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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] dennoch zurückzubleiben. Nur ein schwächliches oder
verkehrtes Nazarenerthum meint durch Verleugnung der
Natur dem Geiste zu dienen, und Saft und Kraft der
Farbe verschmähen zu dürfen, indem es das eigene Un-
vermögen für Keuschheit ausgibt.

Es ist vielleicht hier der Ort, noch ein Wort über
Nacktheit und Gewandung in der Malerei zu sagen.
Da diese nicht die Leibesschönheit als solche, sondern
den Seelenausdruck darzustellen die eigenthümliche Auf-
gabe hat, so wird sie denselben im Angesicht und in
der Geberde concentriren, im übrigen aber die Gewan-
dung vorziehen, indem durch die Verhüllung die Be-
deutung des Unverhüllten gehoben wird, der gemalte
Körper aber nicht wie in der Plastik die kühle Weihe
des Jdealen und Schönen durch die reine Form em-
pfängt, sondern in der Lebenswärme und der Jllusion
der Farbe viel leichter dem bloß sinnlich Reizenden und
Lüsternen verfällt. Wir meinen mit Vischer, daß es
keineswegs der Malerei versagt sey, das Wunderge-
wächse des Körpers auch in der Zusammenwirkung sei-
nes warmen Farbenlebens mit dem Schwung und Fluß
der Formen zu enthüllen, ohne darum den Ausdruck
höher als zu einer Stimmung unschuldiger Sinnlichkeit
zu steigern; aber wir machen darauf aufmerksam, daß
was einem Tizian gelingt, "durch die Höhe der Kunst
jeden Anreiz zur Begierde im Zuschauer vor der Be-
wunderung des Meisterwerks der Natur niederzuhalten,"
nur von wenigen erreicht und von minder reinen und
hohen Geistern gar nicht einmal erstrebt wird. -- Jn
Bezug auf die Gewandung wird die Malerei durch die
Tracht und das Tragen die Jndividualität persönlich,
zeitlich, national charakterisiren; sie wird naturalistisch
an der Wiedergabe des Stoffs ihre Freude haben, idea-
listisch durch wohlgefügten Faltenwurf der Plastik sich
annähern, immer aber dem Momentanen, Willkürlichen,
Zufälligen, von außen Bedingten, ihrem Grundprincipe
nach, mehr Spielraum gönnen.

Mit der Auffassung nun steht die Ausführung im
innigsten Zusammenhange, und diese ist wieder an das
Material geknüpft, das für sie nicht gleichgültig ist,
vielmehr selber sich den verschiedenen Stylarten an-
schmiegt, so daß diese selbst durch die Eigenthümlich-
keiten des Materials getragen werden. Es kommt hier
sowohl die Fläche, auf welche, als das Material, mit wel-
chem gemalt wird, in Betracht. Jene kann die geglättete
Wand eines Gebäudes, und damit architektonisch fest
und monumental seyn, oder sie kann beweglich herge-
stellt werden, und es können dann Stein=, Metall-
und Holzplatten, Pergament, Leinwand, Elfenbein und
Papier, so wie auch das durchsichtige Glas verwendet
werden. Darstellungsmittel sind schwarze, weiße, far-
[Spaltenumbruch] bige Körper, Erdarten wie Graphit oder Metalloxyde,
Kohle und Pflanzensäfte, oder das Roth der Purpur-
schnecke. Man kann, wie bei der Zeichnung mit Kohle
und Stiften, die trockenen Farbstoffe verwenden und sie,
wie beim Pastell, ineinander verwischen; man kann sie
in Flüssigkeiten auflösen, auftragen und trocknen lassen,
und Wasser, Eiweiß, Feigensaft, Wachs, Oel als
Bindungsmittel nehmen.

Die Malerei kann als zeichnende Kunst bei der
Zeichnung stehen bleiben. Formlos neben einander auf-
getragene Farben sind künstlerisch nichtssagend, aber der
bloße Umriß spricht, ja er kann für sich einen genü-
genden und befriedigenden Eindruck machen, wie Flax-
man, Cornelius und Genelli durch meisterhafte Werke
bewiesen haben. Findet doch Franz Kugler die Zeich-
nungen der Entwürfe für das Campo Santo in Berlin
so herrlich und in sich vollendet, so durch die einfachen
Linien den ganzen Sinn der idealen Anschauung aus-
sprechend und darlegend, daß er von der größeren Aus-
führung in der Modellirung von Licht und Schatten
und im Glanz der Farbe mehr für sie fürchtet als hofft.
Flaxman rief für Darstellungen aus der Antike, für
Compositionen nach Homer, Hesiod und Aeschylus den
Styl der griechischen Vasengemälde wieder in's Leben,
und übte die Kunst, mit Wenigem viel zu sagen, nur
das Wesenhafte und Nothwendige, und dieses darum in
ungetrübter Klarheit darzustellen. Da hier die Form
allein wirkt, so trägt das Werk ein plastisches Gepräge,
und schließt sich zunächst dem Relief an. Es gilt die
Figuren möglichst ganz, voll und schön zu entfalten, sie
im gleichen Lichte zu zeigen und nicht die Undeutlichkeit
der Ferne hereinzuziehen, sondern das Ganze auf Einer
Ebene oder mit wenigen Vertiefungen und Verkürzungen
auszubreiten; denn die Schattenangabe fehlt, durch
welche diese letzteren erst ihren rechten Ausdruck finden.
Der architektonische Aufbau der Composition im Rhyth-
mus der Linien soll uns gefallen, und diejenigen Cha-
raktere eignen sich für solche Zeichnungen, welche gleich
den Helden der Bibel oder der griechischen Poesie in
schlichter Größe die Grundrichtungen des menschlichen
Geistes, die Grundstimmungen der Seele ausprägen
und durch bestimmte Thaten mit ungebrochener Entschie-
denheit äußern, so daß die Einfachheit der scharf be-
stimmten, in sich geschlossenen Form dem Stoff gemäß
ist, und der ideale Jnhalt im harmonischen Fluß und
Adel der Linien offenbar wird.

Einen Schritt weiter geht die Zeichnung, wenn sie
auch durch die Modellirung von Licht und Schatten
innerhalb der Umrisse die Figuren rundet und die Per-
spektive in der größeren Kraft der Vordergründe, in den
minder scharfen Linien der Ferne unterstützt. Hier wird
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] dennoch zurückzubleiben. Nur ein schwächliches oder
verkehrtes Nazarenerthum meint durch Verleugnung der
Natur dem Geiste zu dienen, und Saft und Kraft der
Farbe verschmähen zu dürfen, indem es das eigene Un-
vermögen für Keuschheit ausgibt.

Es ist vielleicht hier der Ort, noch ein Wort über
Nacktheit und Gewandung in der Malerei zu sagen.
Da diese nicht die Leibesschönheit als solche, sondern
den Seelenausdruck darzustellen die eigenthümliche Auf-
gabe hat, so wird sie denselben im Angesicht und in
der Geberde concentriren, im übrigen aber die Gewan-
dung vorziehen, indem durch die Verhüllung die Be-
deutung des Unverhüllten gehoben wird, der gemalte
Körper aber nicht wie in der Plastik die kühle Weihe
des Jdealen und Schönen durch die reine Form em-
pfängt, sondern in der Lebenswärme und der Jllusion
der Farbe viel leichter dem bloß sinnlich Reizenden und
Lüsternen verfällt. Wir meinen mit Vischer, daß es
keineswegs der Malerei versagt sey, das Wunderge-
wächse des Körpers auch in der Zusammenwirkung sei-
nes warmen Farbenlebens mit dem Schwung und Fluß
der Formen zu enthüllen, ohne darum den Ausdruck
höher als zu einer Stimmung unschuldiger Sinnlichkeit
zu steigern; aber wir machen darauf aufmerksam, daß
was einem Tizian gelingt, „durch die Höhe der Kunst
jeden Anreiz zur Begierde im Zuschauer vor der Be-
wunderung des Meisterwerks der Natur niederzuhalten,“
nur von wenigen erreicht und von minder reinen und
hohen Geistern gar nicht einmal erstrebt wird. — Jn
Bezug auf die Gewandung wird die Malerei durch die
Tracht und das Tragen die Jndividualität persönlich,
zeitlich, national charakterisiren; sie wird naturalistisch
an der Wiedergabe des Stoffs ihre Freude haben, idea-
listisch durch wohlgefügten Faltenwurf der Plastik sich
annähern, immer aber dem Momentanen, Willkürlichen,
Zufälligen, von außen Bedingten, ihrem Grundprincipe
nach, mehr Spielraum gönnen.

Mit der Auffassung nun steht die Ausführung im
innigsten Zusammenhange, und diese ist wieder an das
Material geknüpft, das für sie nicht gleichgültig ist,
vielmehr selber sich den verschiedenen Stylarten an-
schmiegt, so daß diese selbst durch die Eigenthümlich-
keiten des Materials getragen werden. Es kommt hier
sowohl die Fläche, auf welche, als das Material, mit wel-
chem gemalt wird, in Betracht. Jene kann die geglättete
Wand eines Gebäudes, und damit architektonisch fest
und monumental seyn, oder sie kann beweglich herge-
stellt werden, und es können dann Stein=, Metall-
und Holzplatten, Pergament, Leinwand, Elfenbein und
Papier, so wie auch das durchsichtige Glas verwendet
werden. Darstellungsmittel sind schwarze, weiße, far-
[Spaltenumbruch] bige Körper, Erdarten wie Graphit oder Metalloxyde,
Kohle und Pflanzensäfte, oder das Roth der Purpur-
schnecke. Man kann, wie bei der Zeichnung mit Kohle
und Stiften, die trockenen Farbstoffe verwenden und sie,
wie beim Pastell, ineinander verwischen; man kann sie
in Flüssigkeiten auflösen, auftragen und trocknen lassen,
und Wasser, Eiweiß, Feigensaft, Wachs, Oel als
Bindungsmittel nehmen.

Die Malerei kann als zeichnende Kunst bei der
Zeichnung stehen bleiben. Formlos neben einander auf-
getragene Farben sind künstlerisch nichtssagend, aber der
bloße Umriß spricht, ja er kann für sich einen genü-
genden und befriedigenden Eindruck machen, wie Flax-
man, Cornelius und Genelli durch meisterhafte Werke
bewiesen haben. Findet doch Franz Kugler die Zeich-
nungen der Entwürfe für das Campo Santo in Berlin
so herrlich und in sich vollendet, so durch die einfachen
Linien den ganzen Sinn der idealen Anschauung aus-
sprechend und darlegend, daß er von der größeren Aus-
führung in der Modellirung von Licht und Schatten
und im Glanz der Farbe mehr für sie fürchtet als hofft.
Flaxman rief für Darstellungen aus der Antike, für
Compositionen nach Homer, Hesiod und Aeschylus den
Styl der griechischen Vasengemälde wieder in's Leben,
und übte die Kunst, mit Wenigem viel zu sagen, nur
das Wesenhafte und Nothwendige, und dieses darum in
ungetrübter Klarheit darzustellen. Da hier die Form
allein wirkt, so trägt das Werk ein plastisches Gepräge,
und schließt sich zunächst dem Relief an. Es gilt die
Figuren möglichst ganz, voll und schön zu entfalten, sie
im gleichen Lichte zu zeigen und nicht die Undeutlichkeit
der Ferne hereinzuziehen, sondern das Ganze auf Einer
Ebene oder mit wenigen Vertiefungen und Verkürzungen
auszubreiten; denn die Schattenangabe fehlt, durch
welche diese letzteren erst ihren rechten Ausdruck finden.
Der architektonische Aufbau der Composition im Rhyth-
mus der Linien soll uns gefallen, und diejenigen Cha-
raktere eignen sich für solche Zeichnungen, welche gleich
den Helden der Bibel oder der griechischen Poesie in
schlichter Größe die Grundrichtungen des menschlichen
Geistes, die Grundstimmungen der Seele ausprägen
und durch bestimmte Thaten mit ungebrochener Entschie-
denheit äußern, so daß die Einfachheit der scharf be-
stimmten, in sich geschlossenen Form dem Stoff gemäß
ist, und der ideale Jnhalt im harmonischen Fluß und
Adel der Linien offenbar wird.

Einen Schritt weiter geht die Zeichnung, wenn sie
auch durch die Modellirung von Licht und Schatten
innerhalb der Umrisse die Figuren rundet und die Per-
spektive in der größeren Kraft der Vordergründe, in den
minder scharfen Linien der Ferne unterstützt. Hier wird
[Ende Spaltensatz]

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Man kann, wie bei der Zeichnung mit Kohle und Stiften, die trockenen Farbstoffe verwenden und sie, wie beim Pastell, ineinander verwischen; man kann sie in Flüssigkeiten auflösen, auftragen und trocknen lassen, und Wasser, Eiweiß, Feigensaft, Wachs, Oel als Bindungsmittel nehmen. Die Malerei kann als zeichnende Kunst bei der Zeichnung stehen bleiben. Formlos neben einander auf- getragene Farben sind künstlerisch nichtssagend, aber der bloße Umriß spricht, ja er kann für sich einen genü- genden und befriedigenden Eindruck machen, wie Flax- man, Cornelius und Genelli durch meisterhafte Werke bewiesen haben. Findet doch Franz Kugler die Zeich- nungen der Entwürfe für das Campo Santo in Berlin so herrlich und in sich vollendet, so durch die einfachen Linien den ganzen Sinn der idealen Anschauung aus- sprechend und darlegend, daß er von der größeren Aus- führung in der Modellirung von Licht und Schatten und im Glanz der Farbe mehr für sie fürchtet als hofft. Flaxman rief für Darstellungen aus der Antike, für Compositionen nach Homer, Hesiod und Aeschylus den Styl der griechischen Vasengemälde wieder in's Leben, und übte die Kunst, mit Wenigem viel zu sagen, nur das Wesenhafte und Nothwendige, und dieses darum in ungetrübter Klarheit darzustellen. Da hier die Form allein wirkt, so trägt das Werk ein plastisches Gepräge, und schließt sich zunächst dem Relief an. Es gilt die Figuren möglichst ganz, voll und schön zu entfalten, sie im gleichen Lichte zu zeigen und nicht die Undeutlichkeit der Ferne hereinzuziehen, sondern das Ganze auf Einer Ebene oder mit wenigen Vertiefungen und Verkürzungen auszubreiten; denn die Schattenangabe fehlt, durch welche diese letzteren erst ihren rechten Ausdruck finden. Der architektonische Aufbau der Composition im Rhyth- mus der Linien soll uns gefallen, und diejenigen Cha- raktere eignen sich für solche Zeichnungen, welche gleich den Helden der Bibel oder der griechischen Poesie in schlichter Größe die Grundrichtungen des menschlichen Geistes, die Grundstimmungen der Seele ausprägen und durch bestimmte Thaten mit ungebrochener Entschie- denheit äußern, so daß die Einfachheit der scharf be- stimmten, in sich geschlossenen Form dem Stoff gemäß ist, und der ideale Jnhalt im harmonischen Fluß und Adel der Linien offenbar wird. Einen Schritt weiter geht die Zeichnung, wenn sie auch durch die Modellirung von Licht und Schatten innerhalb der Umrisse die Figuren rundet und die Per- spektive in der größeren Kraft der Vordergründe, in den minder scharfen Linien der Ferne unterstützt. Hier wird

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856, S. 1110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt47_1856/6>, abgerufen am 21.11.2024.