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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] lichen Lebens. So manche Familie, Gemeinde und Stif-
tung aber segnet die Wohlthäter in der Ferne.

Auf den pfälzischen Eisenbahnen herrschte im Laufe
des verflossenen Sommers wieder ein äußerst reges Leben.
Vor allem muß ich der Lustfahrten gedenken, zu welchen
sie benützt wurden. Zuerst war es das große Straßburger
Sängerfest am 1. und 2. Juni, das viele sang= und
lebenslustige Gesellen nach der alten deutsch=französischen
Rheinstadt lockte, wo sie der bekannte Volksdichter und
Drechsler Daniel Hirtz mit einem Gedichte in der "alde
Muedersprooch" begrüßte. Drauf zogen 1100 Speyerer
Bürger am 22. Juni nach Mainz, um den Besuch zu er-
widern, den die Mainzer in ähnlicher Zahl der Stadt
Speyer und ihrem Dom abgestattet, eine Festlichkeit, die
freilich vom Himmel nicht sonderlich begünstigt wurde,
aber doch viele fröhliche Gemüther in der goldenen Mo-
guntia zusammenführte. Eine gleiche Fahrt nach Mainz
machten 1100 Bewohner Neustadts und seiner Umgegend
am 20. Juli, und die Mainzer wieder zogen nach Straß-
burg und nahmen mit, was unterwegs sich ihrem heitern
Zuge anschloß. Auch die Liedertafel von Mannheim machte
am 27. Juli eine Sängerfahrt in unsere Pfalz. Jhr Ziel
war Edenkoben oder vielmehr Ludwigshöhe, wo sie der
Kaiserin, als einer geborenen Mannheimerin, in der
Veranda der Villa ein Ständchen brachte und für ihre
schönen Lieder den herzlichsten Dank des hohen Geschwister-
paares erntete. Niemals aber seit ihrem Bestehen haben
unsere Eisenbahnen an einem Tage solche Menschenmassen
getragen, wie am 26. September, an dem die junge Groß-
herzogin Louise mit ihrem Gemahl in Mannheim einzog.
Kurz, Sie sehen, daß meine Landsleute ihre Schienenwege
nicht bloß zu Geschäften, sondern auch zum Vergnügen in
steigendem Maße zu benützen wissen. Es sieht dem freilich
manches Auge nicht eben billigend zu, und es sind ernste
Stimmen besonders gegen die Sonntagsfahrten zu er-
mäßigten Preisen laut geworden; ob sie aber dem neuen
Pfeifer von Hameln Einhalt gebieten werden, das ist eine
Frage, die zu beantworten ich mir jetzt nicht getraue.
Ebenso wenig bin ich im Stande, mit Gewißheit zu sagen,
ob die vier neuen Eisenbahnprojekte, die auf pfälzischem
Boden aufgeschossen sind, zur Reife gedeihen werden. Es
soll von Kaiserslautern über Kirchheimbolanden nach Alzey,
von Neustadt über Dürkheim nach Frankenthal oder gar
bis ins Hessische, es soll von Frankenthal nach Grünstadt
und von Homburg nach dem fabrikreichen St. Jngbert
gebaut werden. Das ist viel auf einmal, wohl zu viel,
und überdieß schütteln die Aktionäre der Ludwigsbahn den
Kopf dazu und wollen nichts von Anschluß wissen, da sie
ihr Jnteresse beeinträchtigt glauben. Dagegen wird an
der Zweigbahn von Homburg nach Zweibrücken rüstig ge-
arbeitet; die Hochbauten steigen schon empor und der
nächste Sommer wird das Werk vollendet sehen.

Am Dom zu Speyer sind im Laufe des Sommers
die beiden neuen Thürme vollendet worden. Sie werden
nicht mit sonderlichem Wohlgefallen betrachtet, da sie dem
[Spaltenumbruch] Auge, im Gegenhalt zu den östlichen Thürmen, allzu
klein und besonders zu mager erscheinen. Jst aber der
Anblick schon erträglicher geworden, seit sie ihre Stein-
helme mit den Kreuzen tragen, so dürfte das scheinbare
Mißverhältniß noch mehr, vielleicht völlig verschwinden,
wenn sie einmal nicht mehr so vereinsamt in die Luft
ragen, sondern die stattliche achtseitige Kuppel zwischen
sich haben, die jetzt erst bis zu ihrem Arkadengange aus
dem Dache des Paradieses oder der Kaiserhalle herausge-
wachsen ist. Dagegen, daß der Architekt die Frontseite
durch einen Giebel gekrönt hat, lassen sich jetzt auch mehr
Stimmen vernehmen, zumal man hierin eine Abweichung
von dem ursprünglichen Styl des Baues erblickt. Jch
selbst muß jetzt gestehen, daß ich mir die Wirkung eines
solches Giebels als eine befriedigendere gedacht hatte. Na-
mentlich hatte ich mir gedacht, die Stirnseite würde zu
schwer und gedrückt erscheinen, wenn man das Dachge-
simse unmittelbar über dem Arkadengange in gerader Linie
hätte durchlaufen lassen. Jetzt sehe ich, daß dieß nicht der
Fall gewesen wäre, da die beträchtliche Höhe des Baues
die Stirnwand eher schmal als zu breit erscheinen läßt.
Dennoch kann ich dem Architekten seinen Giebel nicht zum
Vorwurfe machen, da ich mir ohne denselben das Heraus-
steigen der Kuppel aus dem Dache nicht als schön denken
kann. -- Auch die Doppelfarbe des Neubaus will vielen
Augen nicht gefallen, da sie der ernsten Würde des Styls
gegenüber wie eine Spielerei gemahnen will; indessen
macht sie diesen Eindruck sicherlich nur kurze Zeit. Jn
wenigen Jahren wird der Glanz des Neuen nicht mehr so
grell hervortreten, die Wetterfarbe wird sich geltend machen
und an dem milder gewordenen Wechsel der Farben wird
das Auge eben so wenig Anstoß nehmen wie an dem älte-
ren Mauerwerk, das ja in ganz ähnlicher Weise geschichtet
ist. -- Von den Arbeiten der Bildhauer läßt sich bis jetzt
noch wenig oder nichts berichten. Hier sey nur bemerkt,
daß Joseph Gasser aus Wien schon zwei Monate in Speyer
ist, um an seinen Statuen für die Nischen des Hauptpor-
tals zu arbeiten. Seine Aufgaben sind zunächst die Patrone
der Kathedrale, Maria mit dem Kinde und St. Stephan
der Märtyrer, ferner der Täufer Johannes, St. Bernhard
und der Erzengel Michael. Die Basreliefs in der Kaiser-
halle wird der unlängst aus Rom zurückgekehrte jüngere
Künstler Pilz bearbeiten, die Kaiserstatuen aber sollen durch
die Bildhauer Dietrich und Fernkorn ausgeführt werden.
Doch darüber ein andermal. Hier möchte ich nur gelegent-
lich noch erwähnen, daß auch die protestantische Bevölkerung
der Stadt Speyer sich mit einem Bauprojekt trägt, dessen
Ausführung diese Stadt um ein neues, werthvolles Denk-
mal bereichern würde. Bekanntlich steht die dortige prote-
stantische Kirche, ein völlig geschmackloses Werk des vori-
gen Jahrhunderts, an der denkwürdigen Stelle, auf der
jener Reichstag von 1529 abgehalten wurde, der den
Evangelischen den Namen Protestanten erwarb. Diese Kirche
ist umfangreicher Reparaturen bedürftig geworden, und
statt diese auszuführen, geht man mit dem Gedanken um,
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] lichen Lebens. So manche Familie, Gemeinde und Stif-
tung aber segnet die Wohlthäter in der Ferne.

Auf den pfälzischen Eisenbahnen herrschte im Laufe
des verflossenen Sommers wieder ein äußerst reges Leben.
Vor allem muß ich der Lustfahrten gedenken, zu welchen
sie benützt wurden. Zuerst war es das große Straßburger
Sängerfest am 1. und 2. Juni, das viele sang= und
lebenslustige Gesellen nach der alten deutsch=französischen
Rheinstadt lockte, wo sie der bekannte Volksdichter und
Drechsler Daniel Hirtz mit einem Gedichte in der „alde
Muedersprooch“ begrüßte. Drauf zogen 1100 Speyerer
Bürger am 22. Juni nach Mainz, um den Besuch zu er-
widern, den die Mainzer in ähnlicher Zahl der Stadt
Speyer und ihrem Dom abgestattet, eine Festlichkeit, die
freilich vom Himmel nicht sonderlich begünstigt wurde,
aber doch viele fröhliche Gemüther in der goldenen Mo-
guntia zusammenführte. Eine gleiche Fahrt nach Mainz
machten 1100 Bewohner Neustadts und seiner Umgegend
am 20. Juli, und die Mainzer wieder zogen nach Straß-
burg und nahmen mit, was unterwegs sich ihrem heitern
Zuge anschloß. Auch die Liedertafel von Mannheim machte
am 27. Juli eine Sängerfahrt in unsere Pfalz. Jhr Ziel
war Edenkoben oder vielmehr Ludwigshöhe, wo sie der
Kaiserin, als einer geborenen Mannheimerin, in der
Veranda der Villa ein Ständchen brachte und für ihre
schönen Lieder den herzlichsten Dank des hohen Geschwister-
paares erntete. Niemals aber seit ihrem Bestehen haben
unsere Eisenbahnen an einem Tage solche Menschenmassen
getragen, wie am 26. September, an dem die junge Groß-
herzogin Louise mit ihrem Gemahl in Mannheim einzog.
Kurz, Sie sehen, daß meine Landsleute ihre Schienenwege
nicht bloß zu Geschäften, sondern auch zum Vergnügen in
steigendem Maße zu benützen wissen. Es sieht dem freilich
manches Auge nicht eben billigend zu, und es sind ernste
Stimmen besonders gegen die Sonntagsfahrten zu er-
mäßigten Preisen laut geworden; ob sie aber dem neuen
Pfeifer von Hameln Einhalt gebieten werden, das ist eine
Frage, die zu beantworten ich mir jetzt nicht getraue.
Ebenso wenig bin ich im Stande, mit Gewißheit zu sagen,
ob die vier neuen Eisenbahnprojekte, die auf pfälzischem
Boden aufgeschossen sind, zur Reife gedeihen werden. Es
soll von Kaiserslautern über Kirchheimbolanden nach Alzey,
von Neustadt über Dürkheim nach Frankenthal oder gar
bis ins Hessische, es soll von Frankenthal nach Grünstadt
und von Homburg nach dem fabrikreichen St. Jngbert
gebaut werden. Das ist viel auf einmal, wohl zu viel,
und überdieß schütteln die Aktionäre der Ludwigsbahn den
Kopf dazu und wollen nichts von Anschluß wissen, da sie
ihr Jnteresse beeinträchtigt glauben. Dagegen wird an
der Zweigbahn von Homburg nach Zweibrücken rüstig ge-
arbeitet; die Hochbauten steigen schon empor und der
nächste Sommer wird das Werk vollendet sehen.

Am Dom zu Speyer sind im Laufe des Sommers
die beiden neuen Thürme vollendet worden. Sie werden
nicht mit sonderlichem Wohlgefallen betrachtet, da sie dem
[Spaltenumbruch] Auge, im Gegenhalt zu den östlichen Thürmen, allzu
klein und besonders zu mager erscheinen. Jst aber der
Anblick schon erträglicher geworden, seit sie ihre Stein-
helme mit den Kreuzen tragen, so dürfte das scheinbare
Mißverhältniß noch mehr, vielleicht völlig verschwinden,
wenn sie einmal nicht mehr so vereinsamt in die Luft
ragen, sondern die stattliche achtseitige Kuppel zwischen
sich haben, die jetzt erst bis zu ihrem Arkadengange aus
dem Dache des Paradieses oder der Kaiserhalle herausge-
wachsen ist. Dagegen, daß der Architekt die Frontseite
durch einen Giebel gekrönt hat, lassen sich jetzt auch mehr
Stimmen vernehmen, zumal man hierin eine Abweichung
von dem ursprünglichen Styl des Baues erblickt. Jch
selbst muß jetzt gestehen, daß ich mir die Wirkung eines
solches Giebels als eine befriedigendere gedacht hatte. Na-
mentlich hatte ich mir gedacht, die Stirnseite würde zu
schwer und gedrückt erscheinen, wenn man das Dachge-
simse unmittelbar über dem Arkadengange in gerader Linie
hätte durchlaufen lassen. Jetzt sehe ich, daß dieß nicht der
Fall gewesen wäre, da die beträchtliche Höhe des Baues
die Stirnwand eher schmal als zu breit erscheinen läßt.
Dennoch kann ich dem Architekten seinen Giebel nicht zum
Vorwurfe machen, da ich mir ohne denselben das Heraus-
steigen der Kuppel aus dem Dache nicht als schön denken
kann. — Auch die Doppelfarbe des Neubaus will vielen
Augen nicht gefallen, da sie der ernsten Würde des Styls
gegenüber wie eine Spielerei gemahnen will; indessen
macht sie diesen Eindruck sicherlich nur kurze Zeit. Jn
wenigen Jahren wird der Glanz des Neuen nicht mehr so
grell hervortreten, die Wetterfarbe wird sich geltend machen
und an dem milder gewordenen Wechsel der Farben wird
das Auge eben so wenig Anstoß nehmen wie an dem älte-
ren Mauerwerk, das ja in ganz ähnlicher Weise geschichtet
ist. — Von den Arbeiten der Bildhauer läßt sich bis jetzt
noch wenig oder nichts berichten. Hier sey nur bemerkt,
daß Joseph Gasser aus Wien schon zwei Monate in Speyer
ist, um an seinen Statuen für die Nischen des Hauptpor-
tals zu arbeiten. Seine Aufgaben sind zunächst die Patrone
der Kathedrale, Maria mit dem Kinde und St. Stephan
der Märtyrer, ferner der Täufer Johannes, St. Bernhard
und der Erzengel Michael. Die Basreliefs in der Kaiser-
halle wird der unlängst aus Rom zurückgekehrte jüngere
Künstler Pilz bearbeiten, die Kaiserstatuen aber sollen durch
die Bildhauer Dietrich und Fernkorn ausgeführt werden.
Doch darüber ein andermal. Hier möchte ich nur gelegent-
lich noch erwähnen, daß auch die protestantische Bevölkerung
der Stadt Speyer sich mit einem Bauprojekt trägt, dessen
Ausführung diese Stadt um ein neues, werthvolles Denk-
mal bereichern würde. Bekanntlich steht die dortige prote-
stantische Kirche, ein völlig geschmackloses Werk des vori-
gen Jahrhunderts, an der denkwürdigen Stelle, auf der
jener Reichstag von 1529 abgehalten wurde, der den
Evangelischen den Namen Protestanten erwarb. Diese Kirche
ist umfangreicher Reparaturen bedürftig geworden, und
statt diese auszuführen, geht man mit dem Gedanken um,
[Ende Spaltensatz]

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Dagegen, daß der Architekt die Frontseite durch einen Giebel gekrönt hat, lassen sich jetzt auch mehr Stimmen vernehmen, zumal man hierin eine Abweichung von dem ursprünglichen Styl des Baues erblickt. Jch selbst muß jetzt gestehen, daß ich mir die Wirkung eines solches Giebels als eine befriedigendere gedacht hatte. Na- mentlich hatte ich mir gedacht, die Stirnseite würde zu schwer und gedrückt erscheinen, wenn man das Dachge- simse unmittelbar über dem Arkadengange in gerader Linie hätte durchlaufen lassen. Jetzt sehe ich, daß dieß nicht der Fall gewesen wäre, da die beträchtliche Höhe des Baues die Stirnwand eher schmal als zu breit erscheinen läßt. Dennoch kann ich dem Architekten seinen Giebel nicht zum Vorwurfe machen, da ich mir ohne denselben das Heraus- steigen der Kuppel aus dem Dache nicht als schön denken kann. — Auch die Doppelfarbe des Neubaus will vielen Augen nicht gefallen, da sie der ernsten Würde des Styls gegenüber wie eine Spielerei gemahnen will; indessen macht sie diesen Eindruck sicherlich nur kurze Zeit. Jn wenigen Jahren wird der Glanz des Neuen nicht mehr so grell hervortreten, die Wetterfarbe wird sich geltend machen und an dem milder gewordenen Wechsel der Farben wird das Auge eben so wenig Anstoß nehmen wie an dem älte- ren Mauerwerk, das ja in ganz ähnlicher Weise geschichtet ist. — Von den Arbeiten der Bildhauer läßt sich bis jetzt noch wenig oder nichts berichten. Hier sey nur bemerkt, daß Joseph Gasser aus Wien schon zwei Monate in Speyer ist, um an seinen Statuen für die Nischen des Hauptpor- tals zu arbeiten. Seine Aufgaben sind zunächst die Patrone der Kathedrale, Maria mit dem Kinde und St. Stephan der Märtyrer, ferner der Täufer Johannes, St. Bernhard und der Erzengel Michael. Die Basreliefs in der Kaiser- halle wird der unlängst aus Rom zurückgekehrte jüngere Künstler Pilz bearbeiten, die Kaiserstatuen aber sollen durch die Bildhauer Dietrich und Fernkorn ausgeführt werden. Doch darüber ein andermal. Hier möchte ich nur gelegent- lich noch erwähnen, daß auch die protestantische Bevölkerung der Stadt Speyer sich mit einem Bauprojekt trägt, dessen Ausführung diese Stadt um ein neues, werthvolles Denk- mal bereichern würde. Bekanntlich steht die dortige prote- stantische Kirche, ein völlig geschmackloses Werk des vori- gen Jahrhunderts, an der denkwürdigen Stelle, auf der jener Reichstag von 1529 abgehalten wurde, der den Evangelischen den Namen Protestanten erwarb. Diese Kirche ist umfangreicher Reparaturen bedürftig geworden, und statt diese auszuführen, geht man mit dem Gedanken um,

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856, S. 1151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt48_1856/23>, abgerufen am 21.11.2024.