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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Thurn, von Granson, von Falckenstein und ander, durch
stäte getrüwe Mithilff dero von Solotorn ze Armut
gekriegt, und mithin ußgeharret, biß si all vertilget
sind, dardurch die Hertzogen von Zeringen wol gerochen
worden."

So ist auf dem unergiebigen geschichtlichen Boden,
den wir zu Anfang betraten, binnen weniger Jahr-
hunderte ein voller Baum mit Zweigen und Blättern
erwachsen, welchem die Kritik bis jetzt die Wurzeln
völlig abgesprochen hat. Jndessen verdient es doch noch
näher erwogen zu werden, ob auch nicht ein Schein
von geschichtlicher Begründung oder wenigstens Veran-
lassung an der Sage hafte.

Die erste Frage, die hier in Betracht kommen
muß, ist offenbar die nach den Söhnen des Herzogs
Berchtold von Zöringen. Jm Jahr 1208 hatte der-
selbe, wie bereits erwähnt, noch keinen Sohn; er war
aber, wie wir gesehen haben, zu der genannten Zeit
höchstens 51 Jahre alt. Die Nachrichten von seinem
Tode sodann lauten ganz kurz: " Berchtoldus dux Za-
ringiae obiit
," oder: " rector Brisgaudiae et Burgun-
diae crudelissimus obiit ao. 1218 XII. Kal. Mart. etc
."
Auch seiner Kinderlosigkeit wird von einigen gedacht:
" sine herede " sagt die eine, " sine filiis " die andere.
Ob er jedoch niemals Söhne hatte oder ob sie vor
ihm starben, bleibt nach diesen Angaben unentschieden.
Nun aber berichtet Tschudi in seiner Chronik zum
Jahr 1209 ganz trocken: " Anno Domini 1209, als
Hertzog Berchtold von Zeringen zu Solotorn im Uecht-
land im mindern Burgund sins Fürstentumb lag, gebar
allda sin Eegemachel die Hertzogin ein Sun, genannt
Cunrat." Und eben so später zum Jahr 1210: " Anno
Domini
1210 ward Hertzog Berchtolden von Zeringen
von sinem Eegemachel aber ein junger Sun geboren
in der Statt Solotorn, der ward Berchtold nach des
Vaters Namen genämpt, und starb die Hertzogin in der
Kindbett."

Die neuere Geschichtschreibung, bei welcher Tschudi
als ein unkritischer und sehr verdächtiger Gewährsmann
verschrieen ist, wird auf diese Angaben wenig Gewicht
legen; indessen, was sollte der Chronist für Gründe
gehabt haben, die beiden Notizen, die er völlig verein-
zelt und im dürren Thatsachentone mittheilt, zu erfin-
den? Der Sage, die er an einer späteren Stelle folgen
läßt, mit Berechnung vorher eine historische Stütze zu
unterschieben, das hatte er durchaus nicht nöthig, denn
die Sage wurde zu seiner Zeit so allgemein geglaubt,
daß er nicht für sie zu kämpfen brauchte; eben so we-
nig forderte das Daseyn der Sage ein besonderes Zeug-
niß für das Daseyn der Söhne, deren Erwähnung in
der Erzählung selbst ja vollkommen genügt haben würde.
[Spaltenumbruch] Gewiß mit Recht bemerkt der badische Geschichtschreiber: *
"Beide Stellen haben ganz den Ton und die Kürze der
alten Jahrbücher; sie stehen auch so vereinzelt unter
ganz andern Gegenständen, daß man sieht, Tschudi
nahm sie nach dem Jahrgang eben auf, wie er sie
in seinen Handschriften vorfand, deren er viele seither
verlorene besaß." "Es ist im Geiste jener Zeit," fügt
Bader hinzu, "daß der Herzog seinen ersten Sohn nach
seinem Großvater Konrad und erst den zweiten nach
seinem Vater und sich selbst benannte." Letzteres schiene
zwar eine Abweichung von der Sitte des Zäringischen
Hauses, den Namen Berchtold zum stehenden Regen-
tennamen zu machen; doch würde sich die Abweichung
eben aus dem Umstand erklären, daß jener Konrad,
der Gründer der Freiburgischen Verfassung, durch den
blutigen Tod seines älteren Bruders, Berchtolds III.,
zur Regierung und hiedurch sein Name im Hause zu
höherer Geltung gekommen war.

Aber auch die Nachricht von 1208, die wir jetzt
erst näher in's Auge zu fassen haben, scheint die An-
nahme, daß Herzog Berchtold in den letzten zehn Jah-
ren seines Lebens nicht immer kinderlos gewesen sey,
beinahe eher zu begünstigen als zu widerlegen. Sie steht
bei Konrad von Pfeffers. Dieser sanctgallische
Capitelherr ( presbyter S. Othmari, dictus de Fabaria ) ,
der die von Radpert und Ekkehard begonnene Chronik
der Begebenheiten des Klosters ( casus S. Galli ) in den
Jahren von 1203 bis 1234 fortsetzte, berichtet zum
Jahr 1208 wie folgt:

Als nach der Ermordung des Königs Philipp,
der als Herzog von Schwaben Kastvogt über St. Gallen
gewesen war, diese Kastvogtei erledigt gewesen sey,
habe Herzog Berchtold von Zäringen dem Kloster 4000
und den untergebenen Dienstmannen desselben 400 Mark
Silbers angeboten, wofern sie die Kastvogtei keinem
andern als ihm und seinem Sohn und Erben, falls er
einen Sohn, den er damals nicht hatte, etwa noch er-
langen sollte, übertragen würden **... ( Der gefürchtete
[Ende Spaltensatz]

* Archivrath Dr. Josef Bader, in einem Brief an
seinen Freund, den Verfasser, den er reichlich mit dan-
kenswerthem Material zu der gegenwärtigen Erörterung
versehen hat.
** Pertz II, 169. Cum advocatia aliaque quam
plurima feoda nostrae cessissent jurisdictioni, Berthol-
dus dux de Zaringen IV millia marcas argenti mona-
sterio et clientibus auriculariis CD marcas obtulisset,
hoc pacto, ut advocaciam sibi suoque heredi filio, et
non alii, si forte filium, quem tunc non habuit, ac-
quisisset; numquam se alienaturum juramento voluit
confirmasse
. Zu suppliren nach ut ist etwa contulissent

[Beginn Spaltensatz] Thurn, von Granson, von Falckenstein und ander, durch
stäte getrüwe Mithilff dero von Solotorn ze Armut
gekriegt, und mithin ußgeharret, biß si all vertilget
sind, dardurch die Hertzogen von Zeringen wol gerochen
worden.“

So ist auf dem unergiebigen geschichtlichen Boden,
den wir zu Anfang betraten, binnen weniger Jahr-
hunderte ein voller Baum mit Zweigen und Blättern
erwachsen, welchem die Kritik bis jetzt die Wurzeln
völlig abgesprochen hat. Jndessen verdient es doch noch
näher erwogen zu werden, ob auch nicht ein Schein
von geschichtlicher Begründung oder wenigstens Veran-
lassung an der Sage hafte.

Die erste Frage, die hier in Betracht kommen
muß, ist offenbar die nach den Söhnen des Herzogs
Berchtold von Zöringen. Jm Jahr 1208 hatte der-
selbe, wie bereits erwähnt, noch keinen Sohn; er war
aber, wie wir gesehen haben, zu der genannten Zeit
höchstens 51 Jahre alt. Die Nachrichten von seinem
Tode sodann lauten ganz kurz: » Berchtoldus dux Za-
ringiae obiit
,« oder: » rector Brisgaudiae et Burgun-
diae crudelissimus obiit ao. 1218 XII. Kal. Mart. etc

Auch seiner Kinderlosigkeit wird von einigen gedacht:
» sine herede « sagt die eine, » sine filiis « die andere.
Ob er jedoch niemals Söhne hatte oder ob sie vor
ihm starben, bleibt nach diesen Angaben unentschieden.
Nun aber berichtet Tschudi in seiner Chronik zum
Jahr 1209 ganz trocken: » Anno Domini 1209, als
Hertzog Berchtold von Zeringen zu Solotorn im Uecht-
land im mindern Burgund sins Fürstentumb lag, gebar
allda sin Eegemachel die Hertzogin ein Sun, genannt
Cunrat.“ Und eben so später zum Jahr 1210: » Anno
Domini
1210 ward Hertzog Berchtolden von Zeringen
von sinem Eegemachel aber ein junger Sun geboren
in der Statt Solotorn, der ward Berchtold nach des
Vaters Namen genämpt, und starb die Hertzogin in der
Kindbett.“

Die neuere Geschichtschreibung, bei welcher Tschudi
als ein unkritischer und sehr verdächtiger Gewährsmann
verschrieen ist, wird auf diese Angaben wenig Gewicht
legen; indessen, was sollte der Chronist für Gründe
gehabt haben, die beiden Notizen, die er völlig verein-
zelt und im dürren Thatsachentone mittheilt, zu erfin-
den? Der Sage, die er an einer späteren Stelle folgen
läßt, mit Berechnung vorher eine historische Stütze zu
unterschieben, das hatte er durchaus nicht nöthig, denn
die Sage wurde zu seiner Zeit so allgemein geglaubt,
daß er nicht für sie zu kämpfen brauchte; eben so we-
nig forderte das Daseyn der Sage ein besonderes Zeug-
niß für das Daseyn der Söhne, deren Erwähnung in
der Erzählung selbst ja vollkommen genügt haben würde.
[Spaltenumbruch] Gewiß mit Recht bemerkt der badische Geschichtschreiber: *
„Beide Stellen haben ganz den Ton und die Kürze der
alten Jahrbücher; sie stehen auch so vereinzelt unter
ganz andern Gegenständen, daß man sieht, Tschudi
nahm sie nach dem Jahrgang eben auf, wie er sie
in seinen Handschriften vorfand, deren er viele seither
verlorene besaß.“ „Es ist im Geiste jener Zeit,“ fügt
Bader hinzu, „daß der Herzog seinen ersten Sohn nach
seinem Großvater Konrad und erst den zweiten nach
seinem Vater und sich selbst benannte.“ Letzteres schiene
zwar eine Abweichung von der Sitte des Zäringischen
Hauses, den Namen Berchtold zum stehenden Regen-
tennamen zu machen; doch würde sich die Abweichung
eben aus dem Umstand erklären, daß jener Konrad,
der Gründer der Freiburgischen Verfassung, durch den
blutigen Tod seines älteren Bruders, Berchtolds III.,
zur Regierung und hiedurch sein Name im Hause zu
höherer Geltung gekommen war.

Aber auch die Nachricht von 1208, die wir jetzt
erst näher in's Auge zu fassen haben, scheint die An-
nahme, daß Herzog Berchtold in den letzten zehn Jah-
ren seines Lebens nicht immer kinderlos gewesen sey,
beinahe eher zu begünstigen als zu widerlegen. Sie steht
bei Konrad von Pfeffers. Dieser sanctgallische
Capitelherr ( presbyter S. Othmari, dictus de Fabaria ) ,
der die von Radpert und Ekkehard begonnene Chronik
der Begebenheiten des Klosters ( casus S. Galli ) in den
Jahren von 1203 bis 1234 fortsetzte, berichtet zum
Jahr 1208 wie folgt:

Als nach der Ermordung des Königs Philipp,
der als Herzog von Schwaben Kastvogt über St. Gallen
gewesen war, diese Kastvogtei erledigt gewesen sey,
habe Herzog Berchtold von Zäringen dem Kloster 4000
und den untergebenen Dienstmannen desselben 400 Mark
Silbers angeboten, wofern sie die Kastvogtei keinem
andern als ihm und seinem Sohn und Erben, falls er
einen Sohn, den er damals nicht hatte, etwa noch er-
langen sollte, übertragen würden **... ( Der gefürchtete
[Ende Spaltensatz]

* Archivrath Dr. Josef Bader, in einem Brief an
seinen Freund, den Verfasser, den er reichlich mit dan-
kenswerthem Material zu der gegenwärtigen Erörterung
versehen hat.
** Pertz II, 169. Cum advocatia aliaque quam
plurima feoda nostrae cessissent jurisdictioni, Berthol-
dus dux de Zaringen IV millia marcas argenti mona-
sterio et clientibus auriculariis CD marcas obtulisset,
hoc pacto, ut advocaciam sibi suoque heredi filio, et
non alii, si forte filium, quem tunc non habuit, ac-
quisisset; numquam se alienaturum juramento voluit
confirmasse
. Zu suppliren nach ut ist etwa contulissent
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[849/0009] 849 Thurn, von Granson, von Falckenstein und ander, durch stäte getrüwe Mithilff dero von Solotorn ze Armut gekriegt, und mithin ußgeharret, biß si all vertilget sind, dardurch die Hertzogen von Zeringen wol gerochen worden.“ So ist auf dem unergiebigen geschichtlichen Boden, den wir zu Anfang betraten, binnen weniger Jahr- hunderte ein voller Baum mit Zweigen und Blättern erwachsen, welchem die Kritik bis jetzt die Wurzeln völlig abgesprochen hat. Jndessen verdient es doch noch näher erwogen zu werden, ob auch nicht ein Schein von geschichtlicher Begründung oder wenigstens Veran- lassung an der Sage hafte. Die erste Frage, die hier in Betracht kommen muß, ist offenbar die nach den Söhnen des Herzogs Berchtold von Zöringen. Jm Jahr 1208 hatte der- selbe, wie bereits erwähnt, noch keinen Sohn; er war aber, wie wir gesehen haben, zu der genannten Zeit höchstens 51 Jahre alt. 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Nun aber berichtet Tschudi in seiner Chronik zum Jahr 1209 ganz trocken: » Anno Domini 1209, als Hertzog Berchtold von Zeringen zu Solotorn im Uecht- land im mindern Burgund sins Fürstentumb lag, gebar allda sin Eegemachel die Hertzogin ein Sun, genannt Cunrat.“ Und eben so später zum Jahr 1210: » Anno Domini 1210 ward Hertzog Berchtolden von Zeringen von sinem Eegemachel aber ein junger Sun geboren in der Statt Solotorn, der ward Berchtold nach des Vaters Namen genämpt, und starb die Hertzogin in der Kindbett.“ Die neuere Geschichtschreibung, bei welcher Tschudi als ein unkritischer und sehr verdächtiger Gewährsmann verschrieen ist, wird auf diese Angaben wenig Gewicht legen; indessen, was sollte der Chronist für Gründe gehabt haben, die beiden Notizen, die er völlig verein- zelt und im dürren Thatsachentone mittheilt, zu erfin- den? 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Aber auch die Nachricht von 1208, die wir jetzt erst näher in's Auge zu fassen haben, scheint die An- nahme, daß Herzog Berchtold in den letzten zehn Jah- ren seines Lebens nicht immer kinderlos gewesen sey, beinahe eher zu begünstigen als zu widerlegen. Sie steht bei Konrad von Pfeffers. Dieser sanctgallische Capitelherr ( presbyter S. Othmari, dictus de Fabaria ) , der die von Radpert und Ekkehard begonnene Chronik der Begebenheiten des Klosters ( casus S. Galli ) in den Jahren von 1203 bis 1234 fortsetzte, berichtet zum Jahr 1208 wie folgt: Als nach der Ermordung des Königs Philipp, der als Herzog von Schwaben Kastvogt über St. Gallen gewesen war, diese Kastvogtei erledigt gewesen sey, habe Herzog Berchtold von Zäringen dem Kloster 4000 und den untergebenen Dienstmannen desselben 400 Mark Silbers angeboten, wofern sie die Kastvogtei keinem andern als ihm und seinem Sohn und Erben, falls er einen Sohn, den er damals nicht hatte, etwa noch er- langen sollte, übertragen würden **... ( Der gefürchtete * Archivrath Dr. Josef Bader, in einem Brief an seinen Freund, den Verfasser, den er reichlich mit dan- kenswerthem Material zu der gegenwärtigen Erörterung versehen hat. ** Pertz II, 169. Cum advocatia aliaque quam plurima feoda nostrae cessissent jurisdictioni, Berthol- dus dux de Zaringen IV millia marcas argenti mona- sterio et clientibus auriculariis CD marcas obtulisset, hoc pacto, ut advocaciam sibi suoque heredi filio, et non alii, si forte filium, quem tunc non habuit, ac- quisisset; numquam se alienaturum juramento voluit confirmasse. Zu suppliren nach ut ist etwa contulissent

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 849. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/9>, abgerufen am 21.11.2024.