, eine ganze Heerde, die uns immer
wie eingefangene Jrrlichter, bekehrte Jrrlichter gemah-
nen. Oben im Chor, an den Stufen des päpstlichen
Thrones, liegen zu beiden Seiten geschaart in garben-
[Spaltenumbruch] artigen Büscheln, ganz symbolisch anzuschauen, die zier-
lich, gleich feinen Strohbändern geflochtenen Palmblät-
ter in ihrer zarten Farbe.

Die purpurnen Tribünen zunächst dem Throne füllen
sich mit bebänderten und besternten Herrn. Voran unter
ihnen ein junger schlanker Prinz von Preußen, dem sich
ein anderer aus sächsischem Stamm, ein Prinz von
Meiningen zugesellt, fast als sollten, durch eine Laune
des Zufalls, nur protestantische Fürstenhäuser vertreten
seyn bei der katholischen Feier. Der päpstliche Kammer-
herr in spanischer Kleidung, mit weißer Halskrause und
goldener Kette, schwimmt wie ein Schiffer durch die Wo-
gen von schwarzem Damast und Moire und Sammet
und Spitzen der Damentribüne. Die tausend und aber
tausend Zuschauer in den nicht abgegrenzten Räumen
verschwinden beinahe in der Peterskirche, welche noch
nie voll war.

Jetzt bewegt sich drüben der rothe Vorhang im
Seitenschiff rechts, wo sich der Papst ankleidet in der
Kapelle. Er schwebt heraus unter dem Baldachin auf
seinem hohen Tragsitze, mit der silbernen Tiara, vor
ihm her eine endlose Procession von Priestern, Mön-
chen, Chorherrn, eine ganze Schaar von Mitren, nichts
als Bischofsgewänder. Auch die Kardinäle erschienen
heute violet wegen der Charwoche, nur daran kenntlich,
daß ein Geistlicher neben jedem das Mützchen trägt.
Die Gestalt Pius IX. hatte etwas Monumentales, wie
er, beständig die beiden Finger zum Segen erhoben, so
hingetragen ward durch diesen weißen Marmorberg,
dicht an uns vorbei. Das Historische im Moment er-
griff uns. Wie viele Päpste sind so schon durch diese
Hallen getragen worden! Wie viele werden noch durch-
getragen werden?

Als der heilige Vater seinen Thron jenseits des
Hochaltars erreicht hatte, begann die weit ausgespon-
nene und zuletzt ermüdende Ceremonie. Das Einwei-
hen, das Segnen, das Küssen der Palmstengel
nahm kein Ende, bis sie zuletzt an sämmtliche Kar-
dinäle und Prälaten, dann auch an die weltlichen
Fürsten Roms, an die Würdenträger, an die fremden
Diplomaten, vorzüglich auch an die französischen hohen
Offiziere vertheilt wurden. Die Katholiken unter den
Diplomaten küßten beim Empfang die Hand, die andern
neigten sich nur tief. Zu den Füßen des Throns ruh-
ten auch grüne Palmen, welche später ebenfalls ver-
theilt wurden an den niedern Klerus. Mehrere Orte
haben die Vergünstigung, die Palmen zu liefern, z. B.
Nizza, und besonders Genua, wo sich dieses Vorrecht
bei den Angehörigen eines Matrosen forterbt, der sich
bei der schwierigen Aufrichtung des Obelisken auf dem
Petersplatze bedeutendes Verdienst erworben. Nach dem
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Jede äußert in ihrer Art, den Schleier zu wählen und auf die Haare zu stecken, ihre eigene Phantasie. Am glücklichsten mögen sich romantische Köpfchen, wenn es deren überhaupt noch gibt, unter diesen Wolken von Spitzen fühlen. Jst ein solcher Schleier nicht schon eine ganze Novelle? — Die Römerinnen lassen sich in dieser Woche gar nicht sehen. Sie büßen ihre Sünden vom Carneval her, gehen in alle Kirchen, die Füße der Pilger zu waschen. Diese müssen, wenn sie für voll gelten sollen, wenig- stens hundert Meilen weit herkommen und dürfen sich während der ganzen Zeit der Wanderschaft nicht gewa- schen haben. Die Größe des Doms konnten wir nur daran er- messen, daß er immer leer blieb, trotz allem Gewimmel von Menschlein, die wie Käfer darin erschienen. Jetzt zogen die Schweizer Regimenter ihre Linien; dann mar- schirten die eigentlichen Trabanten auf in ihrer histori- schen buntgestreiften Tracht mit Harnisch und Hellebarde, die Bürgergarde unter ihren weißen Federbüschen; zu- letzt die guardia nobile, lauter römischer Adel mit fun- kelnden Helmen; » la corte papale,« der Hofstaat, in roth und weißen Farben; die jungen Geistlichen des deutschen Seminars in rothen Gewändern; eine Fluth von geistlichen und weltlichen Uniformen. Alles kreist an uns vorbei um den Kranz von goldenen Ampeln, den nie verlöschenden, welche um das Grab der Apostel brennen unter dem riesigen Betthimmel mit den gewun- denen Säulen vom Erz des Pantheons, um die traulichen stillen Flämmchen, eine ganze Heerde, die uns immer wie eingefangene Jrrlichter, bekehrte Jrrlichter gemah- nen. Oben im Chor, an den Stufen des päpstlichen Thrones, liegen zu beiden Seiten geschaart in garben- artigen Büscheln, ganz symbolisch anzuschauen, die zier- lich, gleich feinen Strohbändern geflochtenen Palmblät- ter in ihrer zarten Farbe. Die purpurnen Tribünen zunächst dem Throne füllen sich mit bebänderten und besternten Herrn. Voran unter ihnen ein junger schlanker Prinz von Preußen, dem sich ein anderer aus sächsischem Stamm, ein Prinz von Meiningen zugesellt, fast als sollten, durch eine Laune des Zufalls, nur protestantische Fürstenhäuser vertreten seyn bei der katholischen Feier. Der päpstliche Kammer- herr in spanischer Kleidung, mit weißer Halskrause und goldener Kette, schwimmt wie ein Schiffer durch die Wo- gen von schwarzem Damast und Moire und Sammet und Spitzen der Damentribüne. Die tausend und aber tausend Zuschauer in den nicht abgegrenzten Räumen verschwinden beinahe in der Peterskirche, welche noch nie voll war. Jetzt bewegt sich drüben der rothe Vorhang im Seitenschiff rechts, wo sich der Papst ankleidet in der Kapelle. Er schwebt heraus unter dem Baldachin auf seinem hohen Tragsitze, mit der silbernen Tiara, vor ihm her eine endlose Procession von Priestern, Mön- chen, Chorherrn, eine ganze Schaar von Mitren, nichts als Bischofsgewänder. Auch die Kardinäle erschienen heute violet wegen der Charwoche, nur daran kenntlich, daß ein Geistlicher neben jedem das Mützchen trägt. Die Gestalt Pius IX. hatte etwas Monumentales, wie er, beständig die beiden Finger zum Segen erhoben, so hingetragen ward durch diesen weißen Marmorberg, dicht an uns vorbei. Das Historische im Moment er- griff uns. Wie viele Päpste sind so schon durch diese Hallen getragen worden! Wie viele werden noch durch- getragen werden? Als der heilige Vater seinen Thron jenseits des Hochaltars erreicht hatte, begann die weit ausgespon- nene und zuletzt ermüdende Ceremonie. Das Einwei- hen, das Segnen, das Küssen der Palmstengel nahm kein Ende, bis sie zuletzt an sämmtliche Kar- dinäle und Prälaten, dann auch an die weltlichen Fürsten Roms, an die Würdenträger, an die fremden Diplomaten, vorzüglich auch an die französischen hohen Offiziere vertheilt wurden. Die Katholiken unter den Diplomaten küßten beim Empfang die Hand, die andern neigten sich nur tief. Zu den Füßen des Throns ruh- ten auch grüne Palmen, welche später ebenfalls ver- theilt wurden an den niedern Klerus. Mehrere Orte haben die Vergünstigung, die Palmen zu liefern, z. B. Nizza, und besonders Genua, wo sich dieses Vorrecht bei den Angehörigen eines Matrosen forterbt, der sich bei der schwierigen Aufrichtung des Obelisken auf dem Petersplatze bedeutendes Verdienst erworben. Nach dem

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 842. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/2>, abgerufen am 29.05.2024.